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23.03.2021
9:43 Uhr
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Rheinspaziert BETRACHTUNGEN VOM UFER AUS (3) Kunst-Blicke Der Alte Zoll – nicht der gleichnamige Biergarten, sondern die Bastion zum Rhein hin – wirft einige Fragen auf. Welcher Zoll wurde hier erhoben? Warum drohen hier Kanonen?
des Frühlings und der Mädchenbildung. (Zudem ist sie auch die Schutzpatronin von Wattenscheid, der Geburtsstadt des Autors, aber das nur am Rande.)
s war ein Rheinzoll, der hier in kurfürstlicher Zeit den Schiffen abverlangt wurde: in Naturalien. Daher mussten die Schiffer immer genügend Fuder Wein dabei haben - und der Kurfürst legte sich einen stattlichen Weinkeller zu. Das eigentliche Zollgeschäft wurde in einem Zollhäuschen am heutigen Brassertufer erledigt. Die Bastion, heute als »Alter Zoll« bekannt, stammt dagegen aus dem Jahr 1643 und war Teil der Befestigungsanlage, die im Dreißigjährigen Krieg ganz Bonn umschlossen hat. Diese Bastion hielt die damals marodierenden Schweden ab, so zogen diese über die rechtsrheinische Seite weiter und ließen Bonn links liegen. Die Kanonen hingegen gab es damals noch nicht, es sind französische Salutkanonen aus Straßburg, lediglich zur Zierde aufgestellt. Wenn wir uns von der Bastion aus über die Treppe zum Rheinufer begeben, fällt auf der linken Seite ein Bronzerelief auf. Es zeigt die Königshusaren, die in Bonn stationiert waren, und weist neben einem unscheinbaren »ES62« (steht für Ernemann Sander 1962, den 2020 an Covid-19 verstorbenen Künstler) auch die Inschrift »Lehm op« auf. Die Husaren waren nicht am Alten Zoll untergebracht (vielleicht hat sich mal ein Husar hierher verirrt, um seine Liebste oder seinen Liebsten zu treffen). Der tatsächliche Standort war im Bonner Norden, nahe Graurheindorf, wo heute die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht)
Curt Delander ließ die Gertrudiskapelle im Frauenmuseum in der heutigen Altstadt wieder auferstehen, hat mit viel Engagement etwas geschafft, das die Stadt Bonn versäumt hat.
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ansässig ist. Und hier ist auch der Ursprung des merkwürdigen Namens »Lehm op« zu suchen: Zum Exerzieren ritten die Husaren in die Tannenbuscher Düne, auf dem Weg dorthin kamen sie an Ziegeleien vorbei. Der Ziegelbrand erfolgte mit Lehm, der aus Gruben geholt wurde, und immer wenn wieder Lehm benötigt wurde, rief man ›Lehm op‹ (Lehm rauf). Das hörten die Husaren ständig und so machten sie sich einen Spaß daraus, ›Lehm op‹ zu rufen, auch wenn gar keiner benötigt wurde. Die berittenen Soldaten hatten das so verinnerlicht, dass sie es sogar zu ihrem Schlachtruf im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 machten, was außer ihnen selbst niemand verstanden haben dürfte. Was aber schließlich dazu führte, dass die Husaren nur noch »Lehm ops« genannt wurden. Am schon erwähntem Brassertufer angelangt, kommen wir nun – vorbei am Kopf des Gartenkünstlers Peter Josef Lenné, der alten Bastionsmauer und dem ehemaligen Oberbergamt, heute Historisches Seminar – zur Vogtsgasse. Wir biegen in die Gasse ein, die einst eine der vielen kleinen Straßen des Rheinviertels war und zur eigentlichen Altstadt von Bonn gehörte. In unmittelbarer Nähe befand sich die Gertrudiskapelle von 1258. Sie stand dort, wo sich heute die ›MöchtegernKranhäuser‹ auftürmen. Leider sind beim Bau dieser Häuser (den sogenannten Rheinlogen) die Überreste der Kapelle nicht von Interesse gewesen. Mit einer Ausnahme: Curt Delander interessierte sich. Delander, seines Zeichens Travestiekünstler (Paraderolle: Zarah Leander), rettete eine Vielzahl der in der Baugrube vorhandenen Objekte und ließ damit die Gertrudiskapelle im Frauenmuseum in der heutigen Altstadt wieder auferstehen, hat mit viel Engagement etwas geschafft, das die Stadt Bonn versäumt hat. Ihm ist es auch zu verdanken, dass in der Vogtsgasse ein Bildstock an die heilige Gertrud von Nivelles erinnert. Sie gilt als Schutzpatronin der Reisenden, der Schiffer,
Eine Gasse weiter: die Rheingasse. Dort wohnte auch mal der junge Luigi van Beethoven, wie sich der Ludwig gerne nannte. Das Haus steht nicht mehr, dafür die Skulptur der Japanerin Yukako Ando: ein kleiner Kinderstuhl vor einem mächtig sich nach oben immer weiter öffnenden Schreibpult, das in einem geöffneten Fenster endet. Dort sitzt ein kleiner Vogel, als Zeichen der geistigen Freiheit. So soll diese Skulptur an die Diskrepanz in Beethovens Leben erinnern: das Genie, gefangen in den Zwängen und den Umständen des Lebens, gerade mit einem Vater, der Alkoholiker war. Zum Glück steht diese Skulptur hier noch, wenn auch oft unbeachtet. Das Kunstwerk »Die Welle« ist hingegen längst weggeschwappt. Eine kleine Dame aus Bronze, geschaffen von Waldemar Grzimek, wiegte sich vor der Beueler Silhouette, wenn der Blick aus der Rheingasse auf den Rhein fiel. Heute ist die Dame wohl nicht mehr perfekt genug und steht vielleicht auf dem Bauhof. Dahin hätten sich 1965 auch schon einige den Bau der Oper gewünscht. Jedenfalls wurde dieser Opernneubau von der Neuen Zürcher Zeitung mit den Worten »ein Eiswürfel im Stanniolpapier« kommentiert. Rainer SELmanN
Vogtsgasse
SCHNÜSS · 04 | 2021
FOTOS: WIKICOMMONS/AXEL KIRCH
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