Magazin zu den Premieren 2013/14

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4 Gesetzen er sich unterwerfen soll, sagt er sich los, er trennt sich aber auch von Freihild, um durch Entsagung seine Schuld zu sühnen. Diese von Nietzsche (und Max Stirner) angeregte Lösung ist so unmittelalterlich wie nur möglich: Eine Figur wie der Parzival Wolframs von Eschenbach kann sich zwar gegen Gott empören, aber er kann sich nicht konsequent und unaufgeregt von ihm emanzipieren. Guntrams Individualismus gehört erst dem 19. Jahrhundert an. Strauss hat im »Guntram«-Libretto auf Stabreime und Anklänge an Wagners Stil verzichtet (was sicher eine kluge Entscheidung war), um den Preis, dass sein Text etwas unpoetisch daherkommt. Mit dem Singgedicht »Feuersnot« (am 21. November 1901 in Dresden uraufgeführt) dagegen lieferte ihm Ernst von Wolzogen, der Gründer des literarischen Kabaretts »Überbrettl« in Berlin, passend zum frivolen Stoff eine Kopie von Wagners Schreibart, die (durch Zitate, Dialekteinsprengsel und ähnliches) in eine Parodie umschlägt. Die Geschichte wurde seit dem 13. Jahrhundert oft erzählt. Der lateinische Dichter Vergil wird im Mittelalter erstaunlicherweise (denn er liebte nur Knaben) unter die »Minnesklaven«, die Opfer weiblicher List und Bosheit, gezählt: Eine Königstochter, so heißt es, habe ihm versprochen, ihn nächtens in einem Korb in ihr Turmgemach heraufziehen zu lassen, den armen Kerl dann aber auf halber Höhe hängen lassen und so dem Gespött der ganzen Stadt preisgegeben. Weil man dem Dichter der »Aeneis« aber auch Zauberkräfte zuschrieb, kann er sich rächen: Er sorgt dafür, dass in ganz Rom das Feuer ausgeht und nur am nackten Hintern der Mutwilligen wieder entzündet werden kann – weil man den Brand nicht an andere weitergeben kann, muss sie die beschämende Prozedur endlos lange über sich ergehen lassen. Später wird diese Geschichte von einem namenlosen jungen Mann erzählt; Wolzogen verlegt sie nach München: Sein Kunrad will das Mädchen, das ihn zum Gespött gemacht hat, nicht demütigen, sondern endlich die versprochene Liebesnacht genießen – dass das Feuer nur »aus heißjungfraulichem Leibe« wieder entflammt, erhält so eine völlig andere Bedeutung. Strauss nutzt die Gelegenheit, den Münchner Philistern, die Wagner vertrieben und seinen eigenen »Guntram« ausgebuht haben, gründlich die Meinung zu sagen. Das Mittelalter (dessen Literatur und bildende Kunst durchaus Vorbilder für die unverkrampfte Sinnlichkeit der »Feuersnot« bereitstellen) interessiert ihn und Wolzogen (wie schon Purcell und Dryden) weniger um seiner selbst willen denn als Spiegel, der die gesellschaftlichen Verhältnisse und Probleme der eigenen Zeit, oder auch ganz private Erfahrungen der Autoren, vergrößernd und verdeutlichend reflektiert. Albert Gier ist Professor für Romanische Literaturwissenschaft / Mediävistik an der Universität Bamberg.

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