3. Ausgabe

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3.Ausgabe, Dezember 2011

Bremens freies Unimagazin

OHB

Stiftungsprofessur l채sst Zivilklausel wackeln

40. Jubil채um Die Uni feiert ihre Entwicklung

WG-Odyssee Wohnungssuche mit Hindernissen

Der Bologna-Prozess:

Licht am Ende des Tunnels?


Inhalt Kurzmeldungen Hochschulpolitik

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verschobene Rektorwahl

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OHB-Stiftungsprofessur 8 Der Bologna-Prozess

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Der alte neue AStA

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Campusleben

SIFE 18

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40 Jahre Uni Bremen. Grundsteinlegung der Uni

Studentische Hilfskräfte an der Uni

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Kompetenz-Zertifikat

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40 Jahre Uni Bremen

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Als Ersti auf dem Campus

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Glosse: Werbeunterbrechung

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Ultimate Frisbee

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Bremen

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Die Mafia in Film und Literatur

Verzwickte WG-Suche

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Bremen für Studenten: Vegesack

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Kunsthalle Bremen

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Bremer Cocktailbars

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Bremen - Eine Stadt mit viel Herz

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Überhört

40

Feuilleton

Kolumne: Willkommen an der Uni

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Munch und das Rätsel hinter der Leinwand

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Fernweh: Schweden

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Amy Winehouse: Ein Nachruf

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Lautsprecher 45

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Klo Kultur

Arctic Monkeys

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Frankfurter Buchmesse

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Die Mafia in Film und Literatur

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Klo Kultur

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Tasting Travels

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Impressum

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Editorial

Liebe KommilitonInnen, liebe LeserInnen! Ein Thema beschäftigt uns Studenten alle, ob wir wollen oder nicht. Die Bologna-Reform. Vor nicht allzu langer Zeit wurden unzählige Hörsäle besetzt und der Unibetrieb blockiert. Der Unmut der Studenten machte sich überall breit, denn das neue Studienkonzept, das der Bologna-Prozess mit sich brachte, stieß auf heftige Kritik seitens derer, die es am unmittelbarsten betrifft. Aus Diplomen wurden scheinbar plötzlich Bachelor- und Masterstudiengänge, Prüfungsordnungen wurden immer wieder verändert. Was bereits 1999 als Vision von einem weitgehend einheitlichen Studium in Europa begann, ist nach wie vor eher eine vage Idee als ein konkretes Konzept. Der Scheinwerfer beleuchtet die Entwicklung der letzten Jahre und zeigt in Gesprächen mit den Verantwortlichen auf, wo Licht am Ende des Bologna-Tunnels sein könnte. Was die Uni Bremen konkret anbelangt, so richtet sich der Blick zur Zeit auf die eigene Entwicklung. 40 Jahre ist unsere Universität dieses Jahr alt geworden. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich in der Bremer Uni Historie einiges getan hat. Für uns Studierende aus dem Jahr 2011 ist ein Studentenleben ohne die Straßenbahnlinie 6, die Mensa oder das GW2 auf dem Campus unvorstellbar – umso spannender ist die Zeitreise, auf die uns die Fotos von früher mitnehmen. Doch war die Entwicklung unserer Uni immer ein Fortschritt? Jedenfalls wurde zelebriert was das Zeug hält und lautstarke Lobeshymnen gesungen. Während man bei der Party noch gemeinsam auf das Ge-

burtstagskind anstieß, könnte bald ein Thema die die Gemüter an der Uni spalten: Die OHB-Stiftungsprofessur. Die Frage, ob die Zivilklausel der Universität mit der geplanten Stiftungsprofessur der Firma OHB, die unter anderem für die Bundeswehr arbeitet, vereinbar ist oder gar geändert werden sollte, wird seit Monaten diskutiert. Wird hier der wirtschaftliche Engpass der Uni dazu führen dass Ideale aufgegeben werden oder wird aufgrund von Idealisten jegliche Stiftungsprofessur untersagt, weil sie theoretisch unmoralisch sein könnte? Einer, der hier auch ein Wörtchen mitzureden haben wird, wird erst noch gewählt. Denn nach zehnjähriger Amtszeit übergibt Rektor Wilfried Müller kommendes Jahr das Amt an einen der drei Kandidaten, die sich am 14. Dezember zur Wahl stellen. Der Scheinwerfer stellt die Kandidaten vor und wird auch künftig im Auge behalten, wer als neuer Rektor die erste Geige im Campuskonzert spielen wird. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen der dritten Ausgabe, eine schöne Weihnachtszeit und natürlich auch einen guten Start ins Jahr 2012!

Anne Glodschei

Lukas Niggel

Ihr erreicht uns bei Fragen, Anregungen oder Kritik entweder persönlich auf dem Campus oder unter scheinwerfer@uni-bremen.de.

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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen Verzögerter Boulevardumbau?

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on dem angekündigten Umbau ist zwar noch nicht viel zu sehen, doch laut Angelika Rockel, Pressesprecherin der Universität, verzögert sich der Umbau nicht, sondern wird nur vorerst „unsichtbar“ durchgeführt. Durch den drohenden Frost werden zuerst die Kabel unter dem Boulevard erneuert und sobald dies beendet ist, fängt der richtige Umbau an. Dann werden, wie der Scheinwerfer bereits berichtete, die Wege aufgerissen und neu gepflastert. Es steht also noch eine ereignisreiche Zeit vor dem alternden Boulevard.

Uni erstattet Wahlkampfkosten

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er Finanzreferent des AStA, Jan Cloppenburg, konnte beim Kanzler der Universität, Gerd Rüdiger Kück, die Finanzierung von acht Kopierkarten für den verlängerten Wahlkampf bei den Uniwahlen erwirken. Nachdem die Wahlen gestoppt und erneut gestartet werden mussten, war unter den studentischen Listen der Ruf nach einer Wahlkampfkostenrückerstattung laut geworden, da vor allem bei den kleineren Listen das Geld für neue Wahlwerbung ausgegangen war (Scheinwerfer berichtete). In einer Sondersitzung versprach der SR den Listen je eine Kopierkarte mit 1.000 Kopien. Die endgültige Finanzierung wurde offen gelassen. „Wir konnten uns mit der Uni schnell auf die erhoffte Lösung einigen, dass sie die acht Kopierkarten als zusätzliche Wahlkampfmittel vollständig übernimmt“, erklärte Cloppenburg das Ergebnis der Verhandlungen mit dem Kanzler.

Hausarbeit schreiben 2.0 mit Bremer Schreibcoach

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ein Studium ohne wissenschaftliche Arbeit. Und keine wissenschaftliche Arbeit ohne aufkommende Fragen nach Formatierung, Formulierung oder Fußnoten. Vor allem bei der ersten Hausarbeit stellen die formalen Anforderungen oftmals eine größere Hürde dar als die inhaltlichen und bei der Suche nach Antworten scheint die Auswahl der Ratgeber-Bücher größer zu sein als die der Fachbücher. Seit Anfang November ist nun der „Bremer Schreibcoach“ online, durch den allen Studierenden der Weg zum Bücherregal ebenso erspart wird wie stundenlanges Durchforsten von mehr oder weniger seriösen Foren im Internet. Entwickelt von dem Bremer Professor Hans Krings aus dem Fachbereich zehn sind auf dieser Internetseite für jede Phase einer wissenschaftlichen Arbeit, vom Recherchieren über das Schreiben bis hin zur Korrektur, viele nützliche Hinweise und konkrete Ratschläge zu finden. Und dank des Wegweisers für Neueinsteiger, der genau aufzeigt, in welcher Bearbeitungsphase welches „Modul“ am besten weiterhilft, kann man sich auf den über 300 Seiten dieser Homepage auch nicht so leicht verirren. Auf jeder einzelnen Seite ist es möglich, Kommentare für die Entwickler zu hinterlassen, so dass sich der Bremer Schreibcoach stetig weiterentwickelt und allen Hilfesuchenden die wirklich besten Informationen für ihre Arbeiten erhalten. http://www.bremer-schreibcoach.uni-bremen.de/cms/

AStA solidarisiert sich mit Schülern

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urch die vor den Sommerferien verabschiedete Notmaßnahme der Bildungssenatorin sollen Lehrerstunden an bremischen Schulen umverteilt werden. Das hat vor allem in der Oberstufe Stundenkürzungen zur Folge. Die Bildungsproteste und -streiks der Schüler, an denen sich auch Studierende beteiligten, wendeten sich lautstark gegen die beschlossenen Kürzungen von jährlich 1,2 Prozent im Bildungsetat. Grund für diese Kürzungen ist die Haushaltsnotlage des Landes Bremen, die dieses jährlich zu Ausgabenkürzungen von 120 Millionen Euro zwingt. Doch aus dem Protest, der sich anfangs vor allem gegen diese Kürzung im Bildungsressort richtete, entwickelte sich schnell eine viel weitreichendere Basis des Protests. Inhaltlich ging es schon nach kurzer Zeit nicht mehr nur um das Offensichtliche und Aktuelle, sondern um tieferliegende Probleme im Bildungswesen. So standen schnell auch längst überfällige Forderungen, wie ein solides Mitbestimmungsrecht der Schüler in Bildungs4

fragen und eine höhere Transparenz bei der Beschlussfassung auf der Agenda. Medial wirksam und vor allem kreativ erwiesen sich die Schüler ganz besonders in der Art des Protestes. Neben traditionellen Kundgebungen besetzten sie im September gewaltfrei ihre Lehranstalten, darunter auch das Kippenberg-Gymnasium und das Gymnasium an der Hamburger Straße. Auch der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Universität Bremen hat sich mit den Aktivisten solidarisiert. „Die Forderungen nach mehr Transparenz, einer größeren Mitbestimmung bei Bildungsfragen und natürlich eine bessere Finanzierung decken sich mit unseren“, sagt der AStA-Referent für Politische Bildung Aygün Kilincsoy (AfA). Mangelnde schulische Ausbildung schlüge sich am Ende auf die Universitäten nieder, erläutert er weiter. Die Gemeinsamkeiten und die Solidarisierung scheinen darüber hinaus auch auf gegenseitiges Geben und Nehmen hinaus zu laufen. „Natürlich wünschen wir uns auch eine rege Beteiligung der Schüler bei von uns geplanten Aktionen,“ so Kilincsoy weiter.


Kurzmeldungen

Studentenandrang: Viele Bewerbungen, wenig Plätze

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ie Anzahl der Bewerbungen auf einen Studienplatz brach dieses Jahr bundesweit alle Rekorde. Auch die Universität Bremen verzeichnete überdurchschnittlich viele Anträge. Rund 32.000 Menschen hatten sich bis Mitte Juli online beworben, davon sind 27.000 gültige Anträge in die Studienplatzvergabe einbezogen worden. Erschreckend waren allerdings die Annahmequoten: Im ersten Anlauf wurden rund 7.000 Zulassungen verschickt, im Gegenzug haben aber nur 1.762 Bewerber ihren Studienplatz angenommen. Nach zwei weiteren Zulassungsrunden und einer Verlängerung der Einschreibefrist für einige Studiengänge haben im Oktober schließlich rund 5.500 Menschen ihr Studium in Bremen begonnen. Das geht aus den vorläufigen Daten hervor, die das Dezernat sechs in der Oktober-Sitzung des Akademischen Senats vorgestellt hat. Verantwortlich für die Rekordzahlen sind – wenig überraschend – die doppelten Abiturjahrgänge und die Aussetzung der Wehrpflicht. Dazu kommt der Trend zur Mehrfachbewerbung. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Bewerbungen in Bremen um gut 50 Prozent gestiegen. Zu den am häufigsten gewählten Fächern im grundständigen Studium

zählten Germanistik, Psychologie, Kommunikations- und Medienwissenschaften, Betriebswirtschaftslehre und Biologie. Bei den Masterstudiengängen waren Betriebswirtschaftslehre, Klinische Psychologie, Wirtschaftspsychologie, M.Ed. Gymnasium und Wirtschaftsingenieurwesen die beliebtesten Angebote.

Quelle: Universität Bremen

Die Vielfalt der Geschlechterrollen

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ass heute nicht nur Männer in den Hörsälen sitzen, ist so sicher wie das Amen in der Kirche, doch noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts waren berufstätige Frauen verpönt. Sabine Hastedt, ehemalige Studentin der Uni Bremen, und Sarah Guddat haben den Band „Geschlechterbilder im Wandel? Das Werk deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1894-1945“ herausgegeben. Wie der Titel verrät, werden die Werke deutschsprachiger Schriftstellerinnen, die zwischen 1890 und 1910 geboren sind und die erste Frauenbewegung miterlebt haben, thematisiert. Vergangenen Monat haben Hastedt und Guddat ihr Buch, ein Band der Inter-Lit Reihe der Stiftung Frauen-Literatur-Forschung e.V., in der Bremer Stadtbibliothek vorgestellt. Die Idee zu dem neuen Band kam den Herausgeberinnen bei der Recherche mit der Datenbank der Stiftung. Das Buch von Hastedt und Guddat will klären, ob die ersten Frauenbewegungen das Schreiben der Schriftstellerinnen beeinflusst haben. Und wie gingen die Schriftstellerinnen mit den Repressionen des Nationalsozialismus um? Welchen Bezug hatten sie zu den Nazis? Der Band stellt bekannte und auch weniger berühmte Schriftstellerinnen aus dieser Zeit vor, unter anderem Anselma Heine, Emmi Lewalds und Mascha Kaléko.

in eigener Sache

Newsmeldungen und Ankündigungen auf Facebook

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ie Scheinwerferseite auf Facebook wurde unter anderem als Plattform für Kurzmeldungen und Ankündigungen eingerichtet, die speziell für Bremer Studierende von Interesse sind. Hier werden Infos rund um das Unileben, aktuelle Kulturveranstaltungshinweise im Bremer Raum und allgemeine Nachrichten gepostet. Auch ihr habt die Möglichkeit, eure Kommilitonen durch diese Seite auf diverse Ereignisse aufmerksam zu machen - schreibt dazu einfach eine Mail an „scheinwerfer@uni-bremen.de“ oder kontaktiert uns direkt über Facebook, wo ihr uns unter „Scheinwerfer - Bremens freies Unimagazin“ findet.

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Hochschulpolitik

Verzögert und verborgen – Die Wahl des Universitätsrektors Wahlkrimi im Superwahljahr 2011: Während die Landtags- sowie die universitätsinternen Wahlen überall sichtbar waren, blieb die Rektorwahl den Augen der Öffentlichkeit auffallend verborgen und wird jetzt auch noch verschoben.

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n den letzten Wochen bereiteten sich hohe Vertreter der Universität innerhalb des Akademischen Senats (AS) darauf vor, einen Nachfolger für den derzeitigen Rektor Wilfried Müller zu finden. Dieser wird im kommenden Jahr nicht mehr zur Wahl antreten. Seine Legislatur endet zwar erst im August des kommenden Jahres, doch auch aufgrund des Drucks, den die so genannte Exzellenzinitiative (Förderprogramm des Bundes für herausragende Universitäten) auf die Universität ausübt, einigte man sich aber auf einen frühen Wahltermin. Eigentlich sollte seit Mittwoch, den 16. November feststehen, wer als nächstes den Chefposten übernimmt. Doch letzten Endes kam alles anders. Eine kurze Chronologie: Die Vorgeschichte: Der Wahl ging, wie üblich, eine öffentliche Ausschreibung voraus. Daneben verständigten sich die Mitglieder des Akademische Senat darauf, die gesetzliche Möglichkeit der Einsetzung einer Findungskommission zu nutzen. Diese entschied sich dann unter den insgesamt neun Bewerbern für die drei ihrer Ansicht nach Ambitioniertesten: Prof. Dr.-Ing. Bernd Scholz-Reiter, Prof. Dr. Arnim von Gleich und Prof. Dr. Günther Zupanc. Am 16. November hätte der AS dann eigentlich zur Wahl antreten sollen. Zum AS gehören auch vier studentische Vertreter, sodass auch die Studierenden einen gewissen, wenn auch geringen, Einfluss auf die Entscheidung haben. Letztlich bedarf es dann einer Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des AS, um Rektor zu werden. Die Abstimmung selbst ist geheim. 8. November: Am Nachmittag des 8. November fand auf Einladung des AStA der Universität Bremen eine offene Kandidatenvorstellung statt. Dabei wurden zwei der Kandidaten auf Herz und Nieren geprüft und durchleuchtet. Der dritte Kandidat, Günther Zupanc, war indes nicht vor Ort. Das gilt nach Informationen des Scheinwerfers auch für universitätsinterne Gespräche und Fragerunden, in denen sich die Mitglieder des AS schon zuvor ein Bild von den Kandidaten machen wollten. 16. November: Ursprünglich als Tag einer weiteren Kandidatenanhörung sowie der Rektorwahl selbst angesetzt, wurde der Termin vom AS kurzfristig einen Tag zuvor verschoben. Dem dritten Kandidaten solle, so heißt es in der offiziellen Pressemitteilung, „ausreichend Zeit gegeben werden“, sich auf seine Vorstellung vorzubereiten. Weshalb dies nicht zuvor geschehen ist, geht daraus nicht hervor. Trotz allem fand an diesem Tag eine AS-Sitzung statt. Auffallend deutlich bemühte sich dort eines der Mitglieder, einigen Gerüchten entgegenzutreten. So kursiere zum Beispiel universitätsintern das Gerücht, es hätte Probleme 6

bei der Aufenthaltsfinanzierung des dritten Kandidaten gegeben, was dessen Abwesenheit erkläre. Auf der gleichen Sitzung einigten sich die AS-Mitglieder darauf, die Wahl auf den 14. Dezember zu verschieben. Ursprünglich sollte die Wahl im Anschluss an den Semestergipfel stattfinden und wurde anschließend erneut verschoben auf 8:30 Uhr. Die Mitglieder verständigten sich außerdem darauf, einen erneuten Termin im Dezember ins Auge zu fassen, falls ein dritter Wahlgang notwendig wäre. So sieht es die Wahlordnung vor. Diesem Vorschlag wurde wiederum mit Verweis auf die Exzellenzinitiative und ihre Gutachter Nachdruck verliehen. Die Kandidaten Im Bremischen Hochschulgesetz sind die Voraussetzungen für den Posten nur sehr grob bestimmt. Es ist die Rede von einer „abgeschlossenen Hochschulausbildung“, der Posten erfordere eine „mehrjährige verantwortliche berufliche Erfahrung“ in Wissenschaft, Verwaltung oder Kultur. Darüber hinaus sind Anforderungen gar nicht oder nur sehr vage vorhanden. Dies sind die Kandidaten: Prof. Dr.-Ing. Bernd Scholz-Reiter Der 54-jährige Diplom-Ingenieur machte seinen Abschluss 1984 an der Universität Berlin, verbrachte die Jahre von 1985 bis 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der dortigen Technischen Universität, arbeite daraufhin bis 1994 als Lehrbeauftragter an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus und war anschließend an gleicher Stelle bis zum Jahr 2000 Universitätsprofessor für Industrielle Informationstechnik. Zur gleichen Zeit war er dort Leiter des Fraunhofer Anwendungszentrums Logistiksystemplanung und Informationssysteme und nahm zuletzt zur Jahrtausendwende eine Professur in Bremen auf, wo er zudem geschäftsführender Institutsleiter des Bremer Instituts für Produktion und Logistik wurde.


Prof. Dr. Arnim von Gleich Der 62-jährige Doktor der Politikwissenschaft begann seine akademische Laufbahn mit einem Referendariat für das Lehramt an Gymnasien in Bremen. Schon kurz darauf wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Bundestag und koordinierte den Arbeitsbereich Umwelt der Bundestagsfraktion der Grünen. Im Jahr 1988 folgte eine Promotion im Fach Politikwissenschaft an der Universität Hannover. Erste Lehrerfahrungen sammelte er Anfang der 90er als Gastprofessor der Universität Gesamthochschule Kassel. Dort lehrte er unter anderem in den Fachbereichen Biologie und Chemie sowie Stadtund Landschaftsplanung. Im Anschluss folgte eine Professur im Lehrgebiet Technikbewertung an der Universität Hamburg. Seine Laufbahn in Bremen begann dann 2003 als Professor für Technikgestaltung und Technologieentwicklung im Fachbereich Produktionstechnik. Der Sprung aus der Politikwissenschaft zu den Produktionstechnikern erklärt sich dabei aus seinem wissenschaftlichen Gesamtinteresse. So deutet schon seine Dissertation mit dem Titel „Über den wissenschaftlichen Umgang mit Natur“ auf ein Interesse an wissenschafts- sowie technologiephilosophischen sowie –politischen Arbeiten hin. Prof. Dr. Günther Zupanc Der 53-jährige Professor der Biologie ist derzeit an der Northeastern University in den USA tätig. Der auswärtige Kandidat studierte zwischen 1982 und 1987 Biologie und Physik in Regensburg. Außerdem schloss er 1990 ein Studium der Neurowissenschaften an der University of California ab und habilitierte 1995 in Tierphysiologie an der Universität Tübingen. Neben seiner forschenden Tätigkeit, bei der er sich mit der Frage auseinandersetzt, inwiefern durch Krankheiten oder Unfälle entstandene Verluste von Nervenzellen rückgängig gemacht oder behandelt werden können, zeichnet sich seine akademische Laufbahn durch einige Erfahrung im Lehrbetrieb aus. So ist er von 1994 bis 1997 Gastdozent an der University of Ottawa in Kanada gewesen, war zu gleicher Zeit von 1995 bis 1997 auch Privatdozent an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen und von 1997 bis 1999 Dozent an der University of Manchester, wo er bis 2002 gearbeitet hat. Von 2002 bis 2009 lehrte er Neurobiologie an der Jacobs Universität Bremen, in der er sich auch für die Gestaltung des Fachbereichs Biologie mitverantwortlich zeigte. Seit 2009 arbeitet er in seiner derzeitigen Position als Professor in Boston.

Um eine erste Stellungnahme gebeten, äußerten sich sowohl AStA für Alle (AfA) als auch der Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS). Aus der Opposition heißt es, die Wahlverschiebung sei der Transparenz wegen durchaus zu begrüßen. Insgesamt aber bedauern die Christdemokraten den bisherigen Wahlverlauf: „Die Wahl hätte als Chance genutzt werden sollen, über die strukturellen Defizite der Universität Bremen und die Lösung drängender Probleme in der gesamten Hochschulöffentlichkeit zu diskutieren“, heißt es dort. Kritik hagelt es auch für die Unileitung. Beispielsweise für das Fehlen eines eindeutigen Wahlhinweises auf der Uni-Website. „Da ist das Versagen recht eindeutig.“, heißt es trocken. Die AfAs sehen das ähnlich, kommentieren jedoch schärfer. Zum Ablauf der Wahl erklären die Sozialdemokraten: „Das Prozedere der Wahl macht deutlich den Eindruck, dass keine Öffentlichkeit gewünscht wird.“ Zu universitätsinternen Gerüchten, dass ein interner Kandidat von Anfang an bevorzugt würde, heißt es bei AfA weiter: „Anhand der zeitlichen Fristen lässt sich unschwer erkennen, dass externe Kandidaten gar nicht erst gewollt waren.“ Hierbei spielen die sozialdemokratischen AStA-Mitglieder darauf an, dass die Stellenausschreibung in der ZEIT, traditionell eines der Organe, in denen solche Anzeigen primär publiziert werden, erst Mitte September erschien, während schon drei Wochen später Bewerbungsschluss war. Beim RCDS möchte man zwar nicht über solche Gerüchte spekulieren, stellt aber fest, dass universitätsinterne Vetternwirtschaft keine Grundlage für eine erfolgreiche nachhaltige Ausrichtung und Entwicklung der Universität sei. Bei den bisherigen Kandidaten können die Christdemokraten keinen signifikanten inhaltlichen Unterschied feststellen. Trotzdem halte man Arnim von Gleich für einen Mann mit vielen Ideen für die Zukunft der Universität. Gleichzeitig gibt es Zweifel: „Vielleicht übernimmt sich Prof. Dr. von Gleich mit der Vorstellung eines großen universitätsweiten Konsens’.“ Bernd Scholz-Reiter wird dagegen als eher nüchterner Wissenschaftsverwalter bewertet. Termin der Rektorwahl: 14. Dezember ab 8:30 Uhr im Raum B3009 im GW2 Text: Björn Knutzen Fotos: Anne Glodschei, Northeastern University (Zupanc)

Kommentar: Nichts Genaues weiß man nicht

Insgesamt scheinen die Hintergründe dieser Wahl doch sehr dubios. „Nichts Genaues weiß man nicht“ ist hier die Devise. Nichtsdestotrotz ändert sich nichts daran, dass die Legislatur des amtierenden Rektors endet, es drei zumindest engagierte Kandidaten gibt und die Wahl vollzogen werden muss. Von studentischer Seite wäre es nun angebracht, zahlreich und interessiert zur nächsten AS-Sitzung und damit dem Termin der Rektorwahl zu erscheinen und den dortigen Damen und Herren zu zeigen, dass ihre Entscheidung auch uns betrifft – kritische Fragen aus dem Publikum inklusive. In jedem Fall wäre ein zahlreiches Erscheinen ein deutlicher Hinweis an die Entscheidungsträger, mehr über derartige Wahlen zu informieren. Nicht unbedingt, weil wir alle mitwählen sollten. Nur deshalb, um vielleicht einen internen Diskurs unter den Studierenden anzuregen. Denn welchen Weg die Uni geht, betrifft uns alle und nicht nur die 22 Mitglieder im Elfenbeinturm, genannt Akademischer Senat.. Text: Björn Knutzen

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Hochschulpolitik

OHB-Stiftungsprofessur:

1,65 Millionen suchen einen Abnehmer Kaum ein universitäres Thema wurde in diesem Jahr so öffentlichkeitswirksam diskutiert wie die OHB-Stiftungsprofessur und die Frage, ob diese gegen die Zivilklausel verstößt. Der Scheinwerfer lässt die Ereignisse Revue passieren und fasst die verschiedenen Standpunkte der Debatte zusammen.

