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rer als eine limitierte Anzahl von Studierenden die im Allgemeinen auch sensibler zu politischen Themenschwerpunkten sind. Zum Anderen haben die einzelnen Reformen des Bildungssystems (sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene) den Charakter der Universitätsbildung grundlegend verändert. Die wohl wichtigste Veränderung ist zweifelsohne die Umstellung auf Bachelor und Master. Was in der Vergangenheit in vier Jahren durchgenommen wurde, wird jetzt oft in drei Jahren eingetrichtert. Ohne dieses System zu polemisieren (es hat auch seine positiven Seiten), hat es doch entschieden dazu beigetragen, den Studenten zeitlich unter Druck zu stellen. Verschärft wird das ganze noch durch Auflagen zur Wiederho-

einer leistungsorientierten Gesellschaft das Verlangen in der Regelstudienzeit fertig zu werden, um gegenüber etwaigen Konkurrenten auf der Suche nach Arbeitsplätzen im Vorteil zu sein. Wer will heute schon in seinem Curriculum Vitae zugeben müssen, für ein dreijähriges Studium fünf Jahre gebraucht zu haben? Dieser zeitliche Faktor ist nicht zu unterschätzen, was eine etwaige Apathisierung des Studenten gegenüber politischen und gesellschaftlichen Forderungen betrifft. ______ Die veränderte Gesellschaft. Eine Universität ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, und in diesem Sinne auch eine dynamische Institution, die Veränderungen absorbiert und

schiedenen Derivate (Marxismus, Maoismus, Leninismus) bieten Studenten keine Antworten oder Lösungsmöglichkeiten. Was 1968 noch als ideologisches Zugpferd für revoltierende Studenten galt, wird heute mit einem müden, gezwungenen Lächeln begegnet. Eine linke Ideologie war im Zeitraum von 1960 bis 1980 die Triebfeder für Studenten, sie bot den Studierenden eine Palette an Alternativen und Lösungs­möglichkeiten für ihre Forderungen. Eine ähnliche Funktion hatte im 19. Jahrhundert der Nationalismus. Deutsche Studenten schlosseen sich zusammen gegen Kleinstaaterei und napoleonische Fremdherrschaft - das Wartburgfest (1817 und 1848) und studentische Freikorps in den Befreiungskriegen sind eindeutige Beispiele.

lung von Prüfungen und finanziellen Barrieren. Die Studienpläne sind streng strukturiert und lassen einem oft nur wenig Freiraum für persönliche Entscheidungen. Summiert man nun die finanziellen Kosten zu den zeitlichen Beschränkungen und den credit-konzentrierten Studienplänen verwundert es einen nicht, dass den Studenten zunehmend einfach die Zeit fehlt, um politisch aktiv zu werden. Die Wenigsten können es sich heute finanziell leisten, das Studium in die Länge zu ziehen; außerdem verstärkt der zunehmende Druck

verarbeitet. Waren die 60er Jahre noch im Kontext der Industriegesellschaft eingebettet, befindet sich die „westliche Welt“ nun in einer post-industriellen Gesellschaft mit dem Primat des tertiären Sektors. Eine zunehmende Verminderung der Beschäftigten im Industriesektor bedeutet auch eine schrittweise Entideologisierung der Gesellschaft auf Kosten der linken Gesellschaftstheorien. Anstelle einer großen, intellektualisierten Vision ist in meinen Augen ein größerer Materialismus gekommen. Der Sozialismus und seine ver-

Eine ähnliche Triebfeder hat sich im 21. Jahrhundert noch nicht gefunden. Diese neue, materialistische Gesellschaft hat sich emanzipiert. Was kann man als Student noch (ein)-fordern? Ein oberflächlicher Pluralismus toleriert die verschiedensten Ansichten; eine demokratische Verfassung in einem konsolidierten politischen System garantiert Bürgerrechte und parlamentarische Demokratie. Die sexuelle Revolution hat Sex enthemmt. Sex „sells“, dafür muss kein Mensch mehr auf die Straße gehen.


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