GLOCAL DESIGN

Page 1

GLOCAL DESIGN

Wandel und Mรถglichkeiten von Design im globalen Kontext am Beispiel von Kautschukzapfern in Brasilien

Diplomarbeit Roland Wulftange



Things are changing.


Hochschule Coburg Fakultät Design Diplomarbeit GLOCAL DESIGN. Wandel und Möglichkeiten von Design im globalen Kontext am Beispiel der Produktentwicklung mit der Kautschukzapfergenossenschaft Mista Flona Tapajós Verde aus Maguary im brasilianischen Amazonasgebiet.

Professor Peter K. Raab

Roland Wulftange Matrikel-Nr.: 00045804 Integriertes Produktdesign 10. Fachsemester Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Coburg Postfach 1652 96406 Coburg 09561-317-431 Coburg, September 2009




A. Theoretischer Teil Theoretische Erarbeitung des Themas Wandel und M枚glichkeiten von Design im gobalen Kontext

B. Praktischer Teil Produktentwicklung mit der Kautschukzapfergenossenschaft Mista Flona Tapaj贸s Verde aus Maguary im brasilianischen Amazonasgebiet


Inhalt A. Theoritischer Teil A.1. Zivilisation, Wandel & Globalisierung

A.2. Ökonomie im Wandel der Zeit

22

ZIVILISATION Bedeutung von Zivilisation Die Menschenrechte Menschliche Bedürfnisse

60

INDUSTRIELLE REVOLUTION Entstehung und Entwicklung Vom Handwerk zum mechanischen Fabriksystem am Beispiel des Fort Modell T Design des Ford Modell T

28

WANDEL Strukturenveränderung von sozialen Systemen Klassifizierung von Wandel

64

WANDEL & VERANTWORTUNG VON ÖKONOMIE Wachstum Weiterentwicklung der Gesellschaft Umweltpolitik ist Solidaritätspolitik Vision globalen Wirtschaftens

68

ZUSAMMENFASSUNG

30

GLOBALISIERUNG Die globale Welt bei mir Zuhause Globalisierung ist neu

34

GLOBALE ENTWICKLUNG Ist die Welt eine besserer Ort geworden? Statistische Daten in Grafiken von Gapminder Veränderung seit 1962 Die „Globalen Aufsteiger“ Worldmapper Landkarten Landfläche Gesamtbevölkerung Human Development Index Wachstum von Wohlstand Human Poverty Index Menschliche Entwicklung

46

WIE GLOBALISIERUNG WIRKT Menschen erzählen Geschichten Eine Haushälterin in Brasilien Ein Fahrradflicker in China Ein Nachtwächter in Brasilien

54

ZUSAMMENFASSUNG

56

ARBEITSFELDER


A.3. Design im Wandel der Zeit

A.4. Ökologie im Wandel der Zeit

72

ÜBER DESIGN Entstehung und Entwicklung von Design

92

76

WIE DESIGN GRÜN WURDE Ökologisches Design

78

DESIGN HEUTE Marketinginstrument Design Design von Lebensformen Beispiel Apple iPod

DER URSPRUNG & UMGANG MIT RESSOURCEN Vielfalt zelebrieren und fördern Umgagng mit Ressourcen Die Erde früher und heute: Rondônia, Brasilien Die Erde früher und heute: Beijing, China Die Erde früher und heute: Las Vegas, USA Die Erde früher und heute: Santa Cruz, Bolivien

102

ÖKO-EFFIZIENZ Ursprung von Effizienz Entwicklung von Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit heute: Wo stehen wir? Die Öko-Effizienz „Weniger schlecht“ ist nicht gut Die vier Grundsätze: Vermeiden, wiederverwerten, verwerten und regulieren Perspektivenwechsel

112

ZUSAMMENFASSUNG

114

RESÜMEE

82

ETHIK & DESIGN Haneln und Weisheit Moral und Gewohnheit Weltethik des Gestalters Form und Wirkung Die poetische Form Werte schaffen

86

SINN DESIGN - ZUKUNFT VON GESTALTUNG Verantwortung von Gestaltern

88

ZUSAMMENFASSUNG


Inhalt A.5. Möglichkeiten für Design, Ökonomie und Ökologie 118

DER KIRSCHBAUM DAS SYMBOL FÜR ÖKO-EFFEKTIVITÄT Der Baum ernährt seine Umgebung

120

CRADLE TO CRADLE VON DER WIEGE ZUR WIEGE Die neue Designaufgabe Dr. Michale Braungart Abfall ist Nahrung Aus von der Wiege zur Wiege wurde von der Wiege zur Bahre Eco-Effektivität statt Eco-Effizienz Aus von der Wiege bir zur Bahre wird von der Wiege zur Wiege Cradle to Cradle - Von der Wiege zur Wiege Eine Welt der zwei Metabolismen

128

DIE TRIPLE-TOP-LINIE Strategische Gestaltungselemente Die neue Designaufgabe

130

EINE INDUSTRIELLE RE-EVOLUTION Jede Nachhaltigkeit beginnt lokal Der Mensch als Werkzeug der Natur

132

LEITFADEN Aus allen Kernthesen abgeleitete Ansätze zu Wirtschaften und Wirken im Design

134

STRATEGIE Allgemeine und projektspeziefische Vorgehensweise

B. Praktischer Teil B.1. Projektreise nach Brasilien

144

PROJEKTRAHMEN & HINTERGRUNDINFORMATIONEN Das unmögliche Versuchen ... Regenwald-Institut e.V. Bedeutung für das Weltklima Die Kettenreaktion der Regenwaldzerstörung Nationalpark Flona Tapajós Leben von und mit der Natur Kautschukzapfergenossenschaft aus Maguary Von den Indianern zum Kautschukboom Heutige Vorfahren / Geschichte der Kautschukzapfer Design in der Entwicklungshilfe ReisevorbereitungStrategische Gestaltungselemente Die neue Designaufgabe

164

BRASILIEN JULI 2009 REISETAGEBUCH & ERFAHRUNGSBERICHT 02. Juli, 10:15 Uhr 02. Juli, 14:07 Uhr 03. Juli, 08:20 Uhr 03. Juli, 11:20 Uhr 03. Juli, 16:35 Uhr 04. Juli, 09:10 Uhr 05. Juli, 18:20 Uhr 06. Juli, 08:06 Uhr 07. Juli, 11:20 Uhr 08. Juli, 08:10 Uhr 08. Juli, 12:06 Uhr 08. Juli, 17:50 Uhr 09. Juli, 17:49 Uhr 10. Juli, 11:20 Uhr 11. Juli, 08:35 Uhr 12. Juli, 09:06 Uhr


B.2. Produktentwicklung 164 192

BRASILIEN IM JULI 2009 REISETAGEBUCH & ERFAHRUNGSBERICHT 12. Juli, 16:30 Uhr 12. Juli, 21:48 Uhr 13. Juli, 10:12 Uhr 14. Juli, 08:15 Uhr 14. Juli, 15:15 Uhr 15. Juli, 18:51 Uhr 16. Juli, 08:25 Uhr 16. Juli, 17:47 Uhr 17. Juli, 15:50 Uhr 17. Juli, 22:55 Uhr 18. Juli, 15:50 Uhr 19. Juli, 12:45 Uhr 19. Juli, 15:15 Uhr 20. Juli, 08:46 Uhr 21. Juli, 19:34 Uhr 22. Juli, 10:50 Uhr 24. Juli, 03:10 Uhr

236

ARBEITSPROZESS Werkstatt

250

FORMSTUDIEN Skizzen Abfromungen

256

ARBEITSERGEBNISSE Vasenkollektion Halbvase Portemonai

ANHANG 266

SCHLUßTEIL & DANKSAGUNG

270

LITERATURVERZEICHNIS / QUELLEN Monographien & Webseiten

273

LITERATURVERZEICHNIS WEITERFÜHRENDE LITERATUR Monographien Artikel / Aufsätze in Sammelbänden Artikel in Zeitschriften Webseiten



„Die entscheidende Frage, die sich sowohl Einzelpersonen, Organisationen wie auch Regierungen stellt, ist die Frage, wo wir einmal stehen möchten. Eine alternative Vision unserer Kultur ist lebensnotwendig, wenn wir unseren Vorstellungen Form geben und einen grundlegenden Wandel herbeiführen möchten. Gemeinsame Visionen sind die treibende Kraft der Innovation. Nicht nur Designer, wir alle können uns eine Situation oder Umgebung vorstellen, die noch nicht existiert und die wir uns wünschen. Wir beschreiben sie mit ausreichenden Details, damit sie als echte Vision der echten Welt hervortritt.“

John Thackara, In the Bubble [1]


Vorwort Der bewussten Auseinandersetzung mit globalem Wandel stand ich das erste Mal 2003 gegenüber. Ich verbrachte im Rahmen meines freiwilligen Dienstes im Ausland einen Sprachkurs in Brasilia, der Hauptstadt von Brasilien. Mit großem Erstaunen stellte ich fest, dass sowohl das Shampoo wie auch Zahnbürste und Zahnpasta die gleichen waren, wie ich sie aus Deutschland gewohnt war. Die globalisierte Produktwelt vereinheitliche die Auswahl. Das nun folgende Jahre lebte und arbeitete ich in Maringá in einer Kindertagesstätte für Straßenkinder. Auch hier waren die Auswirkungen der globaler Welt deutlich spürbar. Die Stadt wuchs nach ihrer Gründung (1947) durch die Zuwanderung von japanischen, italienischen und deutschen Einwanderern. Auch portugiesische, polnische, spanische, indigene sowie afro Nachfahren prägen die Stadt.[2] Der multikulturelle Einfluss und die brasilianische Lebenseinstellung beeinflussten meine Einstellung zu Globalisierung zutiefst. Wieder zurück in Deutschland verband ich mein Interesse an Menschen und die Leidenschaft für Gestaltung und Design im Studium Integriertes Produktdesign der Hochschule Coburg. Hier war die ständige Konfrontation mit Wandel ein zentrales Thema. Sich ändernde Einflüsse, Bedürfnisse und Wünsche, neue Technologien, Materialien, Möglichkeiten und Märkte prägten die Arbeit des Studiums. Rasanten Wandel erlebte ich 2007 während meines Praxissemester in Shanghai. Durch den starken wirtschaftlichen Wachstum entwickelte sich Shanghai zur bedeutendsten Industriestadt Chinas. Baumaßnahmen an allen Ecken, geschäftiges Treiben und Handeln. Die privaten und beruflichen Erlebnisse mit dem deutschen Designbüro Shanghai WILDDESIGN Co., Ltd. waren sehr lehrreich. Deren internationale Arbeitsweise gab mir einen Einbick in die globalen Zusammenhänge von Kultur und Wirtschaft. Zwei weitere Aufenthalte in China im Herbst 2007 und 2008 für Workshops am Education Center in Anji - etwa vier Autostunden von Shanghai entfernt - mit einer Gruppe von vier Studenten unserer Hochschule zeigten, dass die rasante Entwicklung Chinas auch in der Provinz angekommen ist. Die dortigen chinesischen Hersteller kopierten jeden bekannten und weniger bekannten Bürostuhl, produzieren diese in tausendfacher Stückzahl und verkaufen sie in die ganze Welt. Die Aufendhalte in Anji ließen Zweifel an der Zukunftsfähigkeit unseres heutigen Designs der Wirtschaften aufkommen. So entstanden die Frage auf welche Art und Weise ich künftig als Gestalter arbeiten möchte und der Wunsch nach einem Leitfaden für künftiges Arbeiten im Design. Hieraus entwickelten sich die Hauptfragen meiner Diplomarbeit: 1. Wie ändern globale Auswirkungen die Rahmenbedingungen des Lebens? 2. Welche Möglichkeiten ergeben sich daraus für Design? 3. Wie können diese Möglichkeiten praktisch umgesetzt werden? 16


Inhalt dieser Arbeit ist die Untersuchung des Wandels und der daraus entstehenden Möglichkeiten von Design in der globalen Welt. Die enge Verzahnung der globalisierten Produktwelt hat verschiedenste Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Entwicklungen weltweit. Der Wandel von Ökonomie, Ökologie, Soziales und Design beeinflussen fortwährend die Produktentwicklung und die Kaufentscheidung der Konsumenten. Die Zukunft ist dabei eine Sammlung von Möglichkeiten, Richtungen, Ereignissen, Drehungen, Wendungen und Überraschungen. Somit ist das Verstehen und Deuten dieses Wandels Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Disziplin Design. Da die Zukunft darüber hinaus immer Teil der Gegenwart ist, stellt diese Arbeit eine Momentaufnahme dar. Die Analyse des Wandels von Ökonomie, Ökologie, Soziales und Design werden in dieser Arbeit dargestellt. Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten für ein künftiges Arbeiten im Design bildet den Schwerpunkt meiner Diplomarbeit. Es werden die verschiedenen Faktoren beleuchtet, die beim Design eine Rolle spielen sowie deren Wechselwirkung untereinander. Da sich für den sehr vielschichtigen Bereich im Design keine einheitlichen Regeln definieren lassen, wird der dargestellte Leitfaden exemplarisch auf ein ausgewähltes Projekt angewandt, um Hinweise zu praktischen Anwendung und somit gezielte Handlungsanweisungen geben zu können. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die verschiedenen Möglichkeiten von Design im globalen Kontext objektiv und in einer großen Bandbreite darzustellen. Die dargelegten Informationen zum Wandel und die gewonnene Kenntnis der Produktentwicklung in Brasilien sowie das Wissen über die Fülle an Möglichkeiten im Produktdesign sollen Gestalter Anregungen geben, die in Beziehung stehenden Faktoren des Designs bewusst auszunutzen mit dem Ziel, der Schaffung von zukunftsgerichtetem Design. Die Arbeit soll somit als eine Art Nachschlagewerk für Gestalter dienen. Die Darstellung der wichtigsten Aspekte für ein zukunftsfähiges Design, die Erläuterung der Zusammenhänge zwischen Ökonomie, Ökologie, Soziales und Design sowie mögliche Wirkungen auf den Konsumenten sollen mit dazu beitragen, eigene Potentiale voll entfalten zu können und mögliche Fehlentscheidungen im Design zu vermeiden.

Coburg , im September 2009 Roland Wulftange

Blick vom 101. Stockwerk des Shanghai World Financial Center // Shanghai, China // Oktober 2008



A. Theoretischer Teil Theoretische Erarbeitung des Themas Wandel und Mรถglichkeiten von Design im gobalen Kontext



A.1. Zivilisation, Wandel & Globalisierung Zivilisation mit Rechten und Bed端rfnissen, Hintergrund, Bedeutung und Auswirkung von Wandel und Globalisierung auf unser Leben und das Leben der Menschen weltweit.


Zivilisation Facetten des menschlichen Lebens und Schutz der Menschenrechte

Bedeutung von Zivilisation Zum Einstieg in das Thema Globalisierung möchte ich die drei Bereiche Zivilisation, Menschenrechte und menschliche Bedürfnisse anschneiden. Sie dienen als Hintergrundinformation und stellen die Rahmenbedingungen für zivilisiertes Leben dar. Weiterhin erklären sie, wieso der Mensch weltweit nach einem besseren Leben, nach der Bewältigung von Sorge und Leid, der Suche nach einer Ausweitung ihrer Optionen, der Bewältigung von Konflikten und nach einem gelingenden Alltag strebt. Noch die prekärste und düsterste Situation hat in sich immer einen Funken Hoffnung. So bleibt der Mensch immer offen für Entwicklung. Diese Offenheit des menschlichen Denkens und Handelns, die Veränderbarkeit der Welt sind das entscheidend Menschliche, das Entwicklung erst ermöglicht. Die grundlegenden Fähigkeiten, um diese Offenheit immer wieder herzustellen, sind Schöpferkraft und Dialogfähigkeit. Das macht den Menschen einzigartig auf der Erde.

22

Der Begriff Zivilisation ist von dem Adjektiv zivil (bürgerlich, lateinisch civis - der Bürger) abgeleitet. Er bezeichnet die durch Fortschritt von Wissenschaft und Technik geschaffenen Lebensbedingungen.[4] Der Beginn der Zivilisation wird oft in den frühen Hochkulturen gesehen. Durch die Sesshaftigkeit infolge der Landwirtschaft banden sich mehr Menschen als jemals zuvor über längere Zeit an einen Ort. Die Berechenbarkeit und Bevorratung der Waren des täglichen Lebens schaffte Sicherheit. Der Austausch über Fertigkeiten ließ Handwerkskunst, Sprache, Schrift, Religion und andere kulturprägende Elemente entstehen. Die Wiege der Zivilisation.[5] Die internationale Politik definiert Zivilisation als „Kulturdach“, also mehrere ähnlich gelagerte Kulturen, die geographisch nicht miteinander verbunden sein müssen, jedoch eine Weltanschauung teilen. Kultur wird in diesem Zusammenhang lokal begrenzt und als Sinn stiftende Produktion von gemeinsamen Werten und Normen definiert.[6]


Abriss f端r den Wachstum, Juni 2007 // Old Shanghai, China


Die Menschenrechte Die Menschenrechte sind jedem Mensch eigen, da alle Menschen frei und gleich geboren werden. Als juristische Normen bezeichnen sie jedoch nicht das, was ist, sondern das, was sein soll. Sie stellen keine Tatsachenbeschreibung dar, sondern geben uns als normative Werte einen Maßstab für die Bewertung der Realität an die Hand. Menschen, deren Leben und Freiheit nicht bedroht ist, die sich ihres Familienlebens erfreuen dürfen, die sich frei äußern können, deren Überzeugungen respektiert werden und die einen den menschlichen Bedürfnissen entsprechenden Lebensstandard haben, leben ein „gutes Leben“. Das heißt ein Leben in Freiheit und Würde. Dieser Umfang der Menschenrechte geben Hoffnung. Darauf berufen sich viele unterdrückte Menschen in aller Welt, wenn sie sich unter der Flagge der Menschenrechte gegen ihre Unterdrücker erheben.[7] Die international maßgebliche Quelle für den Bestand und Gehalt der Menschenrechte ist die International Bill of Human Rights der Vereinten Nationen.[8] Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist das ausdrückliche Bekenntnis der Vereinten Nationen zu den allgemeinen Grundsätzen der Menschenrechte. Sie besteht aus 30 Artikeln und wurde am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen genehmigt und verkündet. Schon die Präambel, also die Einleitung der Menschenrechtscharta, erklärt als grundsätzliche Absicht „Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“. Auch der Glaube an die 24

grundlegenden Menschenrechte, an „die Würde und den Wert der menschlichen Person und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau“ beinhaltet die Präambel.[9] 1966 wurden auf der UN-Generalversammlung zwei zentrale Menschenrechtsinstrumente verabschiedet: 1. der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte 2. der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale u nd kulturelle Rechte Diese traten 1976 in Kraft, nachdem sie von der geforderten Anzahl von Mitgliedstaaten ratifiziert wurden. Für alle Mitgliedsstaaten, die die beiden Pakte ratifiziert haben, sind sie bindendes Recht. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl von Konventionen, die den Schutz einzelner Menschenrechte eingehend regeln. Bisher gibt es noch keine über den Staaten stehende Gewalt, die die Einhaltung der Menschenrechte durchsetzen könnte. Trotzdem hat die Allgemeine Erklärung politisch und moralisch ein sehr großes Gewicht. Ihre Bestimmungen sind in viele nationale Verfassungen aufgenommen worden. Viele Konventionen und Verträge, die seit 1948 abgeschlossen wurden, [10] gehen von den in der Erklärung enthaltenen Definitionen aus.


Vertreibung, Flucht und Exil RECHT VON FLÜCHTLINGEN UND BINNENVERTRIEBENEN

Politische Mitwirkung RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUSSERUNG UND POLITISCHE RECHTE

In den Händen des Staates RECHT AUF FAIRES VERFAHREN UND FOLTERVERBOT

Wirtschaftliche Tätigkeit RECHT AUF ARBEIT SCHUTZ DES EIGENTUMS

Denken und Spiritualität GEWISSENS- UND RELIGIONSFREIHEIT RECHT AUF BILDUNG

Privatsphäre RECHT AUF PRIVATLEBEN

Angemessener Lebensstandard RECHT AUF NAHRUNG RECHT AUF GESUNDHEIT RECHT AUF WOHNUNG

Menschliche Identität DISKRIMINIERUNGSVERBOT

Menschliche Existenz RECHT AUF LEBEN Zusammenfassung der bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte [11]


Menschliche Bedürfnisse Die Maslow‘sche Bedürfnispyramide (eigentlich: Bedürfnishierarchie) beschreibt Motivationen von Menschen.[12] Sie beruht auf einem vom US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow 1943 veröffentlichten Modell. Dabei bilden die menschlichen Bedürfnisse die „Stufen” der Pyramide und bauen dieser eindimensionalen Theorie gemäß aufeinander auf. Der Mensch versucht demnach, zuerst die Bedürfnisse der niedrigsten Stufe zu befriedigen, bevor die nächste Stufe zum neuen und stärkeren Bedürfnis wird. Ein starkes Bedürfnis erhöht die Motivation es zu befriedigen. Die Pyramide stellt eine Infrastruktur zur Bedürfnisbefriedigung dar, die stets Arbeit erfordert.[13] Beispiele für die sechs Stufen der Pyramide: 1. Körperliche Existenzbedürfnisse: Freiheit, Atmung, Schlaf, Nahrung, Wärme, Gesundheit, Wohnraum, Sexualität. 2. Sicherheitbedürfnis: Recht und Ordnung, Schutz vor Gefahren, fester Arbeitsplatz, Absicherung. 3. Soziale Bedürfnisse (Anschlussmotiv): Familie, Freundeskreis, Partnerschaft, Liebe, Intimität, Kommunikation. 4. Soziale Wertschätzung: Höhere Wertschätzung durch Status, Respekt, Anerkennung (Auszeichnungen, Lob), Wohlstand, 26

Geld, Einfluss, private und berufliche Erfolge, Mentale und körperliche Stärke. 5. Selbstverwirklichung: Individualität, Talententfaltung, Perfektion, Erleuchtung. 6. Sinn des Lebens: die „Transzendenz”, die Suche nach Gott, nach einer der individuellen Selbst überschreitenden Dimension oder nach etwas, das außerhalb des beobachtbaren Systems liegt.[14] Die unteren drei Stufen in der Pyramide, besonders Teile der vierten Stufe, werden Defizitbedürfnisse genannt. Diese Bedürfnisse müssen befriedigt sein, damit der Mensch zufrieden ist. Wenn sie erfüllt sind, besteht keine weitere Motivation diese zu befriedigen. Ist der Mensch nicht mehr durstig, versucht er beispielsweise nicht mehr zu trinken.[15] Unstillbare Bedürfnisse können demgegenüber nie wirklich befriedigt werden. Diese treten auf der fünften Stufe auf, teilweise aber auch schon auf der vierten. Beispiel: Ein Maler zeichnet zur Selbstverwirklichung; sein Bedürfnis nach Kreativität ist nicht nach einer bestimmten Anzahl Bildern gestillt. Beispiel 2: Ein Individuum hat Erfolg gehabt und möchte diesen Erfolg immer wieder übertreffen.[16]


Sinn des Lebens Selbstverwirklichung Soziale Wertschätzung Soziale Bedürfnisse Sicherheitsbedürfnisse Körperliche Bedürfnisse Bedürfnispyramide nach Abraham Harold Maslow


Wandel Die Ver채nderung der Strukturen von sozialen Systemen und ihre Klassifizierung

28


In der heutigen Soziologie wird sozialer Wandel als Veränderung in der Struktur eines sozialen Systems definiert. Veränderungsbewegungen in Wirtschaft und Gesellschaft manifestieren sich tagtäglich auf den Märkten und in den Lebensweisen, in Kultur und Politik, und werden als Trends bezeichnet.[17] Als gesellschaftliche „driving forces“ nisten sie sich gewissermaßen in den Quellcodes der Welt ein und transformieren Wünsche und Gewohnheiten, Märkte und Institutionen.[18] Auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen ist sozialer Wandel zu beobachten. Auf der Makroebene der Sozialstruktur und Kultur, auf der Mesoebene der Institutionen, koorperativen Akteure und Gemeinschaften und auf der Mikroebene der Personen und ihrer Lebensläufe ist sozialer Wandel zu beobachten. Diese Veränderungsprozesse lassen sich nach Relevanz, Länge und Intensität einteilen: 1. Metatrends verlaufen ganz unten, gewissermaßen in der „Basiswoge“ und sind großräumig und universell. Sie beeinflussen die Grundregeln der Natur, die evolutionären Gesetze mit Ewigkeitscharakter, wie zum Beispiel der Trend zur Komplexität. 2. Megatrends handeln von großflächigen Veränderungen, deren Dimensionen von Gesellschaft bis Zivilisation und von Technologie bis zu den ökonomischen Grundzyklen reichen. Der Begriff der „Megatrends” wurde im Jahre 1982 von John Naisbitt entwickelt. Mit seinen Welt-Bestsellern „Megatrends” und „Megatrends 2000” prägte er die Begriffswelt der modernen Zukunftsforschung. Im Unterschied zu kurzfristigen

Mode- und Konsumtrends oder soziokulturellen Trends, die maximal fünf Jahre Wirkkraft entfalten können, stellen Megatrends die „Blockbuster” der Veränderung dar. In ihnen bündeln sich starke, auf ökonomischen und soziokulturellen Grundwellen basierende Veränderungskräfte. Naturgemäß sind Megatrends nicht sehr häufig, und auch nicht sehr „geheim”. In der modernen Trend- und Zukunftsforschung wird heute mit etwa 15 Megatrends gearbeitet, wobei die Bezeichnungen und Gewichtungen von Institut zu Institut leicht variieren können. Wichtigste Megatrends des 21. Jahrhunderts sind nach dem Trend- und Zukunftsforscher Globalisierung, Urbanisierung, Mobilität, Gesundheit, New Work und Wissensgesellschaft.[19] Vier Parameter gelten nach Horx als Bedingungen für einen Megatrend: - Dauer: E in Megatrend sollte mindestens über 30 Jahre Halbwertszeit verfügen. - Ubiquität: Ein Megatrend bildet Signale in allen Lebensbereichen, er ist „allgegenwärtig” und entwickelt Signifikanzen in Konsum, Ökonomie, Lebenswelt etc. - Universalität: Ein Megatrend hat einen grundlegend globalen Charakter, auch wenn er sich in den verschiedenen Regionen und Kulturen unterschiedlich schnell durchsetzt. - Robustheit: Ein echter Megatrend verträgt auch „Backflashs“, also vorübergehende Rückschläge, ohne seine Dynamik zu verlieren. 3. Soziokulturelle Trends sind die interessanten Hybriden in diesem Modell. Sie erzählen „gesellschaftliche Geschichten“ von Lebensgefühlen und Sehnsüchten der Menschen, von Mangelerscheinungen und „ungedeckten Schecks“ der Kulturgeschichte. Sie drücken oft Defizite aus, die in der gesellschaftlichen Entwicklung zum Vorschein kommen. Beispielsweise der „Slowness“ oder „Simplife“-Trend, der die Sehnsucht nach einem entschleunigenden Lebensstil ausdrückt. 4. Konsumtrends verlaufen auf der Ebene von Marktzyklen, gesellschaftlichen Wandels sowie Produkten. Aus ihnen bilden sich verschiedene Modetrends. Diese Marketingtrends bewegen sich ganz ausschließlich in der Welt der Marketingsprache und -phänomene.[20]

Woklensturm // Braga, Portugal


Globalisierung Die Globalisierung ist eine Erfolgsgeschichte und Teil der menschlichen Evolution. Wie sie unser Leben durchdringt und beeinflusst.