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ie so oft, wenn eine Einigung in weite Ferne gerückt ist, geht es auch im Streit zwischen der OHB AG, der Universität Bremen in Person des Rektors sowie den studentischen Vertretern des AStAs um Geld. Um viel Geld. Mit jährlich 165.000 Euro plant die OHB AG die Einrichtung eines Lehrstuhls für Raumfahrttechnologie am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation, kurz ZARM, an der Uni Bremen. 165.000 mal zehn, denn die Stiftungsprofessur, die zurzeit die Gemüter erregt, ist auf zehn Jahre angelegt. Das Engagement von Christa und Manfred Fuchs, das vor einigen Monaten schon sicher geglaubt war, schwankt. Der Streit um die Stiftungsprofessur des Konzerns OHB, der besonders dem Studiengang Produktionstechnik zu Gute kommen würde, entbrannte im November des vergangenen Jahres mit der Bekanntgabe des Deals. Die Antwort des AStAs folgte prompt und unmissverständlich: Die Universität begebe sich mit der Einrichtung der Stiftungsprofessur weiter in Richtung einer Abhängigkeit der Rüstungsindustrie, heißt es in einer damals veröffentlichen Pressemitteilung, in der die studentischen Vertreter eine klare Ablehnung des Projekts formulierten. Im Februar des laufenden Jahres bekamen eben jene studentischen Vertreter kräftig Rückenwind in ihrem anhaltenden Kampf gegen die Stiftungsprofessur des Satellitenherstellers: In einer Erklärung sprachen sich 63 Bremer Wissenschaftler ebenfalls gegen die Kooperation der Uni mit dem in Bremen ansässigen Unternehmen aus. „Eine derartige Stiftungsprofessur setzt die Freiheit von Forschung und Lehre aufs Spiel und widerspricht dem Geist der Gründung der Universität sowie dem Auftrag einer Friedensforschung, die nicht der Gefahr der Rücksichtnahme auf privatwirtschaftliche Spender ausgesetzt sein darf“, so der Wortlaut der Veröffentlichung. Die Anschuldigungen riefen die entsprechenden Uni-Verantwortlichen auf den Plan: Neben dem Dekan des betroffenen Fachbereichs Produktionstechnik, Arnim von Gleich, veröffentlichte auch das Rektorat gemeinsam mit den Dekanen aller zwölf Fachbereiche eine Stellungnahme, die die „unhaltbaren Vorwürfe“ zurückwies. Von einer Gefährdung der universitären Unabhängigkeit zu sprechen, entbehre jeglicher Grundlage. Doch nicht die universitäre Unabhängigkeit wurde zum Kernproblem. Die Zivilklausel, die seit 1986 „jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischem Nutzen beziehungsweise Zielsetzung“ verbietet, wurde zum Anlass für erhitz-

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te Gemüter auf allen Seiten. Mit eingeschlossen sind in der Zivilklausel Forschungsthemen oder Mittel, die Rüstungszwecken dienen können. Dass diese Selbstregulierung der Uni erhalten bleibt ist eine klare Forderung des AStA, der in der Debatte vor allem von Sören Böhrnsen vertreten wurde. Statt der OHBStiftungsprofessur forderten die studentischen Vertreter die Einrichtung eines Lehrstuhls zur Rüstungskonversionsforschung, bei dem die Umwandlung militärischer in zivile Produktion im Fokus stehen würde. Im Namen des AStA verurteilte der angehende Jurist Böhrnsen den Konzern OHB also als ein Rüstungsunternehmen. Eine Behauptung, die Manfred Fuchs, Vorstandsvorsitzender der OHB AG, nicht auf sich sitzen lassen konnte und via Weserkurier zum Gegenschlag ausholte. „Wir sehen uns nicht als Rüstungsbetrieb. Wir bekennen uns aber dazu, Geschäfte mit der Bundeswehr zu machen. Daran wollen und werden wir auch in Zukunft nichts ändern“, ließ dieser sich im Juni bei der genannten Bremer Zeitung zitieren. Außerdem forderte er die Universität dazu auf, die internen Streitigkeiten zu klären und setzte ein Ultimatum: Ohne Änderung der Zivilklausel keine Stiftungsprofessur. Bereits einen Tag später bekannte sich das Rektorat per Pressemitteilung zur Stiftungsprofessur und sagte außerdem eine Aktualisierung der Zivilklausel zu. Entsprechend hitzig und unter lautstarker Beteiligung des Publikums verlief daraufhin die Sitzung des Akademischen Senats Mitte Juni. Unter anderem musste sich das Rektorat einige Kritik für den voreiligen Vorstoß zur Neuregelung der Zivilklausel gefallen lassen. Denn ein entsprechender Beschluss durch den Akademischen Senat hatte es in dieser Deutlichkeit nicht gegeben. Bis heute wurde die Diskussion vertagt, obgleich alle Teilnehmer versicherten, man wolle eine ausführliche und umfassende Debatte um Stiftungsprofessur und Zivilklausel führen. Mitte November fand eine der vertagten Podiumsdiskussionen mit dem Titel „Zivilklauseln contra Rüstungsforschung an deutschen Hochschulen“ statt. Am 14. Dezember um 8:30 Uhr soll das Thema in der Sitzung des Akademischen Senats wieder aufgegriffen und die umfassende Debatte in die nächste Runde gehen. Ring frei für einen wilden Kampf zwischen Geld und Prinzipien.

Text: Fabian Nitschmann Foto: Hanna Düspohl


Hochschulpolitik

Kommentar

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eit Jahren gibt es an der Uni Bremen erfolgreiche und hoch geschätzte Stiftungsprofessuren und duale Studiengänge mit Unternehmen, die neben zivilen auch militärische genutzte Technologien entwickeln und herstellen. Bekannte Beispiele sind Atlas Elektronik, Daimler und nicht zuletzt natürlich der Staat, der neben Universitäten auch das Militär überhaupt erst finanziert. Nun wollte auch OHB mitmischen – und bekommt gewaltig auf den Deckel. Was unterscheidet OHB von den anderen? Das Image. OHBs militärische Entwicklungen sind allgemein bekannt, während sich bei Daimler und Co. hartnäckig das Bild des schicken Mercedes in den Vordergrund drängt. Dabei könnte die Uni Bremen eine Weltraum-Professur nur zu gut gebrauchen: Im Wahlpflichtbereich der entsprechenden Studiengänge herrschen abwechselnd akuter Vorlesungsmangel und gähnende Leere.

Nach langer Diskussion schwebt nun der Vorschlag im Raum, jegliche Forschung kategorisch zu verbieten, deren Ergebnis ein Potenzial zur militärischen Nutzung besitzen könnte. Doch spätestens hier wird das Problem zum Paradoxon, denn der Übergang zwischen ziviler und militärischer Technologie ist fließend. Ein Erdbeobachtungssatellit kann Waldbrände und Hurrikans detektieren – oder andere ausspionieren. Ebenso zweischneidig und gefährlich sind Elektrizität, Papier, Kunststoffe, amerikanische Militärsatelliten (umgangssprachlich: GPS) sowie sämtliche Technologien seit Erfindung des aufrechten Gangs. Was am Ende bleibt, sind nur Gewissen und Urteilsvermögen eines jeden einzelnen. Warum sollten wir den Studierenden und Mitarbeitern der betroffenen Fachgebiete diese Fähigkeiten absprechen? Denn letztendlich sind sie diejenigen, die über Erfolg oder Misserfolg einer Professur entscheiden.

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Hochschulpolitik

OHB-Stiftungsprofessur: FAQ – Die wichtigsten Fragen in Kürze Was besagt die Zivilklausel und in welchem Zusammenhang wurde sie beschlossen? Bei der Zivilklausel handelt es sich um einen Beschluss, den der Akademische Senat 1986 verabschiedet hat. Darin heißt es: „Der Akademische Senat lehnt jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung ab und fordert die Mitglieder der Universität auf, Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können“. Die Idee der Zivilklausel kommt aus der Friedensbewegung der 80er Jahre. Was ist ein Verstoß gegen die Zivilklausel? Die rechtliche Auslegung ist ein Aspekt, der im Zuge der Debatte geklärt werden muss. Im Fall der OHB-Stiftungsprofessur führen die Befürworter des Vorhabens an, dass es sich bei den angestrebten Forschungsbereichen um Grundlagenforschung handelt. Die Professur verstoße somit nicht gegen die Zivilklausel, heißt es in einer Stellungnahme naturwissenschaftlicher und technischer Studierender Anfang Juni. Auch das Rektorat hebt immer wieder den „rein grundlagenorientierten zivilen Charakter“ der Professur hervor. Die Gegner, unter anderem der AStA der Universität Bremen, sehen in OHB ein Rüstungsunternehmen und damit sei die Zivilklausel verletzt. Fakt ist, OHB hat ein Satellitenaufklärungssystem für die Bundeswehr produziert. Wer ahndet Verstöße gegen die Zivilklausel? Bei der Zivilklausel handelt es sich um eine Selbstverpflichtung. „Eine Zivilklausel, um deren Einhaltung sich niemand kümmert, ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht“, musste auch einer der Referenten der Podiumsveranstaltung „25 Jahre Zivilklausel – Militarisierung der Universität – Nein Danke!“ feststellen. Die Zivilklausel lebt von den Menschen, die sich für ihre Einhaltung einsetzen. Wie geht man mit der Dual-Use-Problematik um? Ein Begriff, der häufig im Zusammenhang mit dieser Debatte fällt, ist die sogenannte Dual-Use-Problematik. Darunter versteht man Güter oder auch Forschungsergebnisse mit doppeltem Verwendungszweck. Sie können sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden. Unter den Zivilklausel-Befürwortern wird die Position vertreten, wenn man während der Forschung in Bereiche vordringt, die auch militärisch genutzt werden könnten, solle an der Stelle abgebrochen werden. Es gebe genug „uner-

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ledigte“ Forschungsbereiche. Die Gegner sehen das problematisch. Wenn man alle Dual-Use-Bereiche ausschließe, schränke das den Forschungsbereich und damit die Wissenschaftsfreiheit enorm ein. Mehrheitsfähig scheint aber die Forderung zu sein, dass sich alle Fachbereiche intern mit dieser Problematik auseinandersetzen müssen. Wie stehen Studenten der Produktionstechnik zur Stiftungsprofessur? Bisher deutlich zu kurz gekommen ist die Meinung der betroffenen Studierenden des Studiengangs Produktionstechnik, die erhebliche Vorteile aus der Stiftungsprofessur ziehen würden. In einer Erklärung technischer- und naturwissenschaftlicher Studiengänge machen die betroffenen Studenten klar, dass sie die Zusammenarbeit von OHB AG und Uni Bremen unterstützen und in der Stiftungsprofessur eine rein wissenschaftliche Auslegung sehen. Außerdem wird hier auf die Berichtspflicht hingewiesen, die dem Akademischen Senat im Verlauf der Stiftungsprofessur ein Abweichen auf militärische Forschungsfelder nicht vorenthalten könnte. Dass die Ergebnisse der Forschung im Rahmen der Dual-Use-Problematik später anderweitig genutzt werden können, sehen die Studierenden auch hier als nie vollkommen ausgeschlossen. Verkauft sich die Universität? Eine Reduzierung der Debatte auf die Zivilklausel und die Dual-Use-Problematik greift zu kurz. Vielmehr geht es auch um den Ausverkauf der Wissenschaft. Chronisch leere öffentliche Kassen haben ihre Spuren hinterlassen. Die Universitäten müssen sich verstärkt um private Finanzierungsmöglichkeiten bemühen. Der Anteil der drittmittelfinanzierten Lehre nimmt zu und die Anzahl der Stiftungsprofessuren steigt bundesweit. Die Uni-Leitung würdigt die Stiftungsprofessuren als erfolgreiche Kooperation zwischen Wirtschaft, Stadt und Universität und verkauft ihre steigende Anzahl als Erfolg. Es ist bezeichnend, dass die Bremer Bürgerschaft zwar den Kampf des AStA für die Beibehaltung der Zivilklausel unterstützt, bezüglich der Stiftungsprofessuren aber eine konträre Position einnimmt. Die Einrichtung von Stiftungsprofessuren sei eine „wünschenswerte Unterstützung und Bereicherung“. Text: Maike Kilian


Europäisierung mit Hindernissen Vielfach wird am Bologna–Prozess, dessen Umsetzung und vor allem den damit verbundenen Bachelor- und Masterstudiengängen eine unverhältnismäßige Kritik geübt. Doch was waren die Visionen und Ziele hinter der heute verteufelten Modernisierung des Hochschulraumes? Was wurde erreicht und wo liegen Möglichkeiten zur weiteren Verbesserung eines Systems, welches noch nicht aus den Kinderschuhen gewachsen ist? Um dies zu klären, aber auch um Ängste und unberechtigte Vorurteile beiseite zu schaffen, hat sich der Scheinwerfer mit früheren und aktuellen Verantwortlichen zusammengesetzt und ein interessantes Bild hinter der medialen und ideologischen Panikmache aufgedeckt.

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n diesem Semester beginnen 5.500 Studenten an der Universität Bremen. Viele von ihnen werden gleich ihr Studium in dem Bachelor-/Mastersystem anfangen, dessen Umsetzung bis 2010 auf Grundlage der Bologna-Erklärung abgeschlossen sein sollte. Diese 1999 in der italienischen Stadt Bologna von den Bildungs- und Wissenschaftsminister von 29 Staaten unterzeichnete Erklärung diente zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes. Grundlage hierfür war neben der im vorangegangenen Jahr von Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien verfassten Sorbonne–Erklärung vor allem der Wunsch nach einem europäischen Wissenschaftsraum neben dem bereits existierenden gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Arbeitsraum. Durch diesen gemeinsamen Wissenschaftsraum sollte es gelingen, Mobilität zu fördern und Studienleistungen gegenseitig anzuerkennen, eine übergreifende und der Vergleichbarkeit dienende transparente Qualitätssicherung einzurichten, die Förderung der europäischen Dimension in der Hochschulausbildung voranzutreiben und nicht zuletzt eine weitreichende Beteiligung der Studenten zu etablieren. Doch um Studienleistungen europaweit vergleichbar zu machen, musste in der zerklüfteten Hochschullandschaft des Kontinents etwas geschehen. Besonders hart schien es das deutsche Hochschulsystem zu treffen. Um Mobilität und Flexibilität durch gegenseitige Anerkennung und Vergleichbarkeit zu gewährleisten, schienen die deutschen Diplom- und Magisterabschlüsse weitestgehend veraltet und abseits des Mainstream der anderen europäischen Staaten. Die Umstellung auf die deutlich weiter verbreiteten Bachelor- und Masterabschlüsse war schnell beschlossene Sache und wurde gleichzeitig zum Hauptgrund der Ablehnung des Bologna-Prozesses durch die Öffentlichkeit. Der kollektive, mediale, gesellschaftliche und wissenschaftliche Aufschrei über den vermeintlichen Todesstoß für das deutsche Hochschulsystem stellte alle damit verbundenen Ziele und Chancen auf Verbesserung in den Hintergrund. Schwächen und Fehler eines – vor allem für deutsche Verhältnisse – neuen Systems wurden in den Vordergrund gestellt und führten zur Verdammung eines ganzheitlichen Prozesses, anstatt sich mit den einzelnen Maßnahmen und Stellschrauben des Systems zu beschäftigen. Um solche Stellschrauben handelt es sich beispielsweise, wenn man den bisherigen Mangel an Mobilität innerhalb des neuen Systems betrachtet. Obwohl diese als eines der wichtigsten Ziele des Bologna-Prozesses gilt, gibt die AStAReferentin für Studium und Lehre, Elena Reichwald (AfA), zu

bedenken, dass sie eine Verbesserung der Mobilität nur als vorgeschobenen Grund sieht. „Es gibt Studien, die belegen, dass die Flexibilität und Mobilität noch in den 90er Jahren deutlich besser war, als heute zu Zeiten der Bachelor- und Masterstudiengänge“, erklärt Reichwald. Auch das Pfund, in allen anderen europäischen Staaten studieren zu können, wiegt nicht schwer, da „die Studienverlaufspläne lediglich vom alten System in das neue gepresst wurden und vielen Studenten gar keine Zeit mehr für ein Auslandssemester bleibt“, so die AStA-Referentin weiter. Dies bestätigt auch die Konrektorin für Studium und Lehre der Universität Bremen, Frau Prof. Dr. Heidi Schelhowe, und sieht besonders an dieser Stelle dringenden Handlungsbedarf. „Die Sensibilisierung, auch der Lehrenden, für die Modularisierung von Studiengängen und die Neugestaltung des Studienverlaufs müssen wir weiter fest im Blick haben und auf die Umsetzung in den einzelnen Fachbereichen ganz genau schauen“, so die Konrektorin. Einer der grundlegenden Vorwürfe von vielen Seiten ist ebenso wirksam wie durchsichtig: Die Umgestaltung des Hochschulsystems und die Möglichkeit, mit dem Bachelorabschluss bereits nach drei Jahren ein Hochschulstudium abschließen zu können, ist angeblich der Kniefall von Politik und Wissenschaft vor der Wirtschaft mit ihrem unstillbaren Durst nach gut ausgebildeten, aber billigen Fachkräften. Denn Bachelorabsolventen sind schlichtweg billiger als Diplom- oder Masterabsolventen. Allzu gern wird dies auch mit der Tatsache untermauert, dass nicht für jeden Bachelorabsolventen auch ein Masterstudienplatz zur Verfügung steht. Aber so einfach und einleuchtend diese Verschwörungstheorie auch scheint, umso mehr verschleiert sie den Blick auf die wirklichen Probleme. „Einerseits scheint die Wirtschaft kaum auf die Bachelorabsolventen zu reagieren, andererseits ist der Bachelorabschluss für die Studierenden aufgrund eines geringen Einstiegsgehalts sehr unattraktiv“, erläutert die AStA-Referentin Reichwald das aus ihrer Sicht gravierendere Problem. Die ehemalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hebt beim Bachelorabschluss dagegen vor allem die Interessen der Studierenden und deren Wunsch nach einem klar strukturierten Studium und neuen Kombinationsmöglichkeiten von Fächern hervor. Dies betont auch die Bremer Konrektorin. „Zwar war es anfangs sehr schwierig, für den Bachelorabschluss Akzeptanz auf dem Arbeitsmarkt zu finden, doch die neuen Zahlen zeigen, dass Gesellschaft und Wirtschaft sich inzwischen darauf eingestellt haben“, so Schelhowe. 11


Hochschulpolitik

Der Bevölkerungswandel bedingt ein modernes, zukunftsfävon Arbeitnehmern gezahlt werden müssen, so bedingt es die higes Hochschulsystem. Logik, dass diese auch deutlich mehr in die Sicherungssysteme Doch die Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem soeinzahlen. Dies wird kaum mit Steuererhöhungen auf bis zu 80 wie die Modularisierung der Studiengänge dient nicht nur den Prozent gelingen, sondern viel eher durch eine Masse an besonInteressen von Wirtschaftslobbyisten. Vielmehr steckt hinter ders gut ausgebildeten und ebenso gut verdienenden Arbeitnehder Systematik eine mern. Allein so scheint Notwendigkeit mit sich der bewährte SoBlick auf den demografizialstaat finanzieren zu schen Wandel, der auch lassen. Doch zu wenig Deutschland fest im Lehrende an Schulen Griff hat. Harald Christ und Hochschulen, die (SPD), der vor der mit der sinkenden GeBundestagswahl 2009 burtenrate begründet zum Schattenkabinett werden, stehen diesem der SPD zählte, machBedarf an gut ausgebilte Anfang Oktober im deten Arbeitnehmern SPIEGEL (6.10.2011) entgegen. Dies lässt die solche Gefahren deutChance, mit dem Bololich. Ohne ein modergna-Prozess den eigenen nes, zukunftsfähiges und volkswirtschaftlichen nicht zuletzt exzellentes Problemen zu begegnen Bildungssystem droht und das Hochschulnach Aussagen des Sosystem auch in diesem zialdemokraten auch Bereich zukunftsfest zu ein volkswirtschaftlimachen ungenutzt. cher Schaden. Denn niemand kommt mehr Doch gerade diese Anum die Tatsache der Alpassung an die Zukunft terung der Bevölkerung wird durch mangelnherum. Wurden im Jahr den Einsatz und den der Wiedervereinigung fehlenden Mut zu Bilnoch 905.675 Kinder dungsinvestitionen unzur Welt gebracht, wamöglich gemacht. Wie ren schon drei Jahre bereits aufgezeigt, ist die später, also 1993, den Umstellung des HochDaten des Statistischen schulsystems zwingend Bundesamtes zufolge notwendig gewesen, um 11,8 Prozent weniger den Anforderungen der Geburten zu verzeichZukunft gerecht zu wernen. Gern wird dies als den und nicht zuletzt Begründung von Kulauch den Sozialstaat zu Die ehemalige Bildungsministerin Edelgard Bulmahn. tus- und Wissenschaftssichern. So legt die Bologministern für mangelnde Lehrkräfte an Schulen aber auch an na-Erklärung die Grundlage für ein transparentes und europaHochschulen genutzt. Doch volkswirtschaftlich betrachtet leisweit vergleichbares System, das den Studierenden eine hohe Fletet man hier einen Bärendienst. Immer weniger Arbeitnehmer xibilität und Individualität ermöglichen sollte. Elena Reichwald müssen eine immer größer werdende Anzahl von Rentnern und vom AStA macht deutlich, dass „die Bologna-Erklärung und die Pensionären finanzieren. Das ursprüngliche Versorgungsprinzip weitergehende Vereinbarung von Bund und Ländern kein starres unseres Sozialstaates kehrt sich somit um. Der einzig mögliche Konstrukt ist“, sondern weiten Gestaltungsspielraum bietet. GeAusbruch aus diesem Teufelskreislauf liegt in einem erstklassigen staltungsspielraum, der in Bezug auf die volkswirtschaftlichen Bildungs- und Wissenschaftssystem. Wenn denn schon die RenProbleme, die im Zusammenhang mit einer sinkenden Geburten und Pensionen von einer immer geringer werdenden Anzahl tenrate stehen, nicht genutzt wurde. Denn der Bologna-Prozess 12


Hochschulpolitik

sollte kein „herunterdrücken“ des alten Systems in eine neue Form sein, sondern auch als Möglichkeit eines tiefergehenden Paradigmenwechsels – dem klaren Bekenntnis für eine exzellente Bildung – begriffen werden.

schulen zu beteiligen, zum Beispiel in Form einer dauerhaften Studienplatzfinanzierung. Zu Beginn des Bologna-Prozesses haben die Länder dies jedoch abgelehnt und sich jede Einmischung des Bundes vehement verbeten.“ Dieser finanzielle Mangel sei allerdings nicht erst seit den Umstellungen des Bologna-ProzesSinkende Geburtenraten bedingen nicht gleichzeitig weniger ses ein Problem, sondern schon lange trauriger Alltag des deutStudierende – eine Modellrechnung schen Hochschulsystems. Das Dogma, der Geburtenrückgang würde ebenfalls den Bedarf Die finanziellen Lücken stechen bei der Umstellung auf Bachean Lehrenden verringern, erweist sich als absurd, wenn man die lor- und Masterstudiengänge jedoch besonders hervor, da das Zahlen betrachtet. Die deutschen Hochschulen sind Jahr für neue System eine grundlegende Neuordnung des StudienaufJahr – Doppeljahrgänge und die Aussetzung der Wehrpflicht baus erfordert. Die Modularisierung der Studiengänge bindet spielen hier keine allzu große Rolle – immer mehr Studienanfänerhebliche finanzielle Mittel der Hochschulen. Mit dieser Maßgern entgegengestellt. Für das Wintersemester 2010/2011 vernahme sollte es gelingen, vormals kleine Teilbereiche in einem kündete das Statistische Bundesamt gar einen neuen absoluten Modul zu vereinen, um so auch die Prüfungslast zu verringern. Höchststand: 2.217.294 Studenten waren in diesem Zeitraum Da die Hochschulen im deutschen Wissenschaftssystem alleran deutschen Hochschulen immatrikuliert. Zwischen 1999 und dings eine herausragend eigenständige Rolle genießen, war es 2010 gab es gar einen Zuwachs von nahezu 20 Prozent. Durch ihre Aufgabe, diese Modularisierung vorzunehmen. Am Beispiel steigende Geburtenraten lässt sich dieser Trend wahrlich nicht der Modularisierung lässt sich erkennen, dass, abgesehen vom erklären. Die Tendenz scheint weibundesdeutschen Föderalismus, der ter steigend, denn auch die Anzahl allein schon für 16 differenzierte derer, die mit allgemeiner oder Fach„Einerseits scheint die Wirtschaft kaum auf die Hochschulsysteme sorgt, auch die hochschulreife die Schule verlassen, zum Wintersemester 2010/2011 Bachelorabsolventen zu reagieren, andererseits steigt seit Jahren stetig an. Gefördert vom Statistischen Bundesamt erist der Bachelorabschluss für die Studierenden wird dies unter anderem auch durch mittelten 415 deutschen Hochschuaufgrund eines geringen Einstiegsgehalts sehr die EU. So ist festgelegt, dass bis len stark eigenverantwortlich hanunattraktiv.“ 2010 im Durchschnitt „mindestens delten. „Dies ist ein großes Recht, 85 Prozent der 20- bis 24-Jährigen aber auch verbunden mit vielen über einen Abschluss des Sekundarbereichs II verfügen sollen“, Pflichten“, wie Bulmahn im Interview mit dem Scheinwerfer wie aus der 2011 vorgestellten Publikation der Statistischen deutlich macht. So war es auch Aufgabe der Universitäten und Ämter des Bundes und der Länder „Internationale BildungsinHochschulen, die Neuordnung der Studiengänge – also die Modikatoren im Ländervergleich“ hervorgeht. Deutschland blieb dularisierung – vorzunehmen. „Besonders in diesem Zeitraum zuletzt unter den EU-Normen und wird daher zukünftig mit wäre eine bessere finanzielle Ausstattung der Universitäten und mehr Absolventen mit Zulassung zu einem Studium konfronHochschulen durch die Länder von Nöten gewesen, doch leider tiert. Man wird auf nationaler Seite also nicht länger mit der haben die Länder damals meinen Vorschlag, die Finanzierung Ausflucht sinkender Geburtenraten um die bessere Finanzierung der Studienreform vom Bund zu fördern, abgelehnt“, konstatiert der Hochschulen herumkommen, ohne sich selbst zu schädigen. Bulmahn weiter. Dieser Prozess habe viele universitäre Personal„Wir sehen in der letzten Zeit kleine Anzeichen eines Umdenund Finanzressourcen gebunden, wenn er denn ernst genomkens hin zur Priorität der Bildungspolitik sowohl in der Landesmen worden ist. Schelhowe bestätigt: „Das kostet Geld, weil als auch Bundespolitik“ sagt Konrektorin Schelhowe. Doch sie der administrative Aufwand deutlich zugenommen hat “. Elena schränkt dies gleich wieder ein und gibt zu bedenken, dass noch Reichwald (AfA) wird hier deutlicher: „Die Universität Bremen viel geschehen müsse. steht in Bezug auf staatliche Finanzierung am unteren Ende im Vergleich mit anderen Universitäten“. Der langwierige Streit um Geld – der Schlüssel zum Erfolg? die OHB-Stiftungsprofessur (ein vom Rüstungs- und RaumDie bestehenden Universitäten sind der bevorstehenden Rolle fahrttechnologiekonzern OHB-System AG für zehn Jahre finanals Massenuniversitäten und der Anforderung als Ausbildungszierter Lehrstuhl für Raumfahrttechnologie am Fachbereich vier, stätte für 40 bis 50 Prozent eines Jahrgangs kaum gewachsen, siehe Artikel in dieser Ausgabe) und damit 1,65 Millionen Euro wenn denn die Finanzierung nicht stimmt. Hier kommen für die Unikasse legt offen, mit wie vielen Problemen die FiWunsch und Wirklichkeit keineswegs überein. nanzierung mit Hilfe aus der Wirtschaft ablaufen kann. „Ohne Die ehemalige deutsche Bundesbildungsministerin Bulmahn ausreichend Drittmittel wäre die Universität Bremen nicht fi(SPD) sieht hier ein großes Problem: „Der Bund sollte die Mögnanzierbar“ verdeutlicht Konrektorin Schelhowe. lichkeit erhalten, sich an der Grundlagenfinanzierung der Hoch13


