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Das Oratorium „Die letzten Dinge“ von Louis Spohr

Komponist – Rezeption und Neuausgabe des Werks – Offenbarung des Johannes

Portrait von Ludwig (Louis) Spohr 1824 in Kassel von Johann

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August Nahl dem Jüngeren Quellle: Wikipedia „Louis Spohr“

Von Martin Bretschneider

Louis Spohr – eine Kasseler Persönlichkeit

Als Louis Spohr am 14. Januar 1822 in Kassel einzog, fand er eine lange Musiktradition vor. Die Kasseler Hofkapelle, 1502 gegründet, war das älteste Orchester in Deutschland. Oper und Hofkapelle erreichten unter den Landgrafen Carl und Friedrich II. ein hohes Ansehen.

Durch seine intensive Orchesterarbeit als Hofkapellmeister verwandelte er die Kasseler Hofkapelle innerhalb kurzer Zeit in ein „europäisches Spitzenorchester“, das berühmte „Bunte Orchester“, das aus Militärmusikern in den damals üblichen bunten Uniformen und einer Reihe von sehr guten, von Spohr verpflichteten „zivilen“ Musikern bestand.

Die Jahre 1822–1832 sind als Glanzzeit der Kasseler Bühne in die deutsche Operngeschichte eingegangen: 40 neue Opern brachte Louis Spohr in dieser Zeit auf den Spielplan. Davon waren eine Reihe Erstaufführungen, z. B. Webers „Freischütz“ (1822) und Rossinis „Wilhelm Tell“ (1831).

Bereits eineinhalb Jahre nach seinem Dienstantritt in Kassel gelang Louis Spohr mit der Uraufführung seiner Oper „Jessonda“ anlässlich des Geburtstages seines Landesherrn am 28. Juli 1823 ein großartiger Erfolg. Weitere Opern folgten. Spohrs kompositorische Arbeit ist in annähernd 300 Werken,

Klavierauszug Oratorium „Die letzten Dinge“ von Louis Spohr, zusammengestellt von Rochlitz Quelle: wikipedia.org

darunter viele Opern, (Violin-) Konzerte und Kammermusikliteratur, überliefert. Auch seine Violinschule ist ein noch heute viel beachtetes Werk. Mit dem 1822 gegründeten „Caecilienverein“ verfügte Louis Spohr über einen Chor, mit dem er nicht nur zeitgenössisches Liedgut, sondern auch Musik des 16. bis 18. Jh. pflegte. Bemerkenswert sind auch seine geistlichen Kompositionen, darunter insbesondere das 1826 vollendete Oratorium „Die letzten Dinge“.

Jahrzehntelang hat der hervorragende Violinvirtuose, Dirigent, Komponist und Musikpädagoge Louis Spohr als kurfürstlicher Generalmusikdirektor in Kassel gewirkt. Ihm ist auch die Einrichtung einer Witwen- und Waisen-Kasse und eines Pensionsfonds zu verdanken, der die Hinterbliebenen verstorbener Kapellmitglieder unterstützte. Am 4. Februar 1847 wurde ihm von der Stadt Kassel die Ehrenbürgerwürde verliehen.

Am 22. Oktober 1859 starb Louis Spohr in Kassel. Er wurde in einem Ehrengrab auf dem Kasseler Hauptfriedhof beigesetzt. Anlässlich seines 100. Geburtstages errichteten ihm Kasseler Bürger 1883 auf dem Opernplatz ein Denkmal. Dieses erste Monumentaldenkmal in Kassel hat noch heute einen prägenden Einfluss auf das Stadtbild. An Louis Spohr denken aber wohl die wenigsten Kasseler, wenn sie den Namen Spohrstraße hören – dort ist lediglich das Finanzamt zu Hause.