30


Ihr taiwanischer Radiowecker klingelt und weckt Sie mit den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk. Sie schlagen Ihre Bettdecke aus polnischen Daunen mit Ihrem Bezug aus ägyptischer Baumwolle zurück und steigen unter die Dusche. Nach dem Abtrocknen schlüpfen Sie in Unterwäsche aus Bangladesch, ziehen Ihre Jeans aus der Türkei an und dazu das blaue Lieblingshemd aus Sri Lanka. Eine Tasse Kaffee aus Tansania, etwas brasilianischer Orangensaft, und schließlich fahren Sie zur Arbeit – in Ihrem japanischen Auto, das in Burnaston/ Großbritannien zusammengebaut wurde und mit Treibstoff aus Saudi-Arabien, Nigeria und Russland arbeitet. Guten Morgen!

Die globale Welt bei mir Zuhause I n unserer zunehmend globalisierten Welt hantiert man wahrscheinlich noch vor dem Frühstück mit Dingen, die aus den verschiedensten Ländern importiert wurden. Fortschritte in der Transport- und Kommunikationstechnologie ermöglichen es Unternehmen, Rohmaterial und Produkte aus nahezu allen Teilen der Welt zu ihren Konsumenten zu bringen. Jeder Bundesbürger besitzt etwa 10.000 Gegenstände, verbraucht pro Jahr etwa eine Tonne Material direkt und ist indirekt für 10 weitere Tonnen aus der Produktion der Konsumgüter verantwortlich. Die Folgen der Globalisierung bestehen nicht nur darin, dass in deutschen Supermärkten mit großem Erfolg Wasser aus Frankreich und Wein aus Chile verkauft werden. Eine Cola erhält man in 200 Ländern der Erde. Mit dieser Cola spült man in 113 Ländern seinen Hamburger von McDonald´s herunter oder in Indien seinen vegetarischen „McAloo Tikki Burger“. In einem Flugzeug der Kenya Airways auf dem Weg von Nairobi nach London wird ein indischer Bollywood-Film gezeigt, und im Londoner Videoverleih bekommt man die neuesten Filme aus Lagos. Vielleicht sieht man nur noch im Königreich Bhutan keine Filmplakate für die neusten Hollywood-Streifen.[21]

Globalisierung ist neu Der Anschein, die Globalisierung sei urplötzlich über die Welt gekommen, hat mit der Sprache zu tun, die der Wirklichkeit hinterherhinkt. In diesem Fall gleich um mehr als 400 Jahre. Das Wort Globalisierung taucht zunächst in den Sozialwissenschaften auf und 1961 erstmals in einem englischsprachigen Lexikon. In die Ökonomie führt es der damalige Harvard-Professor

Coca Cola in Afrika // Laden irgendwo im Rakai District , Uganda

Theodore Levitt mit seinem Aufsatz „The Globalizations of Markets“ 1983 ein.[22] Zum Reizwort in der öffentlichen Debatte wird es dann in den Neunzigern. Dabei gibt es eine „globale Weltgesellschaft“ schon viel länger, wie Wolfgang Streeck, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, betont.[23] „Mit der Eroberung des Aztekenreichs durch spanische Truppen 1521 begann eine den Erdball umfassende Weltpolitik, mit vielfältigen wirtschaftlichen und kulturellen Wechselwirkungen.“ So beschleunigt das in Südamerika geraubte Gold in Europa den Übergang zur Geldwirtschaft. Und der Landwirtschaft der Indios verdankt die deutsche Küche die Kartoffel und die italienische die Tomate. Welthandel und Kapitalismus entwickeln sich stetig weiter; einer der ersten Denker,


der die Folgen erkannte, ist Friedrich Engels. „Die große Industrie“, schrieb er 1847 in den „Grundsätzen des Kommunismus“, „hat schon dadurch, dass sie den Weltmarkt geschaffen hat, alle Völker der Erde, und namentlich die zivilisierten, in eine solche Verbindung miteinander gebracht, dass jedes einzelne Volk davon abhängig ist, was bei einem anderen geschieht.“ Einen frühen Höhepunkt erreicht die Globalisierung, die damals noch niemand so nannte, vor dem Ersten Weltkrieg. Danach wird das Ruder umgelegt, die Nationen schotten sich voneinander ab.[24] Der Zusammenschluss der Märkte ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer Politik, die nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgt wurde. Weltbank und Internationaler Währungsfond wurden nicht nur gegründet, weil der Aufbau der europäischen Städte und der deutschen und japanischen Wirtschaft so viel Kraft erforderte. Es war ein Versuch, künftig eine Wirtschaftskrise abzuwenden, wie sie weltweit zwischen den beiden Weltkriegen stattgefunden hatte. Damals stockte der Handel zwischen den Nationen, die Märkte kollabierten, und die Weltwirtschaft schlitterte der Großen Depression entgegen. Nach dem Krieg setzten sich die Alliierten unter Führung der USA für ein internationales System ein, in dem es weniger Handelsbeschränkungen und freien Währungstausch geben 32

sollte. Nachdem sie wirtschaftlich wieder auf den Beinen waren, schlossen sich auch Deutschland und Japan diesem System an.[25] Erst Mitte der siebziger Jahre wird das einstige Niveau des internationalen Warenaustauschs wieder erreicht. Die Globalisierung ist also durchaus umkehrbar. Ab Mitte der achtziger Jahre erreicht sie eine neue Qualität, unter anderem dank Revolutionen in Kommunikation (Internet) und Transport (Container), der Liberalisierung der Finanzmärkte sowie des Falls des Eisernen Vorhangs. Mit wenigen Ausnahmen – wie zum Beispiel Kuba und Nordkorea, sind die Nationen der Welt übereingekommen (oder auch gezwungen worden), nach denselben Handelsregeln zu spielen. Seither wächst der Welthandel pro Jahr durchschnittlich um neun Prozent. Eine immer differenziertere globale Arbeitsteilung bildet sich heraus: Man produziert, was man am besten kann, und importiert, was andere besser können. Professor Henning Klodt, Leiter des Zentrums für Wirtschaftspolitik am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (If W), bringt Globalisierung auf die einfache Formel: „erhöhte Mobilität von Waren, Kapital, Wissen, Technik und, in eingeschränkter Form, auch Arbeit“.[26]


Containerschiff auf der Elbe, Hamburg (links und oben) // Containerhafen Hambuwrg (unten)

33


G lobale Entwicklung Ist die Welt ein besserer Ort geworden? Die folgenden Grafiken zeigen Erfolge der globalen Entwicklung. Das schwedischen Unternehmen Gapminder bereitet statistischen Daten der Vereinten Nationen grafisch auf, die diese Entwicklung zeigen. Statistische Daten belegen auch den Anstieg der Durchschnittseinkommen weltweit. Diese Entwicklung lässt die Gruppe der „globalen Aufsteiger“ entstehen. Zwei Millarden Menschen weltweit, die in den kommenden Jahren die Armutsgrenze verlassen.

34


Anzahl Kinder pro Frau

Afrika Amerika Arabische Staaten Asien Europa

Kindersterblichkeit bis zum 5. Lebensjahr

© Gapminder

Gapminder Grafik // Kindersterblichkeit & Anzahl von Kindern pro Frau weltweit im Jahre 1962

Gapminder ist ein Non-Profit-Unternehmen, dass die Förderung einer nachhaltigen globalen Entwicklung und die Erreichung der UN-Millenniumsziele forciert. Dies versucht Gapminder durch leicht verständliche Grafiken. Die Grafiken auf der Internetseite www.gapminder.org zeigen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklungen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene. Im Jahr 2000 wurde von einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der UNO, der Weltbank, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), und mehreren NGOs die acht Entwicklungsziele für das Jahr 2015 formuliert. [27] Die Bekämpfung extremer Armut und Hunger, Primarbildung für alle, Gleichstellung der Geschlechter, Senkung der Kindersterblichkeit, Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Mütter, Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen schweren Krankheiten, ökologische Nachhaltigkeit und der

Aufbau einer globalen Partnerschaft für Entwicklung sind die acht UN-Milleniumsziele.[28] Gapminder vergleicht zahlreiche Kennzahlen von Ländern, etwa die Lebenserwartung, das Pro-Kopf-Einkommen, die durchschnittliche Anzahl an Ärzten oder die jährliche Exportrate. Zwei diese Kennzahlen stellt Gapminder in einem Diagramm gegenüber und zeichnet ein, wo das jeweilige Land im Diagramm einzuordnen ist. Um die Veränderung des Zeitverlaufes darzustellen, hat Gapminder die Grafiken interaktiv gestaltet. Die hier abgebildeten Grafiken zeigen auf der x-Achse die Kindersterblichkeit bis zum 5. Lebensjahr und auf der y-Achse die Anzahl der Kinder pro Frau. Die Grafik oben zeigt die Welt 1962. Jedes Bläschen steht für ein Land. Die Größe der Bläschen koresspondiert mit der Einwohnerzahl. Jeder Kontinent


hat eine eigene Farbe (Afrika, Amerika, Arabische Staaten, Asien, Europa). Die industrialisierten Staaten stehen unten in der Grafik. Frauen in diesen Ländern haben weniger als vier Kinder. Weniger als 10% der Kinder (bis zu einem Alter von 5 Jahren) sterben. Die Entwicklungsländer stehen oben. Dort haben Frauen mehr als fünf Kinder. Zwischen 10-40% der Kinder sterben bevor sie das Alter von 5 Jahren erreichen.[29]

Veränderungen seit 1962 Die Grafiken zeigen die Entwicklung der Kindersteblichkeit und die Anzahl von Kindern pro Frau in den Jahren 1963 bis 2003. Zuerst ging die Kindersterblichkeit um 20% zurück und dann fiel die Zahl der Kinder pro Frau. Heute ist die Welt eine komplett andere. In den meisten Ländern Asiens, Lateinamerikas und der Arabischen Staaten sind Familien klein und die Kindersterblichkeit niedrig. Die meisten Entwicklungsländer wurden zu Industriestaaten, sie exportieren Fahrräder, Fernseher, Kleidung und Schuhe.[30] In den meisten Länder Arfikas, sowie einigen arabischen und asiatischen Ländern hat sich die Situation jedoch nicht so positiv Entwickelt. Hier liegen Kindersterblichkeit über 10 % und der Anzahl von Kindern pro Frau liegt bei mehr als 4 Kindern.

36


Anzahl Kinder pro Frau

Afrika Amerika Arabische Staaten Asien Europa

Kindersterblichkeit bis zum 5. Lebensjahr

Š Gapminder

Gapminder Grafik // Kindersterblichkeit & Anzahl von Kindern pro Frau weltweit im Jahre 1962 (oben), 2003 (unten) , von 1962-2003 (ganz links)

Anzahl Kinder pro Frau

Afrika Amerika Arabische Staaten Asien Europa

Kindersterblichkeit bis zum 5. Lebensjahr

Š Gapminder


? 700 Milliardäre 10 Millionen Millionäre 2 Milliarden Wohlständige

2 Milliarden „Globale Aufsteiger“

2 Milliarden Arme Arm und Reich global - die „Globalen Aufsteiger“ kommen

Einkommenspyramide

Die „Globalen Aufsteiger“ Unter dem Strich ist die Welt dank des intensiven Warenaustauschs zwar kein perfekter Ort geworden. Aber, wie die Grafiken von Gapminder zeigen, ein deutlich besserer. Vor allem in den Entwicklungsländern. Selbst kritische Ökonomen, wie der Nobelpreisträger Paul Krugman von der Princeton University gehen davon aus, dass die Globalisierung bislang nur geringen Einfluss auf die Löhne in den Industrieländern hat.[31] Fest steht, dass die Integration von immer mehr Staaten in die Weltwirtschaft sich als enormes Armutsbekämpfungsprogramm erwiesen hat. Der Anteil der Menschen, die mit einer Kaufkraft von weniger als einem Dollar täglich auskommen 38

müssen, hat sich seit Anfang der achtziger Jahre, also parallel zur Globalisierung neuen Typs, nahezu halbiert. In vielen Bereichen funktioniert die Globalisierung also.[32] Bei der Betrachtung der weltweiten Einkommensverteilung von 1970 bis 2015 (Grafiken rechte Seite), fallen die sogenannten „Globalen Aufsteiger“ auf. Diese Menschengruppe kommt überwiegend aus Ländern mit mittlerer Entwicklung. In den vergangenen 30 Jahren hat sich in diesen Ländern eine Schicht gebildet, die der Armut entstiegen ist. Diese Gruppe wird sich langfristig zu einer breiten Masse der Mittelschicht entwickeln.


Die Grafiken unten zeigen die weltweite Einkommensverteilung 1970

Weltbevรถlkerung: 3,7 Milliarden davon in Armut: 1,4 Milliarden

Armutsgrenze

2000

Weltbevรถlkerung: 6,1 Milliarden davon in Armut: 1,2 Milliarden

Armutsgrenze

Weltbevรถlkerung: 7,2 Milliarden davon in Armut: 0,7 Milliarden

2015 Armutsgrenze

Alle Grafiken in Anlehnung an: United Nation Development Programm, Gapminder, Human Development Trend 2005

$1

$ 10

$ 100 Dollar pro Tag


Worldmapper Landkarten Worldmapper ist eine Sammlung von Weltkarten, auf denen die Größe der Länder auf jeder Karte für das jeweilige Thema neu berechnet wurde. Die statistischen Daten stammen vom Human Development Index 2004 der Vereinten Nationen. Die University of Sheffield berechnete diese Karten mittels einer Software anhand von statistischen Daten des Human Development Index 2004 der Vereinten Nationen. Auf der Webseite worldmapper.com stehen Informationen und fast 600 Karten zur freien Verfügung. Interessant aus meiner Sicht sind die Karten mit den Themen Landfläche, Gesamtbevölkerungszahl und dem Human Development. Sie zeigen Fortschritte der Globalisierung und die große Spannbreite dieser Entwicklung.

Landfläche Die Gesamtfläche aller Territorien ist etwa 13 Mio ha groß. Gleichmäßig geteilt würde pro Person 2,1 ha zur Verfügung stehen. Allerdings ist die Bevölkerung nicht gleichmäßig verteilt: 40

Australiens Landfläche ist 21 Mal größer als Japans, Japans Bevölkerung ist jedoch mehr als sechs Mal größer als Australiens.

Gesamtbevölkerung Im Frühjahr 2000 erreicht die Weltbevölkerung Schätzungen zufolge sechs Milliarden Menschen. Die Karte rechts unten zeigt die Verteilung der Weltbevölkerung. Die Größe des jeweiligen Landes auf der Landkarte zeigt den relativen Anteil an der Weltbevölkerung, die in diesem Land leben. Die Landfläche von Indien, China und Japan in der Landkarte ist größer, da ihre Bevölkerungszahl große ist. Die Bevölkerungzahl von Panama, Namibia und GuineaBissau ist sehr gering im Zusammenhang mit der Fläche. Daher sind diese Länder auf der Karte kaum sichtbar. Der Sudan ist das geografisch größte Land in Afrika, hat jedoch eine geringere Bevölkerung als Nigeria, Ägypten, Äthiopien, Demokratische Republik Kongo, Südafrika und Tansania.[33]


Die Landfläche jedes Territoriums (oben) & die Verteilung der Weltbevölkerung auf die Länder (unten)


Ländergröße zeigt den Anteil der weltweiten menschliche Entwicklung der gesamten Weltbevölkerung (Bevölkerung multipliziert mit Human Development)

Human Development Index Der Human Development Index, abgekürzt HDI, ist ein Index der menschlichen Entwicklung in den Ländern der Welt. Der HDI wird seit 1990 im jährlich erscheinenden Human Development Report des UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, engl. United Nations Development Programme) veröffentlicht. Entwickelt hat den HDI der pakistanische Ökonom Mahbub ul Haq, der eng mit dem indischen Ökonomen und Nobelpreisträger Amartya Sen sowie dem britischen Wirtschaftswissenschaftler und Politiker Meghnad Desai zusammenarbeitete.[34] Anders als der Ländervergleich der Weltbank berücksichtigt der HDI nicht nur das Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Einwohner eines Landes in KKP-$ (Kaufkraftparität), sondern ebenso die Lebenserwartung und den Bildungsgrad mit Hilfe der Alphabetisierungsrate und der Einschulungsrate der Bevölkerung. Der Faktor Lebenserwartung gilt als Indikator für Gesundheitsfürsorge, Ernährung und Hygiene. Das 42

Bildungsniveau steht, ebenso wie das Einkommen, für erworbene Kenntnisse und die Teilhabe am öffentlichen und politischen Leben. Wenn die Lebenserwartung 85 oder mehr Jahre, die Alphabetisierung von Erwachsenen 100 %, die Einschulung 100 % und das Bruttoinlandsprodukt bei US $ 40 000 oder mehr pro Person und Jahr beträgt, dann herrschen optimale Lebensbedingungen.[35] Die Grenzwerte des HDI sind so gewählt, dass der höchste erreichbare Wert 1 und der niedrigste 0 ist. Die UNDP unterteilt die Länder nach dem HDI-Wert in drei Kategorien: 1 . hohe menschliche Entwicklung: HDI ≥ 0,8 (sog. „erste Welt“) 2. mittlere menschliche Entwicklung: HDI < 0,8 & ≥ 0,5 (sog. „zweite Welt“) 3. geringe menschliche Entwicklung: HDI < 0,5 (sog. „dritte Welt“)


Ländergröße zeigt den Anteil des weltweiten Wachstums an Wohlstand, der zwischen 1975 und 2002 aufgetreten ist

Laut Human Development Report 2007/2008, der auf den Länderdaten von 2005 basiert, zählen 70 Länder zur sogenannten „ersten Welt“. 85 Länder zählen zu der sogenannten „zweiten Welt“ und 22 Länder zu sogenannten Ländern der „dritten Welt“. Der Report beinhaltet 177 Länder. Island hat dem Report zufolge den höchsten Index mit 0,968 und Sierra Leone den niedrigsten mit 0,336. Der Weltdurchschnitt beträgt 0,698.[36]

Wachstum von Wohlstand Zwei Drittel der Länder der Welt haben ein Wachstum ihres Reichtums von 1975 bis 2002 erlebt. In China war die Zunahme des absoluten Reichtums am höchsten. Ostasien hat den größten proportionalen Wachstum des Bruttoinnlandsprodukt (BIP) mit durchschnittlich 8 % pro Jahr erlebt. Leider ist in den

Ländern mit dem geringsten BIP, der Anstieg des Reichtums bestenfalls klein. Obwohl sich die Verteilung des Reichtums ändert, zeigt die Karte, dass er an Orten wächst, die bereits relativ wohlhabenden sind. Die Länder mit dem größten Anstieg des BIP, unter Brücksichtigung von lokalen Preisen, waren China, die Vereinigten Staaten, Japan, Indien und Deutschland.[37]

Human Poverty Index Armut bezeichnet nicht nur einen finanziellen Status. Armut beeinflusst das Leben in vielerlei Hinsicht. Einmal im Jahr stellt die UN-Entwicklungsorganisation UNDP einen Index auf, mit dem messbare Dimensionen menschlicher Entwicklung für mehr als 170 Länder bewertet werden. Berücksichtigt werden Lebenserwartung, Grad des Schulbesuchs, Alphabetisierung und Einkommen. Der HDI berücksichtigt viele weitere


Ländergröße zeigt den Anteil der in Armut lebenden Weltbevölkerung (berechnet durch die Multiplikation der Bevölkerung mit dem Human Poverty Index)

Faktoren nicht, die die Qualität des Lebens beeinflussen.[38] Das bedeutet, dass die Armen in reicheren Gebieten besser Leben, als Arme in armen Gebieten. Die höchste menschliche Armut herrscht laut der Index Bewertungen in Zentralafrika und Südasien, die geringste in Japan, Skandinavien, Australien und Neuseeland.