Ein ‚herunterdrücken‘ des alten Studiensystems in neue Module dürfte es allerdings weithin nicht geben. In Bremen beispielsweise sind nach Aussagen der Konrektorin alle Studiengänge akkreditiert. Im Klartext heißt das, die Gestaltung einzelner Studiengänge wird von unabhängigen Experten kontrolliert. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Studienverlauf der kürzeren Studiendauer angepasst wird und die zu erbringenden Studienleistungen ebenfalls für die Studierenden im erträglichen Rahmen bleiben. Die Gewährleistung, „dass sie (die Studiengänge, Anm. d. Redaktion) Zeiträume für Aufenthalte an anderen Hochschulen und in der Praxis ohne Zeitverlust bieten“, wie es ein Beschluss der Kultusministerkonferenz vorsieht, liegt dann allerdings auch wieder bei den Universitäten selbst. 16 Länder, 415 Hochschulen – keine rosigen Aussichten für ein ganzheitliches Hochschulsystem wie das Beispiel des Akkreditierungsrates zeigt. Durch das Beharren der Länder auf ihrer wissenschaftspolitischen Unabhängigkeit vom Bund entstehen gravierende Finanzierungsprobleme. Dies lässt sich besonders am Beispiel des Akkreditierungsrates betrachten. Dieser hat zum Einen die Aufgabe, am Aufbau von Modellstudiengängen mitzuwirken und diesen zu unterstützen, was vor allem zu Beginn des gesamten Prozesses von herausragender Bedeutung war. Des Weiteren soll er die Evaluation der vorgenommenen Maßnahmen zur Realisierung des Bologna-Prozesses vornehmen. Schon allein die Ansiedlung des Akkreditierungsrates stellte Bulmahn nach eigenen Aussagen vor eine echte Herausforderung. Die Länder wiesen den ursprünglichen Plan, diesen vom Bund realisieren zu lassen, vehement zurück, natürlich erneut unter Berufung auf das scheinbare Totschlagargument der wissenschaftspolitischen Unabhängigkeit der Länder vom Bund. „Die Ansiedlung des Akkreditierungsrates an die Kultusministerkonferenz – also das gemeinsame Gremium der Länder – bedeutet auch eine nur mangelhafte Finanzierung“ bedauert die ehemalige Bundesministerin. Somit geriet die Organisation der Umstellung von Anfang an ins Wanken. Wer das Nachsehen hat, lässt sich einfach ausmalen: die Universitäten und allen voran die Studenten. Der 14

bundesdeutsche Bildungsföderalismus ist also nicht zwangsläufig ein Garant für Erfolg, wie mit dem Beispiel des Akkreditierungsrates deutlich wird. Hier wäre eine sinnvolle Nutzung des Akkreditierungsrates besonders wünschenswert im Hinblick auf das in der Bologna-Erklärung genannte Ziel der Qualitätssicherung. Wie soll dies auf europäischer Ebene geschehen, wenn schon die Ansiedlung und finanzielle Ausstattung eines solchen Instrumentariums in Deutschland derartige Probleme bereitet? Nein, hier offenbart sich gewiss keine neuerliche Schwäche des Bologna-Prozesses, sondern viel eher die Krux dessen, was man hierzulande daraus macht. Es scheint grob fahrlässig, in einem Land, welches weitestgehend ohne Rohstoffe auskommen muss, um sich zu behaupten, nicht die Intelligenz und Leistungsfähigkeit junger Menschen zu nutzen. Auch Konrektorin Schelhowe äußert über diese Vorgänge Unverständnis: „Diese Probleme der Qualitätssicherung, aber vor allem auch der Mobilitätsförderung, hätten gar nicht erst entstehen dürfen.“ Dennoch räumt man der universitätsinternen Selbstevaluation heute eine deutlich wichtigere Stellung ein. „Hier müssen quantitative Evaluationen allerdings auch durch qualitative Methoden wie direkte Gespräche mit den Studierenden ergänzt werden“, so Schelhowe. Schlimmer geht immer – schlechte Umsetzung der Modularisierung, noch schlechteres Zeitmanagement. Die Zeiten des laissez-faire, des alten – heute doch zu unrecht glorifizierten – Hochschulsystems sind vorbei. Wie bereits angedeutet, hapert es vor allem an der allgemeinen Finanzierung und der Gestaltung der Module. Das Hochschulsystem, welches sich heute in Deutschland herausgebildet hat, bedeutet aber auch eine hohe Arbeitsbelastung für Studenten. Manifestiert wird dies in eben jener Vereinbarung von Bund und Ländern, welche auch besagt, dass „die Hochschulen […] die Studierbarkeit des Studiums“ zu gewährleisten habe, wobei Studierbarkeit hier mit einem Arbeitsaufwand von „32-39 Stunden pro Woche bei 46 Wochen pro Jahr“ beziffert wird. Nun gut, auf den ersten Blick keine unmöglich klingende Anforderung. Unbedacht oder unerwünscht bleibt hier allerdings die Tatsache, dass viele Studierende neben dem „Vollzeitstudium“ auch noch jobben müssen, um


Hochschulpolitik

sich selbst finanzieren zu können. Dies wird in Bundesländern sieht es anders aus. Traurig an dieser Situation ist, dass Ideengeber mit Studiengebühren für viele ein Ding der Unmöglichkeit. und an der Umsetzung beteiligte Akteure unterschiedliche InteEdelgard Bulmahn gibt an dieser Stelle zu: „Das Studium ist ressen wahrzunehmen scheinen. Länder und Hochschulen sind einem Vollzeitjob gleichgestellt und lässt nur schwer einen Newieder stärker in die Pflicht zu nehmen, konstruktive Diskurse benjob zu. Könnten die Studierenden abgestuft zwischen einer der unsachlichen Generalkritik vorzuziehen. Ganz praktisch geArt Vollzeit-, Halbzeit- oder Teilzeitstudium wählen – was beim sagt, muss verstanden werden, dass es sich beim Bologna-Prozess Bachelor- und Masterstudium durchaus möglich ist – könnte vor allem um das äußere Gerüst eines modernen, zukunftsfähiauch die Finanzierung individuell deutlich verbessert werden gen und europäischen Hochschulsystems handelt, dass mit Leund den Studierenden der Druck genommen werden.“ Doch ben gefüllt werden will. Dieses ‚Leben‘ kann nur durch aktive eine solche Regelung ist nicht in Sichtweite, was auch ReichMitgestaltung und Teilhabe der Studierenden als maßgeblich wald (AfA) scharf kritisiert: „Dieser Umstand ist für die StuBeteiligte ausgefüllt werden. Vorgefertigte Debatten und ideodierenden schlicht unzumutbar.“ Konrektorin Schelhowe sieht logische Ausschlusskriterien müssen endgültig zu Gunsten des an dieser Stelle allerdings weniger Handlungsspielraum für die eigentlichen Themas fallen gelassen werden. Vor allem aber muss Universitäten als für die Studenten. „Abgesehen von einigen eine Frage wieder erlaubt werden: Wie kann ein solches Studienwenigen Modulen, die aufeinander aufbauen, sollten Studierensystem finanziert werden? Eine Vorfestlegung in Richtung staatde entscheiden können, zu welchem Zeitpunkt sie ein Modul licher Finanzierung oder Studiengebühren bringt hier nichts. belegen und die Curricula sollten Wahlmöglichkeiten für die Gilt auch heute noch das Dogma, dass Bildungsfinanzierung Studierenden bieten “, so Schelhowe. Dadurch sei es auch mögStaatsaufgabe ist? Und wollen wir das überhaupt? Denn sicher lich, schneller als im alten System zu einem Studienabschluss zu ist, dass der studentische Einfluss ohne finanzielle Eigenleistung kommen. Gleichzeitig betont die Konrektorin aber auch, „dass schwinden wird. Vorgefertigte Massenuniversitäten in noch gröes an der Bremer Universität besonßerem Ausmaß könnten sich gegen ders viele Studierende mit Nebenjob moderne Bildungseinrichtungen mit gibt“. Eine Entzerrung des Studiums Förderung und Forderung des eigen„Hier müssen quantitative Evaluationen und das Verlängern der Studiendauständigen Individuums durchsetzen. allerdings auch durch qualitative Methoden, er über die Regelstudienzeit hinaus Doch dafür bedarf es auch der Stuwie direkte Gespräche mit den Studierenden, ist zudem meist sehr problematisch. dierenden, die bereit sind, sich am ergänzt werden.“ Das von vielen Studierenden drinDiskurs zu beteiligen, wie es auch gend benötigte BAföG wird nur die AStA-Referentin Reichwald forfür die Dauer der Regelstudienzeit dert. Dennoch müssen maßgebliche gezahlt und reicht selten zur alleinigen Finanzierung des LeOrgane der studentischen Selbstverwaltung, wie eben der AStA, bensunterhalts. Dies zeigen auch die Ergebnisse der Arbeitsgeihre Strukturen sinnvoll nutzen und Foren und Plattformen ermeinschaft Umfrage (AGU), die sich als studentische Initiative öffnen und bieten. Ein erster Schritt wäre es, wenn sich die Vernach den Studierendenprotesten im Wintersemester 2009/2010 antwortlichen endlich dazu durchringen könnten, eine wie auch gründete, um eine valide empirische Grundlage über die tatsächimmer geartete Fortsetzung der AGU herbei zu führen, die ihre liche Studiensituation zu schaffen. So kann für die Universität Arbeit im vergangenen Semester beendete. Zwar werden deren Bremen festgehalten werden, dass mehr als 56 Prozent der Bebisherige Ergebnisse auf Semestergipfeln genutzt, was zum Befragten noch neben dem Studium arbeiten. Auch die durch die schluss der Ausweitung des Projektstudiums und mehr Praxisgemeinsame Vereinbarung von Bund und Ländern festgesetzte orientierung führte, doch von Kontinuität kann hier noch nicht Wochenarbeitszeit wird in der Realität mit einer Punktlandung gesprochen werden, obwohl auch Prof. Schelhowe solche Projekerreicht. So gibt eine Mehrheit von 35 Prozent der Befragten te nach eigenem Bekunden gern festigen würde. Auch muss man an, wöchentlich zwischen 30 und 40 Stunden allein für das Stusich ganz praxisnah dem Problem widmen, dass immer noch zu dium aufzuwenden. Drastischer wird es allerdings, wenn man viele Prüfungsleistungen über Klausuren erbracht werden. So sich diese Zahlen näher anschaut. So geben zusammengefasst 71 fördert man weder wissenschaftliches Arbeiten, noch eine zuProzent der Befragten an, wöchentlich zwischen mindestens 31 kunftsorientierte Ausbildung der Studierenden. Es gibt viel zu Stunden und mehr als 50 Stunden für das Studium aufzuwentun für die studentische Selbstverwaltung. Wenn sie es nicht den. Der Handlungsbedarf ist schlichtweg nicht von der Hand schafft, die Studierenden zu begeistern und gemeinsam mit diezu weisen. Allerdings handelt es sich auch hier wieder nicht um sen einen sinnvollen Diskurs über die oftmals selbstgemachten einen Fehler im Text der Bologna-Erklärung, sondern um puren Probleme zu beginnen, nimmt sie ihre ureigene Aufgabe nicht Dilettantismus nationaler Akteure. wahr und verliert in Zukunft ein Anrecht auf Mitsprache. Denn sie wussten nicht was sie tun – oder doch? Zumindest für die Idee hinter dem Bologna-Prozess kann und darf dies nicht gelten. Geht es allerdings um die Umsetzung, so

Text: Benjamin Reetz Foto: Katrin Pleus (Portrait), Hans-Christian Rolfs (Hörsaal)

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Hochschulpolitik

Der alte neue AStA „Chaos an der Urne“ und der gefühlte Rechtsruck der Studierendenschaft. Der neue AStA ist der alte und doch gab es einige Veränderungen.

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as Wahlchaos ist, wenn nicht vergessen, so zumindest überwunden. Erste Ergebnisse deuteten darauf hin, dass der ehemalige, vom RCDS gestützte, Minderheiten-AStA aus AStA für Alle und Campusgrün in dieser Legislaturperiode allein regieren kann. Der RCDS wurde, trotz deutlichem Stimmenzuwachs, auf die Oppositionsbank geschickt, wo er neben LaD.i.y. Liberty, BaLi, AntiRa und LiSA die Regierungsarbeit beobachten wird. Entgegen erster Annahmen wurde die eigentlich stabile Koalition aus AfA und CG freiwillig um einen zusätzlichen Partner erweitert. Mit dabei ist nun der Sozialistisch-demokratische Studierendenverband (SDS), der bei seiner ersten Wahl in der aktuellen Konstellation gleich einen Sitz im SR abgriff. Mit dem neuen AStA gibt es auch leichte Veränderungen an der Referatsstruktur. Pia Liepe (AfA) übernimmt das Referat „Soziales“ von Johanna Vogt (AfA), Elena Reichwald (AfA) erklärt sich für das Referat „Studium und Lehre“ zuständig und ist damit Nachfolgerin von Nils Steffen (AfA). Das neu gegründete Referat „Antidiskriminierung“ übernimmt David Ittekkot (AfA). Das Vorgängerreferat „Gleichstellung“ führte Ricarda Rösch (CG). Leiter des Referats für „Politische Bildung“ ist ab sofort Ali-Aygün Kilincsoy (AfA), der das Amt nach Albertina Selle (AfA) antritt. An Campusgrün geht das neu gegründete Referat „Kritische Wissenschaften“, das von Lena Graser (ehemals Referat „Hochschulpolitik“) besetzt wird, sowie „Campusleben“, dessen Leitung Jan Giese von Jacob Roßa (CG) übernimmt und das Referat „Kultur und Sport“, für das fortan Julia Olliges die Verantwortung trägt und damit die Nachfolgerin von Hanno Mögenburg (AfA) wird. Die absolute Überraschung ist allerdings die Besetzung des Referats „Hochschulpolitik“, das mit Timo Hüther nach Lena Graser (CG) ein SDSler in die Hand nimmt. Nicht nur, dass der neue Koalitionspartner ein wichtiges Referat zugesprochen bekommt, sondern auch, dass es damit eine Liste übernimmt, die sich deutlich links von AfA und CG positioniert. Finanzreferent wird erneut Jan Cloppenburg (AfA), dessen Leistung gemeinhin von allen Koalitionären für positiv befunden wird. In ersten Reaktionen zeigten die Listen sich überwiegend positiv gestimmt. Von AfA heißt es zwar mit Verweis auf die StempelProblematik, dass der Verlauf der letzten SR-Wahl recht unerfreulich, das Ergebnis aber durchaus zufriedenstellend sei. Betont wird dabei, dass man als sowieso stärkste Liste noch hätte zulegen können. Durch den Zugewinn sieht AfA sich jedenfalls bestätigt: „Das bedeutet, wir haben die Aufgaben und Pflichten im AStA zufriedenstellend erfüllt“. Den Stimmengewinn des ehemaligen Koalitionspartners kommentiert die Liste ebenfalls: „Der Zugewinn des RCDS ist für uns besorgniserregend.“ AfA wirft dem RCDS vor, weniger Mitspracherecht für Studierende 16

zu fordern. „Hier bedarf es noch viel Aufklärung.“, stellt die Liste fest. Mit Bezug auf die Koalition heißt es aus den Reihen von AfA: „Wir hoffen natürlich, dass die Koalition mit Campusgrün genau so erfolgreich und konstruktiv sein wird wie bereits im letzten Jahr.“ Den SDS habe man dazugeholt, um dem eigenen Anspruch gerecht zu werden: „Wir wollen allen Interessierten die Möglichkeit einer konstruktiven Zusammenarbeit im AStA bieten“. Dabei versuchen die Sozialdemokraten deutlich, etwaige Zweifel auszuräumen: „Uns ging es bei der Koalition nicht um irgendwelche Mehrheitsverhältnisse, sondern um ein breites Bündnis, das die Studierendenschaft am ehesten repräsentiert.“ Eine Aussage darüber, ob das, wie in der letzten Legislatur, nicht auch wieder mit dem RCDS möglich gewesen wäre, dessen Mitarbeit vor nicht all zu langer Zeit als konstruktiv eingeschätzt wurde, spart man sich aber. Dass man auf Seiten von Campusgrün ebenfalls sehr erfreut über den Ausgang der Wahl ist, scheint selbstverständlich. Besonders wichtig ist den jungen Grünen, dass man in der laufenden Legislaturperiode in der Koalition eine eigene Mehrheit habe: „Dadurch können wir unsere bisherige Arbeit weiterführen und ausweiten“, heißt es dort. Weiter führen sie aus: „Wir sind in unserer Koalition mittlerweile sehr gut aufeinander abgestimmt.“ Dies beweisen die Campusgrünen auch in Bezug auf den SDS: „Wir sehen es als zentrale Aufgabe des AStA, Dialoge in der Studierendenschaft anzuregen und Studierendeninteressen möglichst breit zu vertreten. Den SDS mit einzubinden, ist ein Schritt in diese Richtung“, lautet der Kommentar, in dem auch die inhaltliche Nähe zu AfA noch mal deutlich wird. Den Wahlerfolg der Christdemokraten kommentierten sie indes nicht. Der neu ins Boot geholte SDS gibt sich derweil betont selbstkritisch: „Wir sind mit dem Ergebnis natürlich nicht zufrieden. Wir haben deutlich die wenigsten Stimmen bekommen“, lautet ein erster Kommentar. Das Ergebnis werde trotz erstmaliger Teilnahme der Liste sogleich als Kritik verstanden. Doch ganz so schlimm sehen es die demokratischen Sozialisten auch wieder nicht: „Aufgrund unserer geringen Kapazitäten ist aber das endgültige Ergebnis mehr als zufriedenstellend“, stellen sie fest und verweisen auf die Übernahme des hochschulpolitischen Referats. Mit Blick auf die Koalition erklärt die sozialistischdemokratische Liste: „Wir haben nun nicht nur die Möglichkeit, verantwortungsvoll progressiv linke Forderungen in die Tat umzusetzen, sondern können und werden gleichzeitig das linke Korrektiv im AStA darstellen und AfA beziehungsweise CG auf die Finger schauen.“ Dies verdeutlicht die Liste mit Blick auf das sozialistisch-demokratisch geführte Referat: „Stumpfe Stellvertreterpolitik ist nicht das, was wir wollen. Wichtig ist uns, dass sich alle Studierenden beteiligen.“ Zu den konkreten Plä-


Hochschulpolitik

nen innerhalb des Referats teilt die Liste mit: „Unser Ziel ist es unter anderem, eine bessere bundesweite Vernetzung zwischen den ASten voranzutreiben.“ Bedauern herrscht jedoch mit Blick auf die hochschulpolitische Landschaft in Bremen vor: „Es gibt ein langsames aber stetiges Zerbröckeln der linken Kräfte an der Uni und eine Erstarkung rechtspopulistischer, neoliberaler Hochschulgruppen“, erklärt die linke Liste. Dabei verweist sie aber auch selbst auf eine latente linke Mehrheit, die nur nicht gemeinsam agiere: „Es ist für uns wichtig, die Fronten zwischen den linken Hochschulgruppen aufzuweichen.“ Von der Opposition war einzig der RCDS dazu bereit, die Wahlergebnisse zu kommentieren: „Dass wir mit vier Sitzen im Studierendenrat und einem Sitz im Akademischen Senat das beste Ergebnis unserer Geschichte einfahren konnten, ist ein klares Signal für eine verantwortungsvolle christdemokratische Hochschulpolitik“, lautet die erste Reaktion. Auch die Gesamtwahl wird entsprechend überschwänglich kommentiert: „Die Wahl brachte eine deutliche Abstrafung des linken Lagers mit sich“, heißt es mit Verweis auf die politischen Ziele des Gegners. Die neue Koalition im Speziellen bewertet die Liste sehr negativ: „Der neue AStA ist im Vergleich zum vorherigen deutlich nach links gerückt.“ Kritisiert wird hierbei, dass die Campusgrünen und die Sozialdemokraten den SDS trotz eigener rot-grüner

Mehrheit mit in den AStA holten. „Wir befürchten eine Rückkehr zur Blockadepolitik gegenüber der Uni-Leitung“, erklärt der RCDS weiter. Ein erstes Zeichen dafür sei der Widerstand gegen die Stiftungsprofessur der Familie Fuchs. Daher sehe man sich als größte Oppositionsliste in besonderer Verantwortung: „Wir werden uns nicht vernünftigen Initiativen des AStA in den Weg stellen“, stellen die Christdemokraten fest. „Wir begleiten den neuen AStA jetzt aber noch kritischer in seiner Arbeit und werden Fehlverhalten anprangern.“ Was bleibt, ist ein neues Gefüge von AStA und Opposition. Während der RCDS mit einem deutlichen Zugewinn aus der Regierung fliegt und das rechtsdemokratische Lager in der Opposition gestärkt wurde, konstituiert sich der neu formierte AStA mit einer deutlichen Mehrheit links davon. Was das für die Hochschulpolitik der laufenden Legislaturperiode bedeutet und welche Auswirkungen die Besetzung des Referats „Hochschulpolitik“ durch den SDS mit sich bringt, muss sich zeigen. Das Gleiche gilt für die Opposition, die mit dem RCDS auf der einen und LiSA, AntiRA, BaLi und LaD.i.y. Liberty auf der anderen Seite in sich deutlich gespalten ist. Text: Björn Knutzen Foto: AStA Universität Bremen

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Mit ehrenamtlichem Engagement die Karriere boosten?

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ie Abkürzung SIFE steht für „Students In Free Enterprise“ und es handelt sich dabei um eine, sich selbst als unpolitisch bezeichnende, studentische Non-ProfitOrganisation. Die Grundidee von SIFE ist es, dass Studierende ihr an der Universität erworbenes theoretisches Wissen in Praxisprojekten, die von ihnen ins Leben gerufen werden, praktisch anwenden können. Das heißt, die Teammitglieder überlegen sich gemeinsam, für welches (hauptsächlich regionale) Unternehmen beziehungsweise für welche Institution sie ein Projekt mit möglichst wohltätigem Charakter gestalten möchten. An mittlerweile 43 deutschen Hochschulen ist SIFE vertreten und erst voriges Jahr wurde das Team der Universität Bremen auf Initiative der BWL-Studentin Insa Barfs gegründet. In Bremen wurde zum Beispiel unter dem Projektnamen Genbreaker eine Kooperation mit der Roland zu Bremen Oberschule und dem Zentrum für Humangenetik der Universität Bremen eingegangen. Dabei unterstützen die Studierenden die Schüler darin, einen eigenen kostengünstigen Chemiebaukasten zur Extraktion von DNA aus einer Zwiebel zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen. Das Produkt soll bald vom Universum Bremen zum Kauf angeboten werden und kann bereits bei den Schülern direkt bestellt werden. Ein weiteres, gerade im Entstehen begriffenes Projekt ist die Unternehmensberatung des Tierheims Arche Noah in Brinkum in Bezug auf seine Wirtschaftlichkeit und Methoden zur Spendenakquirierung, nachdem dem Tierheim finanzielle Mittel gekürzt worden sind. Manche dieser Projekte sind so erfolgreich, dass sie sogar in ganz Deutschland 18

eingeführt werden sollen, wie die Idee Spende dein Pfand aus Regensburg. Dabei werden in der Stadt Altglascontainer für Pfandflaschen aufgestellt. Mit der Leerung der Behälter sind psychisch kranke Menschen betraut, die dadurch wieder mehr in die Gesellschaft eingegliedert werden sollen. Der Erlös geht jeden Monat an eine andere soziale Institution in Regensburg. Die Art der Projekte hängt natürlich auch von den Teilnehmern und deren Anzahl ab. An der Universität Bremen schwankte im letzten Jahr die Mitgliederzahl zwischen fünf und zehn Personen, die alle einen wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund haben. An anderen Hochschulen gibt es jedoch bis zu knapp 200 Mitglieder. Die individuellen Fähigkeiten, die Kreativität und die Leidenschaften der Teammitglieder nehmen Einfluss auf die Art der Projektgestaltung. SIFE Universität Bremen sucht deshalb auch nach Studierenden aus nicht-wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen. Die Studierenden gewinnen aber nicht nur Erfahrung, sondern werden von den zahlreichen Sponsoren aus der Wirtschaft auch gezielt gefördert. Einer der Hauptsponsoren von SIFE ist die schweizerische Prüfungsgesellschaft KPMG (Unternehmens-, Steuer und Managementberatung, sowie Wirtschaftsprüfung), zu den weiteren Sponsoren zählen zum Beispiel der Softwarehersteller SAP, der Medienkonzern Bertelsmann und die Telekom. Auch der Hauptsitz von SIFE Deutschland befindet sich im Kölner Büro von KPMG, die 2010 zum global zweitattraktivsten Arbeitgeber nach Google gekürt wurden, obwohl sie laut der Süddeutschen Zeitung aufgrund von Unstimmigkeiten in


Campusleben den Bilanzen ihrer Kunden bereits auffallend oft in Wirtschaftsskandale verwickelt waren. Die Prüfungsgesellschaft stellt jedem einzelnen Team einen eigenen Ansprechpartner zur Verfügung, an den sie sich sich bei Fragen oder Problemen wenden können. Ein Teil der Mitglieder absolviert in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen an Wochenenden Schulungen, in denen Führungsqualitäten erworben werden können. Diese finden im KPMG Tagungshotel Schleiden statt. Früher waren solche kostenlosen Kurse für alle Mitglieder möglich, doch gibt es mittlerweile zu viele potentielle Teilnehmer, weswegen jetzt nur noch ein Teil daran teilnehmen kann. Durch die Schulungen und die Sponsoren wird ein sehr enger Kontakt zur Wirtschaft gepflegt. Regelmäßig findet eine Messe statt, auf der die SIFE-Mitglieder und die Sponsoren einander kennenlernen können. Dieser enge Kontakt bedeutet zum Beispiel, dass bestimmte Jobs von den Unternehmen erst intern über SIFE ausgeschrieben werden oder Jobangebote ausschließlich an die SIFE-Mitglieder per E-Mail verschickt werden. Außerdem gibt es den SIFE Landeswettbewerb, an dem die Teilnahme allerdings freiwillig erfolgt. Bei diesem treten die Teams mit ihren Projektideen gegeneinander an und erhalten dabei professionelle Unterstützung für ihre Präsentationen, die sie auf Englisch abhalten müssen. Die Juroren für die Wettbewerbe setzen sich widerum aus den Sponsoren von SIFE zusammen. Der Gewinner nimmt am SIFE World Cup teil, der dieses Jahr am 12. Oktober in Kuala Lumpur stattfand und bei dem sich das

deutsche Siegerteam von der Universität Regensburg mit seinem Pfandspendeprojekt gegen die internationale Konkurrenz durchsetzen konnte. Die Teilnahme ist prinzipiell für jeden Studenten möglich. Die Mitglieder stecken in der Regel drei bis fünf Stunden Zeit pro Woche in ihre Unternehmungen mit SIFE. Die Teilnahme an den Gruppen- beziehungsweise Projekttreffen ist nicht verpflichtend, man sollte aber so oft wie möglich dabei sein. Besonders verständnisvoll ist man in der Prüfungszeit, in der kaum Treffen stattfinden. Geht es jedoch in die heiße Phase, sei es in einem Projekt oder kurz vor dem Landeswettbewerb, müssen die Mitglieder auch mal zwischen 15 und 20 Stunden in der Woche investieren. Der Nutzen für Studenten, die bei SIFE mitmachen, liegt klar auf der Hand. Im Gespräch mit dem Scheinwerfer sagten Teammitglied Sascha Janssen und Teamleiter Felix Hesse, primäre Motivation der Mitglieder sei es, sich selbst weiterzuentwickeln und sich noch vor dem eigentlichen Einstieg ins Berufsleben professionelles Know-How und Praxiserfahrung anzueignen. So konnten sich die am Genbreaker-Projekt beteiligten Mitglieder nicht nur unternehmerische, sondern auch didaktische Fähigkeiten aneignen, indem sie lernen mussten, ihr komplexes, an der Universität erworbenes Wissen an die jungen Schüler weiterzugeben. Text: Nora Enzlberger Foto: SIFE Universität Bremen

Wer sich bei SIFE engagieren möchte oder einfach weitere Informationen über Projekte und Organisation sucht, findet diese im Internet:

http://www.facebook.com/sifebremen (auch ohne Facebook-Account zugänglich) http://www.sife-bremen.de/ http://www.sife.de/ http://genbreaker.blogspot.com/ http://spende-dein-pfand.de Kontakt: sife@uni-bremen.de 19


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Kommentar: SIFE - Die Gutstudenten?

