Othmar Motter – Nachwort Peter Niedermair

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Nachwort Peter Niedermair Die Frage, wer Othmar Motter war, was seine Bedeutung als Grafikdesigner und Schriftenentwickler, Impulsgeber und Begründer neuer Formen von Atelierkooperationen war, fällt mit der Frage nach den historischen, politischen und ökonomischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert zusammen. Provinzialität ist heute nicht mehr eine ›Funktion des Ortes‹, sondern Ausdruck einer Haltung, wie sie in der Landes- und besonders der Kulturpolitik Vorarlbergs nach 1945 unter den Landeshauptleuten Ulrich Ilg und Herbert Kessler sichtbar wurde. Die Kultur wurde zur Chefsache erklärt, die Kulturauffassung zeigt deutliche Kontinuitäten zur Praxis des austrofaschistischen Ständestaates. Ein ausgeprägtes katholisches Weltbild und eine restaurative Grundhaltung in der Politik der ÖVP lassen sich insbesondere in der Kulturpolitik des Landes, wie sie unter Arnulf Benzer, dem leitenden Kulturbeamten, der bis in die Mitte der 1970er Jahre das Sagen hatte, nachweisen. Dies lässt sich u.a. ablesen an der Schriftstellerförderung, den Literaturpreisen und Buchankäufen, an der Zensurpolitik (Twistverbot 1962), an den Spielplänen des Vorarlberger Landestheaters und der Bregenzer Festspiele, für die der damalige LH Ulrich Ilg absolut nichts übrig hatte, sie seien ›hinausgeworfenes Geld‹.

schlossene Welt mit all ihren Abgrenzungs- und Abschottungsversuchen war nicht mehr länger möglich. Hinzu kommt ein wirtschaftlich-gesellschaftlicher Aspekt, der die gesamte Entwicklung maßgeblich mitbeeinflusste. Diverse in Vorarlberg ansässige Firmen, die begonnen hatten, transnational zu agieren, wollten und mussten aus ökonomischen Gründen ihren Austausch in Europa und darüber hinaus intensivieren. Dies produzierte auch mehr Öffnung und verlangte nach einer anderen Dimensionierung der Bildung und der Kunst und machte die Notwendigkeit der Internationalisierung klar. Auf der nationalen Ebene spiegeln sich diese Entwicklungen in der mit der Regierung Kreisky einsetzenden Politik der Reformen, in der Bildungs- und Kulturpolitik. Dieser Diskurs reichte hinein in andere politische Handlungsfelder, in soziale, ökonomische und kulturelle, insgesamt in demokratiepolitische. Als gewollte Form gesellschaftlichen Lebens waren alle diese Fragen auszuverhandeln. Der Kulturboom in Vorarlberg, der mit Ende der Siebziger Jahre einsetzte, geht Hand in Hand mit dem Going Abroad vieler Vorarlberger Firmen, die sich international einen Namen gemacht hatten. Einer, der indirekt daran maßgeblichen Anteil hatte, war Othmar Motter und sein Partner Sylvester Lička. Kontinuitäten und Spezifika In beiden Biografien — wie in denen zahlreicher anderer Vorarlberger — gibt es Nähen zur In der vorarlbergischen Landesgeschichte gibt es Ideologie des Nationalsozialismus, wie es sie in Kontinuitäten, die in die Zeit des NS reichen und vielfacher Art und Weise auch in der unmittelmit einer Person, mit Elmar Grabherr verknüpft baren Nachkriegsgeschichte gibt. Wenn man sind. Er war viele Jahre lang einer der mächtigsschaut, mit wieviel juristischem Geschick große ten Männer Vorarlbergs. 1944 noch sicherte er Unternehmen wie u.a. F. M. Hämmerle in Dornbirn Gauleiter Franz Hofer in Innsbruck in mehreren sich um die beiden Entnazifizierungsgesetze Briefen seine Unterstützung für die Ideologie des herumdrückten, eine Firma in jener Stadt, die NS zu. Als Wortführer der Pro-Vorarlberg-Initiative, sich rühmte, ›das erste völlig braune Nest zu die ›mehr Selbständigkeit‹ für Vorarlberg forderte, sein‹. Nach 1945 waren jene re-installiert worden, erlangte er 1979/80 erneut großen Einfluss. Bis die im Ständestaat installiert waren, in der Regel ca. um 1970 trug der Kulturbereich mehr oder jene aus der dritten und vierten Reihe. Sie weniger alle Insignien eines Kirchenstaates. In kamen zum Zug, weil unter den Tausenden aus den Jahren bis 1970 hatte sich jedoch vieles dem Land Gejagten, ins Exil Gezwungenen oder grundlegend geändert. Die bis dahin gein die Konzentrationslager Verbrachten und dort 341

