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Aus dem Parlament
Die wichtigsten politischen Entwicklungen seit dem 18. März 2023 von Moritz Helfenstein zusammengefasst und kommentiert.
Aus Dem Nationalrat
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Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative) Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag (Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung)
Der Rat befasste sich im Differenzbereinigungsverfahren mit den vom Ständerat in der Frühjahrsession 2023 beschlossenen Änderungen an der vom Nationalrat beschlossenen Vorlage.
Art. 32: Voraussetzungen
Absatz 3: Der Rat hat die ständerätliche Vorlage wie folgt ergänzt: Im Rahmen der Verhältnismässigkeit berücksichtigt die zuständige Behörde bei der Auswahl der zu evaluierenden Leistungen deren Anteil an den Gesamtkosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Mit der Durchführung des Evaluationsverfahrens beauftragt der Bund verwaltungsunabhängige Dritte.
Absatz 4: Dem vom SR Peter Hegglin im Ständerat eingebrachten und angenommenen Minderheitsantrag im neuen Absatzes 4 hat der Nationalrat zugestimmt. Dieser sieht vor, dass Leistungen, die gemäss dem evidenzbasierten Verfahren die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht erfüllen, nicht von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet werden. Hingegen hat der Rat die vom Ständerat ebenfalls angenommenen Absätze 5, 6 und 7, die detaillierte, weitergehende Ausführungsbestimmungen beinhalten, abgelehnt.
Artikel 37a: Laboratorien: Besondere Voraussetzungen; Der Nationalrat hat sich – entgegen dem Antrag seiner vorberatenden Kommission – dem Beschluss des Ständerates angeschlossen und den ganzen Artikel 37a mit den Sonderbestimmungen betreffend die Laboratorien gestrichen.
Artikel 45 Absatz 2: Sicherung der medizinischen Versorgung; Der Nationalrat hat sich mit dem Entscheid des Ständerates einverstanden erklärt, Absatz 2 zu streichen. Dieser sah vor, dass wenn ein Versicherer nicht für alle Versicherten eine qualitativ hochstehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung mit Analysen gewährleisten kann, die Kantonsregierung für die Sicherung sorgt.
Artikel 46 Absatz 4ter : Tarifvertrag; Der Ständerat hat den vom Nationalrat neu eingefügten Absatz 4ter abgelehnt, der vorsieht, dass wenn die Genehmigungsbehörde innert Jahresfrist keinen formellen Entscheid trifft, ein Vertrag in Kraft tritt, sofern die beitretenden Versicherer die Mehrheit der Versicherten vertreten und die beitretenden Leistungserbringer im Leistungsbereich des Tarifes über 50 Prozent des Volumens abrechnen. Der Nationalrat hat sich jetzt dem Streichungsbeschluss des Ständerates angeschlossen.
Artikel 46a Absatz 3: Anpassung eines Tarifvertrages, der die gesetzlichen Anforderungen nicht mehr erfüllt; Der Nationalrat hat sich mit der vom Ständerat vorgenommenen Neuformulierung einverstanden erklärt, wonach die zuständige kantonale Behörde bei nationalen Tarifstrukturen, die sich nicht mehr als sachgerecht erweisen, differenzierte Tarife für bestimmte medizinische Fachgebiete oder Gruppen von Leistungserbringern festsetzen kann. Sie muss dabei allfällige Anpassungen des Bundesrates nach Artikel 43 Absatz 5bis berücksichtigen.
Artikel 49 Absatz 2bis: Tarifverträge mit Spitälern; Der Nationalrat hat dem Antrag des Bundesrates zugestimmt, der vorsieht, dass der Bundesrat Anpassungen an den Strukturen vornehmen kann, wenn sie sich als nicht mehr sachgerecht erweisen und sich die Parteien nicht auf eine Revision einigen können. Der Ständerat hat diese Bestimmung abgelehnt. Der Nationalrat hat nun beschlossen, an seinem Beschluss festzuhalten.
Übergangsbestimmungen; Der Nationalrat hat eine neue Bestimmung aufgenommen, die vorschreibt, dass der Bundesrat unverzüglich Massnahmen zur Kostendämpfung zu ergreifen habe, indem er die überhöhten sowie die nicht sachgerechten und nicht betriebswirtschaftlichen Vergütungen in der Tarifstruktur Tarmed korrigiert. Der Ständerat hat diese Bestimmung abgelehnt. Der Nationalrat hat sich jetzt mit der Streichung einverstanden erklärt.
Das Geschäft geht nun zur weiteren Differenzbereinigung zurück an den Ständerat. Die Präsidentin der FMH sieht kein gutes Haar in dem im Parlament zur Behandlung stehenden Gegenvorschlag.