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ich für die Non-Profit-Organisation SIFE einzusetzen, klingt nach einer großen Win-Win Situation: die Studenten machen sich als Bewerber für die Wirtschaft interessanter, die Sponsoren gewinnen dadurch für sie attraktivere und fähigere Berufseinsteiger und als Nebeneffekt wird dabei auch noch Menschen, Tieren und (Klein-)Unternehmen geholfen. Aber nicht alles an SIFE ist so rosig wie man meinen sollte. SIFE sieht sich selbst als eine Organisation, die so einzigartig und toll ist, weil sie allen offen steht. Man muss keinerlei Aufnahmevoraussetzungen erfüllen, um von den Schulungen und den guten Beziehungen in die Führungsetagen der Unternehmen zu profitieren. Es ist kein Businessclub für Studenten, über den man nur auf Empfehlung reinkommt. Trotzdem wird es in der Realität für einen großen Teil der Studenten schwierig, mitzuwirken, weil sie sich ihr Studium selbst finanzieren müssen. Es schafft nicht ein jeder, Studium, Arbeit, Freizeit und ein Engagement für SIFE miteinander zu vereinbaren beziehungsweise die gesamte Zeit bis zum Schlaf aktiv und effektiv zu nutzen. Organisationen wie SIFE tragen dazu bei, dass es immer selbstverständlicher wird, dass Studenten ohne Bezahlung arbeiten. Es ist nicht per se schlecht, dass Studierende sich ehrenamtlich engagieren und sich dadurch weiterentwickeln, ganz im Gegenteil. Aber dass diese Seite von SIFE keine große Rolle spielt, erkennt man schon auf der SIFE-Deutschland Homepage. Dort werden, um die Studenten zum Mitmachen zu motivieren, hauptsächlich die Möglichkeiten aufgezählt, mit denen der individuelle Lebenslauf poliert werden kann, um so die Karriere schneller und steiler starten zu können. Der wohltätige Effekt spielt in dieser Aufzählung keine große Rolle. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, während eines Auslandssemesters neue Erfahrungen zu sammeln und sich damit ebenfalls für potenzielle Arbeitgeber attraktiver zu machen, denn als Erasmus-Student stellt man meist nicht kostenlos seine Arbeitskraft zur Verfügung. Wenn man mit dem Erasmus-Stipendium ein Auslandspraktikum finanziert bekommt, erhält man zum Beispiel mehr Geld als für ein Uni-Semester. Aber im Unterschied zu Auslandssemestern oder Angeboten vom Career Center ist SIFE keine unabhängige Organisation, sondern wird von der Wirtschaft gesponsert und verfolgt damit primär deren Interessen und nicht die der Studenten, also der (potentiellen) Mitglieder. Die studentische Non-Profit-Organisation ist dabei auch von Unternehmen mit zweifelhafterem Ruf finanziell abhängig. Es wirkt, als wäre SIFE zumindest in Deutschland ein inoffizieller Ableger von KPMG, die sich damit billig ihre Nachwuchskräfte heranzüchten. Warum sonst sollte der SIFE Hauptsitz bei KPMG im Gebäude sein und die Mentoren der hilfesuchenden Studenten Angestellte ebenjener Prüfungsgesellschaft? Die Sponsoren investieren also, auch wenn sie keine sichtbaren Forderungen an die Studenten stellen, nicht, weil sie ihnen etwas Gutes tun wollen, sondern

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weil sie das kostengünstige Potenzial für die Zukunft erkennen und weil es für ein Unternehmen gut aussieht, sich sozial stark zu machen. Ein weiterer Vorteil für die Investoren ist die Selbstverantwortung der Studenten. Zwar haben sie einen erfahrenen Ansprechpartner von KPMG, doch weil es sich um eine Non-ProfitOrganisation handelt, haften weder SIFE noch die Sponsoren, sondern ein externer Projektpartner, falls es einen gibt, mit dem SIFE zusammenarbeitet. Im Pfandspendeprojekt wäre dies zum Beispiel eine Diakonie, die die Mitarbeiter einstellt. Daraus lässt sich folgern, dass einerseits für die Sponsoren, sprich potentiellen Arbeitgebern der Mitglieder, Fehleinschätzungen, die den Studenten passieren können, nicht so gravierend sind, wie wenn sie tatsächlichen Angestellten passieren würden. Andererseits scheint damit jedoch für die Unternehmen, die sich von SIFE helfen lassen, das Risiko höher zu sein, weil die Umsetzung im Falle des Tierheims Arche Noah zum Beispiel auf eigene Gefahr erfolgt. Die Studenten können sich ausprobieren, experimentieren und professionelle Erfahrung sammeln, wodurch den Sponsoren, die sonst unerfahrene und daher für Fehler anfälligere Berufseinsteiger einstellen müssten, Risiko und Kosten erspart werden. Die Nähe und Abhängigkeit zur Wirtschaft sind damit der Vorteil von SIFE, aber auch sein Nachteil. Dank der Sponsoren bekommen die Mitglieder Feedback, Hilfe, Fortbildungen und schnelle Einstiegsmöglichkeiten in den Beruf angeboten mit der Konsequenz, dass sich die allgemeine Erwartungshaltung der Wirtschaft ändert. Je häufiger auf Posten mit Aufstiegspotential junge Menschen mit den zum Beispiel bei SIFE erworbenen Zusatzqualifikationen in Unternehmen vertreten sind, desto schwerer haben es „normale“ Absolventen am Arbeitsmarkt, solche Stellen zu erhalten. Üblicherweise eignet man sich Führungsqualitäten im Laufe seines Berufsleben an und nicht schon davor, in der Freizeit neben dem Studium. So könnte es in Zukunft dazu führen, dass es bald nicht mehr reicht, im Laufe des Studiums sämtliche Ferien für unbezahlte Praktika genutzt zu haben, um einen attraktiven Arbeitsplatz zu ergattern. Stattdessen erhoffen sich Arbeitgeber jetzt schon oft Berufseinsteiger mit dreijähriger Berufserfahrung. Diese Wünsche stellen dann keine Utopie mehr dar, wenn Fortbildungen, die früher der Arbeitgeber zahlte, und die Erfahrung schon während des Studiums über Organisationen wie SIFE erworben werden können. Im Endeffekt muss natürlich jeder für sich entscheiden, ob er eine Tätigkeit für SIFE nicht nur für sich selbst sinnvoll erachtet beziehungsweise ob man dafür überhaupt Zeit hat, sondern ob man gut findet, was SIFE repräsentiert - die guten und die negativen Punkte. Text: Nora Enzlberger


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Arbeit oder Fortbildung? Mit dem Argument, ihre Tätigkeit diene der Weiterbildung, rechtfertigen Universitäten suboptimale Arbeitsverhältnisse für ihre studentischen Hilfskräfte. Ist ihnen ihre prekäre Arbeitslage egal oder einfach nicht bewusst?

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ine Anstellung als studentische Hilfskraft scheint auf den ersten Blick viele Vorteile zu haben. Man lernt, wissenschaftlich zu arbeiten, man blickt hinter die Kulissen, man lernt den Professor oder die Professorin persönlich kennen und für all diese Erfahrungen bekommt man auch noch Geld. Da kann man schnell vergessen, wie schlecht die Arbeitsbedingungen tatsächlich sind. Im Wintersemester 2009/2010 waren allein an der Universität Bremen 2380 Hilfskräfte beschäftigt. Allerdings ändert sich diese Zahl in jedem Semester, da etwa die Hälfte aller studentischen Hilfskräfte in Deutschland, vor allem im Bereich der Naturwissenschaften, für höchstens vier Monate eingestellt wird. Dabei arbeiten 35 Prozent von ihnen 20 Stunden im Monat und weniger. In Bremen liegt der Stundenlohn ab 2012 bei 8,50 Euro. Übrigens wird dieser Lohn meist erst in der Mitte des übernächsten Monats überwiesen. Früher betrug der Lohn der Hilfskräfte in Bremen zwar nur 8,02 Euro, doch die Erhöhung im Jahr 2009 auf 8,45 Euro war die erste seit zehn Jahren. So etwas kann in Berlin nicht passieren. Die dortigen Hilfskräfte haben einen Tarifvertrag erstritten. Sie bekommen einen Stundenlohn von 10,98 Euro, haben eine eigene Personalratsvertretung, 31 Tage Urlaub im Jahr und ein Recht auf 40 Arbeitsstunden im Monat. In Bremen hingegen wurden die Hilfskräfte der Universitäten aus den letzten Tarifverhandlungen explizit ausgeschlossen. Wenig Stunden, kurze Verträge, geringe Löhne und die kommen auch noch zwei Monate zu spät – keine Situation für Studenten, die auf ein zusätzliches Einkommen angewiesen sind. Leider können die Probleme selten angesprochen werden, denn die kurzen Verträge machen aktives Mitarbeiten in Personalräten fast unmöglich. Trotzdem scheinen die studentischen Hilfskräfte zufrieden mit ihrer Situation. Sie sehen ihre Arbeit als frühstmöglichen Einstieg in eine akademische Laufbahn oder als Vorbereitung auf eine spätere Promotion. „Ich mache das erstmal natürlich, um Geld zu verdienen. Aber ich habe dann auch bessere Aussichten im Job und nehme Grundlagen fürs Studium mit“, sagt eine Hilfskraft auf die Frage, warum sie den Job macht. Viele betrachten ihre Stelle als Teil des Studiums und nicht als Erwerbsarbeit. In Erwartung zukünftiger Vorteile werden die akuten Probleme außer Acht gelassen. Natürlich ist es schwer, für seine Rechte einzutreten, wenn der Arbeitgeber auch gleichzeitig der Prüfer ist. Noch schwerer ist es allerdings, wenn

man seine Rechte gar nicht kennt. Viele prekär Beschäftigte, so auch studentische Hilfskräfte, sind schlecht oder gar nicht über Sozialleistungen, allgemeine Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsrecht informiert. Dabei sollte jeder Arbeitnehmer seine Rechte kennen. Es ist sehr wichtig, dass die Hilfskräfte sich informieren und sich besser vernetzen, damit sie gemeinsam für ihre besseren Arbeitsbedingungen eintreten können, so wie es schon die Hilfskräfte in Berlin geschafft haben.

Eine umfangreiche Information zum Thema Arbeitsrecht für Hilfskräfte bietet dieser Ratgeber: http://www.gew.de/Binaries/ Binary78539/Ratgeber%20Hiwis.pdf Text: Anne Kathrin Evers Foto: Lisa Mertens

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Kompetenz-Zertifikat gegen post-bolognesische Lethargie Eine Initiative des International Office will freiwilliges interkulturelles Engagement fördern und zertifizieren. An Motivation und Freiraum scheint es in der Reformretrospektive bisher jedoch zu mangeln.

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ines der Kernziele des berühmt-berüchtigten BolognaProzesses ist die Internationalisierung. Es kann sich bekanntlich jeder eine eigene Meinung zu jener Studienreform und ihrer Umsetzung bilden, das Vorhaben, die Hürden für interkulturelle Dimensionen zu senken, ist sicher alles andere als verkehrt. Nicht zuletzt, um grenzübergreifendes Verständnis sowie Toleranz auf dem Campus und darüber hinaus zu fördern. Zu den ambitionierten Zielsetzungen der Reform gehört beispielsweise eine Steigerung von Mobilität in Raum und Kultur, speziell unter internationalen Gesichtspunkten im angestrebten einheitlichen Europäischen Hochschulraum. Unter diesen Vorzeichen fügt sich die aktuelle Initiative des International Office der Universität Bremen prächtig ein: das Zertifikat für Interkulturelle Kompetenz. Angesprochen fühlen sollen sich damit unter anderem sprachbegeisterte Studierende, solche, die ein Auslandssemester vor beziehungsweise hinter sich haben, oder auch jene, die aus reinem Interesse interkulturelle Veranstaltungen besuchen. Voraussetzung für das vom Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) geförderte Zertifikat ist, dass diese Aktivitäten nicht bereits mit Credit Points belegt wurden. Sofern das nicht der Fall ist, können ehrenamtliche Leistungen offiziell anerkannt und mit einem Zeugnis ausgestattet werden. Hintergrund sind die für internationale Kontexte als entscheidend angesehenen Schlüsselqualifikationen im Umgang mit Kulturen aller Art. Durch welche Werkzeuge und Methoden sich die interkulturelle Verhaltensfähigkeit exakt auszeichnet, bleibt noch ein wenig schwammig. Das vermeintliche Modewort „Kompetenz“ findet sich schließlich in den Untiefen der Uni allerorts wieder. Dieses weite inhaltliche Feld stellt jedoch dem Vernehmen nach auch eine relativ offen auslegbare Situation und somit vielfältige Chance für Teilnehmer dar, was im Sinne der Studenten sein dürfte. Das ab dem Wintersemester 2011/2012 debütierende Programm, welches später womöglich einmal die Grenzen der Universität verlässt, befindet sich momentan in der Pilotphase. Neben dem aus einem interkulturellen Training bestehenden Pflichtmodul müssen außerdem zwei von drei Wahlpflichtmodulen für jeweils 30 Punkte nachgewiesen werden, woraus sich schließlich ein Gesamtumfang von 75 Punkten ergibt. Letztere können sich beispielsweise aus Engagements im Zusammenhang mit den folgenden Bereichen zusammensetzen: studienbezogene Auslandsaufenthalte, dem International Office, eingetragenen Hochschulgruppen, Studentenorganisationen oder Sprachkursen und Tandem-Programmen sowie Vorlesungen, Tagungen und Vorträgen. Das Zertifikat fungiert dabei zunächst als außerlehrplanmäßig, um eine doppelte Honorierung von Leistungen zu vermeiden. Später ist eine Ansiedelung im General Studies Bereich vorgesehen. Künftig soll zudem ein Punktesystem die gerechte Verteilung von Zeit- und Arbeitsaufwand ge-

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währleisten. Die Tatsache, dass sich die Module ohne Zeitdruck in beliebig vielen Semestern je nach Gusto zusammensammeln lassen, könnte manch einem Bologna-Studenten womöglich ungewohnt vorkommen. Ebenso exotisch mag es für Studenten der aktuellen Generation auf den ersten Blick anmuten, dass sich der Impuls des International Office auf rein interessengeleitete Aktivitäten und pure Eigeninitiative stützt. Diese gewiss ureigene, akademische Tugend, die den Grundgedanken des „über-denTellerrand-Schauens“ beinhaltet, scheint in verschulten Bachelor-Master-Strukturen zumeist auf der Strecke zu bleiben. Nach der Umstellung ist kaum noch von Studenten zu hören, die freiwillig und der Sache wegen eine Veranstaltung besuchen, ohne dafür mit der neuen Währung CP entlohnt zu werden. Kurzum: Ein unvergütetes Engagement befindet sich dem Empfinden nach auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Erscheinungen des natürlichen Universitätsumfeldes. Neben vermeintlich fehlender Motivation, dürfte es viel zu häufig schlicht an der Zeit für geistige Betätigungen abseits der Pflichten mangeln. Umso erfreulicher stellt sich jetzt die Rückbesinnung auf derartige Studientraditionen und die gleichzeitige Förderung neuer Anreize dafür dar. In diesem Zusammenhang ließe es sich als Ironie des Schicksals interpretieren, dass die Anregung zu mehr Eigeninitiative ausgerechnet von einem Organ der Uni selbst stammt, welches an der Einführung des mutmaßlichen Antifreiwillig-Systems nicht ganz unschuldig ist. Andererseits wird mit dem Angebot möglicherweise auch schlicht weiter auf die Internationalisierungsvorgaben von europäischer Ebene reagiert, was seinerseits eine begrüßenswerte Maßnahme darstellte. Das International Office schätzt, unterstützt und belohnt indessen interkulturelle Kompetenzen und animiert, den Weg zum Zeugnis möglichst abwechslungsreich und unkompliziert zu gestalten. Ein weiteres Ziel des Bologna-Prozesses bezieht sich übrigens auf lebenslanges Lernen, das neue Programm gibt derweil potenziell Anstoß zum viel beschworenen Lernen für das Leben. Womöglich kann ein solch ehrenamtlich erlangtes Dokument später gar dazu beitragen, die Gunst eines Arbeitgebers zu wecken. Im Übrigen können auch sogenannte Bildungsausländer, also diejenigen, die ihre Hochschulzugangsberechtigung auswärtig oder an einem Studienkolleg erworben haben, unter angepassten Bedingungen an dem Programm teilnehmen. In dem Fall ist es beispielsweise möglich, die Auslandserfahrung in Deutschland zu absolvieren. Es bleibt abzuwarten, auf welche Resonanz das Zertifikat bei der gehetzten Studentenschaft stößt. Ein Schritt in die richtige Richtung, welcher dort ansetzt, wo es seit der neuen Studienkonstruktion hapert, dürfte es allemal sein. Text: Joschka Schmitt Foto: Universität Bremen


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40 Jahre Uni Bremen

Fotostrecke: Geschichte der Uni 11.11.1968: Grundsteinlegung im Blockland

1969: Als Campus noch Wiese war...

1973: Demonstration gegen die Versch채rfung der Pr체fungsordnung


40 Jahre Uni Bremen

1992: Zentralbereich mit Blick auf das Studentenhaus, heute Glashalle

1996: Schienenlegung am Zentralbereich

17.06.1997: Mensabrand (links) 1998: Blick 체ber das Uni-Gel채nde (rechts)

Fotos: Universit채t Bremen

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40 Jahre Uni Bremen

Die Uni in Zahlen

Quelle: Universität Bremen

Der Semesterbeitrag im Wandel der Zeit In Bremen gibt es keine Studiengebühren - so ganz kostenlos ist das Student-Sein trotzdem nicht. 222,42 Euro Semesterbeitrag wurden für das Wintersemester 2011/2012 fällig - darin enthalten sind Gelder für den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA), das Semesterticket, das Studentenwerk sowie Verwaltungsgebühren. Letztere müssen übrigens erst seit dem Wintersemester 2004/2005 gezahlt werden. Doch wie viel mussten sich die Studenten das Studium früher kosten lassen? Vergangenes Wintersemester waren es 214,50 Euro, im Wintersemester 2009/2010 203,40 Euro. Vor fünf Jahren mussten die Studenten 171,50 Euro, vor zehn Jahren 175,40 Deutsche Mark (DM) zahlen. Im Sommersemester 2000 waren es noch 159,60 DM. 26

Das Semesterticket – der höchste Ausgabeposten des Semesterbeitrages – wurde erst 1994 eingeführt. Damals kostete das Ticket 74 DM, insgesamt mussten die Studenten 137 DM zahlen. 1997 wurde der Kreis der Teilnehmer des Tickets erweitert (unter anderem Studenten der Uni Oldenburg und Hochschule Bremerhaven). Damit kamen auch neue Strecken hinzu. „Die Gesamtzahl der Studierenden und vor allem der Gültigkeitsbereich sind erheblich für die Preis-Leistungs-Relation und die damit einhergehende Akzeptanz“, sagt Rainer Weisel, SemesterticketReferent beim AStA der Universität Bremen. Text: Olga Galashevich


40 Jahre Uni Bremen

Der 40. Geburtstag: Die Uni feiert? A

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er Auftakt des 40-jährigen Jubiläums der Bremer Universität fand am 31. Oktober vor und im Bremer Rathaus statt - ein offizieller Termin für die Wichtigen und Großen aus der Wirtschaft, der Politik und der Wissenschaft. Nur mit persönlicher Einladung erhielt man zur prunkvollen Oberen Rathaushalle Zugang, wo der Senatsempfang stattfand. Auch ein paar Studierende, vor allem vom AStA, konnten sich unter all die Persönlichkeiten mischen und der Festlichkeit beiwohnen. Doch von den 40-50 Demonstranten vor dem Rathaus schafften es nur wenige in den Festsaal. Aber warum demonstrieren wenn andere feiern? Den Protestlern ging es vor allem darum, auf die hitzige Debatte um die OHB-Stiftungsproffessur (siehe Seite 8) aufmerksam zu machen. Des Weiteren sollte auch eine reine Glorifizierung der Entwicklung der Universität Bremen nicht so leicht und ungeschoren vonstatten gehen. Auf den vergleichsweise geringen Einfluss der Studierenden bei Entscheidungen rund um das Universitätsgeschehen sollte aufmerksam gemacht werden. Der Bürgermeister äußerte sich hierzu, indem er ein vermeintliches Motto der Uni Bremen aufgriff: „Die Zukunft unserer Universität wird in den Hörsälen entschieden.“ Das konnte manch einer jedoch nicht ganz ernst nehmen und so wurde dieser Satz ironisch und provokativ mit übertriebenem Klatschen und Jubelrufen kommentiert. Dabei handelte es sich augenscheinlich um Studenten. Was am Ende des Tages blieb, war ein großes Selbstlob der Universität zum Geburtstag - und ein Echo von ein paar protestierenden Studierenden. Was dagegen auch in Zukunft bleiben wird, ist die Forderung der Studierenden nach mehr Rechten und Einfluss. Denn alle Entscheidungen, die derzeit von wenigen Lenkern und Denkern gefällt werden, betreffen ganz besonders diejenigen, die das alltägliche Unileben maßgeblich prägen: uns Studenten!

m 25. November verwandelte sich die Mensa wieder einmal in eine Location: Aus den Stützsäulen des Gebäudes wurden in Szene gesetzte Raumteiler, die Fast-Food-Ecke wurde zur Cocktail-Lounge und die Köche und Angestellte zu dem i- Tüpfelchen, was aus einer Feier ein Event macht. So kamen die meisten Gäste, nach ihrer Meinung befragt, sofort auf den guten Service zu sprechen. Alumnus Dr. habil. Harald Graaf, der im Jahre 2000 im Fachbereich Chemie promovierte, erinnert sich noch an die alte Mensa: „Vor dem Brand 1997 waren Essen und Atmosphäre ungenießbar. Doch heute zeigt sich, wie stark sich das angestaubte Image der Mensa gewandelt hat. Höchstes Lob an die Küche und das Personal!“ Auch das gebotene Essen konnte sich wahrlich sehen und schmecken lassen. Die Auswahl an ästhetisch arrangiertem Finger-Food reichte von Garnelen im Sesammantel über vegetarische Minischnitzel bis hin zu traumhaften Desserts wie Mini-Berlinern oder Erdbeer-RhabarberMousse in Schokowaffeln. Während des langen Schlange-Stehens am Büffet erklangen schon die ersten Klänge auf der Bühne. Die Uni-Big-Band sorgte für eine stimmungsvolle Atmosphäre, die genau den richtigen Ton der Feierlichkeit traf. Jens de Haan aus Horn arbeitet im Technologiepark und wollte schon immer mal dort feiern, wo er jeden Tag zu Mittag isst. „Eine schöne Feier, so hätte ich mir die Mensa ja nie vorgestellt“, gesteht er. An mehreren Bars wurden die Gäste mit Getränken versorgt. Die Auswahl war großzügig, leider ebenso wie die Preise. Als um 22:30 die Konrektoren ans Mischpult traten, füllte sich auch die Tanzfläche. Mit ganz persönlichen Sets brachten Heidi Schelhowe, Yasemin Karakasoglu und Rolf Drechsler alle vertretenen Generationen zum Tanzen. „Das Besondere heute ist die Mischung verschiedener Leute aller Altersgruppen aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt, die hier zusammen kommen und feiern“, findet Austausch-Student Alex aus Frankreich.

Text: Lukas Niggel

Text: Jessica Heidhoff

27 Foto: Lisa Mertens


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Als Ersti auf dem Campus Das neue Semester hat begonnen und die Uni Bremen hat wieder zahlreiche neue Studierende zugelassen. Doch wie findet man sich als Erstsemester im Unialltag zurecht? Der Scheinwerfer klärt über den einen oder anderen Stolperstein auf, den die Erstsemester zu überwinden haben.