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Getöteten, sich nahezu die gesamte Intelligenz des Landes befand. Danach war die Welt mit Brettern beschlagen. Im Gründungsmythos der Zweiten Republik, dessen Grundstein die Alliierten bereits vor Ende des Zweiten Weltkrieges gelegt hatten, in diesem Mythos von Österreich als dem ersten Opfer Nazi-HitlerDeutschlands, konnte vieles so weitergehen wie davor. Dem euphorischen Wiederaufbau im Schatten des Nie mehr wieder! stand die Semantik des Schweigens, kollektiv und sozialpartnerschaftlich gegenüber. Das einleitend hier Notierte ist mit ein Grund, warum uns manches in der vorliegenden Auseinandersetzung mit den Persönlichkeiten Othmar Motter und dessen Partner Sylvester Lička, vor allem in deren beruflichem Tun, ambivalent erscheint oder erscheinen mag. Mögen beide Persönlichkeiten sich viel Ehr und Ruhm erworben haben, daran sei kein Zweifel; beide haben neben ihren zum Teil ironischen Brechungen in der Biografie auch affirmative Verhaltensweisen gezeigt. Dies wird deutlich in der Auseinandersetzung der Generationen von Vorarlberger Grafikdesignern mit den Pionieren ihrer Berufsgeschichte. Der um 15 Jahre ältere als Othmar Motter, Reinhold Luger, hat seine Gründe, warum er diesem skeptisch gegenüber steht, während er gleichzeitig einzelne Verdienste sehr wohl würdigt. Dem Jüngsten unter den interviewten Grafikdesignern, Christian Feuerstein, fehlt in den heutigen Ausbildungsorten die Auseinandersetzung mit der berufsspartenspezifischen Geschichte, er spricht u.a. auch von Blinden Flecken, die es in dieser österreichischen Geschichte gibt.

zu ihm habe er nie gehabt. Vor ein paar Jahren habe er einmal eine Arbeit eines Studenten an der FH betreut, der sich genau mit diesem Thema auseinandersetzte. So gesehen wisse er, wer Motter war, was er gemacht habe und wie bedeutend er für die Vorarlberger Grafikszene war. Wer war Othmar Motter? Ausgewählte biografische Linien

OM wird, wie mein Vater, 1927 geboren. Wie OMs Vater und Großvater waren auch meine aus dem italienischen Trentino bzw. Südtirol eingewandert. OM begleitet, in einer, wie es heißt, ›unbeschwerten Kindheit‹ in Hard am Bodensee, die politische Ideologie des Ständestaates bzw. Austrofaschismus in den Dreißigerjahren, der Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland und der Zweite Weltkrieg. Am Bregenzer Gymnasium bekommt er von Schuldirektor Seger wiederholt die Aufgabe übertragen, die Wochensprüche, Propagandaund Durchhalteparolen des menschenverachtenden Regimes zu gestalten, die in der Schule als Plakate aufgehängt werden. Der Direktor, dessen Bruder Professor an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien ist, empfiehlt dem jungen Othmar Motter eine Karriere als Gebrauchsgrafiker. Mit 15 geht er zunächst an die Allgemeine Studienabteilung für Zeichnen und Malen (Asta) an der Kunstgewerbeschule in Innsbruck. Im Wintersemester 1943/44 beginnt er sein Studium an der Graphischen in Wien. Mit 17 muss er zum Reichsarbeitsdienst nach Polen, doch er erkrankt und wird erst kurz vor Kriegsende zur militärischen Grundausbildung eingezogen. Er überlebt die Kriegszeit in französischer KriegsgefangenDie kompilierten Interviews schaft in Bludenz. Othmar Motters und die Biografien seiner späteren Berufskollegen, Ich habe nach ausführlichen Recherchen und Sylvester Lička und Hans Kaiser, mit denen kritischer Auseinandersetzung mit der Quellener 1952 die Vorarlberger Graphische gründet, lage mit hierzulande tätigen, anerkannten Grafik- werden vom Krieg und von der Nachkriegszeit designern gesprochen und sie zu Othmar Motter unter französisch-alliierter Befreiung stark um ihre Einschätzungen gefragt. geprägt. 1947 setzt er sein Studium an der Kurt Dornig Buchgestalter und Grafikdesig- Graphischen in Wien fort, die er mit der Meisterner, hat Othmar Motter nie persönlich kennenge- klasse abschließt. Interessant ist eine Schriftlernt, man sei sich ›ein- zweimal über den Weg ge- übung aus der Graphischen, die ihn als der Ironie laufen‹, ein richtiges persönliches Naheverhältnis gegenüber offenen Grafiker erkennen lässt

