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Für Baudrillard stellt Graffiti eine Form von symbolischer Rückeroberung dar
auf nichts, als auf sich selbst. Gerade in dieser inhaltlichen Leere sieht Baudrillard ihre Kraft. Indem sie Werbung und Medien nicht auf der Ebene des Inhalts kritisierten, sondern sich deren Techniken und Mittel zunutze machten, stellten sie einen „Aufstand der Zeichen“ gegen die herrschende mediale Ordnung dar. Für Baudrillard stellt Graffiti eine Form von symbolischer Rückeroberung des öffentlichen Raums dar, der zunehmend durch Anonymisierung und Desozialisation gekennzeichnet sei.
Auch die Soziologin Gabriele Klein sieht in der HipHop-Kultur die Reaktion auf einen grundlegenden Bedeutungswandel der Stadt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie erkennt in der Deindustrialisierung zentrumsnaher Viertel, in der Verwahrlosung und Verslumung von Problembezirken sowie in der Musealisierung und Eventisierung von Stadtzentren Symptome des Übergangs zur postindustriellen Stadt. In dieser von den Folgen des Kapitalismus geprägten Stadt trete das Urbane „nicht mehr als gelebte städtische Kultur in Erscheinung“, sondern entfalte „seine Wirksamkeit als theatrales Gestaltungsmittel“. Im Übergang von der Industriegesellschaft zur Informationsund Mediengesellschaft, sei nicht mehr „Arbeit das zentrale strukturbildende Merkmal, sondern „Kommunikation“. Indem Writing die Stadt als Kommunikationsplattform entdeckt, stellt es also eine Reaktion auf diese Veränderungen dar. Wo geschichtslose Orte wie Bürostädte und Großwohnsiedlungen entstehen, werden Strategien zur Wiederaneignung der Stadt notwendig.
Das postindustrielle Hamburg
Nun ist Hamburg nicht Paris, wo mit den Banlieues die gesellschaftliche Spaltung in großem Stil buchstäblich in Beton gegossen wurde. Aber es ist schon bezeichnend, dass die Plattenbausiedlung Steilshoop mit ihren 20.000 Einwohnern erst ab 2030 mit der U5 einen U-Bahn-Anschluss haben wird – rund 60 Jahre nach ihrem Bau. Was die Jugendlichen aus Steilshoop und anderen Vierteln aber nicht daran hinderte, den Alsteranleger am Jungfernstieg Ende der 1980er zu ihrem zentralen Treffpunkt zu machen; oder die S-Bahn zur Bühne für subkulturelle Inszenierungen im Stil der New Yorker Subway umzudeuten und entsprechend vollzutaggen; oder S-Bahntunnel und Brachgelände zu markieren und damit symbolisch zu erobern. Indem „EINE STADT WIRD BUNT“ solche Geschichten von urbaner Raumaneignung erzählt, handelt die Ausstellung eben nicht nur von einer Generation, die anfing, Farbe auf Wände zu sprühen. Vielmehr erzählt sie von Hamburgs Weg zur postindustriellen Stadt, jenem, so Klein „symbolische(n) Ort, der die Komplexität, Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit moderner Gesellschaften am deutlichsten demonstriert“.
Die Ausstellung „EINE STADT WIRD BUNT“ überzeugt Besucher aller Altersklassen – was auch auf das vierköpfige Kuratorenteam um Frank Petering, Mirko Reisser, Andreas Timm und Oliver Nebel (v. l. n. r.) und ihre Führungen zurückzuführen ist