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ch sitze im Hörsaal, mein Blick schweift über Hunderte von Köpfen und bleibt schließlich auf dem vor mir liegenden leeren Blatt hängen. Schon 45 Minuten Vorlesung und ich habe noch keinen einzigen Satz aufgeschrieben. Ich versuche, mich wieder auf die Vorlesung zu konzentrieren, doch meine Gedanken schweifen erneut ab und wandern unwillkürlich um ziemlich genau ein Jahr zurück: derselbe Hörsaal, fast dieselben Köpfe und trotzdem alles anders. Es war Oktober 2010, das Jahr, in dem ich gerade angefangen hatte zu studieren. Ziemlich aufgeregt saß ich in meiner ersten Vorlesung, Stift im Anschlag, bereit, jedes Wort des Dozenten aufzusaugen und niederzuschreiben. Es war 8 Uhr, noch eine Viertelstunde bis Veranstaltungsbeginn, dennoch war der Hörsaal bereits voll. Auf keinen Fall was verpassen, man weiß ja nie, vielleicht fangen die Dozenten trotz akademischen Viertels um Punkt an – schließlich steht ja auf jedem Stundenplan von 8 bis 10 Uhr. Jetzt, ein Jahr später, kann ich sagen: Tun sie nicht! Ich war Ersti... Die O-Woche hatte ich schon erfolgreich hinter mich gebracht und war noch völlig gebannt von den vielen neuen Eindrücken. Credit Points, Stud.IP, Pabo – noch waren all diese Ausdrücke eher verschwommene Ideen als handfeste Begriffe für mich. Ich fühlte mich klein im Campusdschungel unter all den erfahrenen Stundeten, die zwischen den großen Gebäudekomplexen völlig entspannt hin- und herwackelten. Welche Kurse muss ich eigentlich belegen? Welche Unterlagen muss ich noch einreichen? Wann schreiben wir Klausuren? All diese Fragen schwirrten in den ersten Tagen durch meinen Kopf. Des Öfteren kam es vor, dass ich orientierungslos auf dem Campus herumstand und nicht wusste, wo ich hin muss. Ebenso häufig passierte es aber auch, dass eine Freundin mich anrief, um zu fragen, wo sie ihre nächste Vorlesung hatte. Zumindest gab das einem immer das Gefühl, nicht allein zu sein. Mittlerweise finde ich mich aber ganz ohne Campusplan um 8 Uhr früh völlig unausgeschlafen problemlos zurecht. Und falls ich doch mal wieder völlig verloren auf dem Campus stehe und niemanden auf dem Handy erreiche, besteht trotzdem Hoffnung in Form des Computers in der ersten Etage des GW2, neben dem Veranstaltungsbüro, an dem ich jederzeit auf Stud.IP zugreifen kann und so die Räume der nächsten Veranstaltung rausfinde. Aber das sind nicht die einzigen Erinnerungen an diese ersten Wochen an der Uni Bremen. Besonders präsent sind die zahlreichen Situationen, in denen man für Blockaden an Infoständen oder Kassen gesorgt hat, weil man nicht wusste, wie man den Bibliotheksausweis beantragt oder die Mensakarte richtig verwendet. Woher soll man auch gleich am Anfang wissen, dass man die Karte auf diese komischen Apparate legen muss und wie lange es dauert, bis das Guthaben abgebucht ist? Naja, spätestens, wenn einem die Kassiererin völlig entnervt die Karte aus der Hand nimmt, weil sich die Schlange an der Kasse schon bis zur Salatbar 28

zieht, weiß man, dass man irgendwas nicht ganz richtig gemacht hat. Und wieder mal fühlt man sich so, als hätte man ein blinkendes Schild mit der Aufschrift „hilfloser Ersti“ auf der Stirn. Aber bei Problemen organisatorischer Art kann man sich doch sehr leicht Hilfe holen. Sehr oft habe ich mich an den StugA gewandt, der entweder in seinem eigenen Raum oder per E-Mail zu erreichen

ist. Die Studierenden, die sich dort engagieren, hatten einen ganz anderen Blick auf die Lage und konnten einem meist schnell und problemlos helfen oder zumindest herausfinden, an wen man sich wenden kann. Falls es inhaltliche Fragen zur Vorlesung gibt, kann man auch die Dozenten direkt nach der Veranstaltung ansprechen. Die meisten nehmen sich gerne etwas Zeit für kurze Nachfragen oder verweisen gelegentlich auf ihre Sprechstunden, deren Zeiten man in der Regel auch an ihren Bürotüren finden kann. Auch noch lebhaft in Erinnerung sind die beiden Stereotypen von Erstis, die sich schon in den ersten Semesterwochen herauskristallisierten. Als erstes wäre da der übereifrige Student. Dieser fiebert dem Studium schon seit Wochen entgegen, weiß und kann


Campusleben schon alles, hat sich bereits sämtliche Bücher gekauft und natürlich zumindest angelesen. Wenn der Dozent Aufgaben verteilt, ist er der erste, der alles rechtzeitig erledigt hat. Der zweite Typ ist der Hardcore-Partygänger. Schon in der Zeit vor den Vorlesungen findet man ihn auf jeder Studiengangsfeier. Er lässt keine Gelegenheit aus, die Nacht zum Tag zu machen und kennt schon nach wenigen Tagen alle angesagten Örtlichkeiten der neuen Stadt. Wenn es sein Zustand zulässt, schleppt er sich am nächsten Tag noch völlig verkatert in seine Vorlesungen, um dort geistig abzuschalten. Doch im Laufe des Studiums kann man zumindest bei einigen der Stereotypen eine zunehmende Vermischung erkennen. Der Extremlerner erkennt irgendwann, dass sein Studium nicht alles ist und es ein netter Ausgleich sein kann, auch mal wegzugehen. Der Partygänger stellt irgendwann fest, dass er ja eigentlich zum Studieren zur Uni geht und versucht, den Vorlesungen doch mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Natürlich sind das Extreme, die den typischen Klischees entsprechen, doch in jedem Klischee steckt ja immer auch ein bisschen Wahrheit und es ist umso amüsanter, wenn man sie unter den Menschen findet, mit denen man Tag für Tag im Hörsaal sitzt. Plötzlich entsteht Tumult um mich herum und ich werde unsanft aus meinen Gedanken gerissen. Ich brauche einige Momente, um wieder zurück in die Realität zu finden und die Quelle des Lärms ausfindig zu machen – das Ende der Vorlesung. Routiniert packe ich mein immer noch leeres Blatt wieder

in meine Tasche und begebe mich mit dem Strom Studenten wieder auf den Weg nach draußen. In diesem Moment klingelt mein Handy. Als ich den Anruf annehmen, höre ich sofort die aufgeregte Stimme derselben Freundin wie vor einem Jahr, die mal wieder völlig verzweifelt auf dem Campus steht und keine Ahnung hat, wo sie ihre nächste Vorlesung hat. Mit einem Schmunzeln mache ich mich auf den Weg, um sie zu suchen und sie sicher in ihren nächsten Raum zu geleiten. Liebe Erstis, wie ihr seht, sind auch manche, die seit Jahren studieren, noch immer nicht ganz mit dem „System“ der Uni vertraut und verlieren auf dem Campus mal die Orientierung und den Überblick. Doch egal, was ihr für ein Problem habt, scheut euch nicht zu fragen – schließlich waren wir doch alle mal in derselben Situation. Vieles, was euch jetzt noch unüberwindbar erscheint, wird sich mit der Zeit geben, also setzt euch nicht unter Druck und denkt daran, dass ihr an viele Patzer aus der Erstizeit spätestens in einem Jahr, wenn die neuen Erstis orientierungslos auf unseren Campus stolpern, mit einem Schmunzeln zurückdenken werdet. In diesem Sinne, wünscht der Scheinwerfer euch einen guten Start in euer Studium und eine unvergessliche Zeit an der Universität Bremen. Text: Alina Fischer Foto: Universität Bremen

Glosse: Werbeunterbrechung

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s ‘ t h e g . h . c . i r e e l t i G e w

ass der Campus voller Werbung ist, mag einige stören, doch die meisten nehmen es hin. Auch ich. Wenn man sich aber schon zwischen den Vorlesungen „bewerben“ lassen muss, läuft irgendetwas schief. Nicht nur, dass sich zwei Mitarbeiter einer studentischen Unternehmensberatung erdreisteten, im großen Hörsaal ans Pult zu gehen, ihren Laptop anzuschließen und ihr Werbebild schon an die Wand zu werfen (wohlgemerkt ganz ohne jede Nachfrage beim Dozenten) – es wurde ihnen nach dessen Erscheinen und kurzer Diskussion auch noch erlaubt. Dreistigkeit siegt. Sie berichteten von ihrem Treiben und erklärten, wie viel Spaß man bei ihnen haben könnte. Es würde gefeiert, Kart gefahren oder gespielt – eine richtige Familie halt. Studentische Unternehmensberatung. Studentischer Kommerz. Ich muss mich unweigerlich fragen, ob alles besser wird, wenn man es „studentisch“ nennt. Das eröffnet dann ganz neue Räume für „studentische Parteipolitik“, „studentische Religionsgemeinschaft“, „studentisches Einerlei“. Das Ganze wurde noch besser, als die Werbung echte Werbung wurde und eine Folie recht lange an der Wand blieb, die ihre bisherigen Kunden zeigte. Man stelle sich vor, ein Professor selbst klebte in jede seiner Folien ein kleines Logo eines Fastfoodsrestaurants oder Kreditinstitutes in die Ecke. „Adorno und die Kritik der Kulturindustrie“ – sponsored by Firmenname. Amüsant wäre

es, aber das wäre auch alles. Nach 15 Minuten war das Schauspiel dann vorbei und eines war klar: Irgendetwas machen die im Fernsehen falsch. Während man zu Hause zum Klo rennt, den Sender wechselt oder die Glotze gleich ausschaltet, blieben alle Studierenden sitzen, lauschten der Werbeunterbrechung, stellten sogar Fragen und – mögen alle Werbeschaffenden in Ehrfurcht erzittern – klopften respektvoll auf den Tisch. Ein Wunder, dass die Erstis, wie in manchen Studiengängen anfangs noch üblich, nicht auch noch klatschten. Ich jedenfalls war ziemlich froh, danach auch noch ein wenig Inhalt mitzunehmen. Und doch überlege ich mir, nach der Veranstaltung einen neuen Anzug zu kaufen. Vielleicht berate ich bei Apfel oder Microweich und wenn ich darauf keine Lust habe, gehe ich mit den Jungs und Mädels der Unternehmensberatung „Paintballspielen“. Schön, was bei denen alles möglich ist! Und erneut drifte ich unweigerlich in Gedanken ab, denke an all die Werbung auf dem Campus, sehe das marode Uni-Gelände und denke mir: Wenn schon Werbung, dann doch bitte entlohnt. Stattdessen wurde bezahlt. Zumindest Zeit hat es gekostet.

Text: Björn Knutzen

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Campusleben

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Weitere Infos: www.deinemudder.org


Campusleben

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ie einen halten es für eine reine Funsportart. Andere haben vielleicht ganz diffus davon gehört, verbinden es mit amerikanischem Football und stellen sich aggressive Spieler vor, die, mit der Scheibe um sich schmeißend, durch die Gegend laufen. Doch mit Ultimate Frisbee (kurz: Ultimate) verlässt die handliche Flugscheibe den Bereich des Urlaubsvergnügens – und das ganz ohne jede Aggressivität. Ich bin diesem Sport für den Scheinwerfer einmal nachgegangen und fand viel mehr heraus, als dass eine Scheibe ein wirklich guter Ballersatz sein kann. Abgesehen von meinen eigenen Vorurteilen und Erwartungen, die sich schnell in Wohlgefallen auflösten, lernte ich die ganz eigenen Grundsätze dieses Spiels kennen. Ein Training der Sportgruppe „Deine Mudder“ verschaffte mir einen guten Einblick in Technik, Strategie und Form des Ultimate Frisbee. Bei „Deine Mudder“ handelt es sich im Übrigen nicht um ein rein studentisches Team, sondern um eine bunte Mischung an Spielern. Jedoch sind die „Müdder“ an der Uni am präsentesten. Obwohl es zum Beispiel reine Frauen- und auch Seniorenteams gibt, spielen häufig alle Geschlechter und Altersklassen gemeinsam. Es ließe sich auch sonst sicher noch einiges über die Regeln erzählen, doch an dieser Stelle würde das dem Spiel nicht gerecht werden. Wer von der Faszination des Fußballs berichtet, der spricht schließlich von Leidenschaft, Esprit und Strategie und erklärt auch nur selten lang und breit die Abseitsregel. Bei Ultimate Frisbee handelt es sich um eine von amerikanischen Studierenden entwickelte Sportart, die sich hinsichtlich der Regeln sowohl beim Football als auch beim Basketball bedient. Der Punktgewinn erinnert zum Beispiel an den Touch Down des American Football und wer die Frisbee im Besitz hat, ist den gleichen Einschränkungen unterworfen wie ein Basketballspieler im Ballbesitz – mit der Frisbee fest in der Hand zu rennen, kommt dementsprechend nicht gut an. Die Mannschaften sind mit sieben Spielern relativ klein, man erkennt aber schnell, dass es mit mehr Spielern chaotisch werden würde. Idealerweise spielt man an der frischen Luft. In der Halle nimmt das Spiel, wie bei vielen Sportarten üblich, kleinere Ausmaße an. Es gibt einen Anwurf und nach jedem Punkt wird die Seite gewechselt. Wer sich vor Augen führt, dass das Spiel vornehmlich draußen gespielt wird, erkennt, dass das nur fair ist, wenn der Wind die Spieler umweht und die Flugbahn der Wurfscheibe erheblich beeinflussen kann. Eine absolute Besonderheit des Sports ist das völlige Fehlen eines Schiedsrichters. Natürlich kommt es auch beim Ultimate Frisbee zu Fouls, es gibt ein Aus und gegen Regeln kann verstoßen werden. Anders aber als bei vielen anderen Sportarten, sind es hier die Spieler selbst, die auf etwaige Fehler hinweisen. Das Aufzeigen eines Misstandes wird durch das Rufen von bestimmten Codewörtern ermöglicht. Daraufhin tau-

schen die Beteiligten ihre Sicht der Dinge aus, einigen sich und das Spiel kann weitergehen. Lars Kiewidt, der dem Scheinwerfer am Rande des Trainings für ein Interview zur Verfügung stand, erklärt das mit der spieleigenen Atmosphäre, die der Sport mit sich bringe. Auf die Frage, was für ihn ganz persönlich den Reiz dieses Sports ausmache, antwortet der erfahrene Spieler, es sei die Dynamik, die geforderte Geschicklichkeit und letztlich die kollegiale und lockere Atmosphäre im Team. Nicht ohne Stolz erwähnt er in diesem Zusammenhang, dass der Deutsche Frisbee-Sport-Verband erst kürzlich eine Fair-Play-Auszeichnung erhielt. Das liege auch daran, dass dem Spiel als wichtigste Regel eine Art Ehrenkodex zugrunde liegt: der „spirit of the game“. Demnach ist jeder Spieler zugleich auch Schiedsrichter und ausnahmslos dem fairen Spiel verpflichtet. So idealistisch das klingt: Zumindest bei dem Training, das „Deine Mudder“ gemeinsam mit den studentisch dominierten „Blue Flippers“ und den von Schülern dominierten „Traumfängern“ ausrichtet, scheint mir die Auszeichnung gerechtfertigt und das Konzept gelungen. Unter dem Begriff des „Ultimate Peace“ existiert sogar ein pädagogisches Konzept, dass jungen Leuten spielerisch den fairen Umgang miteinander beibringen soll. In Zeiten von Fankrawallen und Hooligans kehrt Sport an sich an dieser Stelle vielleicht zu seinen Grundsätzen zurück. Alles in allem ein faszinierendes Sportspiel. Bei allem, was mir ganz persönlich daran gefallen hat, stelle ich aber fest: Ein Sport für Couchpotatoes und die eher Gemächlicheren unter uns ist es irgendwie nicht. Was die Jungs und Mädels auf dem Spielfeld leisten, entspricht einem ernstzunehmenden Sport und nicht dem sonst bekannten Urlaubsvergnügen. Wobei das keiner der Spieler so stehen lassen möchte. „Wer noch nicht fit genug ist, der wird es beim Ultimate bestimmt!“ heißt es freundlich fordernd von allen Beteiligten. Sicher ist, bei allem ernstzunehmendem Sport bleibt der Spaß nicht auf der Strecke. Nicht nur der Teamname der „Müdder“ weist darauf hin. Dieser, das mögen sich einige fragen, ist laut Kiewidt zwar ein absoluter Zufall. „Man brauchte halt einen Namen.“ Aber ein Blick auf die Mannschaftstrikots zeigt mir, dass jeder Spieler tatsächlich den Namen seiner Mutter auf dem Shirt trägt. Ultimate Frisbee ist definitiv mehr als nur ein Funsport, der Humor kommt aber trotzdem nicht zu kurz. Wer sich bei Ultimate auch einmal in Aktion versuchten möchte, dem sei das wöchentliche Training, jeden Donnerstag von 20 bis 22 Uhr, in der Halle Horn nahe der Grazer Straße empfohlen. Wer zum Spielen selbst nicht zu begeistern ist, den Jungs und Mädels aber trotzdem gern einmal beim Spiel zuschauen möchte, dem lege ich sehr den „Mudders Cup 2012“ am 14. und am 15. Januar des kommenden Jahres ans Herz. Zumindest einmal sollte jeder dieses Spiel gesehen haben. Text: Björn Knutzen Foto: Stefanie Schön

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Bremen

Verzwickte WG-Suche

Mit viel Ausdauer im Gepäck auf der Suche nach einer WG

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ist du die Mitbewohnerin, die in die Wohlfühl-WG in Auf wg-gesucht.de und studentenwg.de hat er Anzeigen durchsuper Lage passt? Und du der Öko-Student für die WG forstet und WGs kontaktiert - geantwortet haben aber die Weauf dem Land? Oder doch eher Tanzbär und Schnapsnigsten. „Mein eigenes WG-Gesuch lief gar nicht“, resigniert drossel für die Party-WG in der City? Wohngemeinschaften sind Björn. Vor ein paar Tagen hat er dann das Schwarze Brett im äußerst vielfältig und vielleicht genau deshalb so beliebt unter Eingangsbereich des Studentenwerks Bremen entdeckt. Er hat Studenten. Die Wohnungsangebote und -gesuche sind zahlreich Block und Stift gezückt und seinen eigenen Zettel zu all den und finden sich in Zeitungen, im Netz und natürlich auch auf anderen bunten WG-Gesuchen und -angeboten gehängt. Eine dem Campus an den Schwarzen Brettern. Es wird fast alles angespontane Idee, die ihm leider nicht mehr als unser Gespräch und boten: von der alt eingesessenen WG bis hin zur Neugründung, einen Kaffee eingebracht hat. „Also wenn man Kontakte hat, ist mit zwei oder auch acht Mitbewohnern, in der Stadtmitte oder das immer top“, meint Björn, obwohl ihm seine beiden Bremer auf dem Land, zur Zwischenmiete oder für immer. Trotz oder Freunde nicht helfen konnten. Die befinden sich nämlich geragerade wegen der großen Auswahl ist de im Ausland. es kurz vor dem Wintersemester besonders schwierig, eine neue Bleibe Während seiner WG-Suche traf Björn „Es gibt Studierende, die wünschen sich zu finden, in der man sich wohlfühlt. auch auf Barbara Ferber, die in der Um herauszufinden, wo und wie man Zimmervermittlung des Studentendann das Penthouse in der City, mögam Besten sucht und ob es Tricks gibt, werkes arbeitet. Die Zimmervermittlichst für 90 Euro Inklusivmiete. Das ist haben wir mit Menschen gesprochen, lung ist ein kostenloser Service des etwas, was kein Mensch erfüllen kann“ die eine WG suchen oder WohnungsStudentenwerks Bremen. Zum Zeitsuchende unterstützen. punkt der Anfrage lagen ihr allerdings keine offenen Angebote vor, weder in In einem Café an der Schlachte treffen einer der Wohnanlagen, die durch das wir uns mit Björn. Der 23-jährige Flensburger, der im NachStudentenwerk verwaltet werden, noch von privater Seite. Letzrückverfahren für das Lehramtsstudium Englisch und Erdkunde tere erhält Ferber meist telefonisch oder per Mail. „Die Zahl zugelassen wurde, gehört zu den rund 5.500 Studienanfängern der privaten Angebote hat aber abgenommen“, sagt Ferber, und an der Universität Bremen. Seit drei Wochen sucht er schon ein diejenigen, die es noch gibt, seien teurer geworden. Wir sitzen Zimmer und hat gleich noch einen Termin in einer WG in der an einer gelben Theke vor ihrem Büro. Von Zeit zu Zeit tauchen Neustadt. „Wenn das keine Zweck-WG ist und das Bauchgefühl Wohnungssuchende auf und verschwinden in einem der Büros stimmt, dann würd ich da einziehen“, sagt er. Björn findet das oder suchen den direkten Weg zur Wohnraumverwaltung. FerMiteinander in einer WG besonders wichtig. „Außerdem muss ber unterhält sich kurz mit ein paar ausländischen Studierenden die Stadtmitte relativ schnell erreichbar sein und auch die Uni, und gibt ihnen einen Termin für die Sprechstunde am nächsten das ist schon wichtig“, erzählt er. Tag. Sie sagt, dass am Anfang einer Zimmervermittlung immer

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Bremen

das Gespräch stehe, egal ob per Telefon oder in der Sprechstunde. Denn oft wissen die jungen Leute gar nicht, was genau sie suchen. „Es gibt Studierende, die wünschen sich dann das Penthouse in der City, möglichst für 90 Euro Inklusivmiete. Das ist etwas, was kein Mensch erfüllen kann“, erzählt Ferber lachend. Wenn dann klar ist, was genau gesucht wird, kann Ferber den Kontakt mit den Vermietern vermitteln oder die Unterlagen für ein Zimmer in einem Studentenwohnheim versenden. Wo die Studierenden wohnen wollen, ist unterschiedlich. Besonders beliebt seien laut einer Studie das Viertel, Peterswerder, die Neustadt, Findorff und Schwachhausen, berichtet Ferber. Erst neulich wollte eine Austauschstudentin aus Stockholm ein Zim-

mit Sitzecke und einen Gemeinschaftsbereich mit Couch“, sagt Ilse Wohlers, die diese Wohnanlage im Studentenwerk Bremen verwaltet. Bis zu acht Studierende wohnen in einer WG. „In dem Gemeinschaftsbereich können sich dann alle treffen, zusammen fernsehen und feiern“, erzählt Wohlers. Den Studierenden scheint es hier gut zu gefallen, denn Wohlers berichtet von nur wenigen vorzeitigen Kündigungen. Die Wohnzeit in den Wohnanlagen ist auf insgesamt fünf Jahre begrenzt. Sollte das Studium länger dauern, kann man einen Antrag auf Verlängerung stellen. Gerade bearbeitet Wohlers die Kündigung einer Studentin, die in einer Vierer-WG wohnt. Normalerweise würde Wohlers das Angebot nun auf der Internetseite des Studentenwerkes veröffentlichen, doch die WG hat die Suche bereits selbst in die Hand genommen. Das komme öfter vor und stelle kein Problem dar, sagt sie. Auf das von der WG online veröffentlichte Angebot haben sich innerhalb von zwei Tagen 90 Interessenten gemeldet. 89 der 90 Bewerber werden weitersuchen müssen. Dabei sollten sie sich bewusst machen, was genau sie suchen. Heutige WGs bestehen meist aus drei bis vier Bewohnern und ähneln einer Familie, sagt Ferber. Das sei kein Ort für Menschen mit einem starken Bedürfnis nach Ruhe.

Björn suchte unbeiirt nach einer passenden WG.

mer direkt im Viertel haben. Das sei gar nicht so einfach, meint Ferber, denn die Gegend sei äußerst begehrt. „Das hat nun einmal viel K und K, Kultur und Kneipe, und das ist ein großer Anziehungspunkt“, sagt sie. Ein studentischer Anziehungspunkt anderer Art ist die Wohnanlage Vorstraße. Sie ist nicht nur wegen ihrer Nähe zur Uni bliebt, sondern vor allem wegen der Wohngemeinschaften. „Jeder hat sein eigenes Zimmer, es gibt eine verhältnismäßig große Küche

Ob nun WG oder eigene Wohnung, Wohlers rät dazu, die Suche auf jeden Fall selbst in die Hand zu nehmen. Mittlerweile scheine dies nämlich keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein, sagt sie. Denn immer mehr Eltern kümmern sich um die Bleibe ihrer Kinder. Doch egal, ob nun Mama und Papa suchen oder man selbst sich durch die WG-Anzeigen kämpft, wichtig ist es, sich die WG selbst anzuschauen und die zukünftigen Mitbewohner kennenzulernen. Genau das hat Björn immer wieder getan. „Ich erwarte kein fünf Sterne Hotel, aber der Wohlfühl-Charakter muss schon da sein“, sagt er. Mit der WG in der Neustadt hat es leider nicht geklappt. Durch eine selbst geschaltete Wohnungsanzeige in einer Tageszeitung hat er eine Bleibe im Viertel angeboten bekommen. Ob er hier auf Dauer wohnen bleibt, weiß er noch nicht. Für den Moment passt es – jetzt heißt es erstmal zurücklehnen und das eigene Dach über dem Kopf genießen.

Text: Jan-Philipp Goslar, Michaela Meyer Foto: Jan-Philipp Goslar

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Bremen für Studenten In dieser Rubrik stellt der Scheinwerfer studentische Besonderheiten und sehenswerte Gegenden der Bremer Stadtteile vor. Originalfoto: Gero Brandenburg

Vegesack: frische Brise aus dem Norden

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enn man an Vegesack denkt, dann denkt man zunächst an einen Stadtteil weit entfernt vom Ort des Geschehens – der Bremer Innenstadt. In der Tat befindet sich Vegesack circa 20 Kilometer im Nordwesten der Bremer Mitte, was aber nicht bedeutet, dass hier nichts los ist. Der politische und geographische Stadtbezirk Bremen-Nord umfasst etwa 100.000 Einwohner, wovon Vegesack das gesellschaftliche Zentrum bildet. Mit dem Vegesacker Hafen, direkt an der Mündung der Lesum in die Weser, entsteht ein besonders maritimes Flair, das einen Besuch in diesem Stadtteil lohnenswert macht.

geht es weiter zu den zahlreichen Shops. Die Zeit sollte allerdings nicht vergessen werden. Wir leben hier zwar nicht mehr in der Steinzeit, doch haben nur wenig Geschäfte länger als 18 Uhr auf. Wen auch zu späterer Stunde der Hunger oder der akute Kaufrausch überkommt, der ist im Shoppingcenter Haven Höövt bis 22 Uhr richtig aufgehoben. Es befindet sich direkt am Bahnhof Vegesack – von da aus fahren auch Züge zum Bremer Hauptbahnhof. Neben shoppen in Klamotten- oder Buchläden kann man in dem Einkaufszentrum auch Eis essen, zum Asiaten gehen oder, wenn es etwas deftiger sein soll, Burger verspeisen.

