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Unser neues Laborhaus
from Spektrum Frühling 20
by DDCOM
Am 4. Oktober 2019 vor den Herbstferien konnte nach mehr als einjähriger Bauzeit das noch in der Endphase des Umbaus befindliche Laborhaus mit den Schülerinnen und Schülern, Ansprachen und Musik von Alumni provisorisch eingeweiht werden. Nach den Herbstferien wurden die während der Ferien mit einem Sonderengagement eingerichteten Geschosse für den Unterricht bezogen, während das Untergeschoss noch weiter bis Ende November fertiggestellt wurde. Am 2. November 2019 wurde das historische und bei der Denkmalpflege inventarisierte Gebäude, das mit besonderem Aufwand für den naturwissenschaftlichen Unterricht umzubauen war, mit zahlreichen Gästen, unter denen sich auch viele Spenderinnen und Spender befanden, festlich eingeweiht. Zu unserer Freude konnte auch Susan Ferenz-Schwartz teilnehmen, für deren Vater eine Gedenktafel an der strassenseitigen Fassade ange
von Cornelius Bohlen
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bracht wurde; mit ihm zusammen hatte sie sich als junges Kind im Haus ihrer Grosseltern auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus aufgehalten.

Mit dem Laborhaus durften ein längst überfälliges Erfordernis und ein langgehegter Traum der Schulen an der Plattenstrasse in Erfüllung gehen. An den ersten Konzepten wirkte noch unser im Sommer 2016 überraschend verstorbener Kollege Dr. Ulrich Wunderlin mit, der das projekt- und praxisbezogene Schwerpunktfach Biologie & Chemie an der Atelierschule aufgebaut hatte. Statt der vollständig überalterten und ungenügenden bisherigen Unterrichtsräume für die Naturwissenschaften verfügen die Schulen an der Plattenstrasse ab jetzt über schön ausgestattete naturwissenschaftliche Räume mit modernen Experimentiermöglichkeiten und Laborräumen.
EIN RÜCKBLICK AUF FOLGENREICHE EREIGNISSE AN DER PLATTENSTRASSE 52 Die Geschichte will es, dass unser jetzt zum Laborhaus für den naturwissenschaftlichen Unterricht umgebautes Gebäude an der Plattenstrasse 52, in dem zuvor bis 2013 jahrzehntelang der
Instrumentalunterricht der Kantonsschulen Rämibühl sein Zuhause hatte, ein reiches Erbe pädagogischer, naturwissenschaftlicher und künstlerischer Impulse birgt.
Gleich nach der Errichtung des verzierten Baumeisterhauses wohnte von 1861 bis 1867 der junge Theodor Billroth (1829–94) – der berühmte Erfinder vieler Operationen und Begründer der wissenschaftlichen Chirurgie – mit seiner Familie hier; er arbeitete und lehrte am damals sehr modernen Kantonsspital. Wie eine Gedenktafel am Gebäude festhält, musizierte er hier 1866 mit Johannes Brahms (1833–97), dem von Robert und Clara Schumann geförderten, nach reiner musikalischer Form strebenden Komponisten aus Hamburg. Was nicht auf der Gedenktafel steht, sich aber einem Brief Billroths entnehmen lässt: Billroth, der täglich als Chirurg, fortschrittlicher Professor und wissenschaftlicher Schriftsteller ein enormes Arbeitspensum bewältigte und zugleich ein ausgezeichneter und geübter Musiker war, versagten beim häuslichen Konzert in Anwesenheit des Komponisten ungewöhnlicherweise die Nerven und er konnte gar nicht spielen … doch wird ihn dann bis in die letzten Wiener Jahre eine tiefe, lebenslange Freundschaft mit Brahms verbinden.
Ab 1873 wohnte in dem Haus Otto Möllinger (1814–86), Mathematiker, Naturwissenschaftler, Erfinder und Redakteur, der wegen einer monistischen Schrift über die Gottesidee als Gymnasialprofessor in Solothurn abgesetzt und frühpensioniert wurde. Bei ihm an der Plattenstrasse lebte auch seine Schwester Franziska Möllinger (1817–80), die frühe Daguerreotypien von Schweizer Landschaften angefertigt hatte und als erste Fotografin in der Schweiz gilt. Möllinger bereitete damals übrigens hier an der Plattenstrasse Schüler für den Besuch der ETH vor.
Als junger Student der Agronomie, erfüllt mit sozialen Hoffnungen, kam Ende des 19. Jahrhunderts Sinai Tschulok (1875–1945) aus der Ukraine im damaligen Russischen Reich nach Zürich, wo er ein angesehener Evolutionsbiologe und Pädagoge wurde, der als Professor an der Universität lehrte. Viele Jahrzehnte führte er in Zürich das «Institut Tschulok» als private Schule zur Vorbereitung zur Maturität und ETH. Nach dem Erwerb der Liegenschaft Plattenstrasse 52 liess er sie 1931 als sein Wohn- und Schulhaus umbauen, wobei er unter anderem – wie wir heute – naturwissenschaftliche Unterrichtsräume für Biologie, Chemie und Physik einbaute.
