Schnüss 2017/04

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23.03.2017

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Theater

ren riesigen Baumarkt-Holzwänden ist nicht geschlossen. Regelmäßig entern Bühnenarbeiter die Szenerie durch die weiten Lücken links und rechts, räumen ab und um. Sogar die Schauspieler müssen sich an Holzgestängen, Scharnieren und Verschlüssen abmühen. Nichts ist nicht nur nicht, wie es scheint, sondern alles ist schnöde Kulisse mit flackernder Leere dahinter.

Pauschaltouristen im Plastikmüll Doch wie Prospero mit seinem Luftgeist Ariel die einsame Insel verzaubert, so verwandelt auch Quinn die Kulisse durch Licht und Klang in magische Trugbilder. Ungewöhnliche Beleuchtung, per Projektoren über die Szene geworfene Live-Malereien tauchen die scheinbar trostlose Bühne in phantastische Schraffuren und surreale Pastiches. Bizarr und unheimlich, grotesk und verträumt entfaltet sich Shakespeares seltsame Komödie in wunderbaren Facetten und Fächerungen.

Im Bann der finalen Komödie SHAKESPEARES »DER STURM« IN DEN KAMMERSPIELEN

Das alles aber wäre nur die Hälfte wert ohne die bewundernswerte Disziplin des Ensembles. Für Extravaganzen lässt Gavins strenger Bilderreigen wenig Freiraum. Einzig die Hallodris und Trunkenbolde dürfen ihrem anarchistischen Inseltraum von »Keine Macht für Niemand« ausgelassen frönen. Die Welt auf den Kopf zu stellen, ist aber in einem vermeintlichen paradiesischen Phantasiereich kein leichtes Spiel. Der Plastikmüll des globalen Konsumkapitalismus wurde auch längst an diese luftigen Gestade angespült. Und so wundert es auch nicht mehr, wenn die großspurigen Revoluzzer sich als Pauschaltouristen von Prosperos Gnaden entpuppen.

Fragmente und Schabernack

D

er Boden reißt auf wie Wellenberge. Die Elemente toben. Pochende Schläge auf Trommeln wie aus dem Nirgendwo einer leeren Unendlichkeit. Die geretteten Menschen als Puppen am Strand. Geborstene Schiffsbalken ragen über ihnen empor, schwanken gleichgültig. Das Material zeigt kein Interesse an den Intrigen. Die Phantasie beschwört das Chaos und erntet hohle Unmöglichkeit. Abstrakt und fern der Zeiten. Shakespeares Der Sturm ist eine Nussschale von einem Stück, Rettung und Rätsel zugleich. Ein Inferno überflüssiger Phantasie, ungebändigter Laune am Spiel der in ihren Verirrungen zappelnden Kreaturen. Zauberer, Monster, Könige, Geister, Sklaven und Narren – Shakespeare hat ihnen in seinem letzten Stück ein opulentes Endspiel geschneidert, das jeglicher Vernunft Hohn lacht und doch mit einem liebevollen Zwinkern auf die mühevolle Vergeblichkeit der hohen Ansprüche des Menschen blickt. Letzten Endes bleibt eben nur die Komödie, so verloren, bitter und harsch sie auch daherkommen mag.

Szenen und Bildern gibt er mit seiner phänomenalen Inszenierung in den Kammerspielen den Blick auf Theatermaschinerie und künstliche Konstruktionen selbst frei. Schon zu Beginn klafft der Bühnenboden offen und legt die Mechanik frei. Die Bühne mit ih-

Überhaupt ist die Komik mehrdeutig in Shakespeares Der Sturm. Die Bitterkeit des Alterns und Vergehens nagt längst an den leuchtenden Stränden der Phantasie. Auch ihr Reich ist trotz allen Budenzaubers und Schabernacks nicht endlos, verweht letzten Endes wie Blüten vergangener Lenze. Aus ist es mit der Zauberei, muss auch die Magierin Prospero im Epilog gestehen. Doch Gavin traut auch der Bitte um Nachsicht an das Publikum nicht mehr über den Weg. Birte Schrein setzt immer von neuem mit Prosperos Flehen um das Pardon der Zuschauer an. Der berühmte Epilog mit all seiner poetischen Verführungskraft, fragmentiert in Halbsätze, desintegriert in lose Reime. So werden die bedeutungsvollen Worte des Dichterfürsten von Avon als bloße auseinanderfallende Mechanik, als künstlicher Schabernack dekonstruiert. Denn nicht nur hinter den Kulissen lauert die bittere Prosa der Tricks und Lügen, auch die ach so mächtige Sprache ist nichts weiter als schöner Schein vor nackter und dunkler Leere. Unheimlicher kann man Shakespeares finale Komödie kaum inszenieren. Denn viel zu lachen gibt es da [ C H R I S TO P H P I E R S C H K E ] ja nicht. Oder doch?

Der irische Regisseuer Gavin Quinn gibt sich denn auch gar nicht der Versuchung hin, Ordnung zu schaffen, wo die Phantasie regiert. Mit Mut zu ungewöhnlichen und beunruhigenden

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Kammerspiele; die nächsten Aufführungen: 13. und 21. April 2017, jeweils 19:30 Uhr. Infos und Karten: (0228) 77 80 08, www.theaterbonn.de

SCHNÜSS · 04 | 2017

FOTO: THILO BEU

Flackernde Leere hinter den Kulissen


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