Ich selbst lebe schon mein Leben lang im Ortsteil AumundHammersbeck, welcher den Charakter eines ruhigen Wohngebiets aufweist. Ein paar Restaurants und das Angelzentrum bilden den Mittelpunkt des öffentlichen Lebens. Jedoch ist mir auch der Ortsteil Vegesack, der sich davon stark unterscheidet, wohl vertraut, da ich mit Bus oder Zug in wenigen Minuten dort bin. Wenn ihr jedoch aus den zentralen Bremer Stadtvierteln in Vegesack anreist, solltet ihr doch etwas mehr Zeit im Gepäck haben. In Vegesack angekommen, könnt ihr zunächst die 1,6 Kilometer lange Fußgängerzone mit ihren diversen Geschäften, Eisdielen und Imbissen entlang schlendern. Vorbei am Sedanplatz, wo der Wochenmarkt mit frischen Blumen und Lebensmitteln lockt,

Auch Lebensmittelläden, damit die Studenten außerhalb der Mensa nicht verhungern müssen, sind genügend vorhanden. Außerdem bietet das Haven Höövt, weswegen es auch den Titel Erlebniscenter trägt, das ganze Jahr hindurch verschiedene Ausstellungen und Veranstaltungen. So beherbergt es mal Reptilien aller Art zum Anschauen und sogar Streicheln, außerdem können auf einer Motorradausstellung Bikes bewundert werden, zum Winzerfest wird Wein verkostet und zur Adventszeit befindet sich ein Weihnachtsmarkt im Innen- und Außenbereich. Direkt hinter dem Haven Höövt, an der Mündung der Lesum in die Weser, liegt seit 1996 das Schulschiff Deutschland vor Anker, was vor über hundert Jahren, und gelegentlich heute noch, als Ausbildungsstätte des seemännischen Nachwuchses

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der Handelsschifffahrt genutzt wird. Das über 80 Meter lange, dreimastige Segelschiff kann man dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr und am Wochenende eine Stunde länger besichtigen. Gleich danach beginnt die zwei Kilometer lange Weserpromenade des Stadtteils. Sie ist ein beliebter Ort für Veranstaltungen wie das Hafenfest, das Vegefest und das Festival Maritim, wo man bis in die Nacht feiern, trinken und essen kann. Außerdem findet dort der Floh- und Loggermarkt statt, den wir gleich zwei Mal im Jahr begrüßen dürfen. Dieser lockt mit Schmuckständen, Süßigkeiten, Obst, Fisch, aber auch Wurst- oder Eisbuden. Auch das Open-Air Kino, das einmal im Jahr an der Promenade aufgebaut wird und beliebte Filme zeigt, zieht viele Zuschauer an. Ebenfalls sehenswert ist das Spicarium: ein Hafenspeicher, der eine Ausstellung über Schiffsbau und Schifffahrt, Marine Bionik sowie Yachtdesign zeigt. Weiter die Weserpromenade runter kommt der Besucher am Museumshaven (man bemerke das für Vegesack typische „V“) vorbei. Vom Steg aus können dort die verschiedensten Boote angeschaut und auf Anfrage auch eine Tour auf ihnen gemacht werden. Über die Fußgängerklappbrücke geht es an einer Reihe von Gaststätten vorbei zur Fähranlage. Gleich daneben ist das Hotel „Strandlust“, von dessen Außenbereich der Besucher eine tolle Aussicht über die Weser und den benachbarten, niedersächsischen Ort Lemwerder genießen kann. Am Ende der Flaniermeile ist das Schaufenster Bootsbau. Dort können Gäste einen Einblick in das traditionsreiche Handwerk rund um den Bootsbau erhalten, während sie die Handwerker beim Arbeiten beobachten. Ans westliche Ende von Vegesack grenzt der Ortsteil Fähr-Lobbendorf. Dort befindet sich der Wätjens Park, der sich bestens zum Entspannen nach einem ereignisreichen Tag in der Uni eignet. Sehr empfehlenswert in dieser Gegend ist das Restaurant „Mona Lisa“, das dienstags bis samstags ab 17.30 Uhr und sonntags ab 12 Uhr geöffnet hat und internationale Leckereien bietet. In entgegengesetzter Richtung, im Osten von Vegesack, ist das Museum „Schloss Schönebeck“. Das im 17. Jahrhundert erbaute herrschaftliche Fachwerkhaus ist der einzige erhaltene ehemalige Adelssitz in Bremen. Dort kann der Besucher Wohnräume aus der damaligen Zeit bestaunen und einen Eindruck vom Alltag

und Familienleben gewinnen. Im Obergeschoss werden Informationen zu Schifffahrt, Handel und dem Bootsbauhandwerk ausgestellt. Außerdem gibt es immer wieder Sonderveranstaltungen zu unterschiedlichen Themen. Um die touristisch angehauchten Attraktionen hinter sich zu lassen, ist man im KITO, benannt nach der ehemaligen Verpackungsfirma Kistentodrichtig, richtig aufgehoben. Es beherbergt heute ein Kultur- und Veranstaltungszentrum. Besucher können dort Musik aller Stilrichtungen, von Folk bis hin zu Klassik, genießen. Neben Kabarett- und Comedy-Abenden werden auch Lesungen, Diskussionen oder Vorträge angeboten. Der Kulturbahnhof Vegesack – auch KUBA genannt – ist eines der Markenzeichen Bremens und sicher auch den Städtern bekannt. Dort locken zu studentenfreundlichen Preisen interessante künstlerische Theaterproduktionen, Ausstellungen und Konzerte. Der Veranstaltungsraum lässt sich einfach verändern und sieht jedes Mal anders aus. Im Bürgerhaus treffen sich täglich Gruppen und Projekte unterschiedlichster Art wie das Statt-Theater oder die Video-Werkstatt, Initiativen (Volkshochschule Bremen-Nord), Theater- und Musikgruppen. Direkt am Bahnhof und somit bequem mit Bus oder Zug aus Bremen Stadt zu erreichen, liegt die Live-Kneipe „Muddy“. Jeden Freitag finden dort Live-Events statt und Musik kann hautnah erlebt werden. Auch für die eigene Band bietet der Laden ein gutes Sprungbrett, da dort die Chance besteht, aufzutreten. Nahe dem Aumunder Marktplatz fällt die grün gestrichene Musik-Kneipe „Pinökel“ gleich ins Auge. Jeden dritten Samstag im Monat lockt sie mit den „Havana Happy Days“ – Havana Club mit Cola gibt es dann schon für 2,50 Euro. Man muss also feststellen, dass Vegesack sehenswert und lebendig ist. Für mich ist Vegesack immer noch ein schöner Ort zum Leben, und allen, die das immer noch nicht glauben können, kann ich wärmstens empfehlen, sich hier mal eine frische Brise abzuholen.

Text: Nadine Döring Foto: Nadine Döring

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Bremen

Kontrollbesuch Kunsthalle: Alles neu? Über zwei Jahre wurde die Kunsthalle Bremen umgebaut und modernisiert - nun öffnet sie wieder ihre Pforten. Der Scheinwerfer hat ihr einen Besuch abgestattet und wurde überrascht.

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und 2.200 Namen leuchten jeden Abend abwechselnd bei Anbruch der Dunkelheit an der Fassade der Bremer Kunsthalle - das sind die Namen der Mitglieder des Kunstvereins in Bremen. Die Leuchtschrift ist aber nur eine der vielen Änderungen seit der Neueröffnung. Das Gebäude der Kunsthalle selbst ist alt – 1849 im Auftrag des Kunstvereins in Bremen erbaut – die angebauten Seitenflügel aber sind neu. Das Berliner Architektenbüro Hufnagel Pütz Rafelian gewann 2005 mit seinem Entwurf die öffentliche Ausschreibung für die Neugestaltung der Kunsthalle und überzeugte, indem es das Augenmerk vor allem auf den historischen Aufbau des Gebäudes legte. So war das oberste Ziel des Entwurfes, die alte Symmetrie des Gebäudes zu erhalten. Das spiegelt sich in den neu errichteten Flügelbauten wieder, die nahtlos an das alte Hauptgebäude angefügt wurden. Im Inneren bemerkt man den Übergang von Hauptgebäude zu Nebenflügel oft nur durch die wechselnde Bodenfarbe, krasse Gegensätze zwischen altem und neuem Teil der Kunsthalle sucht man vergebens. Dieser erstaunlich einheitliche Eindruck wurde allerdings nur durch erhebliche Umbaumaßnahmen im Inneren erreicht. So wurden beispielsweise die Treppen aus der Eingangshalle in die Seitenflügel verlegt, die dunklen schweren Holzböden neu aufgearbeitet oder komplett durch neue, hellere ersetzt. Die Beleuchtung wurde vollständig überarbeitet und taucht jetzt, durch nahezu unsichtbare Licht-

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quellen, die Haupträume in gedämpftes indirektes Licht. Neben diesen Neuerungen kamen auch 4.000 Quadratmeter Fläche hinzu. Dort befinden sich nicht nur die Ausstellungsflächen, sondern auch Werkstätten, Depots und Archive, die teils im Keller, teils in anderen unzugänglichen Teilen des Gebäudes untergebracht sind. Die Kunsthalle hat sich also nicht nur optisch herausgeputzt, sondern erfüllt auch die technischen Anforderungen eines modernen Museums, zu denen neben modernen Restaurationswerkstätten und Archiven auch ein neues Klimaund Sicherheitssystem zählt. 30 Millionen Euro sollte die Renovierung kosten, die tatsächlichen Ausgaben liegen jedoch höher. Die genaue Summe steht aber noch nicht fest. Bei unserem Besuch der Kunsthalle sind die Räume gut gefüllt, obwohl es unter der Woche und kurz vor Schließung um 18 Uhr ist. Ob das an der Neueröffnung selbst oder an der Sonderausstellung zu Edvard Munch liegt, wird sich in den folgenden Wochen und Monaten zeigen, wenn die Kunsthalle Bremen zu ihrem regulären Betrieb zurückkehrt. Eines dürfte jedoch jetzt schon klar sein: Das neue Gesicht der Kunsthalle kommt beim Publikum gut an. Phillip Junkers, Soziologiestudent im fünften Semester, sagt: „Ich bin echt positiv überrascht. Vor der Neueröffnung kam die Kunsthalle eher etwas altbacken daher, alles war so dunkel und man hat jeder Ecke angemerkt, dass die Räume hier schon einige Besucher gesehen haben. Jetzt ist hier aber


Bremen wieder alles voller Leben, die ganzen Leute, ihre ruhigen Bewegungen und das leise Gemurmel, das alles gibt in Verbindung mit der neuen Beleuchtung eine besondere Stimmung. Früher bin ich nur selten hier gewesen, aber ich glaube, jetzt werde ich mir hier öfter mal eine Ausstellung ansehen.“ Helle Holztöne, zurückhaltendes Grau und indirektes Licht bestimmen das Bild der neuen Kunsthalle. Die Wände, Träger und Säulen sind teilweise unverputzt und bilden mit ihrer Betonoptik einen Kontrast zu den Böden. Im Erdgeschoss kann man sich in einem Raum noch einmal zusammensetzen und über die Ausstellung diskutieren oder sich Beiträge verschiedener Radiosender zur Ausstellung anhören, die noch einmal zusätzliche Hintergrundinformationen liefern. Eine nette Idee: An einem Automaten im Erdgeschoss können wir kostenlos unsere eigene Fotopostkarte erstellen und damit Grüße direkt aus der Kunsthalle verschicken. Uns begeistert in der neuen Kunsthalle vor allem die architektonisch interessante Installation „between – above - below“ von James Turrell, die mit ihrem Farb- und Lichtspiel über ovale Durchbrüche die drei Ebenen der Kunsthalle verbindet. Im Erdgeschoss ist in den Boden ein leuchtender Sternenhimmel eingelassen, der durch die verglasten Durchbrüche aus den oberen Stockwerken betrachtet werden kann und durch geschickte Beleuchtung jedes Mal eine andere Stimmung erzeugt. Weitere Höhepunkte bilden für uns das Kupferstichkabinett und die neue, interaktive Installation „A hole in the wall“ / „Mein Gedächtnis“, in der jeder Besucher einen Zettel oder einen kleinen Gegenstand für die Nachwelt hinterlassen kann. Weitere neue Installationen sind im obersten Geschoss der Kunsthalle untergebracht.

Doch natürlich begeistern auch weiterhin die Klassiker wie Picasso, Renoir oder Pike. Mit 230 anderen Meisterwerken wurden sie als „Noble Gäste“ an verschiedene Kunstmuseen in Deutschland verliehen – darunter an die Kunsthalle Hamburg, das Kunstmuseum Bonn und das Staatsgalerie Stuttgart. Damit hatten Menschen in 18 verschiedenen Städten Deutschlands die Möglichkeit, sich an den Meisterwerken zu erfreuen und wie nebenbei wurde auch für die Neueröffnung der Kunsthalle Bremen geworben. Dabei wurde natürlich nicht die gesamte Sammlung verliehen, sondern nur die bekanntesten Stücke. Der größte Teil der Werke wurde an geheimen Orten bis zur Wiedereröffnung eingelagert. Im Moment ist der ermäßigte Eintrittspreis für die Kunsthalle mit neun Euro nicht gerade wenig für den studentischen Geldbeutel, spätestens aber mit dem Ende der Sonderausstellung zu Edvard Munch wird sich jeder den Eintritt leisten können: Drei Euro nach Vorlage des Studentenausweises. Bis dahin werden auch jetzt noch nicht zugängliche Bereiche der Kunsthalle endgültig geöffnet sein, in denen momentan die letzten Werke aufgehängt und beschriftet werden. Kurzum hat die neu eröffnete Kunsthalle Einiges zu bieten und ist einen Besuch auf jeden Fall wert. Wer sich dabei aber nicht brennend für Edvard Munch interessiert, kann mit einem Besuch ruhig bis zum Ende der Sonderausstellung am 26. Februar warten, um beim Eintritt ein wenig Geld zu sparen. Die an sich breit gefächerte und spannende Bremer Sammlung bleibt uns zum Glück auch darüber hinaus noch erhalten. Text: Marina Pavic, Jan-Hagen Rath Foto: Kunsthalle Bremen, Stefan Müller

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Bremen

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durch Bremer Cocktailbars Der Scheinwerfer präsentiert Alternativen zum dunklen Winter im eigenen Wohnzimmer.

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ie letzten warmen Tage sind endgültig vorüber, aber es gibt noch eine Möglichkeit, sich ein kleines Stück Sommer zu bewahren: Cocktailabende in einer der vielen, gemütlichen Bremer Bars. Kühle Drinks, liebevoll dekoriert mit frischem Obst und bunten Schirmchen, lassen das nass-graue Wetter im Dezember gleich ein bisschen weniger trist erscheinen. Jeder weiß,

dass wir Studenten oft knapp bei Kasse sind – da kommen die vielen Happy-Hour-Angebote gerade recht. Doch was taugen sie? Damit ihr es bei der Abendplanung etwas leichter habt, hat der Scheinwerfer in den vergangenen Wochen einige Bars für euch getestet.

Die Rosso Bar Klein aber fein – die Rosso Bar in der Hillmannpassage gibt es erst seit Mai 2010. Um sich von den anderen Bars abzugrenzen, hat sich Betreiber Angelo Dito einiges einfallen lassen. So bietet er zum Beispiel eine Auswahl an Cocktails mit dem neuen, auf Basis der Açaí-Beere hergestellten, Energiedrink „Schwarze Dose 28“ an. Eine Alternative für alle, die kein Red Bull mögen, sich ihre Partynächte aber trotzdem nicht durch Müdigkeit ruinieren lassen wollen. Jeden Tag gibt es von 20:00 bis 0:00 Uhr alle Cocktails für nur vier Euro, aber auch die normalen Preise sind durchaus bezahlbar. Insbesondere wenn man bedenkt, dass die Rosso Bar eine Auswahl an Mixgetränken bietet, die ihr wohl so auf keiner anderen Karte findet. „Viele der Cocktails sind Eigenkreationen“, sagt Dito. „Besonders beliebt sind der Sommernachtstraum und der Emergency Rum.“ Bei Letzterem handelt es sich um einen fruchtigen Mix aus Rum, Cranberry- und O-Saft, sowie einem Schuss Erdbeersirup. Auch um die angebotenen Shooter kommt ihr auf keinen Fall herum, wenn ihr mal etwas Außergewöhnliches probieren wollt. Das „Jägerlein“ zum Beispiel war mir völlig unbekannt. Was drin ist? Das müsst ihr schon selbst herausfinden. Die Rosso Bar ist montags bis samstags von 18:00 bis 10:00 Uhr morgens für euch geöffnet. Also die Lösung für alle, die immer noch nicht genug haben, wenn im Club schon die Lichter angehen.

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Rosso Bar Am Hillmannplatz 20, 28195 Bremen


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Die Capri Bar

Capri Bar Fehrfeld 35, 28203 Bremen

Allen, die eher auf Rockmusik stehen und ihre Getränke in einer etwas rustikaleren Atmosphäre genießen wollen, lege ich die Capri Bar im Bremer Viertel ans Herz. Jeden Tag gibt es hier von 20:00 bis 21:00 Uhr zwei Cocktails zum Preis von einem. Aber macht euch keine Sorgen, auch wenn ihr die Happy Hour verpasst, habt ihr hier die Chance, den ganzen Abend über Long Island Ice Tea für nur fünf Euro zu genießen. Sabrina und Christian aus Bremen bezeichnen sich selbst als erfahrene „HappyHour-Hopper“. Die beiden sind Stammgäste. Sabrina sagt: „Das Personal ist nett, die Location hat Stil und alle Cocktails schmecken einfach lecker.“ In der Bar am Bermuda-Dreieck herrscht kein Rauchverbot – für die Raucher unter euch also ein weiterer Grund, einmal vorbeizuschauen. Interessant ist die Geschichte der Bar. 1986 eröffnet, hatte sie nämlich bis in die 90er Jahre eine völlig andere Funktion und Frauen hatten – zumindest als Gäste – keinen Zutritt. Ihr ahnt richtig, bei der Capri Bar handelte es sich einst um ein Bordell. „Hier, wo ihr grade sitzt, waren früher die Séparées“, sagt Barkeeperin Svetlana. Und auch die tiefe, gewölbte Decke, die dem Besucher das Gefühl gibt, sich in einer engen Höhle zu befinden, stammt noch aus eben diesen Zeiten. Wer meint, auch ohne Vitamin C in seinem Cocktail auszukommen, sollte den Pimm‘s Cup probieren - verfeinert wird dieser mit Gurke!

Das Studio

Studio Auf den Häfen 12-15, 28203 Bremen

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azit: Egal ob fruchtig, spritzig oder cremig, die Bremer Betreiber haben sich ins Zeug gelegt, um das Herz jedes Cocktail-Fans ein wenig höher schlagen zu lassen. Also schmeißt die Bücher ruhig mal für einen Abend in die Ecke, schnappt euch eure Freunde und genießt die schöne Seite des Studentenlebens!

Wer es etwas gehobener mag, sollte seine Abende und Nächte im Studio auf den Höfen verbringen. Im schicken 70er-Jahre Retro- Design, habt ihr hier sogar zwei Mal am Abend die Chance, einen günstigen Cocktail zu ergattern. Sowohl von 19:00 bis 21:00 Uhr (jeder Cocktail vier Euro) als auch von 0:00 bis 1:00 Uhr (jeder Cocktail fünf Euro), gibt es im Studio eine Happy Hour. Die Gäste und die Mitarbeiter empfehlen besonders den Sleeping Beauty, eine fruchtige Mischung aus Rum und diversen Säften mit Vanille- und Karamellaroma. Jeden Donnerstag bekommt ihr die Mischgetränke sogar schon ab 23:30 Uhr günstiger, denn dann heißt es „Studiolicious“, die Studentenparty für alle Liebhaber guter Ibiza Chill Out und Deep House Tracks, die nicht nur ihre Drinks, sondern auch gute Musik genießen wollen. Der bekannte Bremer DJ Frank Krämer – der auch bei den meisten Uni-Nächten in der Mensa für die richtige Stimmung zuständig ist – sorgt hier dafür, dass aus einem gemütlichen Cocktailabend schnell eine durchtanzte Nacht wird. Einen Überblick über alle Happy Hours in Bremen findet ihr auf der Seite http://bremen.happyhourplaner.com. Text: Alexandra Knief Foto: Jeannette Hausmann

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Bremen

Bremen - eine Stadt mit viel Herz

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remen ist, wie viele so schön sagen, ein Dorf mit Straßenbahn. Das Dorffeeling kommt dadurch zustande, dass man das Gefühl hat, jeder kennt jeden. Es ist jedoch ein überdimensionales Dorf - die Stadt hat über eine halbe Million Einwohner, ein ausgebautes öffentliches Nahverkehrsnetz und zahlreiche kulturelle Veranstaltungen. Hat man nach einer Party jedoch die Bahn verpasst, kann man fast immer nach Hause laufen. Wie in einem Dorf eben. Und erst das Wahrzeichen der Stadt - vier Bauernhoftiere, die in Bronze gegossen und viel zu klein geraten sind. Der Esel ist das Fundament der Bremer Stadtmusikanten, was sich auch in der Stadt bemerkbar macht, denn der Drahtesel ist das A und O der Bremer. Nicht weniger typisch als die zahlreichen Fahrräder ist das fröhlich gerufene „Moin“ an allen Ecken zu jeder Tag- und Nachtzeit. Unsere Stadt hat auch einige Eigentümlichkeiten – die Eiswette ist nur eine davon. Obwohl die Weser seit Jahrzehnten nicht mehr eingefroren ist, wird jedes Jahr ein Spektakel daraus gemacht, ob sie nun zugefroren sei oder nicht. Eine Weitere ist das Bremer Sechs-Tage-Rennen: Es ist immer wieder spannend zu beobachten, wie viele Leute sich dafür begeistern, wenn Menschen sechs Tage am Stück mit dem Fahrrad im Kreis fahren. Noch weitaus quirliger wird es im Sommer auf dem alljährlichen „Viertelfest“. Das Viertel, der Stadtteil, der sich wohl am stärksten von der Bremer Dorfatmosphäre unterscheidet, wird hier

jeden Sommer für drei Tage zur pulsierenden Kulturmeile. Um noch einen draufzusetzen, darf die „Breminale“, das Open-Air Kulturfestival am Osterdeich mit jährlich rund 150.000 Besuchern, nicht unerwähnt bleiben. Bremens Farben sind eigentlich grün und rot. Grün nicht nur wegen Werder und Bremens bekanntestem Bier, sondern auch durch die vielen Parks. Schon aus der Vogelperspektive sind die zahlreichen Grünflächen der Hansestadt zu sehen. Die zwei größten Parks sind der Bürgerpark und der Rhododendronpark. Die Windmühle inmitten der Wallanlagen ist das grüne Herz und Werder Bremen ist die Lunge. Bremen ist also eine sportliche Stadt und kann dadurch ab und zu ein paar rote Wangen bekommen. Rot ist auch Bremens Stadtwappen und nicht nur das, sondern auch die Regierung, die quasi noch nie eine andere politische Farbe annehmen wollte. Deutschlands kleinstes Bundesland hat zwar wenig, womit man gegenüber Auswärtigen prahlen oder angeben kann. Aber trotzdem oder gerade deswegen mögen wir unsere Hansestadt mit all ihren charakteristischen Eigentümlichkeiten. Bremen ist eine Stadt mit Herz, Seele und Verstand, denn man hat das Gefühl, dass sich die Menschen hier wohlfühlen. Willkommen also, liebe Neubremer! Text: Farnaz Khoosrozadeh

Überhört In Bus und Bahn sind kuriose und lustige Gespräche oder Situationen zu überhören. Oft kann man gar nicht anders, als amüsiert zu lauschen. Hier möchten wir euch ein paar Kostproben von dem geben, was wir täglich „überhören“ müssen - in Bremen und unterwegs in den Semesterferien durch die Republik. Im Zug nach Bremen: Nach einer falschen Halteankündigung: „Unser Fahrgastinformationssystem hat soeben ein gewisses Eigenleben entwickelt, das bitten wir zu entschuldigen!“ Vom rechten Wege abgekommen: Die Regionalbahn von Garmisch-Partenkirchen nach München Hauptbahnhof verkehrt mehr als 20 Mal täglich. Doch an einem idyllischen Sommertag im tiefsten Südbayern verlief dabei nicht alles planmäßig. Nachdem der Zug die bayerische Landeshauptstadt erreicht hat und es nur noch fünf Minuten zum Hauptbahnhof wären, fangen die Passagiere an, sich zu wundern. Als der Zug allmählich zum Stehen kommt, erschallt die lang erwartete Durchsage für die Fahrgäste: „Meine sehr verehrten Fahrgäste, wir bitten um Entschuldigung, unser Zug hat sich verfahren. Wir befinden uns derzeit auf einem Gleis des stillgelegten Münchner Südbahnhofes. Der Lokführer wird nun zum anderen Ende des Zuges laufen und tritt die Fahrt zurück zum 40

Münchner Hauptbahnhof an. Voraussichtliche Ankunftszeit am Hauptbahnhof ist... Wie spät haben wir‘s überhaupt?“ Bus, Linie 25: Zwei Vorschulkinder sitzen sich gegenüber. „Außer durch den Mund – wie kann man sonst noch atmen?“, fragt der kleine Junge. Das Mädchen überlegt und kommt zu dem Entschluss, dass es keine Alternative gibt. „Durch die Nase!“ - „Nee, das glaub ich nicht.“ Das lässt der Knirps nicht auf sich sitzen und beschließt, seine Theorie wissenschaftlich mit Hilfe einer Plastiktüte zu untermauern. „Guck mal, ich kann die Tüte mit dem Mund aufpusten. Da ist jetzt Luft drin. Und ich kann die auch mit der Nase aufpusten.“ Gesagt, getan. Nach einigen Sekunden anstrengendem Ausatmen in die Tüte: „Siehst du, da ist jetzt auch Luft drin.“ Text: Olga Galashevich, Lukas Niggel Foto: Michal Marcol

Hast auch du in letzter Zeit etwas Lustiges überhört? Dann schreib uns: scheinwerfer@uni-bremen.de.


Kolumne

Feuilleton

Willkommen an der Uni!

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ie Tage werden kürzer, die Nächte länger. Dies ist nicht nur ein Anzeichen für den kommenden Winter, auch das Studentenleben hat wieder begonnen und in diesem Jahr in ganz besonders großem Ausmaß! 5.500 neue Studenten wollen ab sofort in die Mensa, in die „Bib“, und, du meine Güte, mit der Straßenbahn fahren. Um einen Sitzplatz, zumindest auf dem Fahrradsattel zu ergattern, muss ich zu besonderen Maßnahmen greifen: Reifen aufpumpen, Regenjacke rausholen und los geht‘s mit dem Rad zur Uni. Zum Glück ist es nicht weit. Aber schnell wird mir klar, dass die Fahrradständer bei weitem nicht ausreichen: Wohin nun mit meinem Drahtesel? Ob er Unterschlupf an der Keksdose findet? Fehlanzeige, alles voll! Und mit reinnehmen scheidet aus, hinterher wird das Rad noch abgeschleppt wegen Falschparkens. Mittags sind vom großen Andrang in der Bibliothek die Plastikkörbe ausgegangen, aber eigene Taschen müssen draußen auf ihre Besitzer warten, so ist es verordnet. Also erstmal in die Mensa, nach dem Essen wird es schon leerer sein. Nach dem endlosen Anstehen meiner Freunde bei Essen I und meiner inzwischen kalten Ofenkartoffel (die Beilagen gehen eben schneller!) findet sich doch noch

ein nettes Plätzchen zum Speisen. Ich danke der Verwaltung, oder wem auch immer, dass hier nicht das Gebot gilt, für Ältere Platz zu machen, dann würde ich wahrscheinlich noch zum jungen Gemüse zählen und hätte schlechte Karten. Draußen, vom eisigen Wind auf dem Boulevard empfangen, beeile ich mich, zur Haltestelle zu kommen. Die Bücher aus der Bibliothek sind schon vergessen. Die Bahn kommt auch gerade, oh, „Entschuldigung!“, man muss ja nicht gleich schubsen. Einen Haltegriff zu fassen bekommend denke ich: „Moment, bin ich nicht mit dem Fahrrad gekommen?“, doch da fährt die Bahn auch schon los. Das alles sind nervenaufreibende Vorstellungen eines Studentenalltages, doch wir können euch beruhigen: Die meisten Tage an der Universität verlaufen weitaus angenehmer und man kann die Bremer Uni trotz oder gerade wegen so manchem Chaos lieben lernen. In diesem Sinne: Herzlich willkommen allen „Erstis“ an der Uni Bremen!