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›...nd sie haben aus mir einen Deppen gemacht‹ (  Abb. 999). Persönliche Motive bewegen ihn, nach Hard an den Bodensee zurückzukehren. Sylvester Lička, sein erster Geschäftspartner bei der Vorarlberg Graphik, meinte einmal in einem Gespräch mit Jan Kammann, dass einer wie Motter in New York sicherlich viel mehr Erfolg machen hätte können. Wir kennen solche Karrierenbilder auch aus der Gegenwart, vgl. Stephan Sagmeister, über den Kurt Dornig in einem Buch von designaustria vor Kurzem Ähnliches, allerdings in umgekehrter Richtung andeutet. In Hard angekommen, gründen Motter und Lička eine Atelierpartnerschaft mit Hans Oberbacher, der schon seit einigen Jahren für Vorarlberger Unternehmen wie Alma, Pfanner oder Elastisana arbeitete.

999 999 Kalligrafie-Übungsblatt,

Graphische Wien, undatiert.

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Modell für Atelierpartnerschaft Das Modell Vorarlberger Graphik beruhte auf zwei erfolgsversprechenden Prämissen, zum einen gingen 70 % der Spesen an den verantwortlichen Grafiker, mit dem Rest wurden 25 % der Unkosten fürs Atelier finanziert, und der kleine Rest von 5 % ging an die beiden Inhaber Motter und Lička. Unter diesen Bedingungen konnten die Freien wie Selbstständige verdienen und mussten sich nicht um das Aquirieren von Aufträgen kümmern. Zum anderen durften die Grafiker neben der Kennzeichnung Vorarlberger Graphik auch noch ihren eigenen Namen setzen. Die VG hatte als Kollektiv starke Auftritte, die einzelnen Grafiker wurden für ihre Leistungen entsprechend gewürdigt und machten sich einen Namen. Die meisten blieben nur ein paar Jahre; in den 50er Jahren gründeten viele Unternehmen


eigene Werbeabteilungen. Sylvester Lička wurde 1956 als Werbeleiter beim Dornbirner Textilunternehmen F. M. Hämmerle engagiert. Wer war Othmar Motter in seiner Bedeutung für die Entwicklung der Szene hier in Vorarlberg? Im Dezember 2015 wurde in Dornbirn eine weitere Monografie, die Nr. 14 in der designer leben Reihe, von designaustria herausgegeben, die Sylvester Lička gewidmet ist. Diese Reihe beschäftigt sich mit den Designpersönlichkeiten im 20. Jahrhundert. Mit dabei sind die Klassiker wie Helmut Benko oder Joseph Binder. Dornig: ›Auffallenderweise bis jetzt nur Männer. Irgendwann sollten da endlich die Frauen kommen. In diesen kleinen Monografien wird versucht, die Geschichte aufzuarbeiten. Und einer der Ersten war Motter, seine war die Nr. 3. Der Grund, warum Motter und Lička nicht in Wien geblieben sind, war, dass es in Wien bereits viele Grafiker gab, aber sehr wenige in Vorarlberg. Deren beider Rechnung ist voll aufgegangen. Die Textilindustrie boomte zu dieser Zeit; Sylvester Lička ist nach einigen Jahren aus der VG ausgestiegen und hat bei Hämmerle die Werbeabteilung übernommen, bzw. hat sie aufgebaut. Doch beide arbeiteten nach wie vor sehr intensiv zusammen. Motter war ein begnadeter Typograf, der extrem zeitgemäße und für die Zeit unglaublich stimmige Typografien entlang der unterschiedlichen Aufgabenstellungen entwickelte. Im Gegensatz zu heute, hat er zunächst für ein bestimmtes Unternehmen Logos entwickelt; aus dieser Type hat er dann eine Schrift abgeleitet. Das waren oft so spektakuläre Schriften wie die Motter Tektura, die nicht unbedingt gut lesbar ist, aber speziell für Headlines und große Plakatformate oder für kurze Texte sehr auffällig war, mit starker bildhafter Wirkung, das ist genau darum, weil diese Schrift ursprünglich für ein Logo entwickelt worden ist. Mit bildhafter Signalwirkung.‹ Reinhard Gassner ›Othmar Motter war einige mal bei uns im Atelier, auch ich habe ihn gerne besucht. Er war Grafikdesigner und Schriftgestalter mit großem schöpferischem Potential und 344