Menschliche Entwickung Die K ritiker des wachsenden globalen Handels weisen darauf hin, dass die Industrieländer mehr als die Entwicklungsländer vom Zusammenschluss der Märkte profitieren.[39] Ihrer Ansicht nach ist der globale Markt so ausgelegt, dass reiche Länder reicher und arme Länder ärmer werden. Entstehende Arbeitsplätze in Entwicklungsländern seien häufig Kinderarbeitsplätze unter menschenunwürdigen Bedingungen sind.[40] 44

Generell gilt: Armut ist das größte Risiko für Mensch und Natur. Wer von der Hand in den Mund lebt, kann keine Rücksicht auf die Umwelt nehmen. Eines der größten Gesundheits- und Ökoprobleme ist, dass heute immer noch drei Milliarden Menschen mit Holz an offenen Feuerstellen kochen und durch Brandrodung den Regenwäldern Ackerflächen abringen. Entwicklung ist die erste Voraussetzung für den Schutz natürlicher Ressourcen. Die Globalisierung ist wiederum die Chance für arme Länder, voranzukommen. Je höher der Lebensstandard, desto größer das Umweltbewusstsein. Die Globalisierung beschleunigt diesen Prozess: was in den etablierten Industriestaaten hundert Jahre und mehr dauerte, durchlaufen die Schwellenländer im Schnelldurchgang. So ist Ökologie in China, dessen Industrialisierung, ebenso wie die Großbritanniens oder Deutschlands im 19. Jahrhundert, mit einem Raubbau an der Natur einherging, mittlerweile ein Thema. Unzählige Ökogruppen sind dort aktiv. Das Riesenland investiert unter


EU 1,7%

Deutschland 2%

USA 3,5%

Venezuela 9,8% Peru 6,7%

UAE 6,7%

Angola 19,1%

Argentinien 8,7%

China 9,9% Indien 7,6%

Japan 2,7%

Singapur 6,4%

Brasilien 2,4%

Welt 4,1%

Äquatorialguinea 18,6%

Aserbaidschan 26,4%

Russland 6,4%

Südafrika 4,9%

Big Boom 200X, BIP-Wachstumsraten in ausgewählten Ländern, 2005 (Quelle:CIA, The World Factbook, 2006)

anderem massiv in erneuerbare Energien. Die Entwicklungserfolge von Indien und China sind größtenteils aus eigener Kraft erreichten worden. Jedoch sind diese Erfolge kein Garant für Gerechtigkeit. Gerade in China und Indien ist die Schere zwischen Reich und Arm besonders groß. Generell konnten Entwicklungsländer, die sich dem Weltmarkt geöffnet haben, ihren Lebensstandard von 1990 bis 2006 um fast 50 Prozent erhöhen. Bei denen, die dies nicht taten, waren es nur 22 Prozent. Nicht die Globalisierung ist also das Problem, sondern der Ausschluss von ihr.[41] Der globale Warentransport muss nicht unbedingt zu lasten der Umwelt gehen. So kann ein aus Chile importierter Apfel eine bessere Ökobilanz haben als einer aus deutscher Ernte, ergab jüngst eine Studie der Universität Gießen. Denn der Energieaufwand für Anbau, Ernte und Transport hängt weniger von der Entfernung zum Markt ab, sondern mehr von

der Betriebsgröße des Obstbauern. Früchte von kleineren Erzeugern können bis zu fünfmal mehr Energie verbrauchen als solche von größeren. Die für den Transport aus Übersee notwendige Energie ist nicht entscheidend, so die Wissenschaftler. Denn das Obst kommt überwiegend per Schiff nach Europa. Die dafür aufgewendete Energie entspricht etwa jener, die zur monatelangen Lagerung deutscher Äpfel in Kühlhäusern benötigt wird.[42] Die Grafik oben zeigt den BIP-Wachstum in Ländern der Erde, die teilweise bisher wenig Beachtung der internationalen Öffentlichkeit bekamen. Interessant sind die Entwicklungsraten der Länder Angola, Äquatorialguinea und Aserbaidschan. Hier stieg das Bruttoinlandsprodukt rapide, was auf der weltweit steigenden Rohstoffnachfrage zurück zu führen ist. Die Zahlen stammen von 2005. Die heutige Entwicklungsraten liegen nach der Finanzkriese 2008 deutlich niedirger.


Wie Globalisierung wirkt Wie wirkt die Globalisierung auf den einzelnen Menschen? M채nner und Frauen erz채hlen von Arbeit, Geld und Leben.

46


Es heißt, die Globalisierung habe die Welt überschaubar gemacht. Trotzdem wissen wir über die Menschen in anderen Ländern selten mehr, als wir aus den Medien erfahren. Selbst wenn wir in ein fremdes Land reisen, treffen wir dort meistens nur einige ausgewählte Einheimische: Hotelangestellte, Fremdenführer, Andenkenverkäufer, eventuell den einen oder anderen normalen Verkäufer, der sich über zusätzliche Kundschaft freut. Der Alltag bleibt uns jedoch in der Regel verschlossen.

und was sie dafür bekommen, wie ihr Alltag aussieht und wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Dabei gewähren die befragten Personen nicht nur einen Einblick in ihr persönliches Leben, sondern vermitteln jedes Mal eine neue, überraschende Sicht auf die Welt.[44]

Alle Menschen sind gleich und verschieden

[43]

Die Grundidee der folgenden Geschichten stammt von der Zeitschrift brand eins, die seit 2002 in ihrer Rubrik „Mikroökonomie“ Monat für Monat einen Menschen aus aller Welt vorstellt. Die folgenden Interviews wurden von jungen Menschen durchgeführt, die mit dem Bistum Osnabrück einen Freiwilligendienst im Ausland absolvieren. Diese jungen Deutschen haben sich aufgemacht um eine andere Welt, eine fremde Kultur und Lebensweise kennen zu lernen, Abenteuer zu erleben und die Wurzeln ihrer eigenen Kultur und Heimat zu finden. In der Fremde haben sie Menschen gefunden, die aus ihrem Leben und von ihren Träumen erzählen. Die sagen, was sie arbeiten

Zwei Dinge zeigen sich sehr deutlich. Zum einen: alle Menschen sind gleich. Alle arbeiten, gehen einkaufen, gönnen sich ab und zu etwas Besonderes, haben Leidenschaften, machen sich Gedanken über ihre Zukunft. Und bei der Frage nach dem Wichtigsten in ihrem Leben, sagen sie: meine Familie, meine Frau, mein Mann, meine Kinder. Zum anderen ist zu erkennen: Alle Menschen sind verschieden. Die einen sparen für ihre Rente, die anderen verlassen sich auf ihre Nachkommen. Die einen hätten gerne mehr Freizeit, die anderen sind schon froh, dass sie überhaupt am Leben sind. Die einen arbeiten, weil sie Geld brauchen, für die anderen ist Arbeit der Sinn ihrer Existenz. Und wenn sie von ihren Sehnsüchten erzählen, stellt man fest: jeder hat einen Traum, aber jeder Traum ist anders.[45]


Eine Haushälterin in Brasilien Interview und Foto: Roland Wulftange

Föderative Republik Brasilien (República Federativa do Brasil) Einwohner: 189,9 Millionen BIP pro Kopf: 5 907 Euro Währung: (31.12.2008) 1 Brazilian Real (BRL) = 0.30 Euro Human Development Index: 70 (Deutschland Platz 21 von 177) Aktuelle Durchschnittskosten 1 Kilo Reis: 1,18 Euro 1 Liter Milch: 64 Cent 1 Liter Benzin: 67 Cent Kinoticket: 2,53 Euro 48

Maria Parecida, 45, wohnt mit ihren zwei Töchtern in einem kleinen Haus in der Stadtgemeinde Sarandi, die ein Vorort zur nahen Stadt Maringá ist. Sarandi liegt im Bundesstaat Paraná im Süden von Brasilien. Die südliche Region hat in den letzten Jahrzehnten eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung erlebt. Die überwiegend arme Bevölkerung Sarandis arbeitet als niedrig bezahlte Angestellte in der Landwirtschaft, der Textilindustrie oder als Haushalts- und Reinigungskraft. Maria Parecida arbeitet als Haushälterin in einem Gemeindeprojekt, das bedürftige Minderjährige aus den Armenvierteln fördert. Seit das Gemeindeprojekt an dem Regierungsprogramm Fome Zero teilnimmt, ist Marias Gehalt besser. Fome Zero (Null Hunger) ist ein Programm der brasilianischen Regierung, um Hunger und extreme Armut in Brasilien zu bekämpfen. Eingeführt wurde es im Jahr 2002 vom Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Nach Angaben der Website des Programms, sind in Brasilien 44 Millionen Menschen vom Hunger bedroht.[46] Ohne das Projekt würden viele Kinder in Sarandi als Müllsortierer auf der Müllhalde, Papier-/ Pappe- und Dosensammler in den Straßen oder als Eis- und Getränkeverkäufer an den Ampeln der Fernstraßen arbeiten. Neben der finanziellen Unterstützung der Familien und der Unterichtspflicht werden den Kinder pädagogische Unterstützung und Unterrichtsnachhilfe, sowie Kultur- und Bildungsaktivitäten wie Kunst, Sport und Spiel angeboten. Auch die tägliche Verpflegung der Kinder zählt zu den Aufgaben des Gemeindeprojektes. In berufsbildenden Kursen erhalten ca. 350 Jugendliche ab 14 Jahren eine Ausbildung und damit eine Chance auf besser bezahlte Arbeit.


Monatlicher Verdienst:

Maria Parecida verdient etwa 148 Euro im Monat und erhält zusätzlich von der Gemeinde noch ein Grundnahrungsmittelpaket, das ihre Familie etwa eine Woche ernährt.

Monatliche Grundkosten:

Sie wohnt mit ihren zwei Töchtern in einem 32 Quadratmeter großen Haus. Die Ratenzahlung beträgt monatlich 45 Euro. Ihre älteste Tochter arbeitet tagsüber in einem Bekleidungsgeschäft und besucht abends einen Kurs zur Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung der staatlichen Universität Maringá. Ihre jüngere Tochter geht zur Mittelschule.

Altersvorsorge:

Die geringe staatliche Rente von ca. 60 Euro ab dem 55. Lebensjahr wird nicht ausreichen, daher muss Belinha so lange wie möglich arbeiten. Die Gemeindeverwaltung bezahlt eine kleine Krankenversicherung, und auch die kostenlosen Gesundheitszentren der Stadt sind eine enorme finanzielle Erleichterung. Ihr auf Raten gekauftes Haus wird in zwei Jahren abbezahlt sein, sodass sie das Geld für die Ausbildung ihrer Töchter verwenden kann, die beide studieren wollen.

Wie und wie oft machen Sie Urlaub?

„Urlaub mache ich sehr selten. Manchmal besuche ich über das Wochenende Verwandte oder ich fahre bei Ausflügen der Gemeinde mit. Vor vier Jahren war ich mit meinem damaligen Mann am Meer. Das war eine schöne Zeit.“

Was tun Sie, wenn Sie sich etwas Besonderes gönnen wollen?

„Ich spiele jede Woche in der Lotterie Mega Sena und hoffe auf den großen Gewinn. Manchmal kaufe ich meiner Familie etwas Fleisch und mache ein leckeres Churrasco. Die Ausbildung meiner Töchter ist sehr teuer, daher leiste ich mir persönlich selten etwas Besonderes.“

Was ist das Wichtigste in Ihrem Leben?

„Meine Töchter und die Gesundheit der gesamten Familie.“

Was bedeutet Ihnen Arbeit?

„Arbeit belebt den Geist. Durch sie fühlt man sich nützlich. Jede Art von Arbeit ist würdig. Unwürdige Arbeit gibt es nicht.“

Was würden Sie mit einem Lottogewinn machen?

„Ich würde mir einen Bauernhof kaufen. Mit Schweinen, Rindern, Pferden, ein paar Hühnern. Nur was kleines. Und ich würde meinen Töchtern eine bessere Ausbildung finanzieren.“


Ein Fahrradflicker in China Interview: Yusheng Wu

Geschätzte zehn Millionen Fahrräder rollen über die Straßen von Peking – sie sind immer noch das Hauptverkehrsmittel in der chinesischen Hauptstadt. Entsprechend viele Reparaturwerkstätten gibt es am Straßenrand. Die meisten sind illegal, wie der Laden von Feng Zongwen, 34, der mit dem Geschäft seine Frau und den zehnjährigen Sohn ernährt. Einmal musste Feng 37 Euro Strafe zahlen und wurde der Stadt verwiesen, weil er keine Aufenthaltsgenehmigung für Peking besaß. Er fuhr mit dem nächsten Zug zurück. Seit die Fabrik und das Stahlwerk Feng und seine Frau entlassen haben, leben sie in Peking. Zuvor haben sie in Shenyang im Nordosten gelebt. Die Provinzhauptstadt mit 7,4 Millionen Einwohner gilt als kulturelles und wirtschaftliches Zentrum Nordostchinas. Im europäischen Schrifttum ist die Stadt auch unter dem Namen Mukden als Hauptstadt der Mandschurei bekannt. Heute boomt die Wirtschaft der Region, sodass Familie Zongwen den erneuten Umzug in die Heimat plant. Hier werden die Berufsaussichten Ihres Sohnes besser sein. Im Süden Shenyangs ist ein großes Areal eigens als Hightechzone ausgewiesen, in der die Softwareproduktion einen Schwerpunkt bildet. Dort bekommen zum Beispiel aus den westlichen Ländern zurückkehrende chinesische Wissenschaftler und Ingenieure finanzielle Anreize und hervorragende Arbeitsbedingungen.

Volksrepublik China (Zhonghua Renmin Gongheguo) Einwohner: 1330 Millionen BIP pro Kopf: 1965.40 Euro Währung: (31.12.2008) 1 Chinese Yuan Renminbi = 0.10 Euro Human Development Index: 81 (Deutschland Platz 21 von 177) Aktuelle Durchschnittskosten 1 Kilo Reis: 25 Cent 1 Liter Milch: 50 Cent 1 Liter Benzin: 55 Cent Kinoticket: 1,34 Euro 50


Monatlicher Verdienst:

Feng Zongwen verdient 125 Euro im Monat.

Monatliche Grundkosten:

Feng wohnt mit seiner Familie in einem acht Quadratmeter großen Zimmer, für das er 13 Euro Miete bezahlt. Er gibt im Monat 25 Euro für neues Flickzeug, Ersatzteile und Werkzeug aus.

Altersvorsorge:

Keine. Wenn Fengs Familie krank wird, kann er keine Medizin bezahlen. Wenn er alt ist, so hofft er, wird sein Sohn für ihn sorgen. Früher war es besser. Da hat er in einer Fabrik gearbeitet und seine Frau in einem Stahlwerk. Sie waren über ihre Betriebe versichert und sollten später Rente bekommen. Dann wurden sie entlassen. Es gab nirgends Arbeit, also gingen sie nach Peking.

Wie und wie oft machen Sie Urlaub?

„Ich kann keinen Urlaub machen, denn dann verdiene ich nichts. Aber wenn es kalt ist, es regnet oder stürmt, nehme ich mir manchmal einen Tag frei, dann läuft das Geschäft ohnehin nicht gut.“

Was tun Sie, wenn Sie sich etwas Besonderes gönnen wollen?

„Wir gehen in einer kleinen Eckkneipe essen. Wir haben keine Küche in unserer Wohnung und kochen über einer einzelnen Gasflamme. Da ist es schön, mal etwas richtig Gutes zu essen, auch wenn es für uns zusammen 1,50 Euro kostet.“

Was ist das Wichtigste in Ihrem Leben? Welchen Stellenwert hat Geld in Ihrem Leben? Was möchten Sie in Ihrem Leben gerne ändern?

„Gesundheit. Und die Familie.“

„Ohne Geld ist man nichts, aber trotzdem ist Geld nicht das Wichtigste. Wir hoffen auf einer bessere Zukunft für unseren Sohn.“ „Ich würde gerne vieles ändern, aber ich kann gar nichts ändern.“


Ein Nachtwächter in Brasilien Interview: Max Wekenborg

Föderative Republik Brasilien (República Federativa do Brasil) Einwohner: 189,9 Millionen BIP pro Kopf: 5 907 Euro Währung: (31.12.2008) 1 Brazilian Real (BRL) = 0.30 Euro Human Development Index: 70 (Deutschland Platz 21 von 177) Aktuelle Durchschnittskosten 1 Kilo Reis: 1,18 Euro 1 Liter Milch: 64 Cent 1 Liter Benzin: 67 Cent Kinoticket: 2,53 Euro 52

Francisco das Chagas Pereira, 55, lebt mit seiner Frau, seiner jüngsten Tochter und seiner Schwiegermutter auf einer kleinen Farm in Capinzal do Norte im Bundesstaat Maranhao im Nordosten Brasiliens. Capinzal do Norte hat etwa 11.000 Einwohner und liegt im Landesinneren, etwa 300 km vom Atlantik entfernt. Die Gegend liegt im Übergang von Amazonasgebiet zur mit Laubbäumen durchsetzten Strauchsavanne Sertão. Dort herrschen extensive Rinderwirtschaft und Großgrundbesitz vor, wobei auf den trockenen Böden nur ein Rind pro zehn Hektar gehalten werden kann. Die Region ist durch sehr geringe Niederschläge gekennzeichnet und häufig von Dürre betroffen, die Trockenzeit beträgt zehn bis elf Monate. Die Bewohner von Capinzal do Norte betreiben jedoch auch Reisanbau und Palmenzucht, da ihre Gegend mehr Niederschlag aufweist. Francisco hat insgesamt acht Kinder, die zwischen 20-33 Jahren alt sind. Sieben seiner Kinder leben im Süden, in den Wirtschaftszentren Brasiliens, da im Nordosten nicht genügend Arbeitsplätze vorhanden sind. Seit einiger Zeit arbeitet er in einer Landwirtschaftsschule für Familie. Dort achtet er als Nachtwächter darauf, dass die Ernte und die Arbeitsgeräte nicht gestohlen werden. Jugendliche ab zwölf Jahre erlernen dort Techniken der Land- und Viehwirtschaft in der Theorie und Praxi. Die Hälfte des Monats wenden die Jugendlichen ihr erworbenes Wissen auf den elterlichen Höfen an. Gearbeitet wird mit zwei Gruppen, jeweils zwei Wochen im Wechsel. Somit wird ein Dialog geschaffen zwischen der Schule, der Familie und der Gemeinde. Die Jugendlichen lernen neue Methoden des ökologischen Landbaus kennen, die eine größere und qualitativ hochwertige Produktion ermöglichen. Somit wird ein Weg aus der Armut gewiesen und zudem ein Anreiz geschaffen, in den Gemeinden zu bleiben. Beginnend mit der 5. Klasse werden zudem acht Jahre lang Portugiesisch, Mathematik, Geschichte, Geographie, Naturwissenschaften, Gesundheitswesen, künstlerische und religiöse Erziehung unterrichtet. Somit könnte sich aus einer armen, ungebildeten Landbevölkerung ein gebildeter Mittelstand entwickeln.


Monatlicher Verdienst:

Monatliche Grundkosten:

Francisco bekommt für seine Tätigkeit als Nachtwächter etwa 179 Euro Gehalt. Dazu kommen unregelmäßig 71,50 Euro Rente seiner Schwiegermutter. Durch den Verkauf von Gemüse von ihrem Feld nimmt die Familie noch einmal etwa 36 Euro ein. Diese Einnahmen schwanken jedoch sehr stark, da das Gemüse überwiegend zum Eigenverzehr gebraucht wird. In guten Monaten hat die Familie somit etwa 280 Euro zur Verfügung. Die monatlichen Grundkosten belaufen sich auf 250 Euro.

Altersvorsorge:

Die Familie besitzt eigenes Land und eine Rinderherde von 11 Tieren. Hinzu kommt Franciscos geringe Rente.

Wie und wie oft machen Sie Urlaub?

„Richtig Urlaub mache ich nicht. Den mir zustehenden Jahresurlaub verwende ich dazu, bei meiner Herde zu sein und für die Tiere zu sorgen.“

Was tun Sie, wenn Sie sich etwas Besonderes gönnen wollen? Was ist das Wichtigste in Ihrem Leben? Was bedeutet Ihnen Arbeit?

„Ich bereite mir und meiner Familie ein gutes Mittagessen zu.“

„Meine Familie ist alles für mich!“ „Eine Pflichterfüllung die aber Freude bereitet.“

Was erwarten Sie von der Zukunft und was tun sie dafür?

„Die nächste Anschaffung auf die ich hinarbeite ist ein Motorrad. Was übrig bleibt zum Sparen wird gespart.“

Was würden Sie gerne in Ihrem Leben ändern?

„Ich würde gerne mein Haus, das derzeit noch aus Lehm besteht, gegen ein gemauertes Haus eintauschen.“

Was hat sich in den letzten Jahrzehnten bei Ihnen/ Ihrer Familie verbessert oder auch verschlechtert?

„Es hat sich etwas verbessert: ich habe eine Festanstellung mit einem monatlich gesicherten Einkommen und drei meiner acht Kinder haben ein Eigenheim. Einige gingen in den Süden Brasiliens, um in den wirtschaftlichen Ballungszentren Arbeit zu finden. Schön wäre jetzt noch eine Verbesserung der Anstellung der Kinder. Einige halten sich als fliegende Straßenverkäufer über Wasser, andere haben bereits eine Festanstellung.“


Zusammenfassung Erkenntnisse aus den Bereichen Zivilisation, Wandel und Globalisierung

1. Alle Menschen sind gleich, ihnen sind Familie und Freunde wichtig. 2. Alle Menschen sind unterschiedlich, mit unterschiedlichen Lebensentwürfen, Träumen und Lebensläufen. 3. Generelle Hoffung und Offenheit für Entwicklung sind das entscheidend Menschliche. 4. Veränderungen beruhen auf sich wandelnden Wünschen und Bedürfnissen und zugleich transformieren Wünsche und Bedürfnisse Lebensbedingungen, Märkte und Möglichkeiten. 5. Wandel ist die natürliche Veränderung und Weiterentwicklung von - Struktur & Kultur, - Institutionen, Akteuren und Gemeinschaft, - der Personen & ihrer Lebensläufe.

54


chinesische Familie genießt den Ausblick vom 101. Stockwerk des Shanghai World Financial Center // Shanghai, China // Oktober 2008

6. Globalisierung ist eng mit dem menschlichen Streben und der Menschheitsgeschichte verbunden. 7. Der individuelle oder kollektive Erwerb von geistigen, körperlichen und sozialen Kenntnissen und Fertigkeiten ist Grundvoraussetzung des Lebens. 8. Mobilität und Austausch von Wissen, Waren, Kapital, Technik und Arbeit verbessert allgemein die Lebensbedingungen der Menschen weltweit. 9. Globale Arbeitsteilung schafft einen Alltag der globalen Produktwelt. 10. Ziel sollte die Einhaltung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und die Verantwortung der heutigen Generation gegenüber den künftigen Generationen sein.


Arbeitsfelder Vorgehensweise

Das Kapitel Zivilisation, Wandel und Globalisierung zeigt, dass die menschliche Entwicklung im laufe der Jahrhunderte von den ersten Menschen in Ostafrika bis in die heutige Zeit vom Selbstbewusstsein des Menschen, der ständigen kulturellen Evolution und Wissensvermittlung, sowie dem Streben und der Hoffnung nach einem besseren Leben geprägt ist. In den letzten 150 Jahre hat sich das Leben der Menschen weltweit enorm gewandelt. Fortschritte in Technologie, Arbeit 56

und Herstellung haben den weltweiten Austausch von Wissen, Waren, Kapital, Technik und Arbeit beschleunigt. Das komplexe Gebilde der Weltwirtschaft durchzieht alle Bereiche unseres Lebens. Um die wechselseitigen Zusammenhänge zu verstehen ist eine detailliertere Betrachtung der Bereiche Ökonomie, Kultur und Design, sowie der Bereiche Ökologie und Soziales, wichtig.


Ökologie

Forschung Entwicklung Mensch

Design Soziales

Die Grafik oben verdeutlicht die Zusammenhänge der drei Bereiche. Im Mittelpunkt steht der Mensch, der von den drei Bereichen Ökonomie, Ökologie und Soziales umgeben ist. Diese stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander. Jeder Bereich ist eng mit den anderen verbunden und kann nicht alleine bestehen. Der innere Kreis stellt den Lösungsansatz dar: Forschung, Entwicklung und Design als Umsetzung oder Formgebung. In den folgenden Kapiteln betrachte ich die Bereiche

Ökonomie

Ökonomie, Design und Ökologie und Soziales im Wandel der Zeit und zeige Möglichkeiten für künftiges Agieren auf. Diese Kapitel dienen als Hintergrundinformationen und bilden die Basis für Ansatzmöglichkeiten von künftigen Wirtschaften.



A.2. Ă–konomie im Wandel der Zeit Entstehung und Entwicklung von Wirtschaft und ihren Strukturen, die Lebenswelt der Menschen als Ziel, Vision globalen Wirtschaftens & kĂźnftige Aufgaben


Industrielle Revolution Die Industrie ist geprägt von einer linearen Produktionsstruktur. Das Beispiel des Ford Modell T zeigt die demokratisierenden Aspekte der Massenproduktion und wie diese Produktionsstruktur entstand.