Text: Jessica Heidhoff

Kultureinblicke

Munch und das Rätsel hinter der Leinwand

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iesen Sommer eröffnete die Kunsthalle Bremen nach zweijähriger Umbauphase wieder ihre Pforten und zeigt zu diesem Anlass noch bis zum 26. Februar 2012 eine Ausstellung, die für jeden Kunstinteressierten ein absolutes Muss ist. Hinter dem Ausstellungstitel Edvard Munch Rätsel hinter der Leinwand verbirgt sich eine besondere Geschichte. Im Jahr 2005 entdeckten Restauratoren der Kunsthalle Bremen hinter Munchs Gemälde „Das Kind und der Tod“ ein weiteres Ölgemälde, das über hundert Jahre verborgen blieb: „Mädchen und drei Männerköpfe“ zeigt einen Mädchenakt vor drei stilisierten Männerfratzen. Der Fund der Restauratoren der Kunsthalle war eine Sensation, da das Bild über hundert Jahre im Verborgenen geblieben war. Der norwegische Maler und Grafiker Edvard Munch zählt zu den bedeutendsten Wegbereitern des Expressionismus. Er durchlebte eine schwere Kindheit, die durch die Schwermut seines Vaters und vor allem durch den Tod seiner Mutter 1868 und dem seiner fünfzehn Jahre alten Schwester Sophie geprägt war. Aus diesem Grund griff er zu Lebzeiten Themen existentieller Grenzerfahrungen wie Tod, Begierde oder Eifersucht auf. Die Kunsthalle Bremen beleuchtet diese Aspekte. Dabei stehen die eingangs erwähnten Werke im Mittelpunkt der Ausstellung

und werden durch zahlreiche Leihgaben, unter anderem des Munch Museums in Oslo und des Kunstmuseums Bergen, ergänzt. Auf diese Weise fügen sich die beiden Werke, die sich im Besitz der Kunsthalle Bremen befinden, in den Kontext seiner expressionistischen Bildsprache ein. Wer hofft, Munchs bekanntestes Werk „Der Schrei“ sehen zu dürfen, muss enttäuscht werden. 2004 wurde die hell-orange Version des Werkes aus dem Munch Museum gestohlen und dabei so stark beschädigt, dass aufwendige Restaurationsarbeiten nötig waren, um es für Besucher zugänglich zu machen. Bei einem Transport könnte das Werk wieder beschädigt werden. Auch sollten diejenigen unter euch, welche sich für tiefgründige Malerei interessieren, der Kunstsammlung Böttcherstraße ebenfalls einen Besuch abstatten. Dort wird als Pendant zur Munch Ausstellung Oda Krohg präsentiert. Sie ist ebenfalls eine berühmte norwegische Malerin und stand zeitlebens in engem Kontakt mit Munch. „Oda Krohg – Malerin und Muse im Kreis um Edvard Munch“ wird noch bis zum 26. Februar 2012 gezeigt. Nähre Informationen zu beiden Ausstellungen unter: www. kunsthalle-bremen.de und www.pmbm.de. Text: Daniela Yavuzsoy Foto: Karen Blindow

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Feuilleton

Fernweh: Schweden Im Norden Europas überzeugt Schweden sowohl landschaftlich als auch kulturell. Was das Land für Touristen zu bieten hat, fand unsere Autorin auf einer Interrail-Tour quer durchs Land heraus.

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hrlich gesagt, hatten Lena und ich vor Antritt unserer Reise nicht wirklich viel geplant. Direkt nach Semesterende ging es los und während der stressigen Semesterendphase blieb nicht viel Zeit, sich Gedanken über das Reiseprogramm zu machen. Fest stand nur: Erstens: es geht nach Schweden. Zweitens: wir machen eine Interrail-Tour. Drittens: Der Startpunkt ist Stockholm. Da wir nicht nur das schwedische Stadtleben kennen lernen wollten, sondern gewissermaßen auch ein wenig von der ländlichen Astrid-Lindgren-Romantik Schwedens träumten, hatten wir auch einen Zwischenstopp in einem kleinen Dorf am Vänersee eingeplant. 1. Station: Stockholm Zunächst fanden wir uns also eines frühen Morgens im Flugzeug nach Stockholm wieder. Von Bremen aus kommt man mit Ryanair sehr günstig nach Stockholm Skavsta. Wie die meisten Flughäfen, die Ryanair anfliegt, liegt auch dieser etwas außerhalb und wir mussten noch eine circa einstündige Busfahrt bis ins Zentrum einplanen. Stockholm ist auf mehrere Inseln verteilt. Dadurch bekommt die Stadt schon mal ein ganz besonderes Flair, da man eigentlich von überall aus Wasser sieht. Unsere Jugendherberge lag im Stadtteil Södermalm, ein eher junger Stadtteil mit vielen Kneipen und kleinen Geschäften, in denen hübsche selbst gemachte Dinge verkauft werden. In Schweden in Jugendherbergen zu übernachten hat außerdem den Vorteil, dass diese mit einer Küche ausgestattet sind, in der man sich sein Essen selbst zubereiten kann. Das ist besonders praktisch, da Schweden ja bekanntermaßen ein eher teures Pflaster ist. Damit kommen wir auch schon zu einem wichtigen Punkt: Schweden ist teurer als Deutschland, da auf viele Dinge höhere Steuern erhoben werden. Dies schlägt sich natürlich vor allem in den Alkoholpreisen nieder. Dieser kann nur in speziellen Läden, genannt „Systembolaget“, gekauft werden und natürlich in Kneipen. Auch in Restaurants zu essen ist meistens recht teuer. Lebensmittel im Supermarkt sind jedoch bezahlbar (kosten nur geringfügig mehr als in Deutschland), deswegen bietet es sich wirklich an, selbst zu kochen. Dafür kann man dann tagsüber guten Gewissens in eins der zahlreichen Cafés einkehren und wenn man Glück hat, bekommt man seinen Kaffee mit „påtår“, das bedeutet, man darf noch einmal kostenlos nachfüllen – einfach auf die entsprechenden Schilder an der Kasse achten. Bei dieser Gelegenheit solltet ihr unbedingt „Kanelbullar“ probieren, die typisch schwedischen Zimtschnecken aus Hefeteig. Was man in Stockholm auf keinen Fall verpassen sollte, ist, ein wenig durch die schmalen Gässchen der Gamla Stan, der Altstadt, zu schlendern. Falls ihr dort an der belgischen Waffelbäckerei vorbeikommt, lohnt sich ein Halt. Die Waffeln werden hier frisch gebacken und duften schon von weitem. Auch kulturell hat Stockholm natürlich einiges zu bieten, empfehlen kann ich beispielsweise das „Moderna Museet“ und das „Fotografis42

ka Museet“. Besonders schön ist es bei gutem Wetter auch, zur Halbinsel Djurgården hinüber zu fahren (per Fähre oder Straßenbahn). Wir sind in dem sehr weitläufigen Nationalstadtpark spazieren gegangen und haben uns dann auf eine Wiese direkt am Wasser gesetzt. Hier hat man gar nicht mehr das Gefühl, in so einer großen Stadt zu sein, sondern ist ein bisschen weiter weg von allem. Für einen tollen Ausblick über die Stadt empfiehlt es sich, bei „Slussen“ auf die Aussichtsplattform des Restaurants „Godolen“ hinauf zu fahren oder zu steigen. Auch wenn man hier nichts bestellen möchte, kann man ein wenig die Aussicht genießen. 2. Station: Vänern Von Stockholm aus ging es in einer vierstündigen Zugfahrt zum Vänern, Schwedens größtem See. Unsere Unterkunft befand sich auf Kalandsö, der zweitgrößten Insel des Sees. Mit dem Zug kamen wir bis nach Lidköping, nach Kalandsö kommt man nur noch mit dem Bus. Wir fanden uns an einer Bushaltestelle inmitten von Feldern und Wiesen wieder und waren froh, dass die Familie, die die Jugendherberge betreibt, so freundlich war, jemanden zu schicken, der uns von der Haltestelle abholen konnte – so mussten wir die restlichen sechs Kilometer nicht mit unseren Rucksäcken bepackt zu Fuß zurück legen. Unsere Unterkunft lag abgeschiedener, als wir das erwartet hatten: Es gibt nichts außer dem See, Feldern und etwas Wald. Auch auf Handyempfang kann man sich nicht unbedingt verlassen. Die aufwendige Anfahrt lohnt sich auf jeden Fall: Die Jugendherberge ist sehr idyllisch direkt am See gelegen. In der Nähe gibt es ein kleines Schloss („Läckö Slott“) aus dem 15. Jahrhundert, das man besichtigen kann. Ansonsten erkundet man die Insel am besten per Fahrrad (kann man auch in der Jugendherberge leihen) oder zu Fuß, badet, wenn das Wetter es denn zulässt, im Vänern, sammelt im Wald wilde Beeren oder hält Ausschau nach Elchen. Ein Ausflug ins Fischerdorf Spiken, angeblich das größte Binnenfischereidorf Europas, lohnt sich eigentlich nur wegen des leckeren geräucherten Fisches, den man dort kaufen kann. Dieser Teil unserer Reise war mit Sicherheit der entspannteste, allerdings empfiehlt es sich wahrscheinlich, in dieser Gegend mit dem Auto unterwegs zu sein. Wir hatten nämlich nach einem Tag ein Nahrungsproblem, da sich kein Supermarkt oder sonstiger Laden in erreichbarer Nähe befand und die Gerichte, die man in der Herberge kaufen konnte, sehr teuer waren. Netterweise machte uns die Herbergsfrau Pfannkuchenteig, den wir uns dann selbst zubereiten konnten. 3. Station: Göteborg Am Vänersee hatten wir durch Zufall eine Mitfahrgelegenheit gefunden, die uns mit nach Göteborg nahm. Ein Sprichwort besagt, Göteborg sei das Herz Schwedens, während Stockholm der Kopf und Malmö der Bauch sei. Damit ist gemeint, dass die Göteborger warmherziger sind als die Stockholmer, die unter den Schweden als eher reserviert gelten. Dies kann ich aus meinen


Feuilleton

Erfahrungen nicht unbedingt bestätigen, aber in Göteborg geht es schon ein wenig gemächlicher zu als in Stockholm, obwohl es ja immerhin die zweitgrößte Stadt Schwedens ist. Im Reiseführer wurde die „Kungsportsavenyen“ sehr angepriesen, eine Einkaufsstraße mit vielen Cafés und Restaurants, allerdings ist diese sehr von Touristen überlaufen und deswegen (jedenfalls im Sommer) nicht unbedingt zu empfehlen, wenn man Gedränge vermeiden will. Stattdessen sind wir ins Haga-Viertel gegangen, ein ehemaliges Arbeiterviertel mit Cafés und mehreren SecondHand-Shops, in denen auch mehr Schweden unterwegs sind. Sehr schön sollen auch die Schärengärten vor der Küste Göteborgs sein, das sind ganz viele kleine Inseln, teilweise bewohnt, teilweise unbewohnt, durch die man Bootstouren unternehmen kann, wobei uns dafür leider keine Zeit mehr blieb. Da wir unsere Unterkunft in Göteborg erst von unterwegs aus gebucht hatten, waren nur noch Betten in einer Jugendherberge, die etwas außerhalb lag, frei. Wer lieber etwas zentraler wohnen möchte, sollte rechtzeitig buchen. Vor allem, wenn man im Juli oder August unterwegs ist – zu dieser Zeit machen nämlich viele Schweden Urlaub im eigenen Land. 4. Station: Malmö Weiter ging es mit dem Zug nach Malmö. Hier kamen wir bei einem schwedischen Gastgeber unter, den wir über Couchsurfing gefunden hatten, eine Online-Community, in der Leute auf der ganzen Welt fremden Leuten kostenlos eine Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung stellen. Der Vorteil an Couchsurfing ist, dass man im Idealfall Einheimische kennen lernt, die vielleicht noch ein paar Geheimtipps haben. Wenn man bei der Auswahl seiner Gastgeber ein bisschen auf die Bewertung anderer Couchsurfer achtet, braucht man sich auch keine Sorgen zu machen, an die falschen Leute zu geraten. Es war zunächst ein wenig komisch, in einer fremden Wohnung, bei einem fremden Menschen zu übernachten. Wir hatten Wein mitgebracht, aber waren uns nicht so sicher, ob unser Gastgeber Niklas sich darüber freute. Er war sehr höflich und freundlich zu uns, aber leider nicht sehr gesprächig, obwohl wir uns bemühten, das Gespräch am Laufen zu halten. Insgesamt haben wir uns aber sehr wohl gefühlt. Ich denke, Couchsurfing ist wirklich eine gute Gelegenheit, um über die Touristenperspektive hinaus etwas mehr über die Menschen in einem Land zu erfahren. Da wir auf unserem Interrail-Ticket noch eine Fahrt übrig hatten, machten wir von Malmö aus noch einen Tagesausflug nach Helsingborg, einer kleineren, ursprünglich dänischen Stadt, die ungefähr eine halbe Stunde von Malmö entfernt liegt. Wir verbrachten den ganzen Tag auf dem Helsingborg Festival – hier treten über die ganze Stadt verteilt vor allem schwedische Bands aus allen möglichen Stilrichtungen, wie beispielsweise Jazz, Blues und Rock, auf. Das kostenlose Festival findet jedes Jahr Ende Juli statt. Den Tipp mit dem Festival hatten wir übrigens von Niklas bekommen. In Malmö ist die Altstadt mit vielen erhaltenen Fachwerkhäusern sowie das „Malmöhus“, eine alte Burganlage, sehenswert. Da wir mittlerweile etwas Sightseeing-müde waren, nutzten wir zwischendurch die vielen Parks zum Entspannen. Auch ein Spaziergang durch Malmös Hafengebiet ist sehr interessant. Bei dieser Gelegenheit begutachteten wir den „Turning Torso“, Malmös neues Wahrzeichen – ein recht außergewöhnliches Hochhaus, das im Stil des Dekonstruktivismus erbaut wurde.

Meine Rückfahrt trat ich mit der Bahn über Kopenhagen und Hamburg an – bei dieser Gelegenheit könnte man also auch gut noch Kopenhagen als Reisestation mit einplanen. Wenn man an so vielen verschiedenen Orten war, kommen einem zwei Wochen viel länger vor, da man in so kurzer Zeit so viel erlebt. Vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, Reisen nicht komplett durch zu planen – so kann man dort, wo es einem besonders gut gefällt, einfach länger bleiben und es bleibt Raum für die zufälligen Ereignisse, die eine Reise erst interessant machen. Schweden ist ein sehr vielseitiges Land. Die meisten Menschen, die wir dort kennen gelernt haben, waren eher etwas zurückhaltend, aber auf eine sehr freundliche und hilfsbereite Art. Ich denke dabei an den Café-Besitzer in Herrljunga, wo wir auf dem Weg zum Vänern eine Stunde Aufenthalt hatten, der uns Kaffee machte, obwohl er eigentlich geschlossen hatte und nicht mal Geld dafür verlangte oder an das ältere schwedische Ehepaar, das uns spontan mit nach Göteborg nahm. Text und Foto: Christina Freihorst

Reisetipps 1. Anreise: Flüge Bremen-Stockholm ab sieben Euro bei Ryanair oder mit der Bahn über Kopenhagen nach Malmö (dauert circa sieben Stunden) mit Sparpreis ab 39 Euro. 2. Interrail: Einen Interrail-Pass für Schweden kann man für drei, vier, sechs oder acht Reisetage innerhalb eines Monats buchen. Für drei Reisetage kostet er 119 Euro und kann auch in Deutschland gekauft werden. Das jeweilige Datum muss man erst am Reisetag eintragen. 3. Wer nicht auf Alkohol verzichten möchte, aber nicht bereit ist, umgerechnet zwischen fünf und acht Euro für ein kleines Bier zu bezahlen, nimmt sich am besten etwas mit oder kauft sich den (sehr niedrigprozentigen) Cidre, den es als einzigen Alkohol relativ günstig in schwedischen Supermärkten gibt. 4. Verzeichnis aller schwedischen Jugendherbergen unter: http://www.svif.se/de/. Die Preise pro Nacht liegen zwischen 25 und 30 Euro. 5. Am besten tauschr ihr schon in Deutschland etwas Geld in Kronen um und informiert euch vorher, bei welchen Banken man in Schweden Geld abheben kann. 6. Übrigens: Auch wer kein Schwedisch kann, braucht keine Angst vor Verständigungsproblemen zu haben. Wirklich alle Schweden, auch ältere, können perfekt Englisch. 7. Unsere Unterkunft am Vänersee: http://www.lackostrand.se/ Klare Empfehlung! Und unbedingt Frühstück dazu buchen. Es gibt selbst gebackene Brötchen und die beste Blaubeermarmelade der Welt. 8. In Stockholm lohnt es sich, gleich ein U-Bahn-Ticket für mehrere Tage zu kaufen. Viele U-Bahn-Stationen sind übrigens künstlerisch gestaltet. In Göteborg, Malmö und Helsingborg kommt man auch zu Fuß ganz gut zurecht.

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„We only said goodbye with words...“ Ein Nachruf auf Amy Winehouse

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er Tod von Amy Winehouse am 23. Juli hätte eigentlich keine Überraschung sein dürfen und dennoch kam er unerwartet. Jahrelang hat die Welt der Sängerin bei ihrem Leben zugesehen, das immer einem Spaziergang am Abgrund glich, doch dass sie irgendwann einen Schritt zu viel wagen würde und tatsächlich fällt, damit haben wohl nur die wenigsten wirklich gerechnet. Dabei begann alles so vielversprechend. Als Amy gerade einmal 20 Jahre alt war, erreichte ihr Debütalbum „Frank“ die Top 20 der englischen Charts und die talentierte, junge Sängerin wurde mit zwei Nominierungen für die Brit-Awards belohnt. Bei allen Skandalen konnte man nur allzu schnell vergessen, wofür Amy Winehouse überhaupt einmal berühmt wurde: für ihre unvergleichliche Stimme. Niemand hätte beim ersten Anblick der schmächtigen Britin wohl vermutet, dass diese Frau singt wie eine amerikanische Souldiva aus den 60er Jahren, die bereits mehrere Jahrzehnte voller schmerzhafter Erfahrungen hinter sich hat. Doch wenn Amy auf der Bühne stand, war es so, als würde sie dem Publikum ihr Innerstes offenbaren, völlig ohne Scham. Diese Offenheit war wohl auch einer der Gründe dafür, dass ihr zweites Album „Back to Black“ Amy Winehouse im Jahr 2006 weltweit zu einem Superstar machte. Dieses Werk, das sich noch mehr an dem Sound der 60er Jahre orientierte, traf den Geist der Zeit vor allem, weil es Soul im wahrsten Sinne des Wortes bot. Amy verwandelte ihr Seelenleben in Songs, die berührten und sie scheute dabei vor nichts zurück. Angefangen von ihren Drogen- und Alkoholproblemen („Rehab“) bis hin zu einer zerbrochenen Liebe („Love is a Losing Game“) und der Trauer über das Ende ihrer Beziehung („Back to Black“). Ihre Musik begeisterte wohl so viele Menschen, weil diese sich in gewisser Weise mit den Problemen der Sängerin identifizieren konnten und es ein meilenweiter Unterschied zu dem künstlichen Pop der immer gleichen Blondinen à la Britney Spears und Christina Aguilera darstellte. Amy Winehouse war echt und sie wusste aus eigener Erfahrung, dass das Leben auch Schattenseiten hat. Ohne ihren Erfolg hätten Sängerinnen wie Adele und Duffy wahrscheinlich nie den Durchbruch geschafft und selbst eine Lady Gaga hätte es wohl deutlich schwerer gehabt. Amy Winehouse hat den Weg geebnet für Frauen, die durch ihr Talent und ihre Individualität überzeugen, selbst wenn oder gerade weil sie nicht dem gängigen Image eines Popstars entsprechen. Doch nicht nur musikalisch, auch optisch prägte die junge Frau aus London eine ganze Generation. Ihre Markenzeichen, die Bienenkorbfrisur, der markante Lidstrich und die zahlreichen Tattoos wurden weltweit kopiert und sogar Karl Lagerfeld ließ 44

sich für seine Chanel-Kollektion im Jahr 2007 von Amys Stil inspirieren. So rasant der Aufstieg der Amy Winehouse war, so schnell kam jedoch auch ihr Fall. Schlagzeilen über Drogeneskapaden, abgebrochene oder abgesagte Auftritte und gescheiterte Entzugsversuche häuften sich. Immer wieder hoffte man mit Amy, dass sie sich vielleicht doch wieder aufraffen könne und endlich das langerwartete dritte Album aufnehmen würde oder aber, dass sie zumindest privat zur Ruhe kommen und ihr Glück finden würde. Doch weder das eine noch das andere sollte ihr vergönnt sein. Ihr Tod mit nur 27 Jahren macht Amy zum jüngsten Mitglied des „Club 27“, der tragischen Vereinigung von Künstlern wie Kurt Cobain, Jimi Hendrix oder Janis Joplin, die alle in diesem Alter gestorben sind. Vor allem aber hinterlässt er eine klaffende Lücke in der Musikwelt, denn ein derartiges Talent taucht nicht alle Tage auf und kann auch nicht so einfach ersetzt werden. Durch ihre Songs wird Amy Winehouse aber für immer unvergessen bleiben und so wird man sich wohl auch noch in vielen Jahren von dem Mädchen aus London erzählen, das alleine mit seiner Stimme Geschichten erzählen konnte und damit seine Zuhörer wie keine Zweite direkt ins Herz traf.

Text: Kira Kettner Illustration: Lisa Mertens


Feuilleton

Lautsprecher The Head and the Heart: In der kalten Jahreszeit braucht man nicht nur Schal und Mütze, um den Körper warmzuhalten, sondern manchmal auch etwas, dass die Seele wärmt. Hier kommen „The Head and the Heart“ ins Spiel, die mit ihrer mitreißenden Folk-Musik genau die richtige Band für diesen Job sind. Stücke wie „Lost In My Mind“ oder „Rivers and Roads“ sind gleichzeitig melancholisch und vorantreibend, also perfekt für einen grauen Wintertag. Das ebenfalls „The Head and the Heart“ betitelte Debütalbum erschien bereits im April, eine kleine Kostprobe gibt es auf der Myspace-Seite der Band zu hören. Hier kann man gegen die Angabe einer E-Mail-Adresse gleich zwei Songs kostenlos downloaden und sich so zumindest musikalisch perfekt gegen Schnee und Eis wappnen. Weitere Infos zur Band: www.myspace.com/theheadandtheheart Boy: Dem gemeinen Norddeutschen wird ja oftmals vorgeworfen, er sei ein wenig wortkarg und auch die Schweizer sind nicht gerade für ihre Redegewandheit bekannt. Valeska Steiner aus Hamburg und Sonja Glass aus Zürich aber zeigen mit ihrer Musik, dass man diese Landstriche nicht unterschätzen sollte. Das Duo, dass sich ironischerweise „Boy“ nennt, präsentiert auf sei-

nem Album „Mutual Friends“ Popsongs mit Herz und Verstand, manchmal fröhlich und manchmal traurig, so wie das Leben nun mal ist. Die erste große Deutschlandtour im Oktober war rasend schnell ausverkauft, so dass „Boy“ im Februar 2012 noch einmal wiederkommen und zwar glücklicherweise auch nach Bremen! Weitere Infos zur Band: www.listentoboy.com Kakkmaddafakka: Nein, „Kakkmaddafakka“ ist kein neues Schimpfwort, sondern, zumindest laut Angaben der gleichnamingen norwegischen Band, ein „Partyanimal“. Und der Name ist Programm: Nicht nur auf ihrem in diesem Jahr erschienen Debütalbum „Hest“ (zu deutsch, wie sollte es anders sein, „Party“) versprühen die fünf Herren mit ihrer Mischung aus Pop, Funk und Indierock gute Laune, sondern auch und vor allem live sind sie ein Erlebnis. Da wird dem Konzertgänger dann unter anderem ein dreiköpfiger Männerchor geboten und zwischendurch fröhlich Beyoncé gecovert. Eines ist ganz sicher, diese Party hat gerade erst angefangen! Weitere Infos zur Band: www.kakkmaddafakka.com Text: Kira Kettner

Arctic Monkeys – Suck It And See

„Suck It And See“ (zu Deutsch: „Probieren geht über Studieren“), der Name ist Programm. Die britische Rockband Arctic Monkeys wagt auf ihrem neuen Werk das ein oder andere Experiment und beweist Mut zur Veränderung.

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lbum Nummer vier in fünf Jahren, Faulheit kann man den Arctic Monkeys nun wirklich nicht vorwerfen. Die vier Jungs aus Sheffield haben eine Karriere im Zeitraffer hingelegt: Als 2006 ihr erstes Album „Whatever People Say I Am, That‘s What I‘m Not“ erschien, waren die Bandmitglieder gerade mal um die 20 Jahre alt. Dennoch schafften sie es gleich, in ihrer Heimat den Titel des am schnellsten verkauften Debütalbums aller Zeiten zu erlangen. Nun also ist ihr neuestes Werk „Suck It And See“ erschienen, für das die Band von Seiten der Fans schon vor der Veröffentlichung einige Kritik einstecken musste. Der vorab veröffentlichte Song „Brick By Brick“ hat so gar nichts mit den lyrischen Qualitäten zu tun, die man normalerweise von Sänger und Songschreiber Alex Turner gewohnt ist. Zeilen wie „I wanna rock and roll, brick by brick.“ (dt. „Ich möchte rock‘n‘rollen, Stein auf Stein.“) sind einfach zu platt und klischeebeladen. Die Band selbst bezeichnet den Song in einem Interview mit dem britischen NME-Magazine zwar als „fucking laugh“, ob ein solcher Spaß dann aber wirklich auf ein Album gehört, bleibt fraglich. Der Rest der Platte präsentiert die Arctic Monkeys aber dann in gewohnter Stärke. Die erste Single „Don‘t Sit Down, Cause I‘ve Moved Your Chair“ zeigt mit seinen prägnanten Gitarrenriffs noch deutliche Spuren des vorherigen, eher düsteren Albums „Humbug“. Alles in allem ist „Suck It And See“ aber deutlich zugänglicher als das Vorgängerwerk und so stellen sich schon nach einmaligen Hören die ersten Ohrwürmer ein. Allen voran das kurios betitelte „The Hellcat Spangled Shalalala“, das mit seinem Shalala-Refrain geradezu zum Mitsingen auffordert,

in den Strophen aber auch mit den für Turner typischen Lyrics überzeugen kann („I took the batteries out my mysticism and put them in my thinking cap“, dt. „Ich nahm die Batterien aus meiner Mystik und legte sie in meine Denkkappe.“). Glänzen können die Briten diesmal vor allem mit ruhigeren Stücken, wie „Reckless Serenade“ oder dem Titelstück „Suck It And See“, dem vielleicht besten Song des Albums. Hier heißt es so schön: „I put my aching heart into a popsong.“ Dass die Arctic Monkeys mit dem Herzen dabei sind, merkt man dann auch. Die im Vergleich zu früheren Stücken musikalisch weniger ungestüme Art steht der Band gut zu Gesicht. Dafür, dass es nie langweilig wird, sorgt Drummer Matt Helders. Mit seinem Schlagzeug ist er so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt der Gruppe und trägt auch dieses Mal wieder nicht unwesentlich zum unverwechselbaren Sound der Arctic Monkeys bei. Fans der ersten beiden Alben der Band werden vielleicht dennoch enttäuscht darüber sein, dass sie auf dem neuen Album keine Indiedisco-Hits à la „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ oder „When The Sun Goes Down“ finden werden. Einzig „Library Pictures“ schlägt mit seinem energetischen Refrain noch einmal in eine ähnliche Kerbe. Aber wir haben ja auch nicht mehr das Jahr 2006 und die Arctic Monkeys sind nicht nur älter geworden, sondern haben sich auch musikalisch weiterentwickelt. Spannender, als sich immer wieder selbst zu kopieren ist das allemal, vor allem, wenn es so gelungen ist wie hier. Text: Kira Kettner

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Island verzaubert Buchmesse Sechs Tage im Oktober schaut die Welt der Verleger, Agenten und Autoren alljährlich nach Frankfurt, wo die weltgrößte und wichtigste Buchmesse stattfand. 7.348 Aussteller präsentierten 283.000 Besuchern ihre literarischen Neuheiten.