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europäischem Format. Auch das frühe Geschäftsmodell einer emanzipierten Büropartnerschaft mit Kollegen war zukunftsweisend und wird heute viel praktiziert. Besonders imponiert haben mir seine Plakate der 70er- und 80erJahre. Sie waren um Klassen besser und wirkungsmächtiger als das was heute so als Veranstaltungswerbung herumhängt (Messe Dornbirn eingeschlossen). Er hat die Dinge auf den Punkt gebracht — und an den Mann. Seine Arbeit war geprägt von Reduktion, formaler Kraft und Kommunikationsfreude. Er war Pionier der Bildbedeutung in Farbe, Form und Schrift; wusste, was die Dinge bedeuten und wie man diese Bedeutungen für die angewandte Gestaltung nutzt.‹ Wir sind eine andere Generation Differenziert sieht ihn Reinhold Luger: ›Ich denke, dass er als Schriftentwickler eine große Rolle in unseren Breiten gespielt hat. Seine Schriften sind international verwendet worden. Um meine Beziehung zu ihm zu klären: ich hatte ganz wenig Kontakt mit ihm.‹ PN: Hatte das einen bestimmten Hintergrund? Luger: ›...den immerwährenden, dass jemand, der fünfzehn Jahre jünger ist und in einer völlig anderen Zeit beginnt zu arbeiten, einfach eine Distanz hat. Insofern waren die Vertreter dieser Generation vor mir nicht Vorbilder für mich. Man darf nicht vergessen, dass in dieser Zeit die Informationen auch ganz anders gelaufen sind. Er hat 52 begonnen, und ich 68, das musst du dir vorstellen. Ich beginne praktisch mit Woodstock, mit Flower Power.‹ Motter, Lička und Kaiser repräsentierten einen völlig anderen Spirit in der damaligen Zeit. Sie waren die Pioniere nach dem Zweiten Weltkrieg, mussten praktisch an der Vorkriegsgrafik anknüpfen, die ganz bedeutend war, wie man an Binder ablesen kann, die guten waren natürlich Juden und haben das Land, soweit es möglich war, verlassen, sind in die USA, wurden weggejagt. Luger: ›Und hier war dann totaler Stillstand, die mussten bei Null beginnen, auch Hanser (Josef, A. d. Hrsg.) zum Beispiel. Von den Exilierten ist niemand zurückgekommen‹ — auch nicht eingeladen worden zurückzukommen — ›Die


999 Titelblatt der Broschüre zur

Spielboden-Reihe Vorarlberg im März, 1988. 999

haben also in Amerika gewerkt, und zu meiner Zeit ist alles Mögliche an Information über die Musik oder aber auch in unserem Bereich aus Amerika gekommen. Da hat es große Vorbilder, auf die wir geschaut haben.‹ Diese internationalen historischen Verknüpfungen sind von großer Bedeutung. Luger: ›Mich haben diese Beziehungen immer sehr interessiert. Es kann nicht meine Aufgabe sein, Othmar Motter Lob zu hudeln. Ich mag ihn einfach auch kritisch sehen, für mich war er in der Tradition der österreichischen Grafik, die jedoch für mich nicht relevant war. Man darf auch nicht übersehen, dass die Information erst in meiner Zeit so richtig gelaufen ist. Die Fachpublikationen sind aus Amerika gekommen, aus England, aus Japan, damit hat sich unheimlich viel für uns aufgetan. U.a. eben auch die Distanz zu den Älteren — Nichtsdestotrotz habe ich natürlich gesehen, dass viele Logos auf der Basis seiner Schriften entstanden sind, das war schon allerhand. Ich habe ihn glaube ich dreimal getroffen, und dann war er ja schwer krank, wir haben also keine persönliche Beziehung gepflegt. Wir haben uns auch in völlig anderen Kreisen bewegt.‹ Ich erinnere mich an eine Zusammenarbeit mit Nolde Luger, für eine gesellschaftspolitische 345