Entstehung und Entwicklung Die traditionelle Wirtschafts- und Designgeschichte geht heute von drei aufeinander folgenden industriellen Revolutionen aus. Die erste industrielle Revolution des späten 18. Jahrhunderts wurde durch den Übergang von Agrar- zur Industriegesellschaft charakterisiert. Die zweite Zäsur markiert das Aufkommen neuer Industrien im späten 19. Jahrhundert. Diese bestimmt die „Entwicklung der industriellen Produktkultur“[47] auch im 20. Jahrhundert weitgehend. Ein dritter Entwicklungssprung beginnt in den 1970er Jahren mit dem Wachstum der Informations- und Kommunikationsbranche.[48] Die Neuen Industrien des späten 19. Jahrhundert sind es, die im 20. Jahrhundert zu typischen, etablierten und tragenden Branchen der deutschen Wirtschaftsstruktur wurden. Sie bestimmten damals und bestimmen auch heute weithin das Wachstumstempo, stützen den Arbeitsmarkt und prägen das Geschehen an der Börse, sowie die Spitzenstellung des Exports. Diese Branchen haben Umweltgeschichte geschrieben und schreiben sie heute noch. Sie formten die zivilisatorischen Entwürfe des 20. Jahrhunderts, in ihrer negativen wie positiven Wirkung, und wirken auch heute auf die Lebenswelten von morgen.[49] 60

Die erste industrielle Revolution nahm allmählich Gestalt an, als Industrielle, Ingenieure und Designer versuchten, Probleme zu lösen und einen unmittelbaren Vorteil aus dem zu ziehen, was sie als günstige Gelegenheit in einer beispiellosen Zeit des tief greifenden und rapiden Wandels betrachteten. Es begann mit Textilien in England, einem Land, in dem man jahrhundertelang vor allem Landwirtschaft betrieben hatte. Die Bauern bestellten ihre Äcker, die ländlichen und städtischen Zünfte sorgten für Nahrung und Waren, und die Industrie bestand aus Handwerkern, die selbstständig im Nebenerwerb zur Landwirtschaft arbeiteten. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde diese Heimindustrie in ein mechanisiertes Fabriksystem verwandelt. Die Heimindustrie war bisher bei der Produktion kleiner Mengen Wollstoffe von der Geschicklichkeit einzelner Arbeiter abhängig. Die industrialisierte Herstellung produzierte Stoff am laufenden Meter, die nun hauptsächlich aus Baumwolle gewebt wurden. Dieser Wandel wurde durch eine schnelle Entwicklung neuer Technologien vorangetrieben. Mitte des 18. Jahrhunderts sponnen die Heimarbeiter in ihren Häusern Garn auf Spinnrädern, bedienten die Pedale mit Händen und Füßen und stellten jeweils einen Faden her. Feinspinnmaschinen, die 1770


Schlosserei im 19. Jh. (links) Industrieanlage Mitte des 19. Jh. (rechts)

patentiert wurden, erhöhten die Anzahl der Fäden von eins auf acht, dann auf sechzehn und mehr. Bei späteren Modellen ließen sich achtzig Fäden gleichzeitig spinnen.[50] Vor der industriellen Produktion wurden für den Export bestimmte Stoffe auf Kanälen oder auf Segelschiffen transportiert. Diese waren langsam und bei schlechtem Wetter unzuverlässig, durch hohe Zölle belastet, strengen Grenzen unterworfen und häufig Opfer von Piraterie. Es war in der Tat oft ein Wunder, dass die Fracht überhaupt ihr Ziel erreichte. Die Eisenbahn und das Dampfschiff ermöglichten es, Produkte schneller und zu entfernter gelegenen Orten zu befördern. Um 1840 verfügten Fabriken, in denen einst tausend Teile pro Woche produziert wurden, über die Mittel, tausend Artikel pro Tag herzustellen. Die Fabrikarbeiter hatten keine Zeit mehr, Landwirtschaft zu betreiben, zogen in die Städte, um in der Nähe der Fabriken zu wohnen, in denen sie und ihre Familien oft zwölf oder mehr Stunden pro Tag arbeiteten. Die Städte wurden immer größer, es gab immer mehr Waren und die Zahl der Stadtbewohner wuchs. Mehr, mehr, mehr – Arbeitsplätze, Menschen, Produkte, Fabriken, Geschäfte, Märkte – schien das Credo der Zeit zu sein.[51] Im Allgemeinen waren die ersten Industriellen und viele andere von einem großen Optimismus und dem Glauben an

den Fortschritt der Menschheit beseelt. Als die Industrialisierung in Schwung kam, entstanden andere Institutionen, die zu ihrem Aufstieg beitrugen: Handelsbanken, Börsen und die Presse eröffneten weitere Beschäftigungsmöglichkeiten für eine neue Mittelschicht und banden das soziale Gefüge enger an das wirtschaftliche Wachstum. Billigere Produkte, öffentliche Verkehrsmittel, Wasserversorgung und Kanalisation, Müllabfuhr, Wäschereien, ein Dach über dem Kopf und andere Annehmlichkeiten verschafften Reichen wie weniger Reichen einen scheinbar besseren Lebensstandard. Die feinen Leute waren nicht länger die Einzigen, die in den Genuss aller Annehmlichkeiten kamen.[52] Die Industrielle Revolution war nicht geplant, aber sie kam auch nicht unmotiviert in Gang. Im Grunde genommen handelt es sich um eine ökonomische Revolution, vorangetrieben von dem Streben nach Kapitalerwerb. Die Industriellen wollten die Produkte so rationell wie möglich herstellen und die größte Anzahl von Waren an die größte Anzahl von Menschen verkaufen. In den meisten Industrien bedeutete dies eine Verlagerung vom System der Handarbeit zum System der effizienteren Mechanisierung.[53]


Vom Handwerk zum mechanisierten Fabriksystem am Beispiel des Ford Modell T Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Auto entsprechend den Angaben des Kunden von Handwerkern hergestellt. Autos waren Luxusartikel, die langsam und sorgfältig per Hand gebaut wurden. Es gab kein Standardsystem.[54] 1903 gründete Henry Ford die Ford Motor Company und begann 1908 mit der Produktion des legendären Modell T. Einem „Auto für die breite Masse“, von dem Ford immer geträumt hatte, einem Wagen, „gebaut aus den besten Materialien, von den besten Mechanikern, die man einstellen kann, nach den einfachsten Designs, die das moderne Ingenieurwesen ersinnen kann, … so preisgünstig, dass es für jeden, der ein gutes Gehalt verdient, erschwinglich ist“.[55] In den darauf folgenden Jahren trugen mehrere Aspekte 62

der Herstellung dazu bei, dieses Ziel zu erreichen. Sie revolutionierten die Autoproduktion und machten sie schnell wesentlich effizienter. Die Reduktion auf ein Modell, die Zentralisierung der Produktion in einer Fabrik, die Fords berühmteste Neuerung das Fließband und die Standartisierung der Arbeitsschritte. Zuvor waren die Motoren, Chassis und Karosserien der Wagen getrennt montiert und die Wagen anschließend von einer Gruppe von Arbeitern zusammengesetzt worden. Fords Neuerung war, „das Material zum Menschen“ statt „den Menschen zum Material“ zu bringen. Die Fließbänder brachten das Material zu den Arbeitern und – das war äußerst effizient – ermöglichten es jedem von ihnen, einen einzigen Arbeitsschritt zu wiederholen, während das Fahrzeug auf dem jeweiligen Band weiter rollte, was die Gesamtarbeitszeit drastisch verkürzte. Dieser und andere Fortschritte ermöglichten die Massenfertigung des universellen Autos, des Modells T, von einem zentralen Standort aus, an dem viele Wagen gleichzeitig montiert


Montierte Ford Modell T warten auf Auslieferung (links) Ausfahrt mit Ford T (oben)

werden konnten. Eine steigende Effizienz drückte die Kosten des Modells T (von 850 Dollar im Jahre 1908 auf 290 Dollar im Jahre 1925), und die Verkäufe schnellten in die Höhe. 1911 waren – vor der Einführung des Fließbands – insgesamt 39640 Autos verkauft worden. 1927 betrug die Gesamtverkaufszahl 15 Millionen. Die standardisierte, zentralisierte Massenproduktion ermöglichte es mehr Menschen eine zuvor unerschwingliche Ware zu kaufen, da die Preise fielen. Neue Beschäftigungsmöglichkeiten in Fabriken wie auch Lohnerhöhungen verbesserten den Lebensstandard. Ford selbst trug zu diesem Wandel bei. 1914, als die Arbeiter im Durchschnitt 2,34 Dollar pro Tag verdienten, erhöhte er ihren Lohn – mit dem Hinweis, dass Autos keine Autos kaufen können – auf 5 Dollar. (Er verkürzte auch die Arbeitszeit von neun auf acht Stunden pro Tag.) Auf einen Schlag schuf er tatsächlich seinen eigenen Markt und ebnete der gesamten Industriewelt den Weg.

Design des Ford Modell T Vom Standpunkt des Designs aus betrachtet, verkörpert das Modell T das allgemeine Ziel der ersten Industriellen: ein Produkt herzustellen, das jeder, der es haben wollte, sich leisten konnte, und das von jedem, fast überall, gehandhabt werden konnte; ein Produkt, das eine bestimmte Zeit funktioniert (bis es Zeit war, ein neues zu kaufen), und eines, das preisgünstig und schnell produziert werden konnte. Dementsprechend konzentrierten sich die technischen Entwicklungen auf eine Verbesserung von „Leistung, Präzision, Wirtschaftlichkeit, System, Kontinuität, Geschwindigkeit“,[56] wie es in der Fordschen Herstellungs-Checkliste für Massenproduktion hieß. Also begrenzt auf das Praktische, Gewinnbringende, Effiziente und Lineare.


Wandel & Verantwortung von Ökonomie Seit der Industrialisierung hat sich die Wirtschaft enorm entwickelt und die Lebensbedingungen vieler Menschen verbessert. Die heutige Wirtschaftsstruktur prägt unser Leben und entwickelt sich mit der Gesellschaft weiter. Daraus ergeben sich Herausforderungen und neue Möglichkeiten.

Wachstum Die Zeiten sind vorbei, in denen mehr Wirtschaftswachstum ein besseres Leben verspricht, jedenfalls in den wohlhabenden Ländern. Eine hohe Produktionsmenge garantiert nicht automatisch eine zivilisierte Gesellschaft. Dabei ist Wachstum weitgehend zum Selbstzweck verkommen und vermarktet meist nur Lösungen für Bedürfnisse, die vorher niemand verspürt hatte. Das Wachstum geht vor allem auf Kosten der Gesundheit von Menschen und Ökologie, des kulturellen und natürlichen Reichtums und sogar des Genusses und der Lebensfreude. Die Destabilisierung des Klimas sowie die soziale Aufspaltung vieler Gesellschaften sind Beispiele für die Nachteile des derzeitigen Wachstums. Viele industrielle Methoden sind unbeabsichtigt mit dem Verlust an Lebensqualität verbunden.[57] Doch so wie die Industriellen, Ingenieure, Designer und Konstrukteure der Vergangenheit nicht die Absicht hatten, Veränderungen von Umwelt- und Sozialstrukturen herbeizuführen, so beabsichtigen diejenigen, die heute dieses Denkmuster aufrechterhalten, sicherlich nicht, der Welt Schaden zuzufügen. Der Abfall, die Umweltverschmutzung, die primitiven Produkte und andere negative Effekte sind nicht das Ergebnis eines 64

moralischen Fehlverhaltens von Unternehmen. Sie sind die Folgen eines veralteten und unintelligenten Designs.[58] Weder die Gesundheit der natürlichen Systeme noch das Bewusstsein von ihrer Empfindlichkeit, Komplexität und wechselseitigen Abhängigkeiten sind Teil des industriellen Designprogramms. Ihrem Wesen nach ist die heutige industrielle Infrastruktur linear: Sie hat sich darauf konzentriert, ein Produkt herzustellen und es schnell und billig zu verkaufen, ohne andere Aspekte zu berücksichtigen. Nichts desto trotz gibt es Dinge, die wir alle wachsen sehen wollen, und Dinge, die wir nicht wachsen sehen wollen. Wir wollen, dass Bildung wächst und nicht Unwissenheit, wir wollen Gesundheit und nicht Krankheit. Wohlstand soll wachsen und nicht Verelendung, sauberes Wasser und nicht vergiftetes Wasser. Wir wollen die Lebensqualität verbessern. Der Schlüssel liegt darin, nicht die Betriebe und Systeme kleiner zu machen, wie die Fürsprecher der Effizienz es fordern, sondern sie so zu planen und zu entwickeln, dass sie sich in einer Weise vergrößern und verbessern, die dem Rest der Welt wieder neue Stoffe und Vorräte liefert und sie nährt. Die „richtigen Dinge“, die Produzenten tun müssen, sind jene, die für diese Generation der Bewohner des Planeten wie für zukünftige zu


Lego // „Wie das Leben so spielt.“ Werbeslogan 1991

gutem Wachstum führen – zu mehr Nischen, Gesundheit, Nahrung, Vielfalt, Intelligenz und Überfluss.[59] Konsum ist selbstverständlich ein zentraler Faktor der Wirtschaft. Es ist aber nicht der Endzweck des Wirtschaftshandels. Die Lebenswelt der Menschen ist der Endzweck.[60]

Weiterentwicklung der Gesellschaft Der wirtschaftliche Strukturwandel, die Generierung neuer Zukunftsmärkte wie auch die zukünftige strategische Ausrichtung von Unternehmen erfordert im 21. Jahrhundert eine wirtschaftskulturelle Weiterentwicklung. Eine gesellschaftliche, soziale wie ökologische Version von verantwortungsvoller Unternehmens- und Wirtschaftspolitik. Meiner Ansicht nach sollten wirtschaftliches Wachstum, soziale Sicherheit und ökologische Verträglichkeit als gleichberechtigte Ziele betrachtet werden, die miteinander in Balance stehen. Der Übergang zu einer postfossilen Zivilisation wird das bestimmende Vorhaben dieses Jahrhunderts sein. Dieser Zivilisationswandel umfasst erstens ein technologisches Projekt. Die Umgestaltung der gesellschaftlichen Hardware zu

ressourcenleichten und naturverträglichen Systemen. Angefangen von Gebäuden über Kraftwerke bis hin zu Konsumprodukten. Im Kern ist dies die Herausforderung für Ingenieurs-, Verfahrens- und Designwissenschaften, sowie für Planer und Manager. Zu der Umgestaltung gehört zweitens ein Institutionenprojekt. Der Aufbau von Regelwerken und Einrichtungen, welche die Achtung der Menschenrechte gewährleisten und die Entwicklungsdynamik der Wirtschaft innerhalb der Regenerationsgrenzen der Biosphäre halten. D as sind die Baustellen der Wirtschaftswissenschaft und der Politologie. Vor allem aber ein Großthema für Konfrontation, Disput und Entscheidung in der politischen Öffentlichkeit und den Parlamenten. Dieser Wandel bedarf einen mündigen und engagierten Bürger, der sich für die Weiterentwicklung der Gesellschaft einsetzt. Drittens umgreift ein solcher Wandel die Leitbilder für Handeln und Sein. Von der persönlichen Lebensführung über das professionelle Ethos zu den Prioritäten des Gemeinwesens. Die Weiterentwicklung von Leitbildern, die eine ganzheitliche Wahrnehmung zum Ausdruck bringen und um die rechte Balance zwischen Mensch und Natur kreisen. Es werden Leitbilder sein, die eine kosmopolitische Verantwortung widerspiegeln und die persönliche Lebensführung mit dem globalen Kontext in Verbindung bringen.[61]


Umweltpolitik ist Solidaritätspolitik Die Stärke des Marktes liegt darin, über den Wettbewerb alle Teilnehmer zu veranlassen, auf den bestmöglichen Einsatz von Kapital, Material, Menschen und Zeit zu achten. Er soll so für die optimale Zuteilung wirtschaftlicher Mittel sorgen. Doch bisher war der Markt nicht imstande, den Naturverbrauch auf einem zuträglichen Niveau zu halten und eine faire Verteilung der Güter unter den Marktteilnehmern und darüber hinaus herstellen. Im weiten Sinne ist es die Politik, die dafür die Regeln setzen sollte. Gemeinwohl vor Markt, ökologische Leitplanken und faire Teilhabe gegenüber dem Ziel der Wettbewerbsfähigkeit. Darin stecken auch neue Chancen für den Markt. Neue Spielregeln treiben Innovationen in eine neue Richtung, erschließen neue Bereiche des Wettbewerbs, können der Wirtschaft eine neue Glaubwürdigkeit verschaffen. Eine neuartige Generation von Spar- und Solartechnologien eröffnet bislang unbekannte Geschäftsfelder mitsamt Verdienstmöglichkeiten und schafft Arbeitsplätzen. Im Hinblick auf Gerechtigkeit ist seit langem bekannt, dass eine ausgeglichenere Einkommensverteilung sowohl national wie international der Nachfrage gut tut.[62] 66

Regionaler und überregionaler Umweltschutz sollte höchste Priorität eingeräumt werden. Eine Weltordnungspolitik in Sachen Ökologie wird nur in einer gemeinsamen Anstrengung der reichen und der armen Länder gelingen. Bislang ist eine ernsthafte Kooperation zwischen Ländern der Nord- und Südhalbkugel in der Umweltpolitik daran gescheitert, dass der Norden ungebrochen seine strukturelle Macht in der Finanz-, Handels- und Entwicklungspolitik zu Ungunsten des Südens ausspielt. Die Stärkeren halten ihre Abmachungen systematisch nicht ein. So antwortet der Süden mit Misstrauen. Umweltpolitik, die nicht gleichzeitig Solidaritätspolitik ist, wird darum erfolglos bleiben. Die Zeitbombe des globalen Elends lässt sich erst dann entschärfen, wenn Solidaritätspolitik zum Herzstück der internationalen Beziehungen wird. Entwicklungsförderung, nicht Wirtschaftsförderung muss das Fundament der Weltgesellschaft auszeichnen. Ohne eine Wende in der Vorherrschaftspolitik, vor allem was Schulden, Patente und Handelsverträge angeht, ist eine ernsthafte Kooperation der Länder der Südhalbkugel für den Auszug aus der fossilen Ökonomie nicht zu erwarten.[63]


Solidarität im Fußballstadion // Nürnberg - St. Pauli (links) Cristo Statur in Rio de Janeiro, Brasilien (oben)

Vision von Wirtschaften aus dem Buch „Zukunfstfähiges Deutschland“ Porto Alegre, Brasilien, 20. März 2022. Heute haben die Wirtschaftsminister von 176 Staaten ihre Unterschrift unter ein historisch einmaliges Abkommen gesetzt. Nach zehn Tagen intensiver Verhandlungen und einer insgesamt fünfjährigen Verhandlungsrunde haben sie mit dem Abkommen den Startschuss für die Gründung einer neuen „Internationalen Handelsorganisation“ (ITO) unter dem Dach der UNO gegeben. Wieder in Brasilien wird hiermit nach genau 30 Jahren das Versprechen der Erdkonferenz in Rio 1992 ein weiteres Stück umgesetzt: Handel, Entwicklung und Nachhaltigkeit miteinander in Einklang zu bringen. Die neue ITO wird die bisherige Welthandelsorganisation (WTO) ablösen, welche nach ihrer Gründung 1994 einseitig die Liberalisierung des Handels vorangetrieben hatte. Die künftige ITO soll den Handel weniger deregulieren, als vielmehr koordinieren. Sie wird aus fünf Abteilungen bestehen: Eine Abteilung für Koordinierung wird die Abwägung nationaler Präferenzen und internationaler Interessen zur zentralen Aufgabe haben. Sie wird dafür sorgen, dass der nationale politische Spielraum im Handel wiederhergestellt wird. Sie wird diesen

Spielraum aber auch mit Blick auf mögliche schädliche Effekte für internationale und ausländische Märkte überwachen und eventuell eingrenzen. Eine Abteilung für Qualitätssicherung wird darauf abzielen, auf globalen Märkten die Qualität von Handelsströmen zu garantieren. Dabei wird die ITO vor allem die Einführung von Menschenrechts-, Sozial- und Nachhaltigkeitsstandards auf nationaler und multilateraler Ebene unterstützen. Eine Abteilung für Handelsbilanzausgleich wird dafür Sorge tragen, dass Handelsbilanzdefizite oder -überschüsse mittelfristig in einer Balance bleiben. Sie wird in einer doppelten Buchführung einen Abgleich zwischen allen nationalen Handelsbilanzen und einer neuen internationalen Leitwährung vornehmen und Länder mit Bilanzdefiziten oder Überschüssen darin unterstützen, einen Bilanzausgleich zu erzielen. Eine Abteilung für Kartellaufsicht wird dafür zuständig sein, Verhandlungen über die Wettbewerbspolitik auf globaler Ebene zu begleiten. Sie wird Informationen über Größe und Aktionsradius internationaler Unternehmen einschließlich der Fusionen und Aufkäufe veröffentlichen und im Falle einer schädlichen Marktkonzentration einschreiten. Schließlich hat eine Abteilung für Streitschlichtung die Aufgabe, Konflikte zwischen Mitgliedsstaaten zu schlichten und zwischen diesen und Dritten wie etwa Konzernen und Nichtregierungsorganisationen zu vermitteln. Dabei müssen Gewaltenteilung und institutionelle Unparteilichkeit gewährleistet sein.[64]


Zusammenfassung Erkenntnisse aus den Bereichen Ökonomie

1. Optimistischer Glaube an den Fortschritt der Menschheit und das Streben nach Kapitalerwerb prägen die industrielle Entwicklung. Probleme zu lösen und einen unmittelbaren Vorteil aus dem zu ziehen, was sich als Gelegenheit ergibt. 2. Die gute Lebenswelt des Menschen ist der Endzweck von Wirtschaften. 3. Neue Technologien, Arbeitsteilung und Massenproduktion ermöglichen vielen Menschen erst den Zugang zu Produkten und Dienstleistungen. 4. Wandel von linearen Wirtschaftsstrukturen hin zu gerechten Kreislaufwirtschaftstrukturen. 5. Künftiges Wirtschaften sollte Entwicklung & Nachhaltigkeit in Einklang bringen und gesellschaftlich-verantwortungsvoll handeln.

68


Shanghais Wirtschafts- und High-Tech-Bezirk Pudong // Oktober 2008 // Volksrepublik China

6. Schwerpunkt sollte positives Wachstum von Nischen, Nahrung, Gesundheit, Vielfalt, Intelligenz, Lebensqualität und Über- fluss durch Innovationen in neue Richtungen, neue Bereiche und neue Glaubwürdigkeit sein. 7. Solch ein Wirtschaften wird - technologische Projekte hervorrufen: zur Umgestaltung der gesellschaftlichen Hardware - Institionsprojekte entstehen lassen: zum Aufbau von Regelwerken, die die Entwicklungsdynamik der Wirtschaft innerhalb der Regenerationsgrenzen der Biosphäre halten - Leitbilder für Handeln und Sein wandeln: von der persönlichen Lebensführung über das professionelle Ethos zu den Prioritäten des Gemeinwesens 8. Entstehung von Wissensgesellschaften mit Kreativitäts- und Innovationswirtschaft



A.3. Design im Wandel der Zeit Der Mensch als Kulturwesen, die Entstehung und Entwicklung von Design & Kultur, die heutige Aufgabe von Design und ihre Verantwortung und die Zukunft von Gestaltung


Ăœber Design Der Mensch als Kulturwesen. Umgeben von einer gestalteten Umwelt. Wie entstand Design im Laufe der Geschichte?

