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Spielzeugkreisel und Vergänglichkeit

Im 5. Symphoniekonzert erklingt ein neues Werk von Olga Neuwirth, der Capell-Compositrice der Saison 2022 / 2023

Mit jedem Werk von Olga Neuwirth scheint man in eine neue, und doch immer unverkennbar nach Neuwirth klingende Welt einzutauchen: eine Welt, die zweifellos zur zeitgenössischen Musik gehört, sich aber zugleich von überkommenen Stilkategorien gänzlich unbeeindruckt zeigt. In ihrem Schaffen begegnen sich musikalische Verweise auf Monteverdi oder Strawinsky genauso wie Avantgarde-Chansons des Pop-Countertenors Klaus Nomi und Anklänge an die Blasmusik des Balkans. Nicht umsonst erhielt die 1968 im österreichischen Graz geborene Komponistin in diesem Sommer für ihre »einzigartige, alle Genregrenzen überschreitende Klangsprache« eine der international renommiertesten Auszeichnungen im Musikbereich, den Ernst von Siemens Musikpreis. Auch ihrem neuen Orchesterwerk »Dreydl«, dessen Deutsche Erstaufführung die Staatskapelle im 5. Symphoniekonzert unter der Leitung von Tugan Sokhiev geben wird, liegt eine unvermutete Anregung zugrunde: Der Dreydl ist ein Spielzeugkreisel, mit dem

Kinder am jüdischen Lichterfest Chanukka, das in diesem Jahr am 18. Dezember beginnt, um Süßigkeiten spielen. In Anlehnung an die Drehung des Dreydls treibt ein unablässig wiederholtes Schlagzeugmuster das Stück an, darüber errichtet das Orchester in kreisenden Läufen und Akkordschlägen gewaltige Crescendo-Bögen. Der geradezu körperliche Sog, den das Stück entfaltet, ist kein Zufall, vielmehr geht die Komponistin hier ihrem »Interesse an der Neugestaltung und Neuerfindung von tanzähnlichen Rhythmen« nach. Dass die zyklischen Rhythmen in »Dreydl« dabei nicht nur kraftvoll motorisch, sondern bisweilen fast bedrohlich anmuten, auch das ist kein Zufall. Die Komponistin stellt dem Werk das jiddische Gedicht »Des Müllers Tränen« voran, in dem das pausenlose Drehen des Mühlenrads der Vergänglichkeit menschlichen Lebens gegenübersteht. Wie Olga Neuwirths Kunst insgesamt, so macht auch »Dreydl« in subtiler Weise die Widersprüche und Fragilität der menschlichen Existenz hörbar.

5. SYMPHONIEKONZERT

Tugan Sokhiev , Dirigent

Yefim Bronfman, Klavier

Olga Neuwirth, »Dreydl« (Deutsche Erstaufführung)

Wolfgang Amadeus Mozart, »Klavierkonzert Nr. 22«

Es-Dur KV 482

Nikolai Rimski-Korsakow, »Scheherazade« op. 35 18., 19. & 20. Dezember 2022, Semperoper, Karten ab 12 Euro

PORTRÄTKONZERT DER CAPELL-COMPOSITRICE

Musikerinnen und Musiker der Sächsischen Staatskapelle und Gäste 19. April 2023, Festspielhaus Hellerau, Karten 17 Euro

12. SYMPHONIEKONZERT

Daniel Harding, Dirigent

Dame Sarah Connolly, Mezzosopran; Andrew Staples, Tenor

Olga Neuwirth, »Masaot / Clocks without Hands«

Gustav Mahler, »Das Lied von der Erde« 9., 10. & 11. Juli 2023, Semperoper, Karten ab 12 Euro