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Spielboden-Reihe, Vorarlberg im März 1988, die ich mit Gebhard Greber und Werner Bundschuh in Kooperation mit der Malingesellschaft konzipiert und organisiert hatte. Nolde Luger hat für das Thema die grafische Gestaltung der Kommunikationsmittel dieser Reihe gemacht. Faszinierend war, wie er auf dieses Thema eingestiegen ist und ein Hakenkreuz in die Landschaft hineingebettet hat (  Abb. 999). Luger: ›Das ausapernde Hakenkreuz, darauf bin ich heute noch ganz stolz. Das war eine gute Kooperation, aber wir sind auch eine andere Generation.‹ ›In Erinnerung habe ich die Bereiche, die nicht so meine waren, Fremdenverkehr z.B. Ich erinnere mich allerdings an dieses legendäre Plakat mit der Hand auf dem Popo, diese Kaminkehrer-Hand. Ich weiß jetzt nicht mehr, ob man das Plakat abhängen musste oder ob die Prozession da drum herum geführt wurde. Er hat auch etliche Festspielplakate gemacht; und ich dann anschließend an ihn habe 20 Jahre Bregenzer Festspiel Plakate gemacht. Da gab es vom Thema her eine Berührung, aber nicht formal und was das Denken anlangte.‹ Die Wahrnehmung des Gesellschaftlichen war eine andere. Luger: ›Und das hat bei mir eine eminente Rolle gespielt. Dieses 68, ich bezeichne mich ja