72


Im Kern ist Design erst einmal vom englischen Verb „to design“ abgeleitet, was die Tätigkeit der Formgebung umschreibt. Design ist also Formgebung beziehungsweise Form. [65]

Der Mensch ist ein Doppelwesen. Zweifach orientiert: schöpferisch sowohl in der Natur als auch in der Kultur. Der Mensch hat sich das Können angeeignet, die Natur mehr zu begreifen, sie geistig zu durchdringendie Naturstoffe zusammenzufügen und in Produkte zu wandeln. Einmal auf den Geschmack des Reflektierens und Erfindens gekommen, entwickelte sich der Mensch zu einem Wesen, das unabhängig Naturstoffe in Gegenstände umwandelt. Dabei stellte sich heraus, dass Gegenstände wie Werkzeuge, Schmuck und Kunstobjekte, Dinge des täglichen Lebens, Apparate und Maschinen, zentrale Elemente der Kulturentwicklung sind.[66]

Die Sprache des Design stellt zugleich dar und her, was sie ausdrückt; sie verkörpert die praktischen Erfahrungen und Erwartungen des Menschen. Also stellt Design immer Vergangenheit und Zukunft dar. Der Designprozess ist die virtuelle Realität der praktischen Erfahrungen. Der Mensch als Kulturwesen ist grundsätzlich Gestalter: Gestalter seines Lebens. Sinn für Design haben jedoch nur Menschen mit Formgefühl und Formensprache. Das wiederum setzt ein prinzipiell positives Verständnis zur Welt des Gemachten und der Dinge voraus.[67] Gestaltung ist das bewusste und zugleich intuitive Bemühen um sinnvolle Ordnung. Bewusstsein im Sinne von Design hat mit Intellektualisierung, Denken, Forschen und Analyse zu tun. Der Anteil, den Sinne und Gefühl am kreativen Prozess haben, verändert die ursprünglichen Definition. Intuition ist als Prozess oder Fähigkeit schwer zu definieren. Dennoch hat sie tiefgreifende Auswirkungen auf das Gestalten. Durch intuitive


Einsichten bringen wir Eindrücke, Ideen und Gedanken in die Gestaltung ein, die wir unterbewusst, unbewusst oder vorbewusst gesammelt haben.[68]

Entstehung und Entwicklung von Design Um die überragende Bedeutung von Design für die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts und den Paradigmenwechsel von Dekoration hin zur Konvergenz mit der Technologie zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichte hilfreich. Dabei wird Designgeschichte als Verdichtung der kulturellen Evolution verstanden. Design ist immer Zeichen seiner Zeit. Historisch kann man den Beginn von Design auf eine Zeit legen, wo Gestaltung und Produktion separate Elemente waren. Damit landet man, mehrere tausend Jahre Zivilisationsentwicklung überspringend, im Industriezeitalter.[69] Vom Handwerk zur industriellen Produktion. Die erste Designbewegung bildete sich im Kampf gegen die zunehmende Technisierung: Erstens gegen das ausschließlich Dekorative; Zweitens gegen die Techniken und Mechanisierung (wie den Jacquard-Webstuhl), die zu einer Schwächung des Materialbewusstseins führte; Drittens gegen das Auftauchen der Massen und der Massenprodukte.[70] Henry Cole propagierte in seinem „Journal of Design and Manufacture“[71] Mitte des 19. Jahrhunderts eine Moral der reinen Formen durch Anwendung des Schönen auf die mechanische Produktion, seine Parole war „Select pure form“. Damit erfand Cole den modernen Kunsthandwerker. Genauso verstand es der Sozialreformer William Morris, Material und Bearbeitung sollten wieder als ästhetischer Wert gewürdigt werden; Handarbeit erschien als Heilmittel gegen den Qualitätsverfall. 1861 gründete Morris die kunstgewerblichen Werkstätten – und Werkstatt heißt eben: nicht Fabrik. In seinem Roman „News from Nowhere“ (1890)[72] forderte Morris dann die Produktion von Gegenständen für den „Nächsten“ und nicht für einen unbestimmten Markt.[73] 74

Design entwickelte sich zunächst in als Gegenstellung zur Modernisierung der Gesellschaft. Die technischen Formen forderten die Gesellschaft heraus und wurden zunächst vom Kostümzauber des Historismus verdeckt. Der Kampf des Künstlers und seiner Stilformen gegen den Ingenieur und seine konstruktiven Formen fand erstmals im Jugendstil eine faszinierende Übereinstimmung. Design wurde zur freien Formgestaltung. Der Jugendstil steht für den Ausbruch des Gestaltens aus der Kunst. Die Gründung des Deutschen Werkbundes 1907 markierte dann den Anschluss der Gestaltung an die Industrie. Dies ist die Geburtsstunde des Industrie Designs. Kunst orientierte sich neu in der Welt der Maschinen. Herrschte in der expressionistischen Frühphase das Bauhauses noch das Maß des Menschen vor, trat nun die Industrieform an seine Stelle. Das Lebensgefühl der Handwerkergemeinschaft wich der Präzision von DIN und Designwissenschaft. Die technische Ästhetik, das hohe Bewusstsein von maschineller Funktion, industrieller Konstruktion und neuen Materialien, entfaltet die Spielräume der technischen Konstruktion. Also vom allgemeinen Interesse an den Werten und der Würde des einzelnen Menschen hin zur Masse. Der Fortschritt schafft immer neue Möglichkeiten und stellt den Menschen in seinen Dienst. In dieser Zeit wird von der Mensch-Maschine-Synergie gesprochen.[74] An die Stelle des traditionellen Ästhetik-Verständnisses der Kunst tritt die Designwissenschaft. Der Designer ist nicht mehr übergeordneter Künstler, sondern gleichwertiger Partner im Prozess der industriellen Produktion. Design wird zur Kunst des Steuerns und als Gestaltungsprozess mit Feedback-Schleifen verstanden.[75] Jedoch entwickelte sich Design zum Werkzeug mit der Ausrichtung auf das Praktische, Gewinnbringende, Effiziente und Lineare. Den Ausgangspunkt der industrielle Revolution als Industrielle, Ingenieure und Designer versuchten, Probleme zu lösen und einen unmittelbaren Vorteil aus dem zu ziehen, verlohr Design immer mehr. Industrielle Massenprodukte, die preisgünstig und schnell produziert werden konnten, um eine bestimmte Zeit zu funktionieren, erlangten höhere Gewichtung.


Dachkonstruktion, 19 Jh.


Wie Design grün wurde Ökologisches Design. Eine kurze Geschichte des „grünen Designs“

76


Vor der industriellen Revolution wurden Möbel, Gebrauchsgüter und andere Produkte meist von lokal ansässigen Handwerkern hergestellt, die dafür die in ihrer näheren Umgebung verfügbaren Ressourcen nutzten. Während der Industrialisierung bildeten sich dann urbane Zentren aus, in die die Landbevölkerung abwanderte, um in den neu entstehenden Fabriken zu arbeiten. Zum ersten Mal in der Geschichte wurden Massenprodukte hergestellt, die für alle erschwinglich waren und deren Verkauf nicht mehr an den Ort der Entstehung gebunden war. Bald schon stellten die Gründer der britischen Arts and Crafts (Kunst- und Handwerksbewegung) fest, dass die neu entstehende Industrie Umweltschäden verursachte, so dass sie nach neuen Methoden suchten, eine Steigerung der Produktivität mit weniger umweltschädlichen Verfahren zu erreichen. Diese Bewegung erreichte allerdings nur einen kleinen Kreis der Bevölkerung, dennoch bildete sie den Grundstein für eine neue Bewegung in Deutschland, aus der das Bauhaus und der Deutsche Werkbund hervorgingen. Nach dem Verständnis des Bauhauses sollte die Form eines Gegenstandes dessen Funktion folgen (form follows function). Standardisierte einfache Formen sollten die Massenproduktion von qualitativ hochwertigen, langlebigen und billigen Produkten ermöglichen und ihren Beitrag zur sozialen Reform leisten. Untrennbar mit der Bewegung des Funktionalismus und Modernismus verbunden war die Bestrebung, Material und Energie wirtschaftlich sinnvoll zu nutzen. Die frühen Vertreter des ökologischen Designs verfolgten einen Ansatz, der sich an der Natur selbst mit ihren modularen Modellen orientierte. Der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright verband erstmals die Funktionalität von Gebäuden, Innenräumen und Möbeln zu einem harmonischen Konzept. Marcel Breuer, einer der bedeutendsten Vertreter des Bauhauses, gestaltete zerlegbare Stühle und standardisierte Verpackungen, die einen Transport mit geringem Energieaufwand zuließen. 1942 organisierte das Museum of Modern Art eine Ausstellung und einen Wettbewerb mit dem Titel „Organic Design for Home Furnishing“, die zu einem Meilenstein in der Geschichte des „grünen“ Designs werden sollte. Die der Natur nachempfundenen Sperrholzmöbel der Sieger, Charles Eames und Eero Saarinen, zeigten eine ideale Lösung für die ergonomischen und emotionalen Bedürfnisse der Verbraucher. Von 1945 bis Mitte der 50er Jahre herrschte in den meisten Teilen Europas Knappheit an Energie und Materialien. Dieser

Mangel förderte ein rationales Design, das dem Grundsatz „less is more“ des amerikanischen Architekten Louis Sullivan huldigte. Mit der Hippiebewegung der 60er Jahre wurde das Konsumdenken in Frage gestellt. „Zurück zur Natur“ hieß die neue Devise. In den Buchläden standen Anleitungen zum Do-ityourself-Design neben Werken wie dem „Whole Earth Catalog“, einer Sammlung von Ratschlägen und Bezugsquellen für Selbstversorger, die immer noch jährlich erscheint. Freilich wurden diese neuen Gedanken immer nur von einem Teil der Bevölkerung angenommen, so dass sich ökologisches Design nie bahnbrechend durchsetzte. Anfang der 80er Jahre wurde dann in Deutschland die Gesetzgebung im Bereich Umweltschutz verbessert, Umweltthemen nahmen in der öffentlichen Diskussion einen größeren Raum ein und der privatwirtschaftliche Wettbewerb verschärfte sich. Diese drei Faktoren führten dazu, dass umweltorientierte Verbraucher zu einer Kraft wurden, die man nicht mehr ignorieren konnte. Designer und Hersteller entwickelten umweltfreundliche Produkte und kommunizierten vermehrt das Problem der Umweltzerstörung – mit unterschiedlichem Erfolg und mit vorsichtiger Begeisterung. Es wurden jedoch auch von Seiten der Regierung strengere Gesetze zum Umweltschutz verabschiedet und verschärfte Kontrollen sowie Öko- und Energielabels und umweltorientierte Managementnormen eingeführt. Einigen Designern gelang es, das mattschwarze HighTech-Design der 80er zu durchbrechen und umweltfreundliche Materialien sowie recycelte oder gebrauchte Komponenten in das Design der Postmoderne zu integrieren. Tom Dixon schuf aus geschweißten Stahlrohren und Naturbinsen organisch geformte Stühle, die heute noch von Capelli SpA in Italien produziert werden. Ein weiterer Ansatz ist zum Beispiel die innovative, erfolgreiche Generation der Macintosh Rechner. Sie verkörpert eine neue emotionale Produktgestaltung.[76] Die Veröffentlichung des Brundtland-Berichtes „Unsere gemeinsame Zukunft“[77] durch die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung im Jahr 1987, in dem erstmals der Begriff der Nachhaltigkeit auftauchte, und der auf die Wichtigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen Regierungen, der Industrie und akademischen Einrichtungen verwies, verlieh dem ökologischen Design neue Impulse. Aus dieser Entwicklung etablierten sich im gestalterischen Bereich neue Denk- und Arbeitsweisen. [78]


Design heute Heute ist Design das dominante Instrument des Marketings. Welche Aufgabe hat das Design?

Skulptur // Beijing 798 Art District, China 78


„Design befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen technischer Innovation und deren Sinn für unser tägliches Leben. Dabei ist Design der steigenden Bedeutung von Wirtschaft in unserer Gesellschaft und dem steigenden Wettbewerbsdruck mit immer knapperen Ressourcen an Zeit und Kapital ausgesetzt. Risikovermeidung statt Chancenmaximierung heißt oft die Devise der Unternehmen. Das Marketing wurde dominantes Instrument, um die kurzfristigen Bedürfnisse abstrakter Märkte zu ermitteln und durch vermeidliche Innovationen neuer Produkte eine Abgrenzung zum Wettbewerb zu schaffen. Design als Baustein des Marketingmix hat alle Lebensbereiche durchdrungen und zu einer beliebigen Ästhetisierung unserer Gesellschaft geführt. Explodierende Produktund Variationsvielfalt hat auf lange Sicht sich als Wahlzwang entpuppt und uns tiefgreifend verunsichert.“ Peter Ulrich, Leiter des Institutes für Wirtschaftsethik Hochschule St. Gallen[79]


Die Einschätzung von Peter Ulrich zeigt, dass Design häufig zu einem Instrument geworden ist und sein volles Potential als Bindeglied zwischen Dingen, Menschen und Umwelt nicht ausspielt. Bei der Gestaltung ist die Einbeziehung des Menschen als Nutzer eines Produktes wichtig. Die Betrachtung des Menschen sollte zum Mittelpunkt im Design werden. Das Design richtet sich also nicht mehr auf Einzelobjekte, wie in der Frühzeit der Industrialisierung, sondern auf Systeme, Strukturen, Raster, Netzwerke [80] bis hin zur „kompletten Design-Umgebung“.[81] Dies sind Schlüsselbegriffe eines nicht-linearen Designprozesses, der den modernen Lebensbedingungen entspricht. Die Entwicklung des Menschen vollzieht sich in der Synergie mit seiner Technik. Nicht die Grenzen des Körpers, sondern die Grenzen meiner Geräte sind die Grenzen meiner Welt. Um aber technische Gegenstände zu verstehen, muss man sie im Gebrauch studieren.[82]

Design von Lebensformen

sondern mit Lebensformen zu tun. Dieser Beschreibungs­ rahmen für Designanforderungen ändert nichts an der Beziehung zwischen Mensch und Produkt. Beide sind eingebettet in das System Zivilisation und Natur, deren Beziehung beim Gestalten berücksichtigt werden sollte. Der Mensch hat schon immer die Welt entworfen, in der er lebte. Design ist das wirkungsvollste Instrument, das dem Menschen bislang zur Gestaltung seiner Produkte, seiner Umwelt und im erweiterten Sinne auch seiner selbst zur Verfügung steht. Der Designer muss die Vergangenheit ebenso analysieren wie die absehbaren zukünftigen Folgen seiner Handlungen. Das ist schwierig, da das Schaffen des Designers oft auf ein marktorientiertes und auf Gewinn ausgerichte System ausgerichtet ist.[83] Design ist auch immer eine Art Erziehung. Der Designer versucht, seinen Auftraggeber, Hersteller, sowie die Nutzer zu erziehen. Dies geschieht durch technisch-praktische, ästhetische und symbolische Funktionen. Somit müssen Designer sich ihrer sozialen und moralischen Verantwortung bewusst sein.

Der Designer hat es nicht mehr mit künstlerischen Formen,

Entwerfend wollen Designer die Welt erschließen. Sie versuchen den Dingen Sinn zu geben. Jeder Gestalt liegen nicht

80

[84]


nur Material, Funktion und technische Besonderheiten zu Grunde, sondern auch symbolische, ökologische, psychologische und kulturelle Bedeutung. So sind Emotionen, die ein Prozess auslöst, Teil der Produktfunktion. Design verschafft und ist selbst Orientierung. Anthropologisch formuliert: Sinn ersetzt dem Menschen die Umwelt. Und seine Haltung und Entwürfe erschliessen die Welt sinnhaft.[85]

Beispiel Apple iPod Vor dem Apple iPod galt die MP3-Technologie als sperrig und als eine Angelegenheit für junge Technikfreaks. Seit es den iPod gibt, gilt Apple als das Zukunftsunternehmen schlechthin. Von Technik ist dabei gar nicht mehr die Rede: Der iPod ist zum globalen Lifestyle geworden. Apple machte aus einer technologischen Innovation eine Revolution. Der iPod ermöglichte mit einem Mal nichts Geringeres als die smarte Individualisierung des Musikgenusses; Mediengebrauch auf höchster Individualisierungsstufe: mobilitätstauglich, situativ einsetzbar, nahezu unbeschränkter Zugriff auf Inhalte, zu jeder Zeit an jedem Ort,

ein persönliches, ja intimes Genussmedium. Ohne Kabel, ohne labyrinthische Verträge und ohne regelmäßige Gebühren.[86] Der iPod macht den Einzelnen im großstädtischen Getümmel zu einer Insel, ermöglicht Rückzug, Komfort und Abgrenzung, ohne dabei den öffentlichen Raum zu verlassen. Aufgrund der Speicherkapazität und der Benutzerfreundlichkeit des Geräts ist der iPod gewissermaßen das idealtypische „Gadget für die einsame Insel“. Ein Medium als intimer Lebensbegleiter.[87] Dadurch, dass sich Apple bei der Erfindung des iPod an wichtigen Megatrends wie Individualisierung und Mobilität orientierte, entstand nicht nur ein neues Abspielgerät. Der iPod hat auch neue Nutzergewohnheiten geschaffen, neue Märkte kreiert und unsere audiovisuelle Kultur verändert. Beispielsweise entstanden über iTunes zu abonnierende Podcasts und der Hörbücheranbieter Audible. Second Life // Seattle Bumbershoot Art Festival // Pixel Dolls, Meat-Space, and Everything All at Once, 2006


Ethik & Design Zeit des Umbruchs, des Wandels und der Umgestaltung und das Wahre, Gute und Schรถne. Welche Position und Aufgabe haben Gestaltung und Design. Ein Exkurs. 82


Moral und Gewohnheit

Handeln und Weisheit Ethik beschäftigt sich mit dem Handeln des Menschen und ist ein Merkmal der Solidarität. Sie fragt „Was ist der Mensch wert?“ und formuliert das Verständnis des Einzelnen zur Natur und zur Gemeinschaft. Werte geben einer Gemeinschaft Einheit, ihren Mitgliedern Sicherheit, Identität und Kraft. Gestalter sollten auf ein transparentes, an Kultur, Gesellschaft und Natur ausgerichtetes Handeln hinsteuern.

Moral ist Brauchtum, Gewohnheit und Tradition. So etwas wie kulturelles Gas. Mit Moral wird Wissen, Verhalten, und Können überliefert. Ein Wertesystem, das einer Gemeinschaft Einheit, Zusammenhalt, Kontinuität und Stabilität verleiht und den Menschen bei grundlegenden Entscheidungen als Richtschnur dient. Moral ist die geistige und emotionale Basis des alltäglichen Lebens. Eine Vereinbarung, die das Miteinander der Menschen regelt. Sie beeinflusst das menschliche Handeln ebenso, wie die Lebensvorstellungen, die Gesetze des Marktes und die Gestalt der Produkte. Moral wird durch zwei Hauptelemente bestimmt:

Ethik ist ein fragiles Wissensgebiet der Philosophie, da jede Kultur ihre eigene Moral hat, aus der sie glaubt, allgemeingültige Sätze für das Handeln ableiten zu können. Der Begriff Ethik ist untrennbar mit der Moral verbunden. Unter Moral werden all diejenigen sittlichen Werte versammelt, die eine Gemeinschaft für das gute Zusammenleben als unverzichtbar ansieht.[88]

das gute Leben des Einzelnen und das gerechte Leben in der Gemeinschaft. Eine scheinbare Kluft zwischen individueller Motivation und gesellschaftlicher Legitimation .[89]


Form und Wirkung

Weltethik des Gestalters Eine Ethik für Gestalter muss eine Weltethik sein. Eine Ethik, durch die sich alle Menschen als Teil einer Gesellschaft begreifen, miteinander kooperieren und zugleich ihr Verhalten gegenüber Natur und zukünftigen Generationen bedenken. Mit Respekt vor der Natur muss das Ganze, müssen Kosmos, Natur und Kultur in den Blick genommen werden. Erstmalig bietet in der Geschichte der Menschheit die Globalisierung – mit all ihrer Problematik – die Chance, dass die Menschheit einer Ethik folgt, wie sie im Völkerrecht und in den Menschenrechten vorgedacht ist.[90]

84

Formgebung ist Erfinden. Erschaffung. Sie trägt etwas in die Welt, dass es bis dahin nicht gab. Erfinden ist Kreativität, die Disziplin, hohe Fertigkeit und Kompetenz voraussetzt. Neue Formen eröffnen neue Sinneseindrücke. Sie bewegen Menschen, beeinflussen ihr Handeln, Denken und Fühlen und verändern das Körpergefühl. Formen können aber auch – darin liegt die Verantwortung der Gestalter – neue Rituale des Alltags entstehen lassen, zu einem neuen Selbstbewusstsein und Selbstverständnis von Einzelnen, Gruppen und Gemeinschaften beitragen, den Zusammenhalt zwischen Menschen stärken und Perspektiven durch ein neues Lebensgefühl erzeugen. Solche Formen weiten, beleben und kultivieren den Menschen.[91]


Werte schaffen Qualität und poetische Form s ollen eine Verpflichtung sein, denn sie haben starken Einfluss auf die Entwicklung und auf das Wohlbefinden des Menschen.

Die poetische Form Eine poetische Form ist so etwas wie ein Klassiker, der Träume und Lebensgefühl einer Epoche zum Ausdruck bringt. Die poetische Form ist ein Haltepunkt und eine gute Fixierung im Strom der Produktentwicklung. Produktgestalter verleihen Gütern eine ästhetische Qualität, die Natur und Kultur befördern und darüber hinaus Freude bereiten, die Menschen für lange Zeit emotional an das Produkt bindet. Wenn eine gute, weil angemessene und ästhetische überzeugende Form gelingt, in der sowohl der Wert des Naturstoffes als auch die Qualität und der gesellschaftliche Nutzen spürbar sind, wird der Mensch für einen Moment vom Gefühl der Wahrhaftigkeit und des Wohlgefühls berührt. Es stellt sich eine Stimmung ein, als wäre alles mit der Welt, dem All in Einklang gebracht. In dem Moment wird eine Form zum Träger einer elementaren und existenziellen Bedeutung.[92]

Gute Qualität wirkt über die Sinnesorgane positiv auf das Gemüt und die poetische Form auf den Herstellungs- und Kunstsinn. Beide sind verantwortlich für das, was wir Lebenssinn nennen, das Prinzip, das den Menschen anspornt. Da Gestalter das Gestalten zu einem engagierten, bewussten Tun erwählt haben und die Entwicklung einer Kultur beeinflussen können, sollten sie im Kontext des Lebens und im Ganzen des Seins gestalten.[93]


Sinn Design Zukunft von Gestaltung Der Gestalter hat eine Verantwortung gegenüber sich und seiner Umwelt. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Zukunft?