Kostentransparenz der Spitäler
Parlamentarische Initiative Frehner Sebastian
Die parlamentarische Initiative verlangt, dass das Bundegesetz über die Krankenversicherung (KVG) so angepasst wird, dass Spitäler, welche ihre Daten den Tarifpartnern nicht transparent und fristgerecht liefern, mit einer Reduktion des Referenztarifes in der Höhe von 10 Prozent sanktioniert werden. Eingereicht wurde der Vorstoss am 23. September 2015 mit der Begründung, dass der Bundesrat in der Beantwortung einer gleichlautenden Interpellation festgestellt habe, dass die massgebende Verordnung keine Sanktionen vorsehe, wenn die notwendigen Daten nicht oder nicht fristgerecht geliefert werden. Die vorberatende Kommission hat sich insgesamt an fünf Sitzungen mit dem Vorstoss befasst und dabei zweimal Fristverlängerungen beschlossen. Jetzt hat die Kommission Abschreibung beantragt, weil in der Zwischenzeit die notwendigen Verordnungsänderungen aufgegleist worden seien. Der Rat ist diesem Antrag mit 100:67 Stimmen bei null Enthaltungen gefolgt.
Die Krankenversicherer sollen dem BAG genau, vollständig und kostenlos Daten liefern
Motion Maitre Vincent
Über die Motion wird der Bundesrat beauftragt, Massnahmen zu ergreifen, damit die Krankenversicherer dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) genau, vollständig und kostenlos die Daten zur Verfügung stellen, die das BAG zur Verfolgung der Gesundheitskostenentwicklung und zur Aufsicht benötigt. Der Bundesrat hat mit der Begründung Ablehnung der Motion beantragt, dass das Parlament mit dem Bundesgesetz über die Datenweitergabe der Versicherer die gesetzlichen Grundlagen zur Datenweitergabe präzisiert habe. Der Rat hat aber Annahme der Motion beschlossen.
Einführung einer obligatorischen Taggeldversicherung bei Erwerbsausfall durch Krankheit oder Unfall für alle Erwerbstätigen
Motion Gysi Barbara
Die Motion beauftragt den Bundesrat, die gesetzlichen Grundlagen anzupassen und eine obligatorische Taggeldversicherung bei Erwerbsausfall durch Krankheit oder Unfall für alle Erwerbstätigen zu schaffen. Die Versicherung soll den Erwerbsausfall sowohl für Angestellte wie auch für selbständig Erwerbende abdecken. Zudem sollen Transparenz, Solidarität und soziale Ausrichtung der Taggeldversicherung gestärkt werden. Der Bundesrat hat Ablehnung der Motion beantragt. Nach seiner Beurteilung haben sich die sozialpartnerschaftlichen Lösungen bewährt. Daneben sei über fakultative Versicherungen ausreichender Versicherungsschutz möglich. Der Rat hat mit 118:69 Stimmen bei einer Enthaltung diskussionslos Ablehnung der Motion beschlossen.
UVG. Zusammengeschlossene
Unfallversicherer tatsächlich wählen können
Motion Marchesi Piero
Mit der Motion wird der Bundesrat aufgefordert, eine Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG) und/oder der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV) auszuarbeiten, die vorsieht, dass zusammengeschlossene Gemeinden und alle Einheiten, die diesen zugeordnet werden können, ihren Unfallversicherer tatsächlich wählen können. Gemäss Artikel 98 Absatz 2 UVV müssen neu geschaffene Verwaltungs- und Betriebseinheiten, die namentlich infolge Neugründungen oder Umstrukturierungen erstmals eine eigene Rechnung führen, die Wahl des UVG-Versicherers innert einem Monat vor der Aufnahme der Tätigkeit treffen. Vor dem Zusammenschlussbeschluss können aber keine rechtsgültigen Entscheide getroffen werden, welche die zukünftige Einheit betreffen. Der Bundesrat hat Ablehnung der Motion beantragt. Dies insbesondere mit der Begründung, dass es sich hier um eine fusionsrechtliche Besonderheit des Kantons Tessin handle und dass sich deswegen kein Handlungsbedarf ergebe, der für die ganze Schweiz gilt. De Rat hat die Motion mit 112:74 Stimmen bei zwei Enthaltungen abgelehnt.
