16.12.2020
10:41 Uhr
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Fast etwas wie Zukunft
ZWEIRAD VOR AUSPUFF
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Juli 2031. Glühende Hitze liegt seit Tagen mal wieder über dem sommerlichen Bonn. Das Thermometer klettert regelmäßig über 30 Grad. Auf dem sechsspurigen Radschnellring ist trotzdem ordentlich Betrieb. Vor allem Lastenräder flitzen hin und her. 2022 eröffnet, führt die Strecke von Beuel aus über Neuschwarzrheindorf und die Nordbrücke zum modern ausgebauten Güterbahnhof und Nahlogistikzentrum Dransdorf. Im elegant geschwungen Bogen gehts weiter nach Endenich, Poppelsdorf und Kessenich. Die Arbeiten zur Verlängerung der wichtigen Radbahn bis Godesberg und Mehlem laufen trotz Hitze auf Hochtouren. Schwerlastenräder mit Anhängern voller Baumaterial sind unermüdlich unterwegs. Seit die Stadtverwaltung die pulsierende Verkehrsader mit lichtdurchlässigen Solarmodulen überdacht hat, sind Bonns radelnde Pendler*innen und Berufsradfahrer*innen vor Hitze geschützt. »Die Anlage regelt sich quasi selbst«, erläutert Tiefbauamtsleiterin Sabrina Mgembe mit sichtlichem Stolz. »Je nach Schattengraduierung sinkt die Temperatur auf der wichtigen Radstraße um fünf bis zehn Grad Celsius. Die Fahrer*innen danken es uns sehr. Und gegen Regen schützt das Dach sogar das ganze Jahr.« »Bis 2021 eine abgasverseuchte Betonpiste« Auch Stadtdirektor Ramon Koslowski freut sich über den futuristisch anmutenden Radschnellweg. »Das ist europaweit mal wieder einmalig«, schwärmt der 61-Jährige. »Ich nenn das gern den grünen Tausendfüßler«, lacht er. »Bis vor zehn Jahren, als nach dem Jahrtausendhitzesommer von 2021 alle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor verboten wurden, war das hier eine abgasverseuchte
Betonpiste. Täglich rollten 100.000 Fahrzeuge mitten durch die Stadt. Unvorstellbar, was für höllische Temperaturen wir heute regelmäßig hätten, wäre diese Blechlawine nicht verschwunden.« Pjotr Windgasse kann sich noch gut an den »heißesten Sommer aller Zeiten« erinnern. 2021 war der heutige Chef-Radmechaniker der quietschegelben Lastenradflotte von »Bonnpedal« zum Biologiestudium gerade erst nach Bonn gekommen. Ohne KFZ-Führerschein und »eigenes Auto« kam er sich damals als Außenseiter vor. »Es war unfassbar, wie viele Studierende mit dem Auto zum Campus in Poppelsdorf fuhren.« Auto und SUV versagten in der Hitze kläglich Als die Temperaturen im Juli und August 2021 über 45 Grad Celsius stiegen, ging in Bonn nichts mehr. Das öffentliche Leben und vor allem der Verkehr kam komplett zum Erliegen. Autos machten schlapp. Die völlig überdimensionierten SUV versagten in der Hitze kläglich. Busse und Straßenbahnen fuhren kaum noch. Es kam zu stundenlangen Stromausfällen und Zusammenbrüchen des Mobilfunk- und Telefonnetzes. Über ganz Europa lag wochenlang eine nie gekannte Hitzeglocke. »Schnell war klar, dass Stadt und Umland auf sich alleine gestellt sind«, erinnert sich die damals neu gewählte Oberbürgermeisterin Katja Dörner. Der Katastrophenschutz des Bundes war bereits nach einigen Hitzetagen völlig überfordert. »Autos und Lastwagen fuhren gar nicht mehr, selbst strombetriebene städtischen Fahrzeuge sprangen nicht mehr an. Und die wenigen Elektroautos, die noch zu gebrauchen waren, stellten wir Krankenhäusern, Polizei und Feuerwehr zur Verfügung.« Um die Nahversorgung zu gewährleisten, setzten Katja Dörner und ihr Krisenstab auf das einzige Verkehrsmittel, das in der Hitze nicht in die Knie ging: das Fahrrad. »Zu unserem Glück hatten wir bereits Anfang 2021 eine große Lastenradflotte für die Stadt geordert. Außerdem konnten wir auf die Erfahrung verschiedener Lastenradprojekte und vor allem der großen und engagierten Fahrradgemeinde in Bonn setzen.« Pjotr Windgassen war einer der vielen freiwilligen Radfahrer*innen, die 2021 unermüdlich im Einsatz waren. »Wir haben alles transportiert und verteilt: Essen und Medikamente, Wasser und Kranke. Gefahren sind wir meistens nachts, wenn es sich zumindest auf 30 bis 35 Grad ›abgekühlt‹ hatte.« Erfolgsmodell autofreies Bonn Im Vergleich zu anderen Städten kam Bonn verhältnismäßig glimpflich davon. »Danach war klar, dass wir alles fundamental ändern müssen«, sagt Stadtplanerin Nikola Schneik. Die damals 22-Jährige legte im Herbst 2021 einen von »Fridays for Fu-
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ture« mit Wissenschaftler*innen des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung erarbeiteten, revolutionären Stadtentwicklungsplan vor. »Die Grundlage war eine autofreie Stadt. Wir wollten die Chance nutzen und beweisen, dass es möglich ist.« Trotz nicht geringer Widerstände gelang es, den neuen Stadtentwicklungsplan schnell umzusetzen. In Düsseldorf landete die Stadtführung einen politischen Coup. Mit dem Segen der Landesregierung wurde Bonn zur autofreien Modellregion ernannt. »Wir bekamen bis 2026 Zeit, und irgendwie scheint es uns ja gelungen zu sein«, sagt Ramon Koslowski, bevor er davoneilt, um einer Delegation aus München das Bonner Erfolgsmodell zu zeigen – auf dem Fahrrad, versteht sich. [ C H R I S TO P H P I E R S C H K E
Studis allein zu Haus – Ein Rückblick
UNVERGESSLICH Jahresende. Du kommst zur Ruhe und schaust zurück: Es ist Anfang 2020. Gerade hast du dich von den krachenden Silvester-Feierlichkeiten erholt, da stehen die Klausuren vor der Tür. Nonstop Büffeln, aber dann ist es geschafft. Schon steht die fünfte Jahreszeit vor der Haustür. Weiberfastnacht in Beuel – alles scheint wie immer. Doch normal ist bald schon nichts mehr. Einige Wochen später sollst du noch weitere Klausuren schreiben; doch daraus wird nichts. Die Corona-Pandemie beherrscht die ganze Welt. Du wohnst plötzlich wieder bei deinen Eltern, fern von Bonn. Das hat sich so ergeben. Doch wie soll jetzt das nächste Semester laufen? Online-Konzepte werden entwickelt, OnlineKonzepte für alles! Vorlesungen, Übungen, Lernen, Sitzungen, Spieleabende, Quizzen, Sport, Kochen – alles online. So ein komplettes OnlineSemester hat es noch nie gegeben. Irgendwie ist es spannend, aber vor allem ist es echt anstrengend. Der Sommer naht. Präsenz-Klausuren funktionieren mit ausgeklügeltem Hygienekonzept tatsächlich. Du bist wieder zurück in Bonn. Das schöne Wetter und die Ferienstimmung lassen die Corona-Sache fast in Vergessenheit geraten. Frei-
SCHNÜSS · 01 | 2021
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