Alles hängt mit allem zusammen. Jedes Handeln, jede Kommunikation und jeder Eingriff hat eine Auswirkung auf das gesamte System. Nichts existiert getrennt voneinander. Dies bedeutet zum einen für das heutige Design ein Bewusstwerden über die Auswirkungen der eigenen Kommunikation- und Gestaltungsleistung auf die Welt. Zum anderen fordert diese Sichtweise auf, aktiv daran teilzunehmen, die Umwelt, so zu gestalten, dass er auch für zukünftige Generationen eine intakte Umwelt bietet. Meiner Meinung nach sollte es stärker zu einem Dialog kommen, welche psychologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen ein Entwurf hat. Die große Herausforderung an Gestalter des 21. Jahrhunderts stellt die Entwicklung von Produkten dar, die keine oder nur minimale Auswirkungen auf die Umwelt haben. Anspruch und Chance zugleich ist es, neuartige Produktionsverfahren und Konsummuster in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion zu rücken, nicht nur im Sinne der Ökologie, sondern auch im Bezug auf ökonomische Anforderungen. Die Einbettung des Produktes in sein Umfeld ist im Bereich des ökologischen Designs besonders bedeutsam. Gefragt ist eine Systemlösung, die durch konzeptionellen Charakter geprägt ist. Dieser Ansatz beinhaltet immer die Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Das Produkt sollte selbst ein Lösungsweg sein, nicht ein bloß sich selbst exponierendes Produkt. Gepaart mit gestalterischem Können werden sich so neue und innovative Produkte ergeben, die in ihrer Material- und Formensprache neue Maßstäbe setzen.[94] Noch in den 70er Jahren meinte man, es genüge, Einzelprodukte im Hinblick auf Herstellung und Gebrauch „gut“ zu gestalten. Diese Auffassung wurde von der Idee geleitet, dass durch die Addition gut gestalteter Produkte eine humane Umwelt entsteht. Dass dies jedoch ein Trugschluss sein kann, ist 86

täglich beim Stau „gut gestalteter Autos“ oder beim Anwachsen der Müllberge zu beobachten. Die an der ökologischen Problematik geschulte Designauffassung löst sich von der ObjektOrientiertheit und sieht das Gebrauchsgut im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Design ist dann Gestaltung von Nutzungszusammenhängen und im Bereich Kommunikationsdesign auch Gestaltung von Handlungszusammenhängen und Lebensprozessen.[95] So rückt die Orientierungsfunktion des Designs ins Zentrum der Ausfmerksamkeit. Sinn-Design befasst sich mit dem Sein. Deshalb tritt an die Stelle von Objekt oder Ding-Design zunehmend das Design von Wahrnehmung und Lebensstil.[96] Nur wenn der nachfragende Kunde in Bildung und Gestaltung, Wissenschaft und Wirtschaft in den Mittelpunkt gestellt wird, können zivilisatorische Entwürfe in der kommenden Gesellschaft gelingen. Anbieter, Institute, Unternehmen sowie gesellschaftliche Organisationen und Institutionen müssen sich in vielwertige Zentren wandeln. Dann können die Visionen der Lebenswelten von Morgen verwirklicht werden. Ziel ist, die kulturelle Souveränität, die Ressourcenschonung, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, hohe Produkt- und UmweltQualität sowie den sozialen Zusammenhalt miteinander zu verbinden.[97] Design hat sich historisch an den Denkmustern Dekoration, Funktion, Emotion und schließlich Evolution orientiert. Den ersten Paradigmenwechsel brachte die Formel „form follows function“. Nach dem Ende des Funktionalismus folgte „form follows emotion“. Heute muss das Selbstverständnis eines evolutionstheoretisch inspirierten Designs lauten: „form follows form“ - „form taken out of the form“, wie der Logiker Georg Spencer Brown sagt.[98]


Storm Surge


Zusammenfassung Erkenntnisse aus den Bereichen Design

1. Gegenst채nde sind zentrale Elemente der Kulturentwicklung. 2. Design ist - bewusst & intuitiv - Erfahrung & Erwartung, Vergangenheit & Zukunft - Bindeglied zwischen Dingen, Mensch & Umwelt - Verdichtung der kulturellen Evolution - Spiegel von Zeit & Kultur - eine Konvergenz mit Technologie - Denken, Forschen, Analysieren, Erfinden und Erschaffen. - Chancenmaximierung & das Folgende - schafft sinnliche Ordnung - eine Art Erziehung

88


Break The Night With Colors

3. Neue Formen können neue Sinneseindrücke eröffnen, Menschen bewegen, ihr Handeln, Denken und Fühlen beeinflussen, das Körpergefühl verändern, neue Rituale schaffen, zu einem neuen Selbstbewusstsein und Selbstverständnis von Einzelnen, Gruppen und Gemeinschaften beitragen, den Zusammenhalt zwischen Menschen stärken und Perspektiven durch ein neues Lebensgefühl erzeugen. 4. Design hat psychologische, gesellschaftliche, kulturelle, ästhetische, symbolische, ökologische und ökonomische Verantwortung. Eine Ethik für Gestalter muss eine Weltethik sein, in der sich alle Menschen als Teil einer Gesellschaft begreifen, miteinander kooperieren und zugleich ihr Verhalten gegenüber Natur und zukünftigen Generationen bedenken. 5. Arbeisfelder von Design sind - Design von Systemen, Strukturen, Rastern & Netzwerken - Design von Wahrnehmung und Lebensformen/Lebenswelten - Design von Lösungen & Sinn



A.4. Ă–kologie & Soziales im Wandel der Zeit Der Ursprung des Lebens, der Umgang mit Ressourcen und dessen Auswirkungen, Entstehung und Handhabung von Nachhaltigkeit und die Freude am Leben und an der Zukunft.


er Ursprung & Umgang D mit Ressourcen Unser Planet war bedeckt mit einem Baldachin aus Bäumen. Heute ist ein Großteil dieser Wälder verschwunden. Bilder des Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) zeigen den drastischen Wandel.

Vielfalt zelebrieren und fördern

Umgang mit Ressourcen

Stellen wir uns den Anfang des Lebens auf diesem Planeten vor. Es gibt Fels und Wasser, also Materie. Die Sonne sendet Wärme und Licht, also Energie. Schließlich entstehen über Tausende von Jahrtausenden hinweg durch chemische und physikalische Prozesse einzellige Bakterien. Mit der Evolution von photosynthesefähigen Blau- und Grünalgen ist ein monumentaler Schritt getan. Chemie und Physik verbinden sich mit der physikalischen Energie der Sonne. Die chemische Masse der Erde verwandelt sich in den blaugrünen Planeten.

Die ersten Industrien gingen von einem scheinbar unbegrenzten Vorrat an natürlichem „Kapital“ aus. Erz, Bauholz, Wasser, Getreide, Vieh, Kohle und Land. Die Rohstoffe für ein Produktionssystem, das Waren für die Massen herstellte und es auch heute noch tut. Fords River-Rouge-Fabrik verkörpert einen Produktionsfluss im großen Maßstab. Riesige Mengen an Eisen, Kohle, Sand und anderen Rohmaterialien wurden in die Fabrik gebracht und verließen sie in Form neuer Autos, Emissionen, Schlacke und Abfälle. Diese Industrien steigerten ihren Profit durch die Umwandlung von Rohstoffen in Produkte. Prärien wurden landwirtschaftlich nutzbar gemacht und groß Wälder gerodet, um Holz und Treibstoff zu erhalten. Häufig wurden Fabriken in der Nähe von natürlichen Ressourcen angesiedelt, um leichteren Zugang zu ihnen zu haben und neben Gewässern, die für die Herstellungsprozesse, sowie die Abfallbeseitigung genutzt wurden. A ls diese Praktiken im 19. Jahrhundert eingeführt wurden, machte man sich kaum Gedanken über die Qualität der Umwelt. Die Ressourcen schienen unermesslich zu sein und die Natur selbst regenerativ, die in sich alle Dinge aufnehmen und weiterwachsen würde.[100]

Danach entwickelten sich biologische Systeme, die sich von der Sonnenenergie ernährten. Die Oberfläche des Planeten explodiert förmlich vor neuen Lebensformen. Ein Netz unterschiedlicher Organismen, Pflanzen und Tiere. Selbst bei Naturkatastrophen verschwand und verschwindet diese Struktur des Lebens nicht. Beispielsweise erstarrten große Teile der Erdoberfläche unter der Eiszeit. Als sich das Eis zurückzog, kroch das Leben wieder hervor. Die Natur füllt den Raum, sobald sie mit Leere konfrontiert wird.[99] 92


Dschungel im Bayrischen Wald


Rondônia, Brasilien

0

5

10

N Kilometer

Rondonia, tief im Gebiet der Quellflüsse des Regen1975 waldes und 2.000 Kilometer vom Atlantischen Ozean entfernt, gehört zu den abgelegensten Regionen am brasilianischen Amazonas. Im Jahre 1975 war die Baumdecke nahezu geschlossen. In den wenigen kleinen Städten des Bundesstaates wie zum Beispiel Rio Branco lebten Stammesgemeinschaften und 94

19 Jun 1975

Paranuss-Sammler in kleinen Gruppen, zumeist Nachkommen derjenigen, die beim Kautschukboom vor fast einem Jahrhundert in die Region gekommen waren. Von den großen brasilianischne Ballungszentren aus führten keine allwettertauglichen Straßen hierher in den Osten.


0

5

Ein Waldrodung

10

N Kilometer

viertel Jahrhundert später haben emsige Holzfäller den einst dicht geschlossenen Baldachin aus Bäumen über zugerichtet. Die Bundesstraße BR 364 wurde durch die Provinz gebaut. Mit der Staße wanderten Holzfäller und tausenden Bauern aus dem Osten an. Ihre Tätigkeit konzentrietes sich, entlang der von Holzgewinnungsunternehmen nach Ankunft der Bundesstraße, in einem dichten Netz

19 Sep 2001

angelegter Nebenstraßen. Ergebnis: Entwaldung in Form eines markanten Fichgrätenmusters. Die einzigen erhaltenen Gebiete sind die als Nationalparks oder indigene Stammesgebiete geschützen Regionen.


Beijing, China

0

5

Peking 1978

10

N

Kilometer

war eine vergleichsweise schmucklose und beengte Hauptstadt. Auf diesem Satellitenbild ist es der kleine graue Bereich. Die Hügel im Westen sind noch waldbewachsen und grün. Bauernhöfe erscheinen je nach angebauten Feldfrüchten als rote, orangefarbene oder gelbe Flächen. In der Ära des KP-Vorsitzenden Mao (Kommunistische Partei) hatte man den Bauern vom Lande geradezu vergöttert. Für die 96

13 Juni 1978

Abwanderung der Menschen in die Stadt existierten strenge Vorgaben. In den Städten unterstanden sowieso alle Arbeitsplätze dem Staat. Wirtschaftlich lag die Hauptstadt des größten Landes der Welt mit damals etwa eine Milliarde Einwohner in tiefem Schlummer.


0

5

10

N

Kilometer

Die Landflucht

Wirtschaftsreform begann im Jahre 1979, drei Jahre nach Maos Tod. Diese gab China Raum für privaten Kapitalismus, wenn auch unter staatlicher Aufsicht. Daraufhin brachen für das Land zwei Jahrzehnte schnellen Wirtschaftswachstums an, und das Bruttoinlandsprodukt stieg pro Jahr um etwa zehn Prozent. Dem Bevölkerungswachstum wurde mit einer Politik der rigorosen Geburtenkontrolle Einhalt

30. April 2000

geboten. Da die Wirtschaft boomte, strömten die Menschen zu Millionen vom Land nach Peking und in andere Städte. Dieses zweite Bild zeigt, wie die Vororte der Stadt gewachsen sind, um die Zuwanderer aufzunehmen und sich große Abschnitte des vormaligen Ackerlandes und kleine Städte einzuverleiben. Die Einwohnerzahl der Stadt hat sich auf fast 15 Millionen verdoppelt.


Las Vegas , USA

0

5

10

N Kilometer

„Vegas“ wurde 1905 als Eisenbahnstadt in der Wüste 1973

gegründet und von den Arbeitern der Silber- und Goldminen Nevadas bewohnt. Über weite Strecken war es seither die am schnellsten wachsende Stadtregion der USA. Früher diente die Stadt als eine Art Stützpunkt beim Bau des Hoover-Staudammes am nahe gelegenen Colorado River (erster Superstaudamm der Welt). Seit den 1940ern hat sich Las Vegas eine neue Identität 98

13 Mai 1973

als Hochburg der Kasinohotels sowie als Entertaiment- und Konferenzzentrum entwickelt. Die Bewegung aus dem Norden und Osten in Richtung „Sonnengürtel“-Staaten im Süden und Westen, die das ganze Land erfasst hatte, fachte diese Entwicklung mit an. Als dieses Bild entstand, betrug die Zahl der ständigen Bewohner etwa eine Viertelmillionen.


0

5

10

N Kilometer

Wasser für den Las Vegas Strip Angetrieben durch die Entwicklung von Resorts wie dem 1989 eröffneten Mirage, hat die Stadt heute fast den gesamten verfügbaren Wüstenboden in Beschlag genommen. Las Vegas wächst im Westen den Spring Mountains entgegen. Im Stadtgebiet leben über eine Millionen Einwohner. Immer mehr Wüstenboden wurde zubetoniert

21. Februar 2006

und so stieg die Gefahr flutartiger Überschwemmungen, die zu Zeiten schwerer Regenfälle aus den Bergen über die Stadt hereinbrechen. Gleichzeitig herrscht Wassermangel, da die Grundwasservorkommen für die Wasserspiele und die Bewässerung der Parks leer gepumt werden.


Santa Cruz, Bolivien

0

5

10

N

Kilometer

Santa Cruz de la Sierra, unten links, ist die zweitgröß1975

te Stadt Boliviens. Sie befindet sich am westlichen Rand eines weiten Gebietes mit Tieflandwald, Regenwald und Sumpfland, das sich einst ununterbrochen 2.000 Kilometer gen Osten an den Atlantischen Ozean erstreckte. Wie man hier sehen kann, war der Wald östlich des Rio Grande weitgehend unbewohnt. 100

17. Juni 1975

Etwa zu dieser Zeit aber beschloss die Regierung, mehrere Zehntausend Menschen aus den armen Hochlandregionen in den Anden hierher zu bringen, damit sie das bewaldete Tiefland rodeten und auf den fruchtbaren Waldböden Ackerbau betreiben.


0

5

10

N

Kilometer

Heute Stadtentwicklung

ist der Wald nicht mehr da. Er musste für ein umfassendes Entwicklungsprojekt mit dem Namen Tierras Bajas weichen. Es nimmt einen Großteil der Fläche ein und über ein neues Straßennetz besteht Verbindung zur Außenwelt. Die zugewanderten Arbeiter leben in

6. Mai 2003

Dorfgemeinschaften mit Kirche, Schule, Kneipe und Fußballplatz. Auf den hellen, rechteckigen Feldern werden Sojabohnen angebaut, das wertvollste und verbreiteste Erzeugnis in dieser Region. Es wird zum großen Teil nach Europa und Nordamerika


Öko-Effizienz Vom Erzgebirge zur Öko-Effektivität. Der Weg hin zu einem Perspektivenwechsel ist weit. Ein gutes Stück des Weges sind wir schon gegangen. Ein gutes Stück liegt noch vor uns. Wie entstand nachhaltiges Wirtschaften und was sind Nachteile davon?

Wald im Erzgebirge 102


Heute sind die Hügel der Mittelmeerländer weitgehend kahl. Ein Resultat des Holzeinschlages von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Holz wurde gebraucht, für die unzähligen Kriegs- und Handelsflotten, die in den letzten 2000 Jahren das Mittelmeer befahren haben. Oder zum Heizen, zum Bau von Häusern. Wie kam es dazu? Einmal des Waldes beraubt und kahl geschlagen, konnte der Boden dem Wind, der Sonne und dem Regen keinen Widerstand mehr entgegen setzen. Der fruchtbare Waldboden wurde weggeschwemmt. Fels blieb übrig, auf dem heute kein Wald mehr wächst. Mühsam werden die Waldbestände heute vereinzelt wieder aufgeforstet. Ein Prinzip wurde in der Waldwirtschaft des Mittelmeerraumes (und nicht nur dort) mit Füßen getreten: Das der Nachhaltigkeit nämlich. So gilt auch die Forstwirtschaft als Wiege der Nachhaltigkeit.[101] Erstmals wurde das Prinzip der Nachhaltigkeit vor knapp

300 Jahren angesichts einer drohenden Rohstoffkrise formuliert. Der Silberbergbau im Erzgebirge, seinerzeit das wirtschaftliche Rückgrat Sachsens, war in seiner Existenz bedroht. Dies nicht etwa aus Mangel an Silbererz, sondern wegen einer sich schnell verschärfenden Holzknappheit. Holz wurde für den Ausbau der Gruben (Traghölzer), den Abbau des Erzes (mittels Feuersetzen) und insbesondere für den Betrieb der Schmelzöfen mit Holzkohle benötigt. Jahrhundertelang hatte man die umliegenden Wälder übernutzt, sodass die Umgebung der Bergstädte mittlerweile weitgehend kahl geschlagen war. Aus heutiger Sicht würde man formulieren: Aufgrund der Vernachlässigung der ökologischen Erfordernisse sind massive ökonomische und soziale Probleme (Arbeitslosigkeit, Brennstoffmangel für Privatbedarf ) entstanden. Um dauerhaft ausreichende Holzmengen für den Silberbergbau verfügbar zu haben, formulierte Hans Carl von Carlowitz, Oberberghauptmann am kursächsischen Hof in


Freiberg (Sachsen) 1713 als erster das Prinzip der Nachhaltigkeit. So sollte immer nur so viel Holz geschlagen werden, wie durch planmäßige Aufforstung durch Säen und Pflanzen nachwachsen konnte.[102] Die deutsche Forstwissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts übernahm das Konzept der nachhaltenden beziehungsweise später der „nachhaltigen“ Waldbewirtschaftung und trug es in die Welt hinaus. „Sustained yield forestry“ wurde in vielen Ländern der Erde ein Schlüsselbegriff, aber nur für die Forstwirtschaft. Dennoch kann die nachhaltige Forstwirtschaft durchaus als Basis für die Anfänge des Naturschutzes gelten. Insbesondere die Wälder waren durch zunehmende Nutzung und Zerstörung betroffen. Der Raubbau an der Natur hatte mit der Industrialisierung, Urbanisierung und Kolonisierung im 18. und 19. Jahrhundert schon große Ausmaße angenommen. Mit der wissenschaftlich-technischen Revolution erreichte er im 20. Jahrhundert eine globale Dimension.[103]

Entstehung und Entwicklung von Nachhaltigkeit So wie es vielen Wäldern im Mittelmeerraum ging, so kann es auch der industrialisierten Welt ergehen. Das jedenfalls 104

war im Groben der Inhalt der Studie Grenzen des Wachstums 1972,[104] die heute als eine der Ur-Studien zur Nachhaltigen Entwicklung gilt. Dieser erste Bericht sagte einen katastrophalen Niedergang des Lebensstandards und der Weltbevölkerung voraus. Gründe dafür waren der ungebremste Raubbau am Kapital des Planeten und die Steigerung der Weltbevölkerung. Das war letztlich die „Geburtsstunde“ der nachhaltigen Entwicklung.[105] „ Zwei Schlüsselbegriffe sind für die Umsetzung und das Verständnis von nachhaltiger Entwicklung und Nachhaltigkeit von zentraler Bedeutung: 1. Der Begriff von „Bedürfnissen“, insbesondere der Grundbedürfnisse der Ärmsten der Welt, die Priorität haben sollten. 2. Der Gedanke von Beschränkungen, die der Stand der Technologie und sozialen Organisation auf die Fähigkeit der Umwelt ausübt, um gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse zu befriedigen.“[106] Die Neuausrichtung von Produktion und Konsum in Richtung Nachhaltigkeit in den Industrieländern, sowie die Bekämpfung der Armut in den Entwicklungsländern standen im Zentrum des Erdgipfels 1992 in Rio.


Entwaldung für Rinder// „Verde Para Sempre Extractive Reserve“// Porto de Moz , Para, Brasilien

Fast dreißigtausend Menschen aus aller Welt, mehr als hundert Staatsoberhäupter und Repräsentanten aus 167 Ländern kamen in Rio de Janeiro zusammen, um auf die beunruhigenden Signale der Umweltzerstörung zu reagieren. Zur großen Enttäuschung vieler wurden keine bindenden Vereinbarungen erzielt.[107] Konkretisiert wurde der Begriff Nachhaltigkeit zum Beispiel in der Agenda 21, in den Klimarahmenkonvention, im Kyoto-Protokoll und im Aktionsplan von Johannesburg. Folgende Definition ist konform mit dem Völkerrecht und per se gültig: „Nachhaltige Entwicklung der Erde ist eine Entwicklung, die die Grundbedürfnisse aller Menschen befriedigt und die Gesundheit und Integrität des Erdökosystems bewahrt, schützt und wiederherstellt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können und ohne die Grenzen der Tragfähigkeit der Erde zu überschreiten.“[108] Leider gibt es keine fachwissenschaftlich oder politisch durchgängig akzeptierten Definitionen für die „Gesundheit und Integrität des Erdökosystems.“

Nachhaltigkeit heute: Wo stehen wir? In den vergangenen Jahren ist Politik und Wirtschaft zu der Erkenntnis gekommen, dass die Klimaveränderungen die Stabilität der Weltwirtschaft bedrohen. Vorbei sind die Zeiten neoliberaler Euphorie. Der Hurrikan Katrina, schmelzenden Eisbergen und Hitzewellen zeigen: Das Klima verändert sich. Der von der britischen Regierung beauftragte Stern-Report legte in seiner Bewertung der ökonomischen Folgen des Klimawandels dar.[109] Die Bundeskanzlerin Angela Merkel fasste beim Weltwirtschaftsforum 2007 in Davos die neue Beunruhigung zusammen: „Der Klimawandel ist die größte Herausforderung der Menschheit.“[110] Nachdem die kollektive Verdrängung vorüber ist, scheint aber kollektive Schizophrenie um sich zu greifen. Die Gesellschaft ist zu der Einsicht gekommen, dass die Erderwärmung eine Umkehr erfordert. Ausgerüstet mit Wissen, doch bisher untüchtig zum Handeln. Auch die Politik hat sich zu gewaltigen Schritten durchgerungen, mit einschneidenden Emissionsminderungszielen bis 2020 auf europäischer Ebene und einem Klimaschutzpaket auf nationaler Ebene.[111] Die Europäische


Kommission setzt sich für Klima- und Ressourcenschutz ein, verhängt Strafen für die Nichteinhaltung von Verordnungen und scheut auch nicht den Zwist mit den eingesessenen Interessen der Energie- und Automobilindustrie.[112]

aber die Naturgrenzen nicht abzuschaffen sind, kommt damit das herrschende Modell von Entwicklung an sein Ende. Entwicklung wohin und mit welchen Mitteln? Politik, Wirtschaft und Wissenschaft beginnen um Lösungen zu wetteifern.