Das Oratorium

Ein Oratorium (kirchenlat. Oratorium „Bethaus“, von lat. „beten“) ist ganz allgemein die Vertonung einer literarischen Vorlage aus dem geistlichen Bereich zum Zweck einer konzertanten Aufführung. Das Oratorium hat sich vor dem Hintergrund der Aufklärung am Ende des 18. und anfangs des 19. Jh. aus der Verortung in der Kirche bzw. dem Gotteshaus und von der Funktion der gesungenen und musizierenden Verkündigung theologisch definierter Inhalte im Rahmen liturgischer Riten gelöst. Es entwickelte sich ein Stil der Aufführung von Musik mit geistlichen Inhalten, der nicht mehr allein der Frömmigkeit gewidmet war, sondern der sich aus der

Quelle geistlicher Literatur dem Ernst großer Themen des Menschseins widmet. Dem Oratorium liegen meist erzählende Texte aus der Bibel, häufig die Passionsgeschichte mit ihrer ergreifenden Dramaturgie, zugrunde. Wie in der Oper besteht das Oratorium aus mehreren Teilen, die von Chören, Orchester und Solistinnen und Solisten gestaltet werden. Analog zur Oper wechseln sich in der erzählend-dramatischen Komposition des Oratoriums Rezitative, erzählende Teile und Arien, in denen die momentanen Stimmungen, Gedanken und Gefühle handelnder Personen wiedergegeben werden, ab. Dazu kommen noch kollektive Reflexionen der gläubigen Gemeinde in den Chorälen.

Mit der wachsenden Tendenz der Verweltlichung aller Bereiche reklamierte das Bürgertum im Verlauf des 19. Jh. den Zugang auch zum kulturellen Geschehen mehr und mehr für sich. Große Chorgemeinschaften wurden gebildet zur Pflege großer geistlicher Werke außerhalb des klerikalen Rahmens. Aus Gottesdiensten wurden öffentliche Konzerte, aus Kirchenbesuchern wurden musikbegeisterte Zuhörerinnen und Zuhörer, die sich an den Klängen der Musik erfreuten, sich von den erzählten biblischen Geschichten berühren ließen und sich an den geistlichen Texten erbauten. Die Händel‘schen und Haydn‘schen Großwerke beflügelten das Interesse, sodass eine Massenbewegung der klassischen, geistlichen Musik entstand, z. B. in Form von regionalen Musikfesten. Für viele Komponisten war dies eine Gelegenheit, ihre Werke präsentieren zu können und in anderen Regionen und Ländern bekannt und geschätzt zu werden.

Rezeption des Werkes

Die Uraufführung des Oratoriums „Die letzten Dinge“ erfolgte am Karfreitag (24. März 1826) in der Kasseler Lutherischen Kirche. Über 200 Mitwirkende waren beteiligt. Dass die Aufführung ein großer Erfolg wurde, lag vor allem an der Qualität der Musik, aber auch an der geschickt gewählten Inszenierung. Welches Ansehen das Werk in der ersten Hälfte des 19. Jh. genoss, zeigt die Anzahl der Aufführungen bis 1840: Allein in Deutschland waren es über 20, bis 1836 sind in England mindestens 17 Aufführungen nachweisbar, und in der zweiten Hälfte des 19. Jh. übertraf die Zahl der Aufführungen der „Letzten Dinge“ die in Deutschland. Dies erklärt auch, dass der Erstdruck der Partitur nicht in Deutschland, sondern 1881 in England erschien.

Im Jahr 1830 beschrieb ein Autor für das „Harmonicon“ Spohrs Oratorium als „eine der größten Musik-Produktionen der damaligen Zeit“. In der Tat sollten „Die letzten Dinge“ in den nächsten Jahren eines der bekanntesten und meistgespielten Werke Spohrs werden.

Auch knapp zweihundert Jahre später hat sich an der Wertschätzung des Werks nichts geändert: „Die vom Dichter Friedrich Rochlitz ausgewählten Bibeltexte zur Apokalypse haben den Komponisten zu einem Meisterwerk der (Früh-)Romantik inspiriert, voller griffiger Melodien und griffiger Charaktere. Spohr vertont die Vorlage mit einer breiten Palette an Ausdrucksfarben... eine tolle Entdeckung. Von diesem Spohr bleibt viel im Ohr!“ („Fono Forum“, September 2014)

