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HipHop und Graffiti mögen aus New York

kommen, haben aber in Hamburg ganz unterschiedliche Blüten getrieben

Graffiti-Vorbilder

Andre Ticoalu alias „SonnyTee“ erzählt mir am Telefon, dass das Foto, das für die Reklame der Ausstellung als großformatiges 18/1-Plakat in zahlreichen Hamburger U- und S-Bahn-Stationen zu sehen war, jahrzehntelang in irgendeinem Schuhkarton bei ihm lag. Eine besondere Bedeutung hatte es für ihn nicht. Schließlich hätten sie, vor allem Fedor Wildhardt und er, früher ständig solche Fotos gemacht. „Unsere Vorbilder waren die Writer (Graffiti-Sprüher, die den Namen als Basiselement der Komposition einsetzen, Anm. d. Red.) aus New York, die wir in Filmen wie „Wild Style!“ und Büchern wie „Subway Art“ gesehen hatten.“ Es sei aber nicht darum gegangen, deren Look einfach zu imitieren. „Das hätte total bescheuert ausgesehen“, sagt Ticoalu. „Wir mussten also unseren eigenen Style entwickeln, mit der Sprühdose und natürlich auch in Sachen Kleidung.“

Die Longsleeves mit dem lässigen Schnitt gab es bei C&A, daran erinnert er sich gut. Die „CCCP“-Aufnäher hatten sie auf dem Hamburger DOM gekauft und sich einen passenden Namen für ihre Crew dazu ausgedacht: „Cold Chillin’ Crime Partners“. Das brachte eine kleine Pointe mit sich: „Es gab in Amsterdam die ‚United Street Artists‘“, kurz: „U.S.A.“, erzählt Ticoalu. Die Antwort aus Hamburg: „CCCP“ das kyrillische Kürzel für „UdSSR“. Der „Mythos des Battle“ wurde hier schon in der Namensgebung beschworen. Die Kangol-Mützen hatten sie in einem alteingesessenen Hutladen in der Innenstadt aufgetrieben. Und an den Ketten um ihren Hals hingen ihre Sprayernamen – in Handarbeit aus einer Messingplatte gesägt.

Glokalisierung

Was Andre Ticoalu beschreibt, wird in der Sozialwissenschaft als „Glokalisierung“ bezeichnet. Popkulturelle Phänomene etwa würden zwar von global operierenden Medienindustrien, insbesondere von den USA aus, in die ganze Welt exportiert. Auf den Import folge jedoch nicht bloß der Konsum der Kultur, sondern deren lokale Aneignung und Ausdifferenzierung. Will sagen: HipHop und Graffiti mögen aus New York kommen, haben aber in München, Dortmund oder Hamburg ganz unterschiedliche Blüten getrieben. Und so gehört zum Erfolg von „EINE STADT WIRD BUNT“ auch, dass die Ausstellung diesem Spannungsfeld zwischen globaler Kulturware und lokaler Aneignung eine Bühne bereitet. Das fängt schon mit dem Titelfoto an, von dem man annehmen könnte, es sei in der New Yorker Bronx aufgenommen worden. Beschäftigt man sich aber mit den Details der Inszenierung, kommt man den Strategien lokaler ReKontextualisierung auf die Spur. Indem die Ausstellung genau das für HipHop und Graffiti leistet, trägt sie zu einem tiefen Verständnis der Hybridität von Popkultur bei.

Und so schlägt „EINE STADT WIRD BUNT“ – vom Titelmotiv bis zum originalgetreu nachempfundenen Jugendzimmer der späten 1980er-Jahre – den weiten Bogen einer Subkultur, die in mancherlei Hinsicht eine neue Ära einleitete. Graffiti war zwar einerseits eine „Gegenkultur“ und im steten Konflikt mit dem Gesetz, zugleich ist HipHop die erste Subkultur, für die der Wettkampf in Form des „Battles“ zentrales Identitätsmerkmal ist. Zudem standen viele Rapper, DJs, Writer und Breaker immer wieder vor einem Dilemma: Einerseits wollten sie ihr Können zu Geld machen, andererseits wollten sie nicht in Verdacht geraten, Sell-out zu betreiben, sich also für den Markt zu verbiegen.

Da es auf solche Fragen nur ambivalente Antworten geben kann, stellt HipHop eine Subkultur dar, die – wie keine zuvor – die „Hybridität der Postmoderne“, also das komplexe Neben- und Miteinander scheinbar widersprüchlicher Identitätskonstruktionen verkörpert. Die Ära des „Entwederoder“ ging zu Ende, es begann des „Sowohl-als-auch“. Ein Prinzip, das auch im Titel der Ausstellung zum Ausdruck kommt. Den man sich übrigens einmal laut vorlesen sollte, ohne dabei an Sprühlack auf Mauern zu denken: Eine Stadt wird bunt.

Diese Auftragsarbeit für die Hypothekenbank 1989 beweist, dass die Akzeptanz von Graffiti wuchs

» Die Ausstellung „EINE STADT WIRD BUNT“ bietet Einblicke in die Graffiti-Kunst mit Fokus auf Hamburg. Die Ausstellung läuft bis zum 7.1.2024 im Museum für Hamburgische Geschichte.

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