sensor Wiesbaden #47 November 2016

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Stadtentwicklung

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Stadtentwicklung

Zwar leben überwiegend ältere Menschen in der Siedlung. Aber auch für den Nachwuchs gibt es Raum.

Viel Grün sorgt, direkt vor den Haustüren aber auch in der unmittelbaren Umgebung, für Lebensqualität. Zeichen der Veränderung. Der Architekt Jeremy Würtz kennt das Viertel seit langem und verantwortet nun maßgeblich die Umsetzung der Zukunftspläne.

Knapp zwanzig Minuten mit dem Bus aus der Innenstadt, der Blick auf gut 250 Höhenmetern weit über den Taunus – und dazwischen? Eine gewachsene Wohnsiedlung mit typischen 50er-JahreWohnblöcken – und mit Aussichten auf eine neue Zukunft. Im 45-Grad-Winkel zur Straße angeordnet, mit großen Grünflächen dazwischen, stehen farblich angelegte mehrstöckige Häuser rechts und links der Helmholtzstraße im Kohlheck, die sogenannte Schönbergsiedlung. Manchen sieht man die Jahrzehnte deutlich an, an anderen werden oder wurden Fassaden neu bepinselt und saniert. Hier Rot, dort Blau, hier neue Balkone, dort ein moderner Eingangsbereich, Plakatwände, die für den Kauf einer Wohnung werben auf der einen und eine gläserne Infobox auf der anderen Straßenseite. Letztere zeigt Modelle für Neubauten, von denen allerdings noch nichts zu sehen ist. Aus der Not zum gewachsenen Wohngebiet Entstanden aus der großen Wohnungsnot in den Nachkriegsjahren, wurde das Gebiet am Kohlhecker Wald zunächst mit Einfamilienhäusern bebaut. In der Kohlhecker Chronik heißt es: „Als erste bauten Angehörige der Maschinenfabrik Wiesbaden in der Hasenspitz die ersten Häuser in einer Art Gemeinschaftsarbeit.“ Kurz darauf kamen Mehrfamilienhäuser mit 500 Wohnungen für Arbeiter und Flüchtlinge hinzu, die bis heute als Miet- und Eigentumswohnungen bewohnt sind – oft seit jener Zeit. Eine durchmischte Siedlung mit eigenen Betrieben und Dienstleistungen entstand. Nah zur Natur, kurze Wege für die Dinge des täglichen Lebens und unweit der Innenstadt, schätzt bis heute der Großteil der Bewohner die Lage des grünen Stadtteils am Hang. Deutlich wird das, wenn man sich im Viertel umsieht und umhört. Es heißt, in keinem anderen Viertel in Wiesbaden lebten so viele ältere Menschen wie im Kohlheck. Das könnte sich ändern. Mit den Sanierungen der Wohnblocks und den geplanten Neubauten scheinen – und sollen – sich mehr Junge und vor allem Familien zu interessieren.

Wohnungen zu verkaufen. Der Vertrieb hat begonnen, in den Infoboxen finden Interessierte auch Modelle der entstehenden Neubauten

Zweckmäßige Nachkriegsbauten wurden für viele zur neuen Heimat – und sind es bis heute weitgehend unverändert geblieben.

So wohnt Wiesbaden

Siedlung im Wandel Die Schönbergsiedlung im Kohlheck wurde schon vor Jahrzehnten als Paradies besungen. Nun bekommt sie ein Update. Geheimtipp-Viertel Der Wiesbadener Architekt Jeremy Würtz sieht für die Siedlung Kohlheck eine spannende Zukunft voraus: „Für mich ist es ein Viertel mit viel Potenzial, das entdeckt werden will – ein Geheimtipp.“ Würtz ist seit Jahren in die Um- und Neugestaltung des Stadtteils involviert. Die Hanglage mit der Architektur und Bebauungsstruktur in dieser Umgebung sei etwas Besonderes in Wiesbaden – auch wenn er selbst das Leben in der Innenstadt bevorzuge. Zusammen mit seinen Kollegen von Zaeske und Partner entwickelte er die Neubauten, deren Baubeginn für Frühling 2017 geplant und deren Modelle in der gläsernen Infobox zu sehen sind. Diese sollen hinter den Wohnhäusern der Helmholtzstraße direkt über dem Sportplatz gebaut werden. Wo jetzt noch Wiese ist, gab es im Mai eine kleine Feier zum Vertriebsstart. Auch einige Anwohner kamen, um sich die Modelle aus der Nähe anzuschauen, ebenso Fußballer des SC Kohlheck.

Geduld gehört für Jeremy Würtz zum Geschäft. Von der Planung bis zu Genehmigung dauerte es über zehn Jahre und war nicht ganz unkompliziert – nicht nur für die neuen Häuser. Zunächst gab es einen Käufer, der die 500 unsanierten Wohneinheiten vom damaligen Besitzer dem Unternehmen Fauth erwarb. Darauf folgten etliche Untersuchungen, wie das Gebiet modernisiert und auf den aktuellen Wohnstandard gebracht werden kann. Es gab Bürgerversammlungen, Abstimmungen mit der Stadt, Gutachten, verstimmte Bewohner, Weiterverkauf einzelner Wohnblocks und Baugrundstücke – Hürden und Wege, die die Zeit verstreichen ließen. Seit 2014 konnten alle Bedenken und Unklarheiten beseitigt und der Startschuss für die Modernisierung des Viertels gegeben werden. Die Struktur Miet- und Eigentumswohnungen soll beibehalten werden, die Lebensqualität des Viertels selbst ohnehin – verbessert werden die Ausstattungen im Rahmen einer energetischen Sanierung, die bei der

Vertriebsstartfeier in höchsten Tönen gelobt wurde, und komfortablem Wohnen. Bei der Planung der Neubauten mit 64 Eigentumswohnungen stand vor allem ein generationenübergreifendes Wohnkonzept im Fokus. Sowohl große 4-5 Zimmer-, als auch kleine 2-Zimmer-Wohnungen sollen entstehen – mit Kaufpreisen in einer Spanne von um die 270.000 bis gut 440.000 Euro – und viel Wert auf ökologisches, nachhaltiges Bauen gelegt werden. In den 1980er-Jahren von Werner Wörle in einem „Kohlhecklied“ getextet, verlieren diese Zeilen – so scheint es – zum Glück auch in der Zukunft nicht an Wahrheit. „Für seine Landschaft ist berühmt das ganze Hessenland, doch als vor ein paar Jahrzehnten hier ein Wohngebiet entstand – da war die Freude riesengroß, denn es hieß allgemein: Die Gegend ist ein Paradies, da möchte ich immer sein.“ Stefanie Pietzsch Fotos Samira Schulz

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