Herausgeber der Neuausgabe Dieter Zeh: Das Besondere zieht ihn an

Musikalisch besonders ausgestaltete Gottesdienste, Oratorienaufführungen und vielerlei andere kirchenmusikalische Höhepunkte gehören seit Langem zur evangelischen Gemeinde Grenzach. Seit nunmehr 60 Jahren ist Dieter Zeh als Organist der

Dieter Zeh – Herausgeber der Neuausgabe des Oratoriums „Die letzten Dinge“ von Louis Spohr Foto: Wolfgang Mettler

evangelischen Landeskirche tätig, 50 Jahre davon in der Kirchengemeinde Grenzach. Zudem leitet er seit 40 Jahren die Kantorei, dies alles nebenberuflich, aber sehr professionell.

Musik begleitet ihn seit seiner Kindheit. Klavierspielen lernte er bereits in den 50er Jahren in Waldkirch. Später hatte er in Marzell erstmals Kontakt mit dem Harmonium, da war der Schritt zur Orgel nicht mehr weit. Als sein Musik- und Orgellehrer Hans Himmler 1979 aus seinem Dienst als Kantor in Grenzach ausschied, übernahm Dieter Zeh alle Aufgaben. Er hatte von Anfang an das Ziel, mit der Kantorei mehr als das Übliche zu gestalten, und begann, größere Werke einzustudieren. Mit einem großen Lob erinnert er sich: „Die Kantorei lernt sehr schnell, die jahrelange Erfahrung führt dazu, dass die Sänger heute in der Lage sind, schwere Werke sehr schnell einzustudieren und auch wirklich sicher zu interpretieren.“

Diese Fähigkeit ist wichtige Voraussetzung, gerade wenn es sich um schwierige und für eine kleine Kirchengemeinde eigentlich unübliche Werke handelt. Zeh meint, dazu müssen sich die beiden Ansprüche eines Laienchors und einer professionellen Leitung treffen, aber nicht in der Mitte, sondern stets mehr im Bereich der Professionalität. Sein Anliegen ist es, dafür nicht nur gut Bekanntes auszuwählen, sondern eben auch andere Kirchenmusik zu finden.

Seit den 80er Jahren befasst sich Dieter Zeh mit Forschungen über historische Kirchenmusik und geht dabei auf die Suche nach sehr selten aufgeführten Werken, oftmals auch nur regional bekannter Komponisten. Er begründete und leitete die Lehrerchorgemeinschaft „augia felix“ mit Sängern aus allen Teilen des Landes, die überregionale Aufmerksamkeit vorwiegend mit selten aufgeführten Werken erlangte. Zahlreiche Komponisten schrieben vor allem im 17. und 18.Jh. Werke zu kirchlichen Anlässen, die mitunter nur einmal aufgeführt und deren Noten dann eben abgelegt wurden oder ganz verschwanden. So stieß Zeh unter anderem in seiner Geburtsstadt Wertheim auf etliche Werke von Johann Wendelin Glaser, der Mitte des 18. Jh. dort als Kantor arbeitete.

Eines der herausragenden Ergebnisse seiner Forschungsarbeit war dabei die Neuausgabe („kritische Ausgabe“) des Oratoriums „Die letzten Dinge“ des Kasseler Kirchenmusikers Louis Spohr zu dessen 150. Todestag, nach der das Oratorium sogar in der Carnegie Hall in New York aufgeführt wurde. 2009 erhielten Dieter Zeh und seine Mitherausgeberin Irene Schallhorn für diese Neuausgabe den Deutschen Musikeditionspreis.

Bereits 2010 wurde Zeh als erster nebenamtlicher Musiker der badischen Landeskirche zum Kantor ernannt, eine Ehrung für sein vielseitiges Schaffen. Seit etlichen Jahren ist Dieter Zeh nicht mehr berufstätig, führt seitdem die Leitung der Kantorei und seine Forschungsarbeit aber weiter.

„Die letzten Dinge“ und die Offenbarung des Johannes

Die „äußersten“ oder „letzten Dinge“ (aus altgriechisch τὰ ἔσχατα ta és-chata ‚die äußersten Dinge‘, ‚die letzten Dinge‘ und λόγος lógos ‚Lehre‘) thematisieren ein religiöses Konzept des Endzeitlichen, eine Vision vom Ende der Welt.

