Nr 10 1936

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D I E WELTMEISTERSCHAFTEN 1 9 3 6 I N INNSBRUCK 21. - 22. Februar Von Heinrich Fueter, SAS, Zürich

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Am Arlberg. März 1935 . Die braungebrannte Ungarin handhabte die kleine Orgel meisterhaft. Die BuGchen saßen um sie herum und sangen Lied um Lied. Die alte Kirchmauer fing die letzte Wärme der Abendsonne ein und im Horizont verglühte mehr und mehr das Gipfelland der Silvretta. Wir stimmten den letzten Sang an, mit weiten großen Akkorden klang's zum Lob der Innstadt ,,Mein schönes Innsbruck am grünen Inn . Und wie wir dann die Bretter von der Mauer nahmen, reckte sich einer und meint: Im 33 bei die FIS hamer gsungen ,mein grünes Innsbruck am schönen Im' . . . Elf Monate später waren die bombastischen Feierlichkeiten der Olympischen Spiele in Garmisch verrauscht. Im Abendzug zwischen Wörgl und Innsbruck stand ein ganzes Paket Journalisten am offenen Fenster und wunderte sich über: Mein grünes Innsbruck am schönen Inn. Es war keine Täuschung. Tirols Metropole offerierte alles, vom steinernen Barock bis zum gegenwärtigen Charme, alles, ja alles - außer Schnee . Organisation. Beides fehlte der nordseitig gelegenen A b f a h r t s s t r e C k e vom Pfrimesköpfel. Bis auf das letzte schwierigste Stück war es dieselbe Strecke wie 1933. Wenn Dr. Martin im ,,Schneehasen" 1933 schreibt, daß nur der erste Teil damals schwierig war, so kann man diesmal von zunehmenden Schwierigkeiten von oben nach unten reden. Durch saftiggrüne Wiesen wanderte eine recht bescheidene Zuschauermenge unter einem blankgefegten Föhnhimmel hinauf zum letzten Teilstück, der in wenigen Stunden berhhmt-berüchtigten WaldPassage. Auf wenige Meter breit zog sich hier ein (soit disant Schnee-)Band zwischen riesigen Tannen talwärts, ein Band gespickt mit Tannennadeln, kleinen Ästchen, dürren Blättern, garniert mit Baumstrünken, Steinen und Wurzelknorpeln, flankiert von einem urchigen Waldbestand. ,,Sakrisch" heißt der Ausdruck im Österreichischen, sofern man den internationalen ,,wahnsinnig" vermeiden will. Wohl bestrich die Sonne in der Hohe die Baumwipfel, das eisige Band in der Tiefe aber lag im harten, kalten Dunkel. Einige Male, der offizielle Startbeginn war längst vorüber, rutschte ein Jemand über die schmale Flanke, nummernlos, stürzte oder hielt erschöpft inne, verschwand dann mit quergestellten Skiern lärmend in der Tiefe. Die aufgeworfenen Harsch- und Eissplitter dieser Versuchskarnikel waren die plausibelste Erklärung für die Startverschiebung. Immerhin, man hittte eine offizielle Verkündung ertragen. Doch wittert ja zu guter Letzt auch das Sportspublikum manchmal, was einige 100Meter höher in aller unnötigenverschwiegenheit beschlossen wird. Auf aperem Waldboden kraxelte man der Piste entlang hoch und legte sich am Eingang der Gasse, der ein Transparent mit Dantes Inferno-Worten leider wohl angestanden hätte (Per me si va nelh citt& dolente . .), in die Fruhlingssonne. Nach einer Weile hatte sich denn auch die Ansage eines neuen Zeitpunkts bis zu diesem Ruheplätzchen durchgesprochen. Aber auch zu dieser Stunde war noch keine Rede von verbesserter Bahn. Die Naturhärte hatte weder Sonne noch Salz gemildert. Und dann begann dieses Schauerspiel. . . Die internationale Presse hat es wenige Stunden spitter (zum Teil in der widerlichen Mischung von Sensationsfreude und Entrüstung) in die Welt geschrieen Dem Gast gebührt die Ehre. Willy Steuri, für dessen Draufghgertum wir hier ganz besonders fürchtemn, legt als erster seine Hölzer in die Kehren. Blut rieselt über sein Gesicht, indessen er vorsichtig, meist seitlich abrutschend, die Schneise durchfährt. Unten aber, wo die Waldpartie in einer scharfen Rechtswendung in eine steile Hangtraverse überfuhrt, die dann in eine bucklige Talsohle mit leichter Gegensteigung und langsam abfallender Zielgeraden mündet, dort an jenem schmalen Eck, verliert er die Führung, schwingt mit den Armen, sucht wild die Balance, kommt dabei aber zu sehr in Fahrt und stürzt kopfüber in einen Harst von Kleinholz. Rettungsschlitten und der Schweiz einen Abstrich, das sind die nüchternen ersten Feststellungen. Überraschend ist Peter Lunn. Wer ihn in Garmisch sah, hätte ihn hier nie so klug fahrend erwartet. Nr. 6 wäre Pfnür gewesen, aber oben: Die Politik hat den Sport verseucht. Man kann nicht mehr auf dem Schnee anderer Nationen fahren. Sörensen faßt die Klippen rauh an. Sein Anspringen beim Wenden läßt ihn stets tiefer kommen als beabsichtigt. Zanni und Durrance (Amerika) gelingt trotz Vorsicht die Rutscherei nicht. Allais erscheint beherrscht, doch stürzt er in der Traverse schwer und verliert Zeit. Jubel ertönt, in kolosspler Fahrt steuert Rudi Matt in die verworfenen Kurven. Er notiert hier 5 Sekunden weniger als Allais. Schlunegger ist sichtlich langsamer, stürzt, um dann aber aufs Ganze zu gehen. Die Zielgerade durchsaust er rascher als alle bisherigen. Nach dem ermüdeten Hudson taucht zwischen den Stämmen Sigmund Ruud auf. Sein Tempo ist wahnwitzig. Er setzt auf der kleinen Schneisenterrasse in der Mitte des Waldstücks zum Schuß an, wirft sich in die verbaute Vertikale, satzt uber die in die Bahn gelegte, mit gelben Gefahrfäinnchen zündende Tanne - es geschieht das Unwahrscheinliche - ein Fahrer in der Luft, hier in der schmalen gewundenen Baumgasse -, sicher steht er den Aufsprung, gerät aber leicht links, rast der äußersten Tanne des Waidecks entgegen, streift mit der Schulter, unmöglich ist ein Abbiegen nach der Traverse, da schleudert's schon den Körper hoch in die Luft über dem Hang, schmettert ihn in die kleine Forstplantage hinunter - das Bündel Mensch aber wirft's wie einen Gummiball nochmals hoch, um dann zusammengeknüllt zwischen Tännchen und Schneeresten liegen zu bleiben. Menschen stürmen herbei!

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