Schauspielhaus Zürich - Journal #11

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Foto: Sophia Bodmer

Close Up

Das einfache Erzählen einer Geschichte In der Reihe Close Up bringt der Ensemblespieler Michael Neuenschwander den isländischen Roman „Der Junge, den es nicht gab“ von Sjón auf die Bühne. Dramaturgin Gwendolyne Melchinger sprach mit Michael Neuenschwander und Regisseurin Sophia Bodamer über deren gemeinsame Arbeit.

Was ist das Besondere an dem Roman „Der Junge, den es nicht gab“ und was hat dich, Michael, dazu bewogen, ihn im Theater zu präsentieren? Sjón lässt in seinen Romanen mit einer Mischung aus Recherche, Realität und Fiktion Welten (wieder-)entstehen, die verschwunden sind. Das gefällt uns. Und wir mögen seinen subversiv-humorvollen, surrealen Blick auf das Leben. Fürs Close Up interessiert uns das einfache Erzählen einer Geschichte – so wie mir mein Grossvater früher Geschichten erzählt hat. Und dabei liefen vor meinem inneren Auge Filme ab. Der Junge, „den es nicht gab“, lebt in einer Welt aus Filmen, die er unentwegt weiterspinnt und mit seinem eigenen Leben verflechtet.

ten wollen. Uns war dabei wichtig, einen Stoff zu finden, bei dem man sich auf das einfache Erzählen einer Geschichte konzentrieren kann. Sjóns Roman ist, wie schon erwähnt, sehr vielschichtig und sprach uns auf vielen Ebenen an. In einem ersten Schritt haben wir ausprobiert, wie auf der Bühne mit sehr einfachen Mitteln eine Geschichte erzählt werden kann, um dabei vor allem das Kopfkino im Zuschauer auszulösen.

Und was meinst du, Sophia? Sjón legt uns in seinem Roman „Der Junge, den es nicht gab“ anhand der Geschichte des 16-jährigen Máni Steinn ein Zeitbild Islands im Jahre 1918 vor. Aber Sjón schafft auch eine Hommage an den Stummfilm und die Anfänge der Kinos und vor allem porträtiert er einen schwulen Aussenseiter, der sich seinen Lebensunterhalt als Stricher verdient und mit der Homophobie der Gesellschaft jener Zeit zu kämpfen hat. Bestechend ist auch die grossartige Bildsprache Sjóns, die manchmal sogar ins Surreale geht. Er schafft es, Geschichte und eine sehr bildhafte Fantasie zu vereinen, was meiner Meinung nach sehr besonders ist.

Was macht für dich eine gute Geschichte aus? Eine gute Geschichte kann es nur geben, wenn Kraft ihrer Sprache eine Welt entstehen kann. Und natürlich helfen Sex and Crime und Halluzinationen.

Wie war eure Herangehensweise für eine Umsetzung auf der Bühne? Michael und ich haben uns gemeinsam auf die Suche nach einem Stoff gemacht, den wir zusammen erarbei40

Michael, hat das Erzählen von Geschichten auf der Bühne deiner Meinung nach seinen Stellenwert verloren? Nein, hat es nicht – überhaupt nicht. Man muss es einfach öfter machen.

Der Junge, den es nicht gab nach dem Roman von Sjón / Regie Sophia Bodamer Mit Michael Neuenschwander 8./10. April / 27. Mai, Pfauen/Kammer


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