SAARBRÜCKER
SPEZIAL: 150 JAHRE BAHNHOFSTRASSE
City-Journal
DIE ERLEBNISZEITUNG FÜR SAARBRÜCKEN
Seite 8
Die Bahnhofstraße in der Vorkriegszeit und im Jahre 1964 (rechts). Die autogerechte Stadt – hier konnte man sie hören, riechen und sehen.
Fotos: Stadtarchiv SB / Nachlass Mittelstaedt
Faszination Bahnhofstraße Die Saarbrücker Bahnhofstraße wird in diesem Jahr 150 Jahre alt – Eine lebendige Einkaufsmeile früher und heute Fast jede deutsche Stadt hat eine Bahnhofstraße. Trotzdem ist die Saarbrücker Bahnhofstraße etwas Besonderes. Mit weit mehr als drei Kilometer Schaufensterflächen unter Berücksichtigung der Berliner Promenade ist sie die größte Einkaufsstraße nicht nur von Saarbrücken, sondern des ganzen Saarlandes. Sie ist zugleich die älteste Einkaufsmeile ihrer Art an der Saar. Auf den ersten Blick beginnt ihre Geschichte mit der Errichtung des St. Johanner Bahnhofes 1852 vor den Toren der Stadt. Bei genauem Hinsehen reicht sie bis ins barocke Saarbrücken zurück, mehr dazu kann man in der Publikation des Stadtarchivs „Schaufenster des Lebens 150 Jahre Bahnhofstraße Saarbrücken“ und der gleichnamigen Ausstellung erfahren.
Oben: Im Juli 1950 warb das Passage-Kaufhaus mit der ersten Rolltreppe in der Stadt. Unten: Stilvoll präsentierte das Kaufhaus Weinhold seinen Kunden Fotos: Sammlung Noack / Sammlung Bahner Handschuhe.
Der St. Johanner Bahnhof beschleunigte die Industrialisierung an der Saar. Für St. Johann, Saarbrücken und Malstatt-Burbach wurde er zum Magnet der Stadtentwicklung, 1909 erfolgte ihr Zusammenschluss zur Großstadt Saarbrücken. Die damalige Trier-Straßburger Staatsstraße, die vom St. Johanner Markt Richtung Bahnhof führte, wurde innerhalb weniger Jahre vollständig bebaut und im Volksmund rasch Bahnhofstraße genannt. Offiziell erscheint der Name Bahnhofstraße aber erst in einem Verwaltungsbericht der Stadt im Jahr 1864. Deshalb gibt es auch keinen genauen Geburtstag. Die Bahnhofstraße ist die einzige
Typisch für die Bahnhofstraße der Nachkriegszeit – die Arkaden, fotografiert am 5. Juli 1952.
Foto: Stadtarchiv SB
Das Passage-Kaufhaus zur Zeit der beliebten deutsch-französischen Wochen Anfang der 70er. Foto: Sammlung Schulthess
Straße des gesamten Saarlandes, mit der jeder im ganzen Land eine persönliche Erinnerung verbindet. Ihre Geschichte ist faszinierend, denn die Bahnhofstraße erzählt uns nicht nur die Geschichte des Einkaufens mit all seinen Veränderungen, sondern sie ist ein Schaufenster unseres Lebens. „Ich geh’ in die Stadt“ – ein Ausspruch, den man im Saarland oft hören kann, gemeint ist Saarbrücken und die Bahnhofstraße. Diese umgangssprachliche Wendung beweist. Saarbrücken schenkt den Saarländern Urbanität und vor allem in der Bahnhofstraße kann man sie erleben. Zum Einen ist die Bahnhofstraße Einkaufsmeile, zum Anderen steht sie für Lust und Leben. So sprachen vor allem die Saarbrücker früher von ihrer „rue“. Die Wiege der großen Warenhäuser an der Saar steht in der Bahnhofstraße. Viele Saarländer erinnern sich an das PK, heute Galeria-Kaufhof. Gemeint ist damit das zum Weihnachtsgeschäft 1920 eröffnete PassageKaufhaus, das der jüdischen Familie Tietz gehörte. Sie hatte im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Warenhaus-Imperium in Deutschland aufgebaut und war nun auch an der Saar vertreten. Schon 1919 konnten die Saarbrücker der Presse entnehmen, Saarbrücken bekomme ein „Riesen-Warenhaus“. Anstelle des PK stand das 1897 eröffnete Warenhaus Wronker, ebenfalls ein jüdisches Unternehmen. Das erste Warenhaus in der Bahnhofstraße geht
aber auf die Gebrüder Weil zurück, die hier 1865 begannen. Die Eröffnung von Warenhäusern sorgte damals für riesige Menschenaufläufe. Warenhäuser waren etwas Sensationelles und Revolutionäres. Noch nie sahen die Menschen so viele Waren auf einmal. Revolutionär die Auszeichnung der Waren mit Preisen, dazu fest und nicht verhandelbar mit Bezahlung an der Kasse. Revolutionär für die Werteordnung des Kaiserreiches – ob Dienstbote, Bergmann, Oberstudienrat oder Fabrikdirektor, jeder wurde gleich behandelt.
Nicht nur neue Geschäftstypen wie das Warenhaus zogen hier zuerst ein, sondern auch Rolltreppen oder die uns heute so vertraute Selbstbedienung, Im Jahr 1954 eröffnete die Metzgerei Schröder eine Selbstbedienungsfiliale in der Bahnhofstraße. Auch im EDEKA von Fred Matz gab es eine Selbstbedienungsabteilung, die am 29. Oktober 1953 startete. Selbstbedienung im Lebensmittelhandel war seinerzeit etwas Neues. Mit dem Werbespruch „Im Tempo der Bahnhofstraße“ warb Fred Matz für sein reichhaltiges Lebensmittel- und Weinsortiment, das er auf über 1300 Quadratmetern anbot. > Fortsetzung Seite 9
Ebenso die Möglichkeit, Artikel anzufassen , Garderobe anzuprobieren, ohne zum Kauf verpflichtet zu sein und auch die Möglichkeit Ware umzutauschen. Diese Verkaufskultur setzte sich im Einzelhandel und auch in den zahlreichen neuen Fachgeschäften durch. Neu war auch das Verkaufen in Massen, die Ware musste sich drehen. Es galt, die Kunden zum Konsum zu verführen. Das Kaufhaus unterschied sich vom Warenhaus dadurch, dass sein Sortiment sich im wesentlich auf Textilien beschränkte. Overbeck, Möller & Schaar, Krutmann und Korn stehen für traditionsreiche und anerkannte Textilausstatter, während das Sortiment von Sinn unter anderem auch Teppiche und Gardinen sowie Lederwaren umfasste. Ähnlich auch Weinhold, wenn auch mit starkem Textilangebot. Für Neues und Innovatives steht die Bahnhofstraße bis heute.
Zwar gab es recht bunte Autos zu sehen. Ansonsten zeigte sich die Bahnhofstraße in den 1950er Jahren aber Foto: Nachlass Mittelstaedt eher grau.