Der Aufstieg der Schwellenländer in Asien und Lateinamerika, allen voran das Riesenreich China und der Subkontinent Indien, ist ein welthistorisches Großereignis. Mit der Globalisierung erfüllt sich für diese Nationen jene Verheißung, die für mehr als ein halbes Jahrhundert den Süden der Welt begleitet hatte: eines Tages zu den westlichen Ländern aufzuschließen. Ein höherer Lebensstandard zieht eine längerer Lebenserwartung nach sich. Die medizinische Versorgung und die Bildung verbesserte sich enorm und wird mehr Menschen zugänglich. Elektrizität, Informations- und Kommunikationstechnik sowie andere Fortschritte führten zu einem neuen Standard des Komforts und des Praktischen. Doch diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die Umwelt. Die nachholende Entwicklung vergrößert den Druck auf die Biosphäre.[113]

Dass nachholende Entwicklung nicht zu größerer Gerechtigkeit in der Welt beiträgt, hatte sich zwar schon seit längerem abgezeichnet. Besonders die Länder der südlichen Hemisphäre und in ihnen vor allem die armen Bevölkerungsgruppen, bekommen die Folgen der globalen Klimaveränderung am stärksten zu spüren. Die Unschuldigen werden vor allen anderen die Opfer sein. Dies ist nicht nur Unrecht, sondern wird für die internationalen Staatengemeinschaft zu einer noch größeren Herausforderung, bei der Überwindung der Armut. Jahrzehntelange Kampagnen gegen die Armut bis hin zu den Millenniumsentwicklungszielen[115] werden zu Makulatur, wenn aufgrund der Erderwärmung hunderte Millionen Arme mit Fluten oder Dürren, Nahrungsmangel oder Krankheiten zu kämpfen haben. Entwicklungspolitik für den Süden ist zuallererst Klimapolitik im Norden.[116]

Diese Auswirkungen werden in der offiziellen Rhetorik mit Besorgnis kommentiert, aber in der Realität gehören die Industrieländer nach wie vor zu den Treibern der Umweltgefährdung. Unterstützt vom einheimischen Entwicklungsehrgeiz, haben Unternehmen aus den OECD-Ländern mitgeholfen, China und andere Länder Asiens und Lateinamerikas zu den Ländern mit dem höchsten CO2 Ausstoß aufsteigen zu lassen. Aktionäre konnten auf hohe Wertsteigerungen hoffen, wenn billige Arbeit und neue Märkte zur Verfügung standen. Und die Verbraucher zuhause freuten sich, wenn sie für Kleidung, Elektrowaren und Unterhaltungselektronik weniger Geld ausgeben mussten. Überdies haben liberalisierungsfreudige Regierungen auf breiter Front die weltwirtschaftlichen Bedingungen so eingerichtet, dass die Fossilwirtschaft wie Automobil-, Bau- und Agrarindustrie sich in allen Ländern eines freien Zugangs erfreut. Vor dem Hintergrund unverdrossener Globalisierung ist die Rethorik heuchlerisch, die Beanspruchung der Biosphäre durch China und andere Länder anzuprangern.[114] Jedoch zeigt der Aufstieg der Schwellenländer, dass die Herausforderungen der Zukunft nur global gelösst werden können. Niemand will den Ländern des Südens den Auszug aus der Armut verweigern, doch gleichzeitig fürchten alle die heranrollenden Umweltveränderungen. „Was ist, wenn alle Chinesen ein Auto wollen?“ Der Konflikt zwischen Entwicklungshoffnungen und Naturgrenzen spitzt sich so Jahr für Jahr zu. Weil 106

Kein Staat, und auch nicht in Europa, hat bis vor Kurzem die Beschlüsse der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung von Rio de Janeiro 1992 ernstgenommen. Jedoch haben Bürger, Wissenschaftler, Unternehmer, zivilgesellschaftliche Gruppen und Verbände in zahlreichen Ländern die Praxis und das Wissen hervorgebracht, um Gesellschaft und Wirtschaft grüner und gerechter werden zu lassen. Konflikte sind dabei die Regel. In Gruppen dieser Art entstehen und reifen Denkstile und Kompetenzen in einer Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche. Es ist das Reservoir an Engagement und Wissen, aus dem sich der Wandel zur Zukunftsfähigkeit entwickelt. So ist in Deutschland mit den erneuerbaren Energien ein neuer Wirtschaftszweig gewachsen, ungezählte Firmen experimentieren mit einem öko-effizienteren Design für Produkte und ihre Herstellung, so wie Kommunen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung und zur energiebewussten Bausanierung realisieren. Fairer Handel, Biolandbau und ökologische Lebensmittelwirtschaft haben enorm an Boden gewonnen, und aufgrund des Widerstands der Verbraucher sind die Lebensmittel in den Regalen weitgehend gentechnikfrei geblieben. In vielen Bereichen sind Alternativen im Kleinformat gewachsen, die darauf warten, ins Großformat übertragen zu werden.[117]


Neubauviertel & Fabrik bei Huangshan // Anhui Provinz, China


Die Öko-Effizienz Nach 1992 entwickelte sich die Öko-Effizienz in den politischen und wirtschaftlichen Umweltprogrammen als Leitbild. Vermindern, vermeiden, minimieren, reduzieren und begrenzen wurden zum zentralen Vokabular. Damit konnte die menschliche Industrie sich von einem System das nimmt, produziert und verschwendet, in eines verwandeln, das die wirtschaftlichen, ökologischen und ethischen Belange mit einschließt. Die Industriemaschinerie wurde mit sauberen, schnelleren und leiseren Motoren ausgerüstet. Die Industrie konnte ihren Ruf retten, ohne ihre Strukturen entscheidend zu verändern oder ihr Profitstreben aufs Spiel zu setzen. Industrien überall auf der Welt betrachten heute Öko-Effizienz als die Strategie des Wandels.[118] Berge von Elektroschrott // Guiyu, Guangdong Provenz, China

„Weniger schlecht“ ist nicht gut Was ist nun Öko-Effizienz? In erster Linie bedeutet dieser Begriff „mehr mit weniger“. Seine Wurzeln hat er in den Anfängen der Industrialisierung. Henry Ford selbst bestand auf eine schlanke und saubere Produktion. Ford erzielte Einsparungen in Millionenhöhe, indem er den Abfall reduzierte und mit seinem zeitsparenden Fließband neue Maßstäbe setzte. „Man muss das Optimum aus der Arbeitskraft, aus dem Material und aus der Zeit herausholen“[119], schrieb er 1926, ein Credo, das sich heutzutage die meisten Führungskräfte stolz an die Wand hängen würden. Die wohl bekannteste Darlegung der Verbindung von Effizienz und Umweltverhalten ist in Our Common Future, einem 1987 von der United Nations World Commission on Environment and Development veröffentlichten Bericht, zu finden. Our Common Future warnt, die Gesundheit des Menschen, das Eigentum und die Ökosysteme würden ernsthaft gefährdet sein und das Leben in den Städten unerträglich werden, wenn man die Umweltverschmutzung nicht stärker unter Kontrolle bringe. „Es sollten solche Industrien und Unternehmen ermutigt werden, die effizienter mit den Ressourcen umgehen, weniger 108


Windrad // Deutschland

Schadstoff verwenden und die irreversiblen schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen sowie die Umwelt minimieren“[120], heißt es in dem Bericht der Kommission.[121] 1995 wurde der Begriff „Öko-Effizienz“ offiziell vom Business Council for Sustainable Development geprägt, einer Gruppe von 48 industriellen Sponsoren, die man darum gebeten hatte, aus unternehmerischer Sicht zum Weltgipfel beizutragen. Der Rat formulierte seinen Aufruf zum Wandel praxisorientiert. Er konzentrierte sich eher auf die Frage, welchen Nutzen die Unternehmen aus einem neuen ökologischen Bewusstsein ziehen könnten, als darauf, welchen Schaden die Umwelt nehmen könnte, würde die Industrie weiterhin den alten Mustern folgen. Der Bericht der Gruppe, betonte die Bedeutung der ÖkoEffizienz für alle Unternehmen, die langfristig konkurrenzfähig und erfolgreich sein und nachhaltig wirtschaften wollen.[122] Mit außergewöhnlichem Erfolg hielt die Öko-Effizienz in der Industrie Einzug. Die drei Vs, vermeiden, (wieder) verwenden und verwerten, gewannen in den Privathaushalten wie am Arbeitsplatz zunehmend an Popularität. Die Einschränkungen des Ressourcen- und Energieverbrauchs, von Emissionen und Abfällen, hat eine positive Wirkung auf die Umwelt wie auch auf das öffentliche Wohlbefinden.[123]

Die vier Grundsätze: Vermeiden, wiederverwenden, verwerten und regulieren In der Regel handelt es sich beim Recycling um ein Downcycling, um die Verminderung der Qualität eines Materials. Kunststoffe werden, mit Ausnahme der für Getränkeflaschen verwendeten, mit anderen Kunststoffen vermischt und zu einer Gemisch geringerer Qualität verarbeitet. Heraus kommt so etwas Amorphes und Billiges wie eine Parkbank oder eine Bodenschwelle. Auch Metalle werden oft downgecycelt. So wird zum Beispiel der für Autos verwendete hochwertige, hochfeste Stahl „recycelt“. Er wird mit anderen Autoteilen, einschließlich dem Kupfer der Autokabel sowie den Farb- und Kunststoffbeschichtungen, eingeschmolzen. Die Beimischungen verringern die Qualität des recycelten Stahls. Dieser Stahl hat nicht die notwendigen Materialeigenschaften für die Herstellung eines neuen Wagens haben. Weiterhin gehen die Buntmetalle wie Kupfer, Mangan und Chrom sowie die Farben, Kunststoffe und anderen Komponenten, die für die Industrie in einem hochwertigen Rohzustand von Wert waren, verloren. Derzeit gibt es keine Technologie, um die Polymer- und Farbbeschichtungen von dem in der Autoindustrie verwendeten Metall zu trennen,


bevor diese Weiterverarbeitet wird. Deswegen ist es bisher, selbst wenn beim Design eines Autos dessen Demontage mit eingeplant wäre, technisch nicht möglich, den hochwertigen Stahl in einem geschlossenen Kreislauf weiter zirkulieren zu lassen. Bei der Neuproduktion einer Tonne Kupfer entstehen 300 Tonnen Abfall. Einige Abfalllegierungen haben aber tatsächlich einen höheren Kupfergehalt als Kupfererz. Es wäre nützlich, wenn die Industrie eine Möglichkeit hätte, dieses Kupfer wiederzugewinnen, statt es ständig zu verlieren. Aluminium ist ein weiteres wertvolles, aber beständig downgecyceltes Material. Die typische Getränkedose ist aus zwei Aluminiumsorten hergestellt. Nur die Wände bestehen aus Aluminium, hinzu kommt etwas Mangan, etwas Magnesium plus Beschichtungen und Farbe. Der härtere Deckel ist eine Aluminium-Magnesium-Legierung. Beim konventionellen Recycling werden diese Materialien zusammengeschmolzen, und das Ergebnis ist ein minderwertiges und weniger nützliches Material. Damit führt Downcyceling nicht nur zu Verlust an Wert und Material, sondern kann auch zu einer stärkeren Verschmutzung der Biosphäre führen. Beim Recycling von Stahl verbrennen eingeschlossene Kunsststoffe und Lacke. Um ähnliche Materialeigenschaften wie das Rohmaterial zu bekommen, ist häufig die Zugabe von mehr Chemikalien notwendig.[124] In allen Fällen hat das Vorhaben zu recyceln andere Designüberlegungen überlagert. Die Tatsache, dass ein Material recycelt wurde, macht es nicht automatisch umweltfreundlich, vor allem dann nicht, wenn das Recycling bei seiner Herstellung 110

nicht ausdrücklich mit eingeplant war. Blind oberflächliche Umweltmethoden zu übernehmen, ohne ihre Wirkungen voll und ganz zu verstehen, ist nicht unbedingt besser als nichts zu tun. Vielleicht ist es sogar schlechter.[125] Öko-Effizienz ist von außen betrachtet ein ausgezeichnetes, wirklich vorteilhaftes Konzept, jedoch keine Strategie für langfristigen Erfolg, weil es nicht tief genug reicht. Es weist nicht über die Grenzen des Systems hinaus, das das Problem überhaupt erst verursacht hat, und mag lediglich die problematischen Prozesse mit Hilfe moralischer Verbote und Strafmaßnahmen hinauszuzögern. Es bietet kaum mehr als die Illusion vom Wandel. beharrlich und vollständig. Bekäme man heute die Aufgabe, im Nachhinein die industrielle Revolution zu entwerfen und zwar unter Öko-Effizienz Gesichtspunkten, könnte das Ergebnis folgendermaßen aussehen: Entwerfen Sie ein Industriesystem, das jährlich geringere Mengen an Schadstoffen in die Luft, den Boden und das Wasser leitet; den Wohlstand an weniger Aktivität misst; Tausende komplexer Vorschriften einhält, um die Menschen und natürlichen Systeme davor zu bewahren, zu schnell vergiftet zu werden; weniger Stoffe produziert, die so gefährlich sind, dass sie von zukünftigen Generationen ständig überwacht werden müssen, während man gleichzeitig in Angst lebt; geringere Mengen Müll produzieren; kleinere Mengen wertvoller Materialien in Löcher überall auf dem Planeten stopft, aus denen sie nie wieder zurückgewonnen werden können.[126]


Perspektivenwechsel I m Klartext: Die Öko-Effizienz macht das alte System lediglich ein bisschen langsamer zerstörerisch. In manchen Fällen kann sie sogar schädlicher sein, weil ihre Wirkung subtiler und langfristiger ist.[127] Ein öko-effektiver Ansatz könnte zu so weitreichenden Innovationen führen, dass alles anders wird, als wir es kennen, oder es könnte uns zeigen, wie man bereits bestehende Systeme optimiert. Nicht nur Lösungen an sich sind notwendigerweise radikal, sondern der Perspektivenwechsel, mit dem wir beginnen. Weg von der alten Sicht der Natur als etwas, das man kontrollieren muss, hin zu einem Miteinander. Jahrtausendelang haben sich die Menschen bemüht, die vermeintlichen Grenzen zwischen menschlichen und natürlichen Kräften aufrechtzuerhalten. Oft war dies auch lebensnotwendig. Vor allem die westliche Kultur ist von der Überzeugung geprägt, dass es das Recht und die Pflicht des Menschen sei, die Natur zu einem besseren Nutzen zu formen; wie Francis Bacon es ausdrückte: „Wenn man die Natur kennt, kann man sie vielleicht beherrschen, bändigen und in den Dienst des menschlichen Lebens stellen.“[128][129]

Rost // Völklinger Hütte // Saarland


Zusammenfassung Erkenntnisse aus den Bereichen Ökologie

1. Am Anfang des Lebens stand Materie und Energie, die sich in einem chemisch-physikalischen Prozess zu einer artenreichen Vielfalt entwickelte. Die Struktur des Lebens verschwindet seit dem nicht mehr und füllt Raum, sobald sie mit Leere konfrontiert wird. 2. Die Ordnung der Natur erfreut den Mensch. Darin findet er eine Sparsamkeit der Mittel, Einfachheit, Eleganz und essenzielle Richtigkeit vor. 3. Ein Perspektivenwechsel im Umgang mit der Natur ist nötig. Weg von der alten Sicht der Natur des Kontrollierens, hin zu einem Miteinander, das Spaß macht. 4. Nachhaltigkeit bedeutet, dass die Bedürfnisse aller Menschen heutiger Generationen befriedigt werden, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihre Lebensstil zu wählen. Die Gesundheit und Integrität des Ökosystems sollten nachhaltig bewahrt, beschützt und wiederherstellt werden.

112


Getreidefeld

5. Regionaler und überregionaler Umweltschutz sollte höchste Priorität eingeräumt werden. Die Reinhaltung von Luft, Wasser und Boden, der Erhalt der Wälder usw. kommt den Menschen unmittelbar zu gute und erhöht die Lebensqualität. Die Einschränkung des Ressourcen- und Energieverbrauchs, von Emissionen und Abfällen hat positive Wirkung auf Umwelt und das öffentliche Wohlbefinden. 6. Bürger, Wissenschaftler, Unternehmer, zivilgesellschaftliche Gruppen und Verbände haben in zahlreichen Ländern die Praxis und das Wissen hervorgebracht, um Gesellschaft und Wissenschaft grüner und gerechter werden zu lassen. Alternativen aus dem Kleinbereich warten auf die Übertragung ins Großformat. 7. Öko-Effizienz ist keine Strategie mit langfristigem Erfolg, sie zögert die problematischen Prozesse mit Hilfe von moralischen Verboten und Strafmaßnahmen hinaus und macht das System etwas langsam zerstörerisch. 8. Recycling ist häufig die Vernichtung der Qualität eines Materials und deren Wertverlust und macht ein Material nicht automatisch umweltfreundlich.


Resümee Kernthesen aus den vorangegangenen Kapiteln

1. Lebensqualität als Ziel Die Einhaltung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Verantwortung gegenüber künftigen Generationen führt zum guten Leben.

2. Lösung & Sinn Hoffnung & Streben und Kenntnisse & Wissen über Vergangenes & Künftiges formen die Weiterentwicklung.

114


3. Freude auf das Folgende Globale Mobilität, globaler Austausch und refektiertes Handeln ermöglichen einen Perspektivenwechsel.

4. Positives Wachstum Die Kreislaufwirtschaft als langfristige Strategie eröffnet vielfältige Möglichkeiten.



A.5. Möglichkeiten für Design, Ökonomie und Ökologie Wie die neue Designaufgabe Cradle to Cradle zu einer industriellen Re-Evolution führt


Der Kirschbaum das Symbol für Öko-Effektivität Der Baum ernährt seine Umgebung Der Kirschbaum: Tausende von Blüten bringen Früchte für Vögel, Menschen und andere Tiere hervor, nur damit der Kern schließlich auf Boden fällt, Wurzeln schlägt und wächst. Wer würde beim Anblick des von Blütenblättern übersäten Bodens unter dem Baum über mangelnde Effizienz und Verschwendung klagen?

Der Baum bringt zahllose Blüten und Früchte hervor, ohne seine Umwelt zu belasten. Im Gegenteil: Sobald sie zu Boden fallen, verrotten ihre Materialien und zerfallen in Nährstoffe, die Mikroorganismen, Insekten, Pflanzen, Säugetiere und Boden zum leben brauchen. Obwohl der Baum viel mehr von seinem „Produkt“ herstellt, als er für den eigenen Erfolg im Ökosystem braucht, hat sich dieser Überfluss entwickelt, um vielen sehr verschiedenen Zwecken zu dienen. Dies geschah in Jahrmillionen von Erfolgen und Fehlschlägen oder in der Managersprache: durch Forschung und Entwicklung. Der Baum ernährt mit seiner Fruchtbarkeit alles in seiner Umgebung.[130] 118


Bei näherer Betrachten des Kirschbaumes ist zu erkennen, dass er beim Wachstum nach Überfluss in der Erneuerung strebt. Das Wachstum des Baumes hat eine Vielzahl positiver Effekte. Es liefert Nahrung für Säugetiere, Insekten und Mikroorganismen und es bereichert das Ökosystem, bindet Kohlenstoff, produziert Sauerstoff, reinigt Luft und Wasser, stabilisiert den Boden und bildet neuen Humus. Zwischen seinen Wurzeln und Zweigen und auf seinen Blättern beherbergt der Baum eine vielfältige Flora und Fauna, die in lebenswichtigen Funktionen von ihm und voneinander abhängt. Und wenn der Baum schließlich stirbt, wird er wieder zu Erde und setzt beim Zerfall Mineralien frei, die ein gesundes neues Wachstum an derselben Stelle fördern.

Der Baum ist keine isolierte Einheit, abgeschnitten von den Systemen um ihn herum. Er ist unentwirrbar und produktiv mit seiner Umgebung verbunden. Dies ist ein grundlegender Unterschied zwischen dem Wachstum heutiger industrieller Systeme und dem Wachstum in der Natur.[131]

Kirschblüte


Cradle to Cradle Von der Wiege zur Wiege Die neue Designaufgabe nach der Idee von Dr. Michael Braungart & William McDonough. Abfall ist Nahrung, Eco-Effektivität statt Eco-Effizienz und die Welt der zwei Metabolismen

Wolke, der Himmel so nah

Die neue Designaufgabe Ein alter Witz über Effizienz: Ein Olivenölverkäufer kommt vom Marktplatz zurück und beklagt sich bei einem Freund: „Ich kann kein Geld mit dem Olivenöl verdienen! Wenn ich den Esel füttere, der mein Öl zum Markt trägt, ist schon der Großteil meines Gewinns dahin.“ Sein Freund schlägt vor, er solle dem Esel ein bisschen weniger Futter geben. Sechs Wochen später treffen sie sich wieder auf dem Marktplatz. Der Ölverkäufer sieht schlecht aus, ohne Geld und ohne Esel. Als sein Freund ihn fragt, was geschehen sei, antwortet er: „Also, ich habe es so gemacht, wie du gesagt hast. Ich habe den Esel ein bisschen weniger gefüttert, und es ging mir wirklich gut. Also fütterte ich ihn noch ein bisschen weniger, und es ging mir noch besser. Aber als ich gerade wirklich erfolgreich zu werden begann, starb er einfach!“ 120

Ist es unser Ziel, uns zu Tode zu hungern? Uns unserer eigenen Kultur, unserer eigenen Arbeit, unserer eigenen Anwesenheit auf dem Planeten zu berauben? Wie inspirierend ist ein solches Ziel? Wäre es nicht großartig, wenn wir statt die menschlichen Aktivitäten zu beklagen, Grund hätten, sie zu schätzen? Wenn Umweltschützer wie Autoproduzenten gleichermaßen begeistert wären, wenn jemand sein altes Auto gegen ein neues austauscht, weil neue Autos die Luft reinigten und Trinkwasser produzierten, statt nur etwas weniger schädlich zu sein? Wenn neue Gebäude Bäume imitieren, Schatten, Lebensraum für Singvögel, Nahrung, Energie und sauberes Wasser spenden würden? Wenn jede neue Errungenschaft einer Gemeinde den ökologischen und kulturellen Reichtum ebenso fördern würde wie den wirtschaftlichen? Wenn moderne Gesellschaften als


gewaltige wachsende Aktivposten und Gewinne wahrgenommen werden können? Der Vorschlag ist ein neues Design. Warum machen sich Menschen und Unternehmen nicht daran, das Folgende zu schaffen, statt an den bestehenden destruktiven Rahmenbedingungen herumzufeilen: Gebäude, die wie Bäume mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen, und ihr eigenes Abwasser reinigen; Fabriken, die Abwasser mit Trinkwasserqualität freisetzen; Produkte, die nach Ende ihrer nützlichen Verwendung nicht nutzloser Abfall werden, sondern einfach am Boden verrotten und Nahrung für Pflanzen und Tiere und Nährstoffe für den Boden liefern oder die wieder in den industriellen Kreislauf eingebracht werden und hochwertige Rohstoffe für neue Produkte liefern; technische Nährstoffe im Wert von vielen Milliarden, ja sogar Billionen Dollar pro Jahr für die Belange der Menschen und der Natur ausgeben; Transportmittel, die die Lebensqualität erhöhen, während sie Güter und Dienstleistungen liefern; eine Welt des Überflusses, nicht eine der Begrenzung, der Verschwendung und des Abfalls.[132] Dr. Michael Braungart // Oktober 2007

Dr. Michael Braungart Dr. Michael Braungart ist seit 1994 Professor für Verfahrenstechnik an der Universität Lüneburg und Direktor eines interdisziplinären Masterprogrammes für Stoffstrom-Management. Der Chemiker Michael Braungart ist Gründer (1987) und Wissenschaftlicher Geschäftsführer von EPEA Internationale Umweltforschung GmbH, Hamburg, Deutschland, und Mitbegründer (1989) von McDonough Braungart Design Chemistry (MBDC), Charlottesville, Virginia, USA. Er ist ebenso Mitbegründer (1989) des Hamburger Umwelt-Instituts (HUI). Diese Institute teilen einen gemeinsamen Wertekanon der intelligentes, ästhetisches und öko-effektives Design umfasst. Sie suchen nach Möglichkeiten zur ProduktOptimierung innerhalb der Cradle to Cradle-Design Konzeption. Über diese Aktivitäten entwickelte er Methoden für das

Design von öko-effektiven Produkten und Geschäftsmodellen. Er arbeitet mit zahlreichen Organisationen und Firmen aus vielen Branchen zusammen. Im Rahmen einer Gastprofessur an der „Darden School of Business“, unterrichtete er Inhalte zu „Öko-Effizienz“, „Öko-Effektivität“, „Cradle to Cradle-Design“ und „Intelligent Materials Pooling“. Prof. Dr. Michael Braungart hält Vorträge an vielen internationalen Universitäten. Seine Arbeiten sind in zahlreichen Journalen und Magazinen in Europa und in den USA veröffentlicht worden.[133] Im Folgenden sind die Grundzüge des Cradle-to-Cradle Konzeptes beschrieben, die den Schwerpunkt des Themas GLOCAL DESIGN beschreiben.


