104 Grad - Wasserwissen

Page 20

# Tiefgang

Wassermusik # 70° 39’ Süd 008 °15‘ Ost. In einem unbemannten Forschungscontainer auf dem Ekström-Schelfeis nahe der Aktabucht in der Antarktis sind im Wasser unter der Eisschicht Hydrophone eingetaucht, Unterwassermikrophone, die jahrelang dem Einfluss des Meerwassers in 180 Metern Tiefe bei minus 2 Grad Celsius standhalten. Sie fangen Geräusche und Töne des Südpolarmeeres ein, tief unter einer dicken Eiskruste, die sich im Winter über Tausende von Kilometern dahinzieht. Der Forscher Lars Kindermann ist fasziniert von den Klängen aus der Tiefe des antarktischen Ozeans. Wenn aber auf der schwimmenden Eisdecke der Wind tobt und heult, das kann der Wissenschaftler überhaupt nicht leiden. Ein Schneesturm verdirbt ihm die Aufnahmen seiner hochempfindlichen Mikrophone, mit denen der Wissenschaftler vom Alfred-Wegener-Institut für Meeres- und Polarforschung seit fünf Jahren die Unterwasserwelt des Südpolarmeers zu Forschungszwecken abhört. PALAOA heißt sein einzigartiges Forschungsprojekt und meint auf hawaiianisch Wal. Es steht aber auch als Abkürzung für die ganzjährige akustische Observation im antarktischen Ozean (PerenniAL Acoustic Observatory in the Antarctic Ocean). Über 16.000 Kilometer Seeweg davon entfernt empfangen Lars Kindermann und sein Team am Computer in Bremerhaven, dem Standort des Polarforschungs-Instituts, die zum Teil noch nie zuvor gehörten Töne von Tieren und dem Eis selbst. Eisberge können singen, wissen die Forscher von ihren Aufnahmen. Die riesigen Schneemassen produzieren einen hellen Klang, der sich mal wie ein Geträller unter der Dusche anhört und dann wieder wie eine hell quietschende Tür. Wie diese Geräusche zustande kommen, weiß noch niemand so recht, wahrscheinlich durch das Driften der Ungetüme aus Eis im Wasser. Das Kalben eines Gletschers oder Eisbergs ist ein donnerndes Spektakel, das eine Lautstärke von 160 bis 180 Dezibel erreichen kann, wie bei einem zusammenbrechenden Hochhaus. Der Lärm entsteht, wenn ein schwimmender Eiskoloss einen Teil von sich selbst abstößt und einen kleineren Eisberg unter Getöse einstürzender Schneeschichten „gebiert“. In das Zerbersten mischt sich ein fast metallischer Klang, als ob ein Schiffsbug etwas rammt. Ein richtiges Schiff, wie das Ausrüstungs- und Versorgungsschiff „Polarstern“ des Alfred-Wegener-

S. 20

Instituts, kommt hier nur drei bis viermal im Jahr vorbei, nur in den Sommermonaten können sich die Eisbrecher einen Weg in Richtung NeumeyerStation bahnen, die bemannte Forschungsstation des Alfred-Wegener-Instituts, nur 18 Kilometer weiter ist das PALAOA-Observatorium. Nirgendwo sonst kann man Tiere und Landschaft in ihrer so ursprünglichen und natürlichen Umgebung belauschen. Die Eisberge der Antarktis sind die größten beweglichen Massen der Erde. Sie können eine Größe von bis zu tausend Quadratkilometern haben und sind stellenweise bis zu 500 Meter dick. „Das ist die gesamte Fläche Berlins auf einer Schicht von 500 Metern: Solche Objekte schwimmen in der Antarktis herum“, sagt Kindermann mit Nachdruck in der Stimme. Der 48-jährige Physiker und Polarforscher ist fasziniert von der Magie des Wassers mit seiner einmaligen Eigenschaft, die kein anderer Stoff auf der Welt besitzt: Gefrorenes Wasser, Eis, schwimmt oben. In der Physik bezeichnet man dies als „Anomalie des Wassers“. Praktisch jede andere bekannte Substanz wird schwerer und dichter, wenn sie erkaltet – verklumpt wie Eisen, wenn es vom flüssigen in den festen Zustand übergeht – und sinkt nach unten. Nicht aber das gefrorene Wasser. Wasser wird im gefrorenen Zustand leichter, deshalb schwimmt

Er ist fasziniert von der Magie des Wassers!

Brrrr! - 2°C in 180m Tiefe.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.