Die Menschen der Antike und des Mittelalters gingen von der Vorstellung aus, dass es ein Ende der geschichtlichen Entwicklung gibt, das von Gott bestimmt und gelenkt wird. Für jeden einzelnen Menschen ist dabei die Frage wichtig, ob es an diesem Ende der Welt eine Vergeltung gibt für das, was man getan hat, oder auch für das, was man erlitten hat. Und die Frage, ob dieser Gott den Plan und die Macht hat, dass er am Ende gegen alles Böse, was den Menschen passieren kann, letztendlich auch den Tod, die Oberhand gewinnen wird. Diejenigen, die an diesen Plan und die Macht Gottes glauben, richten ihr Handeln im Jetzt nach dem Weltgericht am Ende aus. Propheten beschrieben in

Johannes schaut auf Patmos die Visionen der Offenbarung, Altarbild von Hans Memling, 1479

Quelle: wikipedia.org

Apokalypsen bzw. endzeitlichen Visionen, was am Ende der Welt geschehen würde. Der Apokalyptiker versteht seine Lehre dabei einerseits als Trost, andererseits als eine „ausgleichende Gerechtigkeit“.

Apokalypsen gab es schon in alttestamentlicher Zeit. Auch das letzte Buch des

Flügel aus dem Genter Altar, der von Jan van Eyck und wahrscheinlich dessen Bruder Hubert van Eyck geschaffen und 1432 oder 1435 in der Kathedrale und damaligen Pfarrkirche Sint-Jans aufgestellt wurde

Quelle: wikipedia.org

Neuen Testaments heißt „Offenbarung“ oder „Apokalypse“ (griech. = Enthüllung). Der Titel stammt vom Verfasser selbst (Offb. 1/1). Er nennt sich „Knecht Johannes“. Er ist jüdisch-christlicher Herkunft und ein Kenner der jüdischen Apokalypsen des Alten Testaments. Der Autor verwendet darin Bilder, Symbole und allegorische Szenen der antiken Mystik, die einerseits in der heutigen Welt auf viele Menschen fremdartig und brutal wirken, andererseits aber auch die reale Brutalität der menschlichen Geschichte widerspiegeln. Louis Spohr verwendet aus der „Offenbarung“ einige dieser allegorischen Szenen, z. B. Christus im Bild des geschlachteten Lammes, das auf dem himmlischen Thron sitzt, ausgestattet mit den Insignien des Höchsten aller Herrscher und gepriesen vom himmlischen Hofstaat: „Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Weisheit und Reichtum ...“ Das geopferte Lamm wird in liturgischen Texten indes im „Agnus Dei“, das die Sünden der Welt hinwegnimmt, angesprochen. Weitere allegorische Szenen finden sich im Bild vom

Louis-Spohr-Netzwerk Stand Dezember 2020, L. Becker

Foto: unsplash.com-ilona Frey Fall Babylons als Symbol für alle Reiche, die Gegner Gottes und seines Volks sind, im Bild von den Qualen für die Menschen, die sich nicht bekehren, im Bild vom Ende der Erde und dem von der Auferstehung der Toten: „Das Grab gibt seine Toten, das Siegel wird gebrochen, das Buch wird aufgetan. Sie zagen, sie beben.“ Am Ende stehen dann das Jüngste Gericht und die neue Welt Gottes.

Quellen: - Wikipedia „Louis Spohr“ und „Die letzten Dinge“ - Artikel über Dieter Zeh im Südkurier vom 25. Mai 2018 (Autor: Robert Reißmann) - Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Altes und Neues Testament. Hrsg: Im Auftrag der Bischöfe

Deutschlands und aller anderen deutschsprachigen

Länder und Gebiete. Teilweise im Auftrag des Rates der

Evangelischen Kirche Deutschlands und des Evangelischen

Bibelwerks in der BRD, 1. Auflage Endfassung 1980,

Aschaffenburg

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