Festschrift Junges SchauSpielHaus 2011

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ihren Mitteln operieren, und andererseits die sehr opulenten Arbeiten von Barbara Bürk. Außerdem bringen diese Regiepersönlichkeiten auch andere Methoden für die Proben mit, was wiederum für die Lebendigkeit der Ensemble­ arbeit sehr wichtig ist. Der Wechsel hält alle künstlerischen Prozesse äußerst wach und lebendig. Im Publikum sieht man oft auch ältere Zuschauer. Ist das beabsichtigt? Kannst und willst Du gezielt für bestimmte Altersgruppen inszenieren? Wenn Du »Romeo und Julia« am Großen Haus machst, könnte das eins zu eins für das Junge Schauspielhaus übernommen werden oder denkst Du dann an eine andere Zielgruppe? Ich gehe im Prinzip von einer sehr ähnlichen Wahrnehmung aus. Der Unterschied besteht bei meiner Inszenierung von »Romeo und Julia« darin, dass die Bühne im Großen Haus andere, größere Bilder erfordert als der Malersaal. Grundsätzlich versuche ich in meinen Inszenierungen das Tempo und die Energie immer hochzuhalten, sowohl emotional als auch was den Fortlauf der Geschichte betrifft. Mich freut es, dass wiramJungenSchauspielhauseingenerationenumspannendes Publikum haben, dass sich Leute aus allen Generationen mit diesem Ort identifizieren können. Vielleicht weil hier GeschichteninhoffentlichraffiniertenZeichensystemenerzählt und konstruiert und eben nicht dekonstruiert werden. Theaterinterne Diskurse werden bei uns selten geführt, weil das Kinder und Jugendliche überhaupt nicht interessiert – und offenbar auch viele Erwachsene nicht. Wie gesagt, die Sehnsucht nach Geschichten, Sinn und Zusammenhang ist groß, deshalb gibt es vielleicht diesen Zulauf von Erwachsenen in diversen Kinder- und Jugendtheatern bundesweit. Ein besonderes Prinzip am Jungen Schauspielhaus ist die ErschließungneuerSpielorte;IhrtragtdasTheater–etwamitdem »Utopia-Mobil-Bus« – in die Stadt.Welche Erfahrungen gibt es

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damit,welcheFunktionhates,z.B.ineinemCaféinderSchanze zu inszenieren und die Straße als Spielort einzubeziehen? Wir suchen immer wieder nach Möglichkeiten, unser Spektrum zu erweitern. Dazu gehört auch, dass wir das Theater in die Stadt hinaustragen und so auf unser Publikum weiter zugehen. Mit »Paradise Now« haben wir beispielsweise die »Hamburger Botschaft«, eine Bar in der Sternschanze, bespielt und auch die Szenerie vor der Bar als Kulisse benutzt. Mit »NippleJesus«, einem Stück, das sich auf humorvolle Weise um Absurditäten in der Kunstszene dreht, waren wir in der Hamburger Kunsthalle und in den Deichtorhallen. Es geht dabei auch darum, Alltagsorte in andere Bedeutungen zu tauchen. Eines der schönsten Beispiele ist für mich unser Klassenzimmerstück »Plötzlich ist er aus der Welt gefallen« von Michael Müller. Da gehen drei Schauspieler in Klassenzimmer und erzählen den Schülern die Geschichte eines verhinderten Amoklaufs. Nach solchenVorstellungen merkt man, dass sich für die Schüler ihre gewohnte Umgebung grundlegend verändert hat. Solche Wahrnehmungsveränderungen zu erzeugen, die einfache Wirklichkeitskonstruktionen hinterfragen, sehe ich als wichtige Aufgabe des Theaters. Mit dem »Utopia-Mobil-Bus« haben wir eine weitere, spannende Spielstätte dazugewonnen, die die verschiedenen Stadtteile und Schulen erreicht. So werden wir übrigens unserem Anspruch etwas gerechter, ein Theater für alle Schichten zu sein. Was erwartet/erhofft Ihr Euch von der neuen Spielstätte in der Gaußstraße? Dass das Junge Schauspielhaus ein eigenes Haus in einem so attraktiven Stadtteil wie Ottensen bekommt, sehen wir sehr positiv. Hier im Haus war die Disposition der Vorstellungen und Proben oft schwierig, da es sich um einen Mischbetrieb handelt. Im neuen Gebäude können wir

schalten und walten, wie es der Spielplan des Jungen Schauspielhauses erfordert. Ottensen ist gleichzeitig auch ein viel größeres Stadtzentrum als St.Georg, weil hier am Hauptbahnhof doch sehr viel weniger Stadt und Vielschichtigkeit spürbar ist. Dazu kommt, dass die Gaußstraße ein neues Theaterzentrum wird: Das Thalia Theater ist schon da, und jetzt kommen noch die Theaterakademie und wir dazu. Ich glaube, dass das Synergieeffekte haben kann und die Attraktivität dieses Ortes erhöht. Was die Architektur des Hauses betrifft, bewegt man sich natürlich immer zwischen dem, was möglich ist und dem, was man sich wünscht. Wir können aber in vielen Fragen Einfluss nehmen, und das ist auch gut so, weil ein Theaterbetrieb sehr viele Eigenarten hat, die man berücksichtigen muss. Dieser Sprung an einen eigenen Ort ist ein großer Entwicklungsschritt, weil sich hier die Eigenmarke »Junges Schauspielhaus« noch stärker etablieren kann. Dennoch: der Anschluss an das große Mutterhaus bleibt, denn davon profitieren beide Seiten. Wie wird es mit dem Jungen Schauspielhaus weitergehen? Was gibt’s an Zukunftswünschen, auch an die Politik, an die Rahmenbedingungen? Ich hoffe, dass wir weiterhin eine so große und positive Aufmerksamkeit von unserem Publikum und von der Hamburger Öffentlichkeit bekommen. Und ich hoffe insbesondere, dass die kulturpolitischen Entscheidungsträger sich immer einen Bezug zu diesem Theater bewahren. Ich glaube nämlich, dass diejenigen, die diesen sehr lebendigen Ort kennenlernen und erleben, wie intensiv die Prozesse zwischen Bühne und Zuschauerraum bei uns sind, diese Institution nie in Frage stellen werden.

»Ehrensache« von Lutz Hübner | Regie: Klaus Schumacher | Ausstattung: Katrin Plötzky || Maureen Havlena, Julia Nachtmann, Konradin Kunze


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