immer noch, obwohl das heute fast wie ein Schimpfwort klingt, als alten 68er.‹

Grafikdesigner mittendrin. Man hat eine gewisse Ahnung, wer sich auf wen, wie bezieht, wer sich in seinem Selbstverständnis in welcher Tradition Gebrauchsgrafik sieht und begreift, das meint auch die Impulse, die in dieser Landschaft schon vor ihnen da Neben seiner Entwicklung von Schriften wie waren. Ob Othmar Motter für seine Arbeit eine der Tektura, die weltberühmt ist, hat er auch Rolle spielt? ›Auf jeden Fall, einerseits was die sehr viel Grafik und Plakate gemacht. Dornig: Konstellationen anbelangt, ich war am letzten ›Ja, das ging Hand in Hand. Er hat sich nie als Freitag auch auf dieser Buchpräsentation von ausgewiesener Typograf betrachtet. In gebrauchs- Sylvester Lička und sagte zu ihm, ich möchte graphik international, ein Vorläufer des heutigen ein Autogramm von Ihnen, weil Sie große Vornovum Magazins, hat er in den 60er Jahren in bilder waren, auch was die Umwandlung von einem großen Artikel — es waren mehrere Seiten einem Atelier in eine Freie Kooperation beüber ihn drin — gesagt, er hat vielmehr Logos troffen hat. Diese Schritte waren für uns und entwickelt, sich also als reiner Gebrauchsgrafiker viele andere bahnbrechend. Sie haben ein begriffen, eine nach wie vor passende BezeichKombinat oder wie man dem sagt, diese Gruppe, nung, weil man im Dienste des Kunden etwas gebildet, haben viel mit Praktikanten gearbeitet entwickelt, im besten Sinne, er hat sich sicherlich und so das Gegenbild zur Agenturwelt kreiert. nicht als Künstler gesehen.‹ PN: War er ein Sie waren sechs oder sieben, wie man auf dem Impulsgeber für das Land, für die Grafiker hier? Foto sehen kann, wo sie alle aus einer Tür herDornig: ›Es gab in seinen Anfängen mit Lička ein ausschauen. Ich kann mich noch gut erinnern, einziges Büro in Vorarlberg. Es muss ein starker noch als Lehrling, da haben wir gehört, es gibt Impuls gewesen sein, fast wie ein Erdbeben, die so Typen, die tun so frei umanand, wo man Wirtschaft hat geboomt. Das Bewusstsein in der gleichberechtigt ist [...]. Wir haben das bei Vorarlberger Unternehmerschaft war sehr groß, saegenvier ein bisschen ähnlich gemacht, wir man baute sich gute Architektur und wollte haben deren Modell adaptiert auf die damaligen dann auch einen gediegenen Außenauftritt. Verhältnisse. Das war das Organisatorische, die Davor gab es Agenturen in Zürich, München und Konstellation.‹ Und das andere? ›Das andere ist in Wien. Und plötzlich gab es jemanden hier in das Vorbild Othmar Motter, der halb Vorarlberg Vorarlberg.‹ Sein Stil war signifikant und zeitgemit Logos ausgestattet hat. Manche dieser mäß. ›Wie weit seine Schriften bereits futuristisch Dinger sind heute noch da, andere sind schon waren, seiner Zeit voraus waren, zeigt, dass längst fort. Aber wir kennen die alle noch. OM große Marken wie Apple oder Reebok ihre Logound seine Kollegen haben die Wirtschaftsgetype mit Motter Schriften gestaltet haben, weil schichte Vorarlbergs maßgeblich mitgeprägt. sie diesen Cutting-Edge Spirit hatten, und Firmen, Wir haben damals gedacht, die machen ganz die sich selbst in diesen Cutting Edge SituatioVorarlberg, das sind irgendwie Wahnsinnige, und nen, also im State of the Art, befanden, haben die machen auch ganz andere Dinge, Rechtsansich natürlich in diesen Schriften wiedergewälte Österreichs, und so weiter, das waren funden. Da wird nicht ein neuer Stil nachgeäfft, für uns immer Vorbilder. Die haben das Erscheisondern ein neuer Lebensstil, ein neuer Way of nungsbild von ganz vielen Unternehmungen Life kreiert. Offensichtlich haben Motters Schrifgemacht, für Vorarlberg fast flächendeckend.‹ ten diesen Nerv genau getroffen. Seine Schriften ›Die dritte Geschichte, nach dem Einfluss waren so anders, Motter war zuvorderst dran in der Kooperativen und zweitens dem Einfluss, der Liga, bei allem auch was mit den Schriften dass sie Vorarlberger Unternehmen und Institufuturistisch war, so zusagen in den Space ging.‹ tionen mitgestaltet haben; waren seine Schriften, seine Arbeitsweise. Die Tektura, die Apple verSigi Ramoser ist in meiner Wahrnehmung der wendet hat, damit hat er eine Weltausstrahlung Szene generationell in der zeitlichen Abfolge der geschafft, Rebook und andere. Ich erinnere mich 346

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noch sehr gut an die Anfänge von Intermedia an der Fachhochschule Dornbirn, da war OM einmal auf Besuch und hat uns A3 Reinzeichnungskartone gezeigt, wo ein Buchstabe allein vier, fünf, sechs Stunden Arbeitet bedeutet hat. Und das ganze Alphabet und alle Sonderzeichen. Er hatte ein ganzes Regal voll von solchen Reinzeichnungen, die er in mühevoller Detailarbeit alle händisch gemacht hat. Lucas de Groot, ein Schriftgestalter, hatte damals eine ganze Schrift als Auftragsarbeit digital an einem einzigen Wochenende gemacht, das hat Othmar Motter sehr beschäftigt, sich aber stets geweigert, etwas am Computer zu machen. Für uns waren sie die großen Vorbilder, sie haben jungen Leuten die Chance gegeben, bei ihnen zu arbeiten. Wir haben immer ein bisschen hinüber gegückselt.‹ Othmar Motter war ein sehr lebens- und sinnenfroher Mensch. Dornig: ›Das war er sicher, er war ein neugieriger Mensch, der sich für vieles interessiert hat, und die beiden, Lička und er, hatten natürlich einen Superstrich, die konnten zeichnen. Die beiden haben das alles nach Vorarlberg gebracht, als man im benachbarten Deutschland oder in der Schweiz schon viel weiter war. Nora Stögerer hat in ihrem Buch Bekannte/Unbekannte das Historische der Grafik in Österreich sehr schön beschrieben. Vor und während des Krieges sind sehr viele emigriert, nach dem Krieg sind einige wenige zurückgekommen, aber nicht nach Österreich, sondern nach Deutschland und in die Schweiz, Max Bill hat am Bauhaus unterrichtet, in Österreich war die Entwicklung bei Null.‹ Man hat die gesamte Intelligenz im Ständestaat, im österreichischen Austro-Faschismus, als die Welt mit Brettern vor dem Kopf beschlagen war, aus dem Land getrieben und verjagt. Dornig: ›Josef Binder ist nach Amerika gegangen und hat Karriere gemacht, hat TWA gemacht, das war die modernste Fluglinie der Zeit. Österreich war außen vor; und in Vorarlberg waren die Unternehmen bereit, gewisse Dinge aufzunehmen.‹ Vorarlbergische Unternehmen waren durch die hohe Exportorientiertheit auch international tätig und stark, die wussten natürlich, was anderswo 347

