
6 minute read
Seit 76 Jahren im Orden
Sr. Sekundina ist mit ihren 96 Jahren die älteste Ordensschwester in der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom Hl Vinzenz von Paul Wien Gumpendorf. Anlässlich des 190. Geburtstags des Ordens sprach sie mit dem Vinzenz magazin über Gedanken zu Verzicht und Berufung, Optimismus und die Kraft der Gemeinschaft.
Von Annemarie Kramser
Advertisement
Als ich zum vereinbarten Treffpunkt für das Interview mit Sr. Sekundina komme, bin ich zu früh dran. Doch Sr. Sekundina wartet bereits im Foyer des Klosters Laab im Walde auf mich. Es empfängt mich eine rüstige Frau, der man niemals 96 Jahre geben würde. Sie sei nervös, gesteht sie mir. Manchmal brauche sie nämlich ein bisschen Zeit, um die richtigen Worte zu finden.
Sr. Sekundina wurde am 23. Mai 1926 im Oberösterreichischen Mühlviertel als Jüngstes von vier Kindern geboren. Ihre Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft. Mit 20 Jahren entschied sie sich für ein Leben im Orden. 1949 legte sie ihr Ordensgelübde ab – aus Margarethe Nimmervoll wurde Sr. Sekundina. Sie machte die Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete elf Jahre im Landeskrankenhaus von Eggenburg, danach im Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien und im Pflegehaus St. Katharina. Mehrmals übte sie die Funktion der Ordensoberin aus.

Nikolofeier in Eggenburg mit Sr. Sekundina Ende der 1950er-Jahre.
© privat
Vinzenz magazin: Wie sind Sie zum Orden der Barmherzigen Schwestern gekommen?
Ich habe eigentlich gar nicht daran gedacht, ins Kloster zu gehen. Plötzlich ist dieser Wunsch gekommen und es war ein starker innerer Drang da. Ich habe gewusst, wenn ich nicht dort hin komme, dann werde ich nicht glücklich. Mit 20 Jahren bin ich in Linz dem Orden beigetreten.
Warum gerade die Barmherzigen Schwestern? Hatten Sie vorher Kontakt?
Das war eine Eingebung. Ich hätte gar nicht woanders hin gehen können; Es gibt ja viele Orden. Aber die Barmherzigen Schwestern waren die einzige Möglichkeit für mich. Ich hab mich bei ihnen in Linz vorgestellt und bin kurz darauf eingetreten.
Durften Sie Ihren Ordensnamen selber aussuchen?
Damals durften wir den Ordensnamen noch nicht selber aussuchen. Heute schon. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich mehrere Schwestern den gleichen Namen aussuchen, ist ja heute nicht mehr groß.
Haben sie nie das Gefühl gehabt, auf etwas verzichtet zu haben?
Natürlich spürt man das. Aber man weiß ja von Anfang an, dass man auf etwas verzichtet. Ich bin am Land aufgewachsen und mir ist der Wechsel in die Stadt schwer gefallen. Aber die Liebe zu Gott ist größer als alles was man haben könnte. So ist das mit der geistlichen Berufung: man stellt die Liebe zu Gott über alles andere.

Sr. Sekundina (l.) und Sr. Josefa (r.) im Speisesaal des Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien.
© privat
Was ist der Unterschied zwischen Berufung und Entscheidung?
Die Berufung für ein Leben im Orden kommt von innen heraus. Es ist ein richtiger Drang. Wenn man den verspürt, muss man sich für seinen Weg entscheiden.
Hat ihnen diese Liebe zu Gott geholfen durchzuhalten?
Man wird im Leben immer wieder geprüft - es gibt immer gute und schlechte Zeiten. Dem muss man sich stellen und daran wachsen und reifen. Wenn man sich für etwas entschieden hat, dann soll man auch dabei bleiben. Aber natürlich nur dann, wenn man sich für Gutes entschieden hat. Das andere muss man weglassen.
Wie lange soll man durchhalten? Manchmal ist es doch besser, los zu lassen?
Wenn man spürt, dass eine schwierige Entscheidung ansteht, dann kann man versuchen, drüber zu beten. Man betet dafür, dass man die Kraft hat, den richtigen Weg zu gehen.
