
6 minute read
Konzertplakate aus problematischer Zeit
10 Konzertplakate aus problematischer Zeit
Gedanken zu einem denkwürdigen Geschenk
Advertisement
Von Wolfgang Mettler
Kürzlich bekam der Autor – und damit unser Chor – einen Stapel Plakate des „Bürgerverein Bodan Konstanz e.V.“, eines Vorgängers unseres Sinfonischen Chores, von Auktionator Carlo Karrenbauer geschenkt. Die aus einem Nachlass stammenden Objekte sind einerseits deshalb von besonderem Interesse, weil sie die Konzerttätigkeit der Jahre 1931 bis 1938 abbilden, also der Jahre, in denen sich das NS-Regime etabliert und das Land danach (1939) in die Katastrophe des 2. Weltkriegs geschickt hat. Über diese Bedeutung mögen sich historisch kompetentere Personen äußern. Der vorliegende Artikel konzentriert sich auf die Gestaltung der Plakate, deren Inhalt und Layout.
Technische Gegebenheiten
Das Papier ist für heutige Verhältnisse extrem dünn, geradezu „windig“. Gehen wir davon aus, dass diese Objekte von professionellen Plakateuren an sog. Litfaß-, heute Plakat-Säulen oder dem gleichen Zweck dienenden Wänden angeschlagen wurden und dass sie eben nicht zum „freien Verkleben“ an und in Fenstern und Türen produziert waren. Dafür wären sie eh zu groß.
Plakate wollen damals wie heute nur eines: werben um jeden Preis! Doch wie erzielte man in den 30er Jahren eine solche Wirkung? Bedenken wir: Der Offset-Druck war noch nicht erfunden, geschweige denn Grafikprogramme auf einem PC. Es gab ausschließlich den Bleisatz, bei dem jedes Wort Buchstabe
Plakat 07
für Buchstabe invers zusammengesetzt, eingefärbt und schließlich gedruckt werden musste! Eine auf „künstlerische Aspekte“ ausgerichtete Gestaltung war also undenkbar, Mehrfarbendruck zu komplex und zu teuer, im Vordergrund stand allein die Information. Wollte man Farbe im Plakat haben, wählte man vorgefärbtes Papier (Plakate 03 und 07).
Schriftarten, Formate
Deshalb erleben wir eine aus heutiger Sicht unästhetische Fülle an Schriftarten und -größen. Neben „nackten“ Schriften, die sehr nüchtern und kalt wirken, sehen wir
ANZEIGE des Öfteren auch die sog. „Fraktur“: fett mit ihrem runden Gestus als Gegensatz zur kalt-geraden Informationsschrift. Die Schriftgrößen und Buchstabenabstände wechseln kunterbunt. Bezogen auf das Plakat 01 (von 1931) erkennen wir über 10 Größen, jeweils über 4 verschiedene Typen und Dehnungen, teilweise unmittelbar nebeneinander! Für uns erhebt sich natürlich die unbeantwortet bleibende Frage, aus welcher Logik heraus dem Chorleiter Robert Lehmann, dem Konzertdatum (auch dem der „Öffentlichen Hauptprobe“) und der Konkretisierung der Eintrittspreise die barocke Frakturschrift zugewiesen wurde! Auch die überschäumende Verwendung von Fett- und Normaldruck in stetem Wechsel fällt auf: All dies hat allein den Sinn, den Betrachter „am Plakat zu halten“. Aber der muss das Plakat erst wahrnehmen: Hierzu dient der Knalleffekt der größten Titelschrift, neudeutsch: des „Eyecatchers“ („Missa solemnis“). An dieser Methode hat sich bis heute nichts geändert, man sollte deshalb stets eine große Titelung anwenden.
Fazit: Die Schrift hat mangels anderer gestalterischer Alternativen die Funktion des Eyecatchers zu übernehmen, der Zweck heiligt also die Mittel. Ästhetik spielt – wenn überhaupt – eine untergeordnete Rolle.
KUNST IST WERTSCHÄTZUNG FÜRS BESONDERE.

5x in Konstanz
www.edeka-baur.de

Plakat 01
Inhalte
Ein Konzertplakat hat eigentlich immer zu viel Text, auch heute noch. Allerdings ist die Informationswut mittlerweile deutlich rückläufig, und dies tut einem Plakat gut. Betrachten wir Plakat 01 von oben:
• Veranstalter – das muss sein. • Datum: Hier ist die Zusatzinformation „öffentliche Aufführung“ unnötig, bei einer nicht-öffentlichen Aufführung benötigt man schließlich kein Plakat. • Für den „Bodan“ damals wichtig: die Zahl der Mitwirkenden, hier „nur“ 250, bei der Matthäus-Passion (Plakat 03) waren es 450! Und das alles im Konzil: Wie viele
Zuhörer waren da eigentlich noch möglich?! • Es folgt die Aufzählung der Solisten mit detaillierter beruflicher Genese. Man brüstet sich wohl mit „Weltstadtformat“, indem man die beruflichen Daten und den Wert der damaligen Stars intensiver darstellte.
Hier fallen besonders die Dimension und der Kommentar bei Plakat 10 auf, wo alle
Solisten von der Mailänder Scala stammten: Welch ein werbetechnischer Reiz angesichts der damaligen Möglichkeit, solche Stimmen überhaupt einmal zu Gehör zu bekommen! Über den „Volksempfänger“1?
Gott bewahre! • Es folgt die Information zur öffentlichen
Hauptprobe: Sie scheint aufgrund der beschränkten Platzverhältnisse im damaligen Konzilsaal aus finanziellen Gründen unabdingbar gewesen zu sein. Der Saal war damals zwar etwas größer, weil er noch ein wesentlich kleineres Foyer hatte, die Bühne war kleiner und konnte noch nicht nach vorne vergrößert werden. Hier musste man sich mit beweglichen Podesten und dem vorgelagerten Fußboden behelfen. • Die Nennung der Eintrittspreise von
Konzert und zusätzlicher öffentlicher
Hauptprobe benötigt deshalb notgedrungen doppelt so viel Platz.
Werkwahl
• 1931 Beethoven, Missa solemnis • 1932 Bach, Matthäus-Passion • 1933 Mozart, Requiem • 1934 Haydn, Jahreszeiten • 1935 Händel, Messias • 1937 Bernhagen, Alemania • 1937 Beethoven, Sinfonie IX • 1938 Verdi, Requiem
ANZEIGE Plakat 03