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er Boualem Sansal. „Mit seinem hartnäckigen Plädoyer für das m Mittelpunkt der Frankfurter Buchmesse stand in diefreie Wort und den öffentlichen Dialog in einer demokratischen sem Jahr das Gastland Island, wo Literatur traditionell eine Gesellschaft tritt er gegen jede Form von doktrinärer Verblenwichtige Rolle spielt. Passend dazu präsentierten zahlreiche dung, Terror und politischer Willkür Verlage die Werke von isländischen Autoauf“, heißt es in der Erläuterung der ren, die bei ihnen veröffentlicht wurden. Jury für den mit 25.000 Euro dotierten Hervorzuheben sind hier unter anderem Preis, der dem Algerier in der Frankfurdie Krimis von Arnaldur Indridason, der ter Paulskirche überreicht wurde. nicht selten mit dem deutschen BestselFür alle Papierfans ler-Autor Henning Mankell verglichen Dass auch in der Buchwelt der techwird. Für bestes Ambiente sorgten die Ismacht nur der folgende, auf nische Fortschritt eine immer größere länder an ihrem Stand dann selbst: Eine Rolle spielt, war ebenfalls eine ErkenntArt Wohnzimmer mit großen Videoleinder Buchmesse 2011 an allen nis der diesjährigen Messe. An zahlreiwänden, auf denen Autorenspots gezeigt chen Ausstellungsständen machten sich wurden, erwartete die Besucher am AusEcken wiederkehrende Satz die Verlage bereits ausgiebig Gedanken, stellungsort des Ehrengastlandes. Trotz wie man den E-Books und den dafür des wirtschaftlichen Totalschadens in Hoffnung für die Zukunft: nötigen Lesegeräten mehr Präsenz und Folge der Bankenkrise schien die Leitung Akzeptanz auf dem Markt geben kann. der Frankfurter Buchmesse, vorne weg „Bücher und Zeitungen wird Ein starker Trend zu dieser neuen Art Messeleiter Jürgen Boos, mit Island, und des Lesens sowie zur fortschreitenden damit dem ersten Ehrengast aus SkandiDigitalisierung von Büchern ist in jees immer geben.“ navien auf der Frankfurter Buchmesse, dem Fall zu erkennen. Für alle Papiereine gute Wahl getroffen zu haben, denn fans macht nur der folgende, auf der die Thematik Island erfreute sich großer Buchmesse 2011 an allen Ecken wiederBeliebtheit bei den Messebesuchern. Und kehrende Satz Hoffnung für die Zukunft: „Bücher und Zeitunmit Neuseeland steht der Ehrengast für 2012 sogar schon in den gen wird es immer geben.“ Startlöchern. Neben der Ausstellung von Büchern sowie der Möglichkeit zum Gespräch mit zahlreichen Autoren, die ihre Neuerscheinungen promoteten, wurden im Rahmen der Frankfurter Buchmesse zahlreiche Preise vergeben. Die wichtigste Auszeichnung, der Friedenpreis des deutschen Buchhandels, ging an den Algeri46

Text: Fabian Nitschmann Foto: Frankfurter Buchmesse, Peter Hirth


Feuilleton

Verbrecherische Familiengeschäfte Die Verantwortung für die Familie und der Bruch der uneingeschränkten Treue der Mitglieder eines Mafiaclans in Film und Literatur.

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ährend man momentan in den Medien ständig auf Vampire, Werwölfe oder andere Dämonen triff, ist ein anderes, ehemals sehr beliebtes Thema in den Hintergrund getreten. Vor allem in den 90er Jahren avancierte die Mafia zu einem der beliebtesten Gegenständen in der Film- wie Literaturbranche. Ob die kalabresische ´Ndrangheta, die Camorra aus Neapel oder die Cosa Nostra – die Mafia ist allgegenwärtig und ihre Wurzeln reichen bis in das Mittelalter zurück. Selbst wenn die Bösen in den Filmen und der Literatur mittlerweile durch fiktive Ungeheuer ersetzt wurden, ist die Mafia auch in den heutigen Zeiten noch aktiv und ihre Mitglieder sind zur Fahndung ausgesetzt. So gelang es der Polizei von Neapel erst kürzlich, das seit Jahren flüchtige Camorra-Oberhaupt, Giuseppe dell‘Aquila, zu fassen. Der Klassiker unter den MafiaFilmen ist wohl „Der Pate“. Der erste Teil dieser oft zitierten und rezitierten Trilogie um Don Vito Corleone erschien 1972. Corleone ist der Chef eines mächtigen Mafiaclans aus New York. Seine Einstellung ist: „Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann.“ Sein Sohn Michael will mit den grausamen Methoden seines Vaters nichts zu tun haben. Als sein Vater jedoch das Opfer eines Anschlags wird und Michael ihn knapp vor einem weiteren retten kann, verspricht er seinem Vater, dass er zu der Familie zurückkehrt. Er gibt sein bürgerliches Leben auf, um seinen Vater zu rächen. Die Biografie „Mafia Princess“ von Marisa Merico, in der die Autorin auf eindrucksvolle Weise ihr Leben in den Fängen der

italienischen Mafia schildert, beschreibt die Situation etwas anders. „Ich war skrupellos. Ich brach das Gesetz. Ich gehörte zur Familie“, prangt auf der Rückseite des Buchcovers. Ihr Vater ist einer der größten Mafiosi Italiens, ihr Ehemann seine rechte Hand – und sie mittendrin in einem Leben zwischen Gewalt, Angst und Verbrechen. Marisa Merico wächst im Schoß der Mafia in Italien auf. Ihre ganze Verwandtschaft väterlicherseits gehört zu der meist gefürchteten Familie des Landes. Mit neun Jahren zieht sie mit ihrer englischen Mutter, , die es nicht mehr in Italien aushält, nach Lancashirel. Doch kann Marisa sich der Mafia einfach nicht entziehen und besucht ihre italienische Familie so oft es geht. Schließlich lernt sie dort auch ihren Ehemann kennen und taucht immer mehr in die Machenschaften der Familie mit ein, bis sie schließlich in einem großen Prozess verurteilt wird. Ein Buch darüber, wie eine Frau die Mafia liebt, hasst und aus ihr aussteigt, doch bis heute nicht mit ihr abschließen kann. Ein großartiger Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen will. Mit diesem Buch bricht Marisa Merico den Ehrenkodex der Mafia: Das Schweigen.

Text: Nadine Döring Grafik: Fatima Yoldas

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Feuilleton

Klo Kult Jeder Student sucht sie täglich auf und verbringt mal mehr oder mal weniger Zeit an diesem Ort: Die Rede ist von der Toilette. Aber was gibt es dort schon Sehenswertes außer Toilettenkabinen, kaputten Seifenspendern oder leeren Toilettenpapierhaltern? Der Scheinwerfer hat sich in das Toilettenterrain der Uni Bremen gewagt und dabei Erstaunliches entdeckt: eine eigene Kultur.

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as sollen uns diese Kritzeleien jetzt eigentlich sagen? Nun ja, bei vielen wird das wohl aus der simplen Langeweile beim Klobesuch heraus entstanden sein, doch einige nutzen diesen Ort auch, um sich mitzuteilen. So schlummert doch, wie die Bilder eindrucksvoll beweisen, in vielen ein verkappter Künstler, der seine geheime Leidenschaft vielleicht vor den Studiengangskollegen verbergen muss und deshalb aufs Klo ausweicht. Ein Ort, an dem man ungestört ist und weiß, dass ihn noch viele Menschen besuchen werden, scheint ideal zu sein, um der Nachwelt eine wichtige Information zu hinterlassen. Philosophische Anregungen, und Lebensweisheiten lassen den Klobesuch oft geistreicher werden als so mache Vorlesung. Hättet ihr zum Beispiel gedacht, dass man laut der Bibel unbedingt Alkohol konsumieren sollte? Und was ist mit den politischen Sprüchen? Tendenziell gehören die Zeiten, in denen man sich für politische Meinungsfreiheit in stille Eckchen zurückziehen musste, in Deutschland ja schon längst der Vergangenheit an; nichtsdestotrotz sind unsere Toilettengänger politisch sehr aktiv. Zwar bekommt man kein breitgefächertes Meinungsbild, aber zumindest weiß man beim Verlassen des Klos, dass Kapitalismus ne ziemlich üble Sache sein muss. Was natürlich auch auf keiner Toilette fehlen darf, sind diverse Zeichnungen von Penissen, ja, da hat sich entwicklungstechnisch seit der Schule nicht viel getan, frei nach dem Motto: Wer hat den Schöneren (gemalt)? Obwohl das ja eigentlich ein Symbol der Männlichkeit und Stärke ist, lässt es sich auf Frauen- und Män-

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nerklos etwa gleich häufig finden. Wahrscheinlich sind aber viele unserer Toilettenkritzler Doppeltäter. Zumindest einige kristallisieren sich deutlich heraus. So war ein gewisser Furkan wohl so verliebt, dass er seine immerwährende Zuneigung auf sämtlichen Toiletten, sowohl für Frauen als auch für Männer, verewigen musste. Leider konnten wir ihn nicht ausfindig machen, um nach den Entwicklungen in Sachen Liebe zu fragen. Und wo wir gerade bei der Liebe und Geschlechtern sind, darf natürlich das Gender-Klo in der dritten Etage des GW2 nicht fehlen. Wer dachte, dass die anderen Toiletten sich an liebevoller Innengestaltung schon gegenseitig übertreffen, der hat den absoluten Spitzenreiter noch nicht betreten. Deutlich erkennbar ist, wie viel Zeit und Liebe in diesen kleinen Raum investiert wurde. Und falls man mal eine lange Freistunde hat, kann man sie gut dort verbringen. Zu sehen gibt es mit den ganzen Fotos, Sprüchen und Aufklebern mehr als genug, wobei man noch sehr viel über sein eigenes und das andere Geschlecht lernt. Letztendlich sind auch die Toiletten ein Teil der 40-jährigen Unigeschichte und drücken die Emotionen unzähliger Studenten aus. Das einzig Störende ist wohl nur der Gestank, der ebenfalls ein deutliches Zeichen dafür ist, wie lange diese Toiletten schon bestehen. Aber das kann man im Sinne der Kultur für einen kurzen Zeitraum sicher ignorieren. Text: Alina Fischer Fotos: Jessica Heidhoff



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Tasting Travels – die Entstehungsgeschichte eines Blogs Journalistische Arbeit vom Fahrradsattel aus. Auf der Suche nach Rückenwind, dem Internet und Steckdosen.

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ie Sonne scheint während einem unserer Stopps auf einem oberösterreichischen Rastplatz. Trotzdem setze ich mich mit meinem Laptop in den Schatten und rücke dichter zum Toilettenhäuschen, an dessen Wand eine Steckdose angebracht ist. Mir ist kalt, aber bis zur Sonne reicht das Stromkabel nicht. Ich muss ein bisschen arbeiten und wühle in Notizzetteln, suche vergeblich freies W-Lan, öffne Word. Konzentrieren kann ich mich nicht so recht, denn die Nacht im Zelt war kurz. Schon vor fünf Uhr morgens haben die Enten angefangen zu schnattern und ständig fuhren Züge in der Nähe unseres Zeltplatzes vorbei. Die Steckdose scheint ausgeschaltet zu sein, denn am niedrigen Akkustand meines Laptops ändert sich nichts. Unausgeschlafen ärgere ich mich umso mehr darüber. Dennoch liebe ich das, was ich tue. Mein Job ist ein ganz besonderes Reiseblog. Ich reise mit meinem mexikanischen Freund Roberto um die Welt und schreibe Artikel über Menschen, Kulturen, Orte und lade sie samt Fotos auf www.tastingtravels.com hoch. Bei Robertos erstem Besuch in Deutschland, ein Jahr vor Start der Reise, nimmt die Idee „Tasting Travels“ erste Formen an. Wir setzen uns den September 2011 als Start und schmieden Pläne. Unser Ziel ist es, andere an unseren Reisen teilhaben zu lassen und parallel mit unseren Texten und Fotos Geld zu verdienen. Dabei wollen wir beide die Fähigkeiten nutzen, die wir in unseren Kulturwissenschafts- und Marketingstudien gelernt haben: forschen, schreiben und fotografieren. Ein Forum für Reisende? Gibt es schon viele. Bebilderte Reiseberichte hochladen? Auch nichts Neues. Wir wollen die interkulturelle Verständigung verbessern, ein soziales Mitgefühl auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen entstehen lassen. Am besten geht das, wenn wir Andere zum Reisen inspirieren, Vorurteile abbauen und ein bisschen zur besseren Verständigung der Kulturen beitragen. Wie oft werden wir ermahnt: „Was, ihr wollt in den Iran? Das ist doch viel zu gefährlich! Da werden die Leute einfach so gesteinigt!“ Wir wollen, dass genau diese Menschen die Länder und Leute kennen lernen, gegen die sie Vorurteile hegen. Doch wie kann man ihnen das Reisen schmackhaft machen? Man muss die Menschen vorstellen, die dort leben, die Kultur und das „andere“ Verhalten erklären. Daher schreiben wir kaum über uns selbst und unsere eigenen Erlebnisse beim Reisen, sondern mehr über Menschen und Kulturen, denen wir auf dem Weg begegnen. Der Alltag interessiert uns. Um den kennenzulernen, sprechen wir mit den Einheimischen und nehmen an ihrem Leben teil. Einige der Vorbereitungen fallen mir leichter als gedacht. Schwieriger wird es da bei der Überlegung der Sprache. Spanisch? Deutsch? Oder doch Englisch? Wir entscheiden uns für alle drei Sprachen, was allerdings bedeutet, dass alle Artikel und Fotobeschreibungen übersetzt werden müssen. Obwohl unsere Freunde der Weltreise oft kritisch gegenüberstehen, 50

geben sie uns immer wieder Tipps zu Themen, mit denen sie sich auskennen. So bekomme ich einen Nachmittags-Crashkurs in Pressearbeit und Roberto Unterstützung bei der Nutzung von Photoshop. Jede freie Minute wird dem neuen Projekt gewidmet. Unsere Freunde können kaum glauben, was wir da vorhaben. „Ihr seid doch verrückt!“ hören wir immer wieder – besonders nachdem wir uns für das Fahrrad und einen Anhänger als Fortbewegungsmittel entscheiden. Wir wollen umweltfreundlich, billig und langsam reisen. Nur, wenn wir langsam reisen, können wir Menschen und Kulturen vor Ort wirklich kennenlernen. Als wir dann die Wohnung aufgeben und ich meinen Job kündige, kommt seitens der Freunde hinzu: „Wie, ihr wisst nicht, wie lange das dauern soll? Ja aber wenigstens so ungefähr?“ Und der Dauerbrenner: „Und wie wollt ihr dann Geld verdienen?“ Ja, die Frage nach dem lieben Geld hat uns selbst lange Kopfzerbrechen bereitet. Ein bisschen haben wir beide zusammengespart. Doch für eine Weltreise „open end“ reicht es nicht. Auf lange Zeit gesehen möchten wir Geld mit unserem Blog verdienen, indem wir Werbefläche auf unserem Blog an verschiedene Firmen verkaufen. Schwer zu schaffen macht uns das Gewicht. Ein Zelt haben wir dabei, zwei Isomatten, zwei Schlafsäcke, zwei Laptops, Kameras, Klamotten, von der Winterjacke bis zur Badehose, einen Campingkocher samt Spiritus, Trinkwasser und Lebensmittel und dazu allerlei Werkzeug und Ersatzteile für die beiden Fahrräder und den Anhänger. Das alles muss in zwei Rucksäcken und dreieinhalb Packtaschen transportiert werden. Nur gut, dass der Weg in Bremen flach beginnt. Immer am Weserradweg entlang haben wir anfangs kaum mit Steigungen zu kämpfen und können uns gut an unser Gepäck gewöhnen. Erst nach Fulda in der hessischen Rhön wird es schwieriger. Ich verfluche die Berge. Es fehlt nicht viel und ich wäre samt Fahrrad in den nächsten Zug gestiegen und an die Donau gefahren – endlich bergab. Die Pflege eines guten Blogs steht und fällt mit der Nutzung des Internets. Wir reisen größtenteils auf dem Land, um dort günstig oder gratis zu zelten und um das Leben der Menschen und deren Alltag intensiv kennenlernen zu können. Doch dort auf dem Land gibt es kaum Internetcafés. Schon in bayrischen Kleinstädten sehen die Leute uns verdutzt an, wenn wir nach Internet fragen. „So weit simma hier noch net.“ In Straubing in Ostbayern legen wir die Fahrräder einen ganzen Tag beiseite und suchen W-Lan zum Arbeiten. Die Bibliothek – montags geschlossen. Internetcafé – eine Woche im Familienurlaub. Eiscafé – hat Internet, aber niemand kennt das Passwort. Hotel mit Restaurant – hat einen teuren Hotspot und nicht, wie beschrieben, gratis Internet. In einer Kaffeebar werden wir fündig und arbeiten den ganzen Tag bis Feierabend. Es ist eigenartig, von Arbeit zu sprechen, wenn doch noch nicht einmal Geld dabei


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herausspringt. Besonders anfangs war es schwer für mich, zu akzeptieren, dass man erst eine Menge Zeit, Arbeit und Geld investieren muss, und nicht einmal die Garantie hat, dass man eines Tages etwas verdienen wird. Mittlerweile ist „Tasting Travels“ für mich zum Alltag geworden. Ich halte instinktiv immer Augen und Ohren offen für interessante Stories, Menschen und Traditionen. Unseren ersten halben Ruhetag legen wir erst in Vilshofen, kurz vor Passau, ein. Hier verabschieden wir uns mit Obatzda , einer bayrischen Weichkäsemischung mit Zwiebeln und Paprikapulver, in einem Biergarten von Deutschland und stimmen uns mit Wiener Schnitzel auf Österreich ein. Mittlerweile gönnen wir uns ab und zu mehr Freizeit und besuchen im Süden Serbiens das erste Mal seit Monaten mit ein paar neuen Freunden eine Disco. Momentan reisen wir von Serbien über Mazedonien nach Griechenland. Dort werden wir gen Osten in die Türkei reisen, den Winter lang an der Küste arbeiten und dann im Frühling nach Aserbaidschan, Armenien und Iran zu fahren. Von dort aus geht es nach Südostasien. Dort überlegen wir dann, ob wir eine Pause einlegen, sei es vor Ort, in Deutschland, Mexiko oder ganz wo anders, oder ob wir gleich weiterfahren. Auch das Fahrrad behalten wir nicht zwingend als Fortbewegungsmittel. Solange es möglich und sinnvoll ist, radeln wir, aber auch Pferden, Kajaks, Wanderschuhen und notfalls Bus, Bahn und netten Autofahrern, die Anhalter mitnehmen sind, wir nicht abgeneigt. Auch das Flugzeug schließen wir nicht völlig aus. Wir passen uns den jeweiligen Bedingungen an und tragen die Räder zur Not auch mal in den Zug. Ich habe meinen Nebenjob gekündigt, das Studium abgeschlossen, Roberto hat seine Firma in Guadalajara aufgegeben und wir haben unsere Bremer Wohnung geräumt. Nur so können wir auch zeitlich ungebunden und frei von Kosten wie Miete, Telefon und Semestergebühren sein. Wir werden uns über die Wichtigkeit von essen, trinken und schlafen klar. Materielle Besitztümer hingegen interessieren uns kaum noch, sie müssten wir nur mit uns herumschleppen. Ich hatte es mir schwer vorgestellt, einfach alle Zelte abzureißen und ganz ohne Wohnsitz zu sein. Doch als es soweit war, fiel es mir sehr leicht. Die Vorfreude auf ferne Länder und ein selbstbestimmtes, spontanes und freies Leben überwog. Wo wir unser Zelt aufschlagen, da sind wir für die Nacht auch zu Hause. Wo wir schlafen, was wir essen und was wir erleben werden, wissen wir nie. Bisher habe ich meine Entscheidung nicht einen Moment lang bereut. Wir müssen nicht an Post, Miete und fällige Hausarbeiten denken. Dennoch, es fühlt sich eigenartig an, keine feste Bleibe zu haben. Wenn wir auf dem Weg gefragt werden, wo wir wohnen, tauschen wir jedes Mal verlegene Blicke aus. „Im Zelt“, sage ich dann leise. Bevor mein Gegenüber verwirrt oder gar mitleidig dreinschaut füge ich schnell hinzu „aber davor haben wir in Bremen gewohnt.“ Ohne Bleibe sind wir dem Wetter ausgesetzt. Wenn es unge-

mütlich wird, dann setzen wir uns nicht mit einem Tee auf die Couch, um eine Nachmittagsserie zu sehen. Wir ziehen die Regenjacke über und fahren weiter. An der Grenze zur Slowakei trifft uns der Regen besonders schlimm. Ich bin in Gedanken bei meinem neuen Artikel, als die ersten Tropfen fallen und ich denke gar nicht daran, meine Regenhose anzuziehen. Sie liegt unter den Rucksäcken im zugeschnürten Anhänger, der Himmel sieht noch recht blau aus und überhaupt habe ich gerade so einen schönen Rhythmus gefunden. Der Regen wird immer stärker. Er peitscht mir ins Gesicht und ich fühle, wie meine Zehen langsam nass werden. Ich ziehe die Schultern hoch, kneife die Augen zusammen, schalte ein paar Gänge höher und gebe Gas. Als könnte ich dem Unwetter entfliehen. Die Abstände zwischen Blitz und Donner werden kürzer. Meine Beine sind klitschnass und der kalte Wind lässt mich frösteln. Ich blicke zu Roberto. Auch er kneift die Augen zu Schlitzen zusammen und seine Haare kleben ihm im Gesicht. Die Wolken werden immer dunkler, wir müssen anhalten und den Dynamo anmachen, um von den Autos gesehen zu werden. Ich fange an, meinen Ohrwurm vor mich hin zu summen und denke über den aktuellen Artikel nach. Habe ich schon genügend Fotos? Was könnte ich besser formulieren? Und aus dem Nichts fällt mir die Überschrift ein, die ich schon seit Tagen suche. Na also! Ich grinse zufrieden vor mich hin während ich durch eine besonders große Pfütze fahre. Der andauernde Regen hat den Schotterweg im Griff und die Schlaglöcher sind kaum noch zu erkennen. Ich freue mich über meine kreative Überschrift. Aus dem Summen wird Singen. Mein Magen knurrt im Takt mit. Beim Gedanken an heiße fettige Pommes läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Als wir endlich in einem Dorf ankommen und Nudelsoße kaufen, habe ich die perfekte Überschrift längst schon wieder vergessen. Ich habe eine Menge gelernt in den letzten Monaten. Vieles davon hat mir das Studium mitgegeben, einiges musste ich mir selbst beibringen, einiges kam einfach mit der Zeit und das Meiste habe ich aus dummen Fehlern gelernt. Ich kann jetzt Fahrradbremsen einstellen, ein paar html-Begriffe eingeben, spreche mittlerweile fließend Spanisch mit Roberto und befinde mich auf der ersten Radtour meines Lebens, die länger als 45 Kilometer ist und mehr als einen Tag dauert. Wir haben Besucher aus vielen verschiedenen Ländern auf unserem Blog und, mehr als 100 „likes“ auf der Facebookseite „Tasting Travels“. Kleine Erfolge motivieren und spornen zu mehr an. Mit dem gewonnenen Selbstbewusstsein funktioniert die Teamarbeit mit jedem Tag besser und über Gegenwind beim Radfahren ärgern wir uns kaum noch. Wir hoffen, mit der Arbeit geht es weiter bergauf und der Weg geht bergab. Text: Annika Wachter Foto: Annika Wachter, Roberto Gallegos Ricci

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Impressum

Treffen für alle Interessierten und Aktiven Redaktion - Layout - Grafik - Foto - Web

Donnerstag, 15. Dezember, ab 18 Uhr MZH, Raum 1090 Redaktion:

Allgemeiner Studierendenausschuss der Universität Bremen c/o Scheinwerfer - Bremens freies Unimagazin Bibliothekstraße 3/StH D-28359 Bremen scheinwerfer@uni-bremen.de

Chefredaktion:

Anne Glodschei (V.i.S.d.P.; 0160/98271720), Lukas Niggel (V.i.S.d.P.; 0172/8685899)

Ressortleitung:

Fabian Nitschmann (Hochschulpolitik), Natalie Vogt (Campusleben), Olga Galashevich (Bremen), Jessica Heidhoff (Feuilleton)

Layout:

Valerie Schröder, Kai Ole Laun, Lisa Mertens

Grafik:

Lisa Mertens, Katrin Pleus, Fatima Yoldas, Hanna Düspohl, Stefanie Schön, Jeannette Hausmann, Karen Blindow, Hans-Christian Rolfs

Mitwirkende Redakteure:

Björn Knutzen, Kira Kettner, Benjamin Reetz, Nora Enzlberger, Alina Fischer, Joschka Schmitt, Alexandra Knief, Christina Freihorst, Annika Wachter, Anne Kathrin Evers, Jan-Hagen Rath, Marina Pavic, Jan-Philipp Goslar, Michaela Meyer, Nadine Döring, Farnaz Khoosrozadeh, Maike Kilian, Daniela Yavuzsoy, Elisabeth Schmidt

Titelbild: Stefan Kampe, Lukas Niggel

Druck: Druckerei Peter von Kölln, Scipiostraße 5a, 28279 Bremen Auflage: 3000 Für den Inhalt der einzelnen Artikel sind die Autoren verantwortlich. Die in Artikeln oder Kommentaren zum Ausdruck kommende Meinung spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Alle Angaben ohne Gewähr.


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