Gesetzliche Grundlage für die Leistungen der Psychologinnen und Psychologen in Weiterbildung
Motion SGK NR
Aufgrund des Umstandes, dass gewisse Krankenversicherer die Abrechnung von Leistungen von Psychologinnen und Psychologen in Ausbildung zulasten der obligatorischen Krankenversicherung nicht anerkennen, hat die SGK des Nationalrates eine Motion eingereicht. Mit dieser wird verlangt, dass der Bundesrat die Rechtsgrundlage so anpasst, dass zum Beispiel Artikel 11b um einen Absatz 5 ergänzt wird, der wie folgt lauten könnte: «Leistungen, die während der Dauer des Erwerbs der klinischen Erfahrung im Sinne von Artikel 50c Buchstabe b KVV erbracht werden, sind den Leistungen nach Absatz 12 gleichgestellt. Die Leistungen werden der Versicherung von der für die klinische Praxis verantwortlichen Betreuungsperson oder Institution in Rechnung gestellt.» Der Bundesrat hat Ablehnung der Motion beantragt. Das BAG habe die Versicherer bereits mit Informationsschreiben vom 28. März 2023 auf die Rechtslage hingewiesen. Demnach können Leistungen, die von Personen in Weiterbildung erbracht werden, derjenigen Person zugerechnet werden, welche mit der Beaufsichtigung betraut war und die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt. Der Rat hat die Motion mit 132:51 Stimmen bei sechs Enthaltungen angenommen.
Für gerechte und angemessene Reserven
Standesinitiative Waadt
Rasche und proportionale Rückerstattung der Krankenkassenprämien an die Bevölkerung
Standesinitiative Basel-Stadt
In der Herbstsession 2022 hat der Ständerat beiden Standesinitiativen keine Folge gegeben. Die Initiative Waadt verlangt, dass Reserven, die 150 Prozent des gesetzlich vorgeschriebenen Werts übersteigen, reduziert werden müssen bis sie diesen Schwellenwert erreichen. Der Nationalrat hat der Standesinitiative mit 112:68 Stimmen bei fünf Enthaltungen keine Folge gegeben. Die Initiative Basel verlangt, dass übermässige Reserven rasch und proportional zu den kantonalen Anteilen an die Versicherten zurückgeführt werden. Auch dieser Standesinitiative hat der Rat mit 111:68 Stimmen bei vier Enthaltungen keine Folge gegeben. Die Forderungen beider Kantone sind durch die neueste Entwicklung der Reserven bei den Krankenversicherern ohnehin überholt.
Für kostenkonforme
Standesinitiative Waadt
Prämien
Auch dieser Initiative hat der Ständerat in der Herbstsession 2022 keine Folge gegeben. Sie verlangt, dass wenn die Prämien eines Versicherers in einem Kanton in einem Jahr über den kumulierten Kosten in diesem Kanton liegen, im Folgejahr ein Prämienausgleich gemacht werden muss. Die Höhe dieses Ausgleichs ist durch den Versicherer im Prämiengenehmigungsverfahren klar zu begründen. Auch diese Forderung ist durch die Reserveentwicklung bei den Krankenversicherern überholt. Der Rat hat der Standesinitiative mit 104:69 Stimmen bei sechs Enthaltungen keine Folge gegeben.
Mehr Mitsprache für die Kantone
Standesinitiative Waadt
Die Standesinitiative verlangt, dass die Kantone vor der Genehmigung des Prämientarifes zu den für ihren Kanton geschätzten Kosten und Prämientarifen gegenüber den Versicherern und der Aufsichtsbehörde Stellung nehmen können. Der Ständerat hat der Standesinitiative in der Herbstsession 2022 keine Folge gegeben. Auch der Nationalrat hat der Initiative keine Folge gegeben.
Transparenz und Solidarität bei der Pflege der engsten Angehörigen. Freiwilligenarbeit stärken statt Krankenversicherung belasten
Motion Burgherr Thomas
Mit der Motion wird die Sicherstellung verlangt, dass wer seine engsten Familienangehörigen behandelt oder betreut, im Grundsatz nicht zulasten der Krankenversicherung entschädigt wird. Der Bundesrat hätte die Einzelheiten und allfällige, restriktive Ausnahmen zu regeln. Die Motion wurde im Rahmen der von der SP und den Grünen unter dem Titel «Gleichstellung» verlangten ausserordentlichen Session vom 14. Juni 2023 – zusammen mit verschiedenen andern Vorstössen – behandelt. Der Bundesrat hat Ablehnung der Motion beantragt. Er verweist auf das mit der Neuordnung der Pflegefinanzierung eingeführte Beitragssystem. Die obligatorische Krankenversicherung leistet demnach einen Beitrag an die Pflegeleistungen, die in Artikel 7 der Krankenpflege-Leistungsverordnung abschliessend aufgeführt sind. Betreuungsleistungen werden keine übernommen.
Der Rat hat die Motion mit 99:88 Stimmen bei fünf Enthaltungen abgelehnt.