Ist Beten eher Meditation und Besinnung auf sich selbst?
Beten ist nicht nur das Aufsagen von Gebeten; Beim Beten geht man eine Verbindung zu Gott ein; man denkt nach, wie und welche Lösungen man finden könnte.
Beim Beten nimmt man sich somit Zeit für sich?
Ja. Man denkt dabei nach, was rund um einen geschieht und wie man am besten weiter geht. Man verarbeitet die Dinge, die während des Tages passiert sind. Dafür braucht man Zeit. Wenn man arbeitet, kann man nicht beten, denn bei der Arbeit muss man sich ja auf seine Aufgaben konzentrieren. Man kann nicht beides gleichzeitig tun.
Die Ordensschwestern haben einen sehr geregelten Tagesablauf. Können Sie da Berufstätigen einen Tipp geben?
Viele arbeiten zu viel und haben zu wenig Erholung. Das ist nicht gut. Man braucht auch Ruhezeiten. Man kann schon viel arbeiten. Aber man sollte sich regelmäßig Auszeiten nehmen und nicht versuchen, alles gleichzeitig zu machen.
Was braucht man für ein erfülltes Leben?
Dankbarkeit. Wichtig ist es auch, seine Grenzen zu kennen und nicht immer zu glauben, dass man der wichtigste Mensch auf der Welt ist. Der Mensch neigt dazu und da muss man sich immer zurücknehmen. Das ist oft nicht so einfach.
Wie bleibt man so eine Optimistin, wie Sie es sind?
Ich weiß es nicht (lacht). Auf Gott vertrauen und schwierige Zeiten mit Gebet und Meditation überwinden. Das ist ganz wichtig. Immer aktiv Lösungen suchen. Wenn man sich gehen lässt, dann ist man unzufrieden. Nur Beten alleine bringt nix. Das will der liebe Gott nicht haben. Man muss schon auch einen aktiven Beitrag zur Lösung leisten.
Hatten Sie Angst vorm Altwerden?
Man darf sich nicht von der Angst vorm Altern überwältigen lassen. Man muss es annehmen wie es kommt. Wenn man das schafft, dann geht schon ein großer Teil der Angst verloren. Wichtig ist auch, dass man Hilfe annimmt, wenn man sie braucht. Wenn man sich dagegen wehrt, dann wird das immer ärger und man hat immer größeren Stress. Gleichzeitig soll man weiter aktiv bleiben, soweit man halt kann.
Wie sind Sie aktiv geblieben?
Ich habe bis 2017 im Speisesaal vom Mutterhaus gearbeitet. Dann ist es schwierig geworden, weil ich mir nicht mehr alles merken hab können. Daher habe selber gebeten, dass ich hierher ins Ordens-Pflegehaus nach Laab darf. Wie ich dann hier her gekommen bin, hab ich mich wieder erholt. Es macht schon was aus, wenn man keine Verpflichtungen mehr hat.
Haben Sie Angst vorm Sterben?
Na ja; Man muss es so nehmen wie es kommt. Aber ein bisschen mulmig ist es schon.
Zur Geschichte des Ordens
Vor 190 Jahren wütete in Wien eine Cholerapandemie. Nur etwa jeder zweite Patient überlebte. Um die Kranken zu versorgen, schickten die Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul eine Gruppe von Mitschwestern von Zams nach Wien. Sie gründeten im heutigen Wien-Gumpendorf das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern. Es war das erste Krankenhaus Wiens, das sowohl Männer als auch Frauen betreute. Heute hat das gemeinnützig geführte Haus 221 Betten. Die Schwerpunkte liegen im gesamten Verdauungstrakt und urologischen Bereich, Onkologie und Psychosomatik. 2021 wurden rund 55.000 Patientinnen und Patienten stationär und ambulant betreut. Auch 190 Jahre nach der Gründung engagiert sich das Haus in der Pandemiebekämpfung und öffnete seine Intensivstation für die Behandlung von Corona-Patient*innen. Es entwickelte ein tagesklinisches Post-Covid Programm mit medizinischer, psycho- und physiotherapeutischer Komponente, als letzten Schritt im Genesungsprozess.
© Annemarie Kramser, Headerbild