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passiert und haben das auch für ihre Gestaltung eingefordert. Man musste konkurrenzfähig bleiben; die Firma F. M. Hämmerle war eine der ersten, die einen Staatspreis für Werbung bekommen hat; und Licka hat diesen Preis als Einzelperson bekommen und nicht als Agentur.‹ Nach den Pionieren Dornig: ›Zur nächsten Generation, nach den Pionieren Licka und Motter, zählten dann schon Grafiker wie Nolde Luger. Parallel gab es den Konzett, den Ender, einen Erich Wiener, einen Harry Marte, den Bitschnau. Sie bildeten die nächste Generation; einen ganz starken Impuls hat Reinhard Gassner gesetzt. Motter, danach Reinhold Luger und Reinhard Gassner haben danach, über das gute Design hinaus Bewusstseinsbildung betrieben.‹ PN: Kann man sagen, die Grafikdesign Landschaft in Vorarlberg ist gut aufgestellt? Dornig: ›Die Vorarlberger Grafiker haben international einen guten Ruf, innerhalb Österreichs ist es eine Marke. Es gibt zwar nicht so eine Lobby wie in der Architektur, aber es gibt in Vorarlberg zwei Bereiche, die outstanding sind und die jeder kennt. Der eine ist die Architektur, der andere ist Grafikdesign. Da vor allem wäre die Buchgestaltung herauszuheben, die absolut international mithalten kann. Die eigene Branche bringt es offensichtlich jedoch nicht zustande, sich selber zu vermarkten.‹ Es gab zwei Wettbewerbe zum Vorarlberger Grafikdesign, 1989 und 1991, das war ausreichend, um Vorarlberger Grafikdesign österreichweit als Marke zu etablieren; ›nebenbei wurde die Vielfalt der Szene dokumentiert. Ramoser, Sagmeister, Schedler, es gibt für die Kleinheit des Landes eine Fülle an hervorragenden Grafikdesigner. Sozialisiert wurde man hier im Umfeld, bzw. ist weggegangen, nach Wien oder New York. Heute gibt es andere Plattformen, im Netz, wo die Inspirationen auch von wo ganz anders herkommen.‹ PN: Von Japan bis Hawaii, von Grönland bis Kennelbach...Ich meine, ein Dilemma. Wie sollen denn alle diese Fragmentierungen kuratiert werden, wer konstruiert die Zusammenhänge? Wie erklärt man sich das Phänomen, dass so bedeutende Leute im Grafikdesign wie


Othmar Motter heute bei den Jungen offensichtlich ganz wenig bekannt sind? Ramoser: ›Wir haben Idole gesucht in unserer Zeit. Es ist eine Zeiterscheinung heute; heute kann man alles googeln, aber niemand vermittelt ein kuratiertes Bild, niemand baut die Zusammenhänge. Das ist wie mit der Nachhaltigkeit oder der Vergangenheit, wenn man die Vergangenheit nicht kennt, kann man auch nicht die Zukunft denken. Das ist eine katastrophale Entwicklung. An der FH waren Kunstgeschichte oder Designgeschichte bis dato Marginalfächer. Ich hoffe, es wird jetzt besser, alles was an der FH im Intermedia Lehrgang geschichtsbezogen war, ist ziemlich ausgeblendet worden.‹ Ein Junger, der bei Sigi Ramoser jahrelang Praktikant war und jetzt selbständig mit Roswitha Natter in Egg/Bregenzerwald ein Atelier betreibt, ist Christian Feuerstein. ›Im Zuge der Recherche zum Diplomarbeitsthema sind wir eigentlich darauf aufmerksam geworden, dass es in Vorarlberg einen ganz bekannten Grafikdesigner gibt. An der FH in den Lehrveranstaltungen ist der Name nie aufgetaucht, war nicht bekannt, ist nie erwähnt worden. Motter war nie ein Thema. Wir haben uns auf ein spezielles Thema eingelassen, Typografie, Schriftgestaltung und uns dafür interessiert, in diesem Zusammenhang sind