Man verneigt sich mit Respekt vor dieser musikalischen „Speisekarte“ und stellt nachdenklich fest, dass diverse Werke wegen der gegenwärtigen Besetzung unseres Sinfonischen Chores, aber auch wegen struktureller Änderungen in der städtischen Chorstruktur nicht mehr denkbar sind. Beethovens „Missa solemnis“ ist mit weniger als 25 astreinen Tenören genauso wenig zu stemmen wie Bachs „Matthäus-Passion“ angesichts der Existenz eines Bach-Chores in unserer

Plakat 10
Stadt. Auch bei Beethovens „Neunter“ käme unser Chor gegenwärtig an seine Grenzen …
Als Begleitorchester fungierten damals Ensembles wie die „Jägerkapelle“, die „Stadtkapelle Konstanz“ oder die „Regimentsmusik Konstanz“ (114er Infanterie). All diese Klangkörper – eigentlich Blasorchester – mussten mit mehr oder minder zusammengewürfelten Streichern „verstärkt“ werden. In diesem Punkt musste man als Hörer zwangsläufig
Gemeinschaftspraxis für
Orthopädie – Unfallchirurgie – Handchirurgie Sportmedizin – Manuelle Medizin
Ambulante Operationen Berufsgenossenschaftliche Heilverfahren Bücklestraße 5a 78 467 Konstanz fon 07531 54343 fax 07531 50601 info@chirurgie-konstanz.de www.chirurgie-konstanz.de
Dr. Kilian Rahm · Dr. Andric-Moser · Dr. Felix Ott

Plakat 02
zu musikalischen Zugeständnissen bereit sein. Diese problematische Situation hat sich heute durch die bereits 90-jährige Existenz der Südwestdeutschen Philharmonie wohltuend entspannt.
Künstlerischer Anspruch
Wir wissen zwar nichts über die sängerische Qualität der Aufführungen, müssen aber doch mit leichter Wehmut zur Kenntnis nehmen, dass die damalige bürgerliche Chorszene wesentlich besser bestückt war: Auch der Männerchor „Bürgerverein Bodan e. V.“ hatte damals weit über 100 Sänger! Denn die gut geschulte, gebildete Stimme hatte im damaligen Deutschland einen wesentlich anerkannteren gesellschaftlichen Stellenwert als in heutigen Zeiten sängerischer Gigamüllkippen wie der des „Eurovision Song Contests“. Blenden wir die grauenhafte Akustik, Enge und Höhe des Konzilsaales aus, dann dürfen wir durchaus gewiss sein, dass die Konzerte respektables Niveau hatten – der langjährige, anerkannte Chorleiter Robert Lehmann hat sich sicherlich nicht unter Wert verkauft!
Natürlich gibt es auch Veranstaltungen zu diversen Anlässen, die oft auch in Kooperation mit anderen Chorensembles stattfanden: beispielsweise die „GoetheFeier“ mit der heute noch existierenden GML Kreuzlingen anno 1932 (02), der „Bodan“ gemeinsam mit dem Männergesangverein „Badenia“2 (07), aber auch die „Feierstunde Wehrhaft Volk“ von 1938 „auf besonderen Wunsch des Kreisleiters“ (!) mit 5 Chören und der 114er-Infanterie-Regimentskapelle.
10 „windige“ Bleisatz-Plakate – welch gewichtige Geschichte!
1 Der „Volksempfänger“ ist ein Radioapparat für den Empfang von Mittelwellen- und Langwellenrundfunk, der im Auftrag von Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels entwickelt und wenige Monate nach der Machtergreifung Adolf Hitlers Ende Januar 1933 vorgestellt wurde. Er ist das erste für den Normalbürger erschwingliche Radio und wurde zu Propagandazwecken entwickelt und verbreitet.
2„Bodan“ und „Badenia“ sind Vorgänger unseres Chores: Sie schlossen sich 1955 zum Männerchor „Bodan-Badenia“ zusammen, gründeten separate Frauenchöre, die dann im Jahr 1965 zum „Konstanzer Oratorienchor“ fusionierten. Die Umbenennung in „Sinfonischer Chor Konstanz“ erfolgte im Jahr 2004. Quelle: Alle 10 Plakate sind ein Geschenk von Auktionator Carlo Karrenbauer aus Nachlass