Eine besondere Konstellation ergab sich in diesem Gebäude im Jahr 1933: Nachdem die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft in Deutschland systematisch jüdische und andere Wissenschaftler von ihren akademischen Stellen absetzte und verfolgte, flüchtete im März der Pathologe Philipp Schwartz (1894–1977), der als einstmals jüngster Professor Deutschlands an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main arbeitete, in das Haus seines Schwiegervaters Tschulok nach Zürich. In dieser Situation nun handelte Schwartz mit einer folgenreichen Tat: In den nächsten Wochen und Monaten rief er die «Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland» ins Leben, der es durch die Verkettung einer ganzen Reihe sehr besonderer Beziehungen – die vor allem Gerald Kreft historisch erforscht hat – bald gelang, vielen in Deutschland verfolgten Wissenschaftlern neue Stellen im Ausland zu vermitteln. Zunächst insbesondere in die Türkei, wo unter Atatürk qualifizierte Gelehrte für den Aufbau moderner Wissenschaften gesucht wurden. Insgesamt verhalf die Notgemeinschaft im Zeichen der Freiheit der Wissenschaft auf diese Weise vielen Hunderten jüdischen und anderen Wissenschaftlern zu einer neuen Zukunft. Schwartz selber übernahm im Herbst 1933 die Leitung des Pathologischen Instituts an der Medizinischen Fakultät der Universität in Istanbul und wirkte später – immer wieder mit neuropathologischen Studien beschäftigt – in den Vereinigten Staaten. In Frankfurt und der Bundesrepublik Deutschland sollte er auch nach dem Zweiten Weltkrieg nie wieder eine Stelle erhalten.
Seit 2014 befindet sich auf dem Friedhof Fluntern ein Ehrengrab für Philipp Schwartz. Mit dem Umbau zum Laborhaus konnte die Schule den schon länger gehegten Plan verwirklichen, sein weitreichendes menschliches Handeln mit einer Inschrift zu würdigen, die auf einer von den Bildhauern Fenaroli in Witikon hergestellten Gedenktafel an der strassenseitigen Fassade angebracht wurde.
AUF EINEN BLICK – FAKTEN UND DATEN ZUM LABORHAUS
Das Raumprogramm: UG: Multifunktionaler Unterrichtsraum Naturwissenschaften, Sammlungsraum, Vorbereitungsraum EG: Klassenzimmer, Arbeits- und Aufenthaltsraum Kollegium, Besprechungszimmer, Kopierraum 1. OG: Unterrichtsraum Chemie, Laborraum, Sammlungsräume, Vorbereitungsraum 2. OG: Unterrichtsraum Biologie, Laborraum, Sammlungsräume, Vorbereitungsraum 3. OG: Unterrichtsraum Physik, Experimentierzimmer für Gruppen, Sammlungsräume, Vorbereitungsraum DG: Seminarraum für Workshops und andere Veranstaltungen Gartenanlage: Aussenaufenthalt für SchülerInnen und Kollegium
Architekten: Peter Moor Architekten, Zürich Bauleitung: Kohler + Borner, Thalwil Bauzeit: Juli 2018 bis November 2019 Kosten: 6.6 Mio. Fr. Trägerschaft: Immobilienstiftung Rudolf Steiner Schulen Zürich (ImmoRSS) Nutzung: Atelierschule und Rudolf Steiner Schule Zürich (7.–13. Klasse) Baukommission: Peter Schmid (Präsidium), Cornelius Bohlen, Dirk Dietz, Thomas Eder, Felix Sponagel
EIN GESCHENK: WIE UNSERE OBERSTUFE DAS LABORHAUS «EROBERT»
Betritt man das Laborhaus und wendet sich gleich durchs Treppenhaus nach unten in das Untergeschoss, trifft man auf den sogenannten Multifunktionsraum, der hauptsächlich von unserer Oberstufe belegt wird. Wie in den oberen Stockwerken ist dieser Unterrichtsraum für unsere Verhältnisse von stattlicher Grösse und weist einige Besonderheiten auf. Ein paar (denkmalgeschützte) schlanke, metallene Säulen, mitten zwischen den Schülertischen stehend, zeigen unverblümt, dass sie hier eine grosse Last zu tragen haben. Sie entschädigen ihr trotziges Dasein durch ihre Höhe, ist doch die Decke hier höher als in den oberen Stockwerken. Zusammen mit den vergrösserten Fensternischen ist ein grosszügiger Raum entstanden, der unseren grossen Klassen einen angenehmen und beweglichen Rahmen für den wissenschaftlichen Unterricht bietet.
Flexible Tische lassen die frontale Sitzordnung schnell in den Gruppenmodus umstellen. Und für uns Lehrende sind die beiden Material- und Vorbereitungsräume Gold wert, lassen sich doch hier die Experimente und die dazugehörigen Materialien in Ruhe vorbereiten, auf Rolltische laden und bei Bedarf schnell in den Unterricht integrieren. Nach der Stunde kann man das Unterrichtsmaterial ebenso schnell wieder wegstellen, so dass die nachfolgende Lehrperson «freie Bahn“ für ihren Unterricht hat. Und wir verfügen endlich über die Infrastruktur, um auch mit unseren grossen Klassen Gruppenexperimente gestalten zu können, da es genügend Raum, Flächen, Kästen, Waschtische und elektrische Anschlüsse für das gleichzeitige praktische Arbeiten gibt.
Ein grosser Bildschirm erleichtert die Projektion hilfreicher Grafiken, Bilder und Darstellungen, ob nun Kunstgeschichte, Geografie, Chemie oder sonst eine Wissenschaft unterrichtet wird. Somit entfällt auch das mühsame Herumschleppen von Projektionswand, Beamer und Gerätetisch. Noch nutzen wir bei weitem nicht alle Chancen dieser neuen Errungenschaft; dies wird nach und nach erfolgen. Den Wert eines so grossen Geschenks zu erkennen, ist ebenso ein Prozess wie das Unterrichten und Lernen selbst – und wir haben uns mit Freude darauf eingelassen.
In tiefer Dankbarkeit für diese grosszügige Raumerweiterung
Jean-Claude Baudet, Oberstufenlehrer