wir auf den Motter gestoßen.‹ Doch wie ist das möglich, fragt man sich. Vorarlberg ist doch bekannt für eine sehr reichhaltige Szene. Wie kann es sein, dass jemand, der so wie Othmar Motter das Land in puncto Grafikdesign so geprägt hat, so unbekannt ist? Feuerstein: ›Das haben wir uns selbst natürlich auch gefragt. Ich denke, es ist in Österreich so grundsätzlich, dass es so etwas gibt wie einen Blinden Fleck, dass man die Geschichte eigentlich kaum oder gar nicht kennt, es gibt ja von der Stögerer diese Untersuchung Bekannte/Unbekannte, wie ist das in Österreich mit der Wahrnehmung, dort taucht Othmar Motter als Blickpunkt auf. Sie ging auch der Frage nach, gibt es in Österreich ein Grafikdesign. Diese Urväter, man hat sie nicht verleugnet, aber man hat sie nicht zur Kenntnis genommen. Ich kann mir das auch nicht erklären.‹ Einer von drei Kommentaren im Standard auf den Bericht, dass Othmar Motter verstorben sei, kommt von Marlene Wild ›Was für ein Verlust  — so ein stiller, feiner Mensch, ganz ohne Allüren. Motter war und ist ein wunderbarer Kontrast zu den aufgeblasenen Werbefuzzis und großes Vorbild für Grafikdesigner — eigentlich für alle, die ihnen kennen oder kannten. Ohne ihn wär die Vorarlberger Grafikerszene wohl eine andere.‹

Literatur- und Quellenangaben Dornig, Kurt: Grafik- und Buchdesigner, Dornbirn, Interview am 21.12.2015 Feuerstein, Christian: Manuel Tiziani, Tour de Typo, Diplomarbeit an der FH Vorarlberg/Intermedia, Dornbirn 2006. Feuerstein, Christian: Werbegrafiker und Grafikdesigner, Egg, Interview am 22.12.2015 Gassner, Reinhard: Grafikdesign, Multimedia und Design Management, Mail vom 22.12.2015 Kammann, Jan: Othmar Motter 1927–2010. Versuch einer Biografie, Master-Thesis an der Fachhochschule Vorarlberg, Studiengang Intermedia, Dornbirn 2011.

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Kern, Anita: Österreichisches Graphikdesign im 20. Jahrhundert, Hrsg. designaustria, Regensburg 2008. Koop, Andreas: Othmar Motter. Eine Leidenschaft für Schrift. designer leben, Band 3, Hrsg. designaustria, Wien 2011. Luger, Reinhold: Atelier Visuelle Kommunikation, Bregenz, Interview am 22.12.2015 Maryska, Christian: Sylvester Lička. Vom Gebrauchsgrafiker zum Art Direktor. designer leben, Band 14, Hrsg. designaustria, Wien 2011. Niedermair, Peter: Kulturpolitik in Vorarlberg nach 1945, in Bonjour Autriche. Literatur und Kunst in Tirol und Vorarlberg 1945-1955, Hrsg. Sandra Unterweger/ Roger Vorderegger/Verena Zankl. StudienVerlag, Edition Brenner-Forum, Hrsg. Johann Holzner und Wolfgang Wiesmüller, Band 5 Innsbruck, 2010, S. 125–154.

Österreichischer Grafikpionier Motter gestorben, veröffentlicht am 19.12.2010: http://www.orf.at//stories/2031949/ [29.11.2015] Österreichischer Grafik-Pionier Othmar Motter gestorben, veröffentlicht am 19.12.2010: http://derstandard. at/ 1292462192148/OesterreichischerGrafik-Pionier-Othmar-Mottergestorben/ [26.11.2015] Pichler, Meinrad: Das Land Vorarlberg 1861 bis 2015. Geschichte Vorarlbergs Band 3, Innsbruck 2015. Pichler, Meinrad: Nationalsozialismus in Vorarlberg. Opfer. Täter. Gegner. Innsbruck 2014. Ramoser, Sigi: Saegenvier DesignKommunikation, Dornbirn, Interview am 22.12.2015


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