Tirol Magazin

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MIT DEM „KARMEL ST. JOSEF UND ST. THERESA“ UND DEM KLOSTER VOM „ORDEN DER EWIGEN ANBETUNG“ IN INNSBRUCK GIBT ES IN TIROL NUR NOCH ZWEI WEITERE KONTEMPLATIVE ORDEN.

schüttelt bestimmt den Kopf. „Nein, gar nicht! Wir fühlen uns weder isoliert noch spüren wir einen Abstand zwischen den Menschen und uns. Umgekehrt mag das vielleicht anders sein“, sinniert sie. Und erinnert sich an ihren sechswöchigen Aufenthalt in der Innsbrucker Klinik, wo sie nach einem unglücklichen Sturz im Klostergarten landete. „Im Spital war ich ein Unikum: Die Leute waren ganz aufgeregt, wenn sie mich gesehen haben. Weil ich ‚die aus dem Schweigeorden‘ war. Das war schon etwas eigenartig“, denkt sie an die Momente zurück, in denen dann doch zwei Welten aufeinanderprallten. D a s s m a n s i e und ihre Mitschwes-

tern im Volksmund „Weiße Tauben“ getauft hat, war für Schwester Marie Raphael aber schon vor ihrem Klinikaufenthalt kein Geheimnis. „Angeblich nennt man uns auch Tabernakel-Täubchen. Aber das stört mich nicht weiter: Das hat ja mit unserer Ordenstracht zu tun und ist nicht böse gemeint“, meint sie gnädig. Und kommt noch einmal auf die Frage mit der vermeintlich fernen Außenwelt zurück. „Die Leute läuten an der Klostertür und bringen uns ihre Sorgen her. Manche rufen für Gebetsanliegen auch an. Das passiert fast jeden Tag“, will sie mit der Mär aufräumen, dass das Leben in der Klausur gleichzeitig eine totale Abschottung von dem bedeutet, was Ordensfremde als „Normalität“ bezeichnen.

Geübt in S o c i a l D i s ta n c e .

Aber was ist in Zeiten der nach wie vor bizarr wirkenden Corona-Pandemie schon normal? Die Einschränkung von sozialen Kontakten, der gebotene Rückzug in die eigenen vier Wände und der daran geknüpfte Verzicht auf etwaige Annehmlichkeiten des Lebens haben so manchen schon nach wenigen Wochen aus der Bahn geworfen. Wir sagten Lockdown dazu, im Herz-Jesu-Kloster ist das Alltag – der den Großteil der Menschheit augenscheinlich überfordert. „Diese unglaubliche Stille, die geherrscht hat, war auch für uns ungewöhnlich. Für uns selber hat sich allerdings kaum etwas verändert: Doch als am Ostersonntag Gläubige an der verschlossenen Kirchentür gerüttelt haben, war das schon hart. Die Glocken haben so schön geläutet und niemand durfte zur Messe kommen. Das war entsetzlich“, sagt Schwester Marie Raphael, die sich über jene Menschen wundert, die auch hier noch die Energie fanden, ihr Gegenüber anzufeinden. „Wie kann es sein, dass man böse aufeinander wird, wenn jemand den Mundschutz nicht richtig aufhat“, fragt sie sich. Schließlich gäbe es ja weitaus größere Probleme. „Uns haben die Menschen leidgetan, die ihre Arbeit verloren haben, krank geworden sind oder Kranke in ihrem Umfeld hatten: Es gab mit Sicherheit mehr Leid als Erkenntnis.“ Sagt’s und kommt auf Gott zu sprechen: Tirol_Magazin

„Wer jetzt keinen Glauben hat, der hat auch mehr Angst“, erklärt sie. Furcht schimmert dabei keine durch. B e r ü h r u n g s ä n g s t e mit neuen

Technologien hat Schwester Marie Raphael übrigens auch nicht. „Wenn es notwendig ist, dann geh ich auch ins Internet“, erklärt sie. Denn: „In unseren Regeln steht, dass wir informiert darüber sein müssen, was in der Welt passiert. Sonst wüssten wir ja nicht, wofür wir beten“, stellt sie klar. Die Vorstellung, dass im Schweigeorden gemeinschaftlich durchs Netz gesurft wird, kann man sich aber gleich wieder aus dem Kopf schlagen. Die Schwestern haben keinen uneingeschränkten Internetzugang, sie dürfen tatsächlich nur dann ins World Wide Web, wenn es darum geht, auf dem Laufenden zu bleiben. „Wir würden uns sonst nur blockieren und von unseren Aufgaben ablenken lassen“, erklärt die Schwester Oberin, die ohnedies glaubt, dass die wichtigste Verbindung der Draht zu Gott ist. Deshalb findet sich im gesamten Komplex auch kein Fernseher – weder in den einfachen Zellen noch im Gemeinschaftsraum. „Aber wenn es etwas vom Papst zu sehen gibt, dann schauen wir das auf dem Computer. Und wir haben auch ein paar DVDs mit schönen Dokumentarfilmen“, verrät Schwester Marie Raphael, ehe sie die Tür zum Sprechzimmer wieder hinter sich schließt. Genug der Worte. Die Stille ruft.

C h r i s t i a n e _ Fa s c h i n g


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