Kompost (oben) // Regenwurm (rechts)

Abfall ist Nahrung Die Natur funktioniert nach einem System von Nährstoffen und Metabolismen, in dem kein Abfall vorkommt. Ein Kirschbaum produziert viele Blüten und Früchte, damit (vielleicht) ein neuer Baum keinem und wachsen kann. Aus diesem Grund blüht der Baum. Aber der Überfluss an Blüten ist keineswegs wertlos. Die Blüten fallen zu Boden, zersetzen sich, ernähren zahlreiche Organismen und Mikroorganismen und verbessern die Bodenbeschaffenheit. Überall auf der Welt atmen Tiere und Pflanzen Kohlendioxid aus, das die Pflanzen aufnehmen und für ihr Wachstum nutzen. Der Stickstoff aus den Abfällen wird von Mikroorganismen, Tieren und Pflanzen in Proteine umgewandelt. Pferde fressen Gras und produzieren Dung, der den Fliegenlarven Nester und Nahrung zugleich bietet. Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff sind die wichtigsten Nährstoffe der Erde. Sie durchlaufen einen Kreislauf und werden immer wieder verwendet. Abfall ist so wieder Nahrung. 122

Dieses zyklische biologische System, von der Wiege zur Wiege, lässt seit Jahrmillionen einen Planeten mit einer prächtigen Vielfalt gedeihen. Bis in die jüngste Vergangenheit der Erdgeschichte gab es nur dieses System, und jedes Lebenswesen des Planeten war ein Teil davon. Wachstum war gut. Wachstum hieß mehr Bäume, mehr Arten, eine größere Vielfalt und komplexere, widerstandsfähigere Ökosysteme. Mit dem Aufkommen der Industrie hat sich das natürliche Gleichgewicht der Materialien auf dem Planeten verschoben. Der Mensch nimmt sich Substanzen von der Erdoberfläche oder aus der Erdkruste und bereitet sie auf, ändert und synthetisiert sie zu riesigen Mengen von Material. Diese Substanzen können dem Boden nicht wieder gefahrlos zugeführt werden. Die heute auf der Erde vorhandenen Materialströme können zwei Kategorien zugeordnen werden: Biomasse und technische Masse. Letztere gleichbedeutend mit Industriemasse.[134]


Aus von der Wiege zur Wiege wurde von der Wiege zur Bahre: unsere Menschheitsgeschichte als Nährstoffgeschichte Vor der Entstehung von Ackerbaukultur zogen Nomadenvölker auf der Suche nach Nahrung von Weideort zu Weideort. Sie konnten nur wenig Gepäck mitnehme, daher besaßen sie nicht viel. Einige Schmuckstücke und Werkzeuge, Säcke und Kleidung aus Tierhäuten, Körbe für Wurzeln und Samen zählten zu ihrem Besitz. Wenn man diese Dinge, die aus vor Ort gefundenen Materialien hergestellt wurden, nicht mehr brauchte, zersetzten sie sich und wurden von der Natur „konsumiert“. Die langlebigeren Objekte wie Waffen aus Stein oder Feuerstein konnten weggeworfen werden. Fäkalien stellten kein Problem dar, da die Nomaden immer wieder weiter zogen. Sie konnten ihre biologischen Abfälle zurücklassen, damit diese den Boden wieder erneuerten. Für diese Menschen war mehr „weg“ an Nährstoffen tatsächlich ein „weg“. Frühe Ackerbaugemeinschaften lebten davon, dem Boden biologische Abfälle zuzuführen und damit die entzogenen

Nährstoffe zu ersetzen. Die Bauern sorgten für Fruchtwechsel und ließen die Felder brachliegen, bis der Boden wieder fruchtbar war. Mit der Zeit beschleunigten neue Werkzeuge und Techniken die Nahrungsmittelproduktion. Die Bevölkerungszahlen stiegen. Viele Gemeinschaften verbrauchten mehr Ressourcen und Nährstoffe, als die Natur ausgleichen konnte. Als mehr Menschen auf engem Raum lebten, kulturelle Aktivitäten sich ausweiteten und man öffentliche Plätze benötigte, wurden auch die Hygiene zum Problem. Die Gesellschaften fanden Methoden, um ihre Abfälle loszuwerden. Gleichzeitig entzogen sie dem Boden immer mehr Nährstoffe und verbrauchten immer mehr natürliche Ressourcen wie zum Beispiel Bäume, ohne sie in gleichem Maße zu ersetzen. Ein altes römisches Sprichwort lautet Pecunia non olet „Geld stinkt nicht“. Im Römischen Reich schafften Sklaven die Abfälle von öffentlichen Plätzen und aus den Toiletten der Reichen fort und häuften sie vor den Toren der Stadt auf. Der zunehmende Ackerbau und das Fällen von Bäumen entzogen dem Boden Nährstoffe und führten zur Erosion. Der Erdboden wurde trockener und dürrer und es gab weniger fruchtbares Land. Möglicherweise war der Imperialismus Roms und


Abendnebel // Yellow Mountain // Huangshan, China [64]

der Imperialismus im Allgemeinen eine Folge des Verlustes von Nährstoffen. Der führte dazu, dass das Römische Reich expandierte, um seinen großen Bedarf an Holz, Lebensmitteln und weiteren Rohstoffen aus anderen Regionen zu decken. „Im 19. Jahrhundert stehen die Großstadt und ihre expandierende Wirtschaft, die immer ausgeklügeltere und engere Verbindung zwischen Stadt und Land schafft, im Zentrum der Geschichte des Westens“, schreibt Cronon. Daher muss die Geschichte einer Stadt „auch die Geschichte ihrer Menschen und der natürlichen Umwelt sein“.[135] Während die Städte größer wurden und sich ausdehnten beraubten sie, sobald das Land geplündert und die Rohstoffe ausgeraubt waren, immer weiter entfernte Regionen ihrer Materialien und Ressourcen. Mit der Zeit bauten die Städte überall auf der Welt die notwendige Infrastruktur auf, um Nährstoffe von Ort zu Ort zu transportieren. Zwischen den Völkern brachen Kämpfe um Ressourcen, Land und Nahrung aus.[136]

Braungart bezeichte Metalle als frühe technische Nährstoffe. Diese Art des Verbrauchs hatte allerdings mit dem Fortschritt der Industrialisierung weiterhin Bestand, wenn auch die meisten Fabrikwaren nicht mehr im ursprünglichen Sinne konsumiert werden konnten. In Zeiten der Knappheit erfahren die technischen Materialien erneute Wertschätzung. Menschen, die zum Beispiel während der Wirtschaftskrise aufwuchsen, waren es gewohnt, Gläser, Krüge und Alufolie wiederzuverwenden. Während des zweiten Weltkriegs sammelten die Menschen Gummibänder, Alufolie, Stahl und andere Materialien, um sie der Industrie zu liefern. Als jedoch billigere Materialien und neue Kunststoffe den Nachkriegsmarkt überschwemmten, war es für die Industrie kostengünstiger, neue Aluminium-, Plastikoder Glasflaschen oder Verpackungsmaterial in zentralen Fabriken herzustellen und einzusetzen. Eine lokale Infrastruktur für das Sammeln, den Transport, die Säuberung und die Verarbeitung des Materials zur Wiederverwertung aufzubauen wäre kostenintensiver.

In vorindustriellen Kulturen „verbrauchten“ die Menschen die Dinge. Die meisten wurden einfach biologisch abgebaut, nachdem man sie weggeworfen, untergegraben oder verbrannt hatte. Metalle bildeten die Ausnahme: Sie wurden als außerordentlich wertvoll angesehen, eingeschmolzen oder erneuert.

In den ersten Jahrzehnten der Industrialisierung war es auch üblich, alte Gebrauchsgüter wie Öfen, Kühlschränke und Telefone weiterzugeben, zu reparieren oder an Altwarenhändler zu verkaufen. Heutzutage werden die meisten so genannten langlebigen Güter einfach weggeworfen. Wer würde heute noch

124


100%

„Eco-Effektivität“

10%

„Eco-Effizienz“

0% Zeit Öko-Effekt

einen Toaster reparieren? Es ist viel bequemer, ein neues Gerät zu kaufen, als das alte zum Hersteller zu schicken oder am Heimatort einen Händler zu finden, der es repariert. „Wegwerfprodukte“ sind die Norm geworden.[137]

Eco-Effektivität statt Eco-Effizienz Während die herkömmlichen Strategien der „öko-effizienten“ Ansätze sich bemühen, die unbeabsichtigten negativen Konsequenzen von Produktions- und Konsumprozessen unter quantitativen Aspekten zu reduzieren und zu minimieren, stellt der öko-effektive Ansatz einen Qualitätsansatz dar. Er beruht darauf, die Möglichkeiten der Industrie so zu verbessern, dass natur- und umweltunterstützende Produkte und Prozesse möglich werden. Die funktionierenden Wechselwirkungen zwischen natürlichen Systemen wie die des Kirschbaumes legen nahe, dass die Etablierung von nachhaltigen Systemen der Produktion und des Konsums keine Frage der Reduzierung der Größe unseres „ökologischen Fußabdrucks“ ist. Die Herausforderung ist eher, wie dieser „Fußabdruck“ als nie versiegende, unterstützende Quelle für natürliche System errichtet werden kann.

Aus von der Wiege bis zur Bahre wird von der Wiege zur Wiege Produktentwickler, Umwelschutzfachleute und Menschen, die in der Industrie und in angrenzenden Berufsfeldern tätig sind, sprechen häufig vom „Lebenszyklus“ eines Produkts. Natürlich besitzen nur wenige Produkte ein Leben, aber in gewissem Sinne projizieren wir unsere Lebendigkeit und unsere Sterblichkeit in sie hinein. In westlichen Gesellschaften ruhen die Toten in Gräbern und die Produkte ebenfalls. Die Menschen betrachten sich als mächtiges und einzigartige Wesen und kaufen gerne nagelneue, aus „jungfräulichem“ Material gefertigte Dinge. Wird ein neues Produkt geöffnet, ist das so etwas wie ein symbolische Entjungferung. „Dieses jungfräuliche Produkt ist meins, ich bin der Erste.“ Die Industrie konzipiert und plant entsprechend dieser Vorstellung. Wir erkennen und verstehen den Wert des Gefühls, etwas Besonderes, ja sogar Einzigartiges sein zu wollen. Aber bei Materialien ist es sinnvoll, die Gleichartigkeit und die Gemeinsamkeit wertzuschätzen; gerade bei Materialien die es ermöglichen sie mehr als einmal zu benutzen.[138]


Nährstoffkreisläufe

Produktkategorien

biologischer Kreislauf

technischer Kreislauf

biologischer Kreislauf

technischer Kreislauf

biologische Nährstoffe

technische Nährstoff

Konsumprodukt

Serviceprodukt

Cradle to Cradle - Von der Wiege zur Wiege

Eine Welt mit zwei Metabolismen

Cradle to Cradle Design definiert ein System für die Herstellung von Produkten und industriellen Prozessen, das ermöglicht, Materialien als „Nährstoffe“ in geschlossenen Kreisläufen zu halten. Materialien von Produkten, die für biologische Kreisläufe optimiert sind, dienen als biologische Nährstoffe, und können bedenkenlos in die Umwelt gelangen. Dem gegenüber werden Materialien von Produkten, die für geschlossene technische Kreisläufe konzipiert sind, als technische Nährstoffe (z.B. Metalle und verschiedene Polymere) bezeichnet. Diese Materialien sollen nicht in biologische Kreisläufe geraten. Produkte können in drei Kategorien eingeteilt werden: Verbrauchsgüter, Gebrauchsgüter sowie Güter, die nicht mehr zu vermarkten sind. Verbrauchsgüter, wie z. B. Reinigungsmittel, Shampoos oder Verpackungsmaterial, können aus „biologischen Nährstoffen“ gefertigt werden, so dass eine sichere Entsorgung dieser Produkte in die Umwelt jederzeit gewährleistet ist. Gebrauchsgüter, wie z. B. Autos, Waschmaschinen oder Fernsehgeräte, enthalten „technische Nährstoffe“ (vgl. Grafik 67). Diese Produkte stellen im Grunde genommen nur einen Service für ihre Nutzer bereit und können so hergestellt werden, dass nach Ablauf ihrer „Dienstzeit“ ein Recycling ihrer Bestandteile möglich ist. Güter, die nicht mehr zu vermarkten sind, wie z. B. gefährlicher Abfall, stellen eine Gefahr für Gesundheit und Umwelt dar und sollten rasch ersetzt werden.

Der alles umspannende „Design“-rahmen, innerhalb dessen wir leben, hat zwei Grundelemente: Masse (die Erde) und Energie (die Sonne). Praktisch nichts gelangt in diesem Planetensystem hinein oder aus diesem heraus außer Hitze und gelegentlich Meteoriten. Ansonsten ist das System geschlossen, und seine Grundelemente sind wertvoll und endlich. Wir haben allein das, was die Natur uns gibt. Was immer der Mensch herstellt, es geht nicht „weg“. Wenn innerhalb unserer Systeme die biologische Masse der Erde kontaminiert wird und weiterhin technische Materialien (wie Metalle) weggeworfen und unbrauchbar gemacht werden, leben wir in der Tat in einer begrenzten Welt, in der die Produktion und der Konsum eingeschränkt sind und künftigen Generationen wenig von den Ressourcen bleiben.

126

Wenn es uns wirklich gut gehen soll, müssen wir lernen, das hoch effektive Wiege-zu-Wiege-System der Natur mit seinen Nährstoffströmen und Metabolismen zu imitieren, ein System, in dem „Abfall“ überhaupt nicht vorkommt. Die Vorstellung, Abfall als Designprinzip abzulegen, bedeutet, Dinge, Produkte, Verpackungen und Systeme von vornherein unter der Voraussetzung zu konzipieren, dass Abfall überhaupt nicht vorkommt. Das heißt, dass die in den Materialien enthaltenen wertvollen Nährstoffe das Design festlegen. Die Evolution, nicht allein die


Verbrauchsgüter von „Biologischen Nährstoffen“ im Biologischen Kreislauf

erneuern

herstellen

nutzen

nutzen

herstellen

erneuern

Gebrauchsgüter von „Technischen Nährstoffen“ im Technischen Kreislauf

erneuern

herstellen

nutzen

nutzen

herstellen

erneuern

Nährstoffkreisläufe (linke Seite links) // Produktkategorien (linke Seite rechts) Nährstoffkreisläufe von Verbrauchsgütern und Gebrauchsgütern

Funktion bestimmt die Form. Darin sehe ich die künftige Methode, Produkte herzustellen. Wie bereits vorgestellt, gibt es zwei unterschiedliche Metabolismen auf unserem Planeten. Der erste ist der biologische Metabolismus oder die Biosphäre, die Kreisläufe der Natur. Der zweite ist der technische Metabolismus oder die Technosphäre, die Kreisläufe der Industrie, zu denen der Abbau mancher technischer Materialien in der Natur zählt. Mit dem richtigen Design werden alle von der Industrie hergestellten Produkte und Materialien diesen zwei Metabolismen zugeführt, um Nahrung für etwas Neues zu liefern. Produkte können entweder aus Materialien bestehen, die biologisch bzw. physikalisch abbaubar sind und so zu Nahrung für biologische Kreisläufe werden, oder aus technischen Materialien, die in geschlossenen technischen Kreisläufen bleiben, in denen sie fortwährend als wertvolle Nährstoffe für die Industrie kreisen (vgl. Grafik 66). Damit diese beiden Metabolismen intakt, produktiv und nutzbringend bleiben, muss die Kontamination des einen durch den anderen unbedingt vermieden werden. Dinge, die in den organischen Stoffwechsel gelangen, dürfen keine Mutagene, Karzinogene, Toxine oder andere Substanzen enthalten, die sich in natürlichen Systemen anreichern

und diese schädigen. Verschiedene Materialien, die dem biologischen Metabolismus abträglich sind, können jedoch ohne weiteres vom technischen Metabolismus aufgenommen werden. Umgekehrt sollten biologische Nährstoffe nicht in den technischen Stoffwechsel geraten, weil sie damit nicht nur der Biosphäre verloren gehen, sondern auch die Qualität des technischen Materials vermindern oder dessen Wiedergewinnung und -verwertung komplizierter gestalten (vgl. Grafik 68).[139] Aus der Ausrichtung der Produkteigenschaften auf die Anforderungen des Cradle to Cradle-Designs resultiert Braungart eine „ABC-X“-Einstufung. Die X-Liste zeigt Substanzen auf, die aus allen Produkten entfernt werden sollten, weil sie bekannt dafür sind krebserregend, mutagen oder auf andere Weise zerstörend auf Mensch und Tier zu wirken. Die Substanzen auf der „Gray List“ sind zwar nicht ideal, es gibt für sie jedoch noch keine Ersatzstoffe, so dass sie momentan für die weitere Produktion unverzichtbar sind. Substanzen aus der passiven Positiv-Liste können genutzt werden, weil sie keinen Einfluss auf die Umwelt haben. Ziel ist es jedoch, Substanzen zu nutzen, die in der aktiven Positiv-Liste aufgrund ihrer nützlichen Qualitäten zusammengefasst werden, weil diese Substanzen absolut verträglich für die Gesundheit des Menschen und die Umwelt sind.[140]


Die Triple-Top-Linie Das strategische Gestaltungselement schafft Werte und führt zu positivem Wachstum

Die neue Designaufgabe Die konventionellen Designkriterien bilden drei Säulen: Kosten, Ästhetik und Funktionalität. Können wir davon profitieren?, fragen Unternehmen. Wird der Kunde es attraktiv finden? Und wird es funktionieren? Vorreiter der „nachhaltigen Entwicklung“ nutzen gerne einen „Triple-Bottom-Linie“-Ansatz, der auf den drei Prinzipien Ökologie, Gerechtigkeit und Ökonomie basiert.[141] Dieser Ansatz hatte einen wichtigen positiven Effekt auf Versuche, Nachhaltigkeitsüberlegungen in die Verantwortlichkeit des Unternehmens einzubringen. Aber in der Praxis ist festzustellen, dass der Ansatz sich oft nur auf wirtschaftlichen Überlegungen konzentriert. Soziale und ökologische Vorteile sind häufig nachgeordnet, statt von Anfang an gleiches Gewicht zugesprochen 128

zu bekommen. Unternehmen berechnen ihre konventionelle ökonomische Profitabilität und addieren das dazu, was sie als die sozialen Vorzüge wahrnehmen, vielleicht mit geringeren Zugeständnissen in Sachen Umweltschutz wie weniger Emissionen, weniger Stoffe, die auf der Deponie landen, weniger, Materialien im Produkt selbst. Mit anderen Worten, sie bewerten ihre Gesundheit, wie sie es immer getan haben ökonomisch und sammeln dann Bonuspunkte für Öko-Effizienz, weniger Unfälle oder Produkthaftungsfälle, zusätzliche Arbeitsplätze und Menschenfreundlichkeit. Wenn Unternehmen nicht die „Triple-Bottom-Linie“ Analyse als strategisches Gestaltungsinstrument nutzen, lassen sie eine günstige Gelegenheit aus. Wirklich überwältigende


Triple Top Line

Ökologie

100

Soziales

Ökonomie Grafik zu Triple Top Line // Gestaltungswerkzeug zur Maximierung des Nutzens

Resultate stellen sich aber ein, wenn die Industrie mit allen diesen Fragen beginnt und sie von Anfang an als „Triple-Bottom-Linie“-Frage ansieht, statt sich ihnen erst im Nachhinein zu widmen. Als ein Gestaltungsinstrument erlaubt das Fraktal (die verkleinerte Kopie seiner selbst, vgl. Grafik 69) dem Planer, Werte in allen drei Sektoren zu schaffen. Oft stellt sich heraus, dass ein Projekt, das mit dezidierten Bemühungen in den Bereichen Ökologie und Gerechtigkeit (Wie schaffe ich einen Lebensraum? Wie schaffe ich Jobs?) beginnt, finanziell unglaublich produktiv ist in einer Weise, die man aus einer rein ökonomischen Perspektive heraus nie möglich gehalten hätte. [142]

Sobald Produkte nach dem öko-effektiven Ansatz optimiert sind und in das Cradle to Cradle-Bezugssystem passen,

kann die „Triple Top Line“ hinzugezogen werden. Die Triple Top Line übernimmt das Konzept der „Triple Bottom Line“ ändert jedoch die Sichtweise: Fort von einer „Reduzierung der Nachteile“ und hin zu einer „Maximierung des Nutzens“. Diese neue Design-Perspektive erzeugt Wachstum: Produkte, die förderlich für die Natur und Kultur sind und gleichzeitig ökonomischen Wert haben. Das Design für die Triple Top Line orientiert sich an den Gesetzen der Natur und zeigt der Industrie Vorgehensweisen auf, um Systeme entwickeln zu können, die auch in Zukunft sicher funktionieren. In intelligent hergestellten Produkten, Prozessen und Produktionsstätten sind Werte und Qualität so enthalten, dass sie erfreuliche anstatt beklagenswerter Spuren hinterlassen.[143]


Eine industrielle Re-Evolution Eine inspirierende Beziehung und Partnerschaft mit der Natur, durch ein kreatives, gedeihendes, intelligentes und fruchtbares System

Jede Nachhaltigkeit beginnt lokal Ein Anfang, menschliche Systeme und Tätigkeiten anzupassen, liegt in der Erkenntnis, dass jede echte Nachhaltigkeit (genau wie beispielsweise jede gute Politik) lokal angepasst ist. Lokale Material- und Energieflüsse und lokale Bräuche, Bedürfnisse und Vorliebe, von der Ebene des Moleküls bis hinauf zur Ebene der Region. Es sollte bedacht werden, wie Chemikalien, die eingesetzt werden, sich auf das Wasser und den Boden des Gebiets auswirken. Wie könnten sie Nährstoffe liefern, statt zu kontaminieren? Woraus wird ein Produkt gemacht, wie sieht die Umgestaltung der Herstellung aus, wie können Prozesse integrieren werden, mit dem, was flussaufwärts und flussabwärts geschieht, wie kann sinnvoll Beschäftigung entstehen, die wirtschaftliche und körperliche Gesundheit der Menschen in der Region erhalten und biologischen und technischen Reichtum 130

für die Zukunft schaffen. Wenn ein Stoff importieren wird, sollten die lokalen Bedingungen unter den gleichen Gesichtspunkten betrachtet werden.[144] Die Idee der lokalen Nachhaltigkeit ist nicht auf Materialien beschränkt, setzt aber bei ihnen an. Die Verwendung heimischer Materialien öffnet die Tür zu einer Gewinn bringenden lokalen Geschäftigkeit. Think global, go local![145] Wenn die Nachhaltigkeit als lokale wie auch globale Aufgabe zu verstehen ist, ist die Freisetzung von Giftstoffen in fließende Gewässer oder die Verschiffung zu anderen, weniger stark überwachten Küsten ebenso wenig akzeptabel wie die Vergiftung des Wassers und der Luft in der direkten Umgebung.


Weberameisen bei der Arbeit

Der Mensch als Werkzeug der Natur Natürliche Systeme entnehmen ihrer Umwelt etwas, aber sie geben auch etwas zurück. Der Kirschbaum lässt seinen Blüten und Blätter fallen, verdunstet Wasser und produziert Sauerstoff, eine Ameisenkolonie verteilt die Nährstoffe wieder überall im Boden. Wir können ihrem Beispiel folgen und eine inspirierendere Beziehung, eine Partnerschaft mit der Natur aufbauen. Wir können Fabriken bauen, deren Produkte und Nebenprodukte das Ökosystem mit verrottendem Material nähren und technische Materialien recyceln, statt sie zu verklappen, zu verbrennen oder zu vergraben. Wir können Systeme entwickeln, die sich selbst regulieren. Statt die Natur als reines Werkzeug für menschliche Ziele zu benutzen, können wir alles daran setzen, Werkzeuge der Natur zu werden, die auch ihren Zielen dienen. Wir können die Fruchtbarkeit in der Welt feiern, statt auf

einem Weg des Denkens und Handelns voranzuschreiten, der diese Fruchtbarkeit ausradiert. Und es kann viele von uns und von den Dingen, die wir herstellen, geben, weil wir das richtige System, ein kreatives, gedeihendes, intelligentes und fruchtbares System, haben und so werden wir wie Ameisen „effektiv“sein. [146]


Leitfaden GLOCAL DESIGN Vier Ansätze für künftiges Wirtschaften und Wirken im Design unter der sozialen, ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten.

1. Lebensqualität als Ziel Ökologie, Ökonomie und Soziales als strategisches Gestaltungselement => von der „Reduzierung der Nachteile“ hin zur „Maximierung des Nutzens“

2. Lösung & Sinn Der Mensch als Werkzeug der Natur => Entstehung eines kreativen, gedeihenden, intelligenten und fruchtbaren Systems

132


3. F reude auf das Folgende Wissen über globale Zusammenhänge lokal ansätzen => lokale Material- und Energieflüsse und lokale Bräuche, Bedürfnisse und Vorlieben stärken

4. Positives Wachstum Nahrung & Nährstoffe in geschlossenen Kreisläufen => nachhaltige Systeme, die natur- und umweltunterstützende Produkte und Prozesse erzeugen


Strategie Allgemeine und diplombezogene Vorgehensweise

Allgemeine Anwendung der Strategie Die entscheidende Frage ist, wo wir einmal stehen möchten. Eine gemeinsame Visionen sind die treibende Kraft für Innovation. Dies beschreibt John Thackara in seinem Buch „In the Buble“.[1] Die Kernthesen Seite 132 dienen als Leitfaden für Wirtschaften und wirken im Design. Den Paragigmenwechsel verstehe ich als Weiterentwicklung in der menschlichen Evolution mit Blick auf das Folgende. Voraussetzung für gelingende

134

Unternehmungen ist die individelle Betrachtung der Herausforderungen und Möglichkeiten bei jedem Vorhaben. Dabei ist Übersicht und Weitblick genauso wichtig wie die Betrachtung von Details. Der Leitfaden ist dabei nicht als starres Gebilde zu verstehen, sondern als Anstoß für Herangehensweisen und Handlungsmöglichkeiten. Dabei kann der Leitfaden in unterschiedlicher Gewichtung maßgeschneidert bei jeder Unternehmung angewendet werden.


Anwendung der Strategie im praktischen Teil Im praktischen Teil meiner Erarbeitung betrachte ich unter den Gesichtspunkten meiner Kernthesen und Ansätze die Kautschukgenossenschaft Mista da Floresta Nacional do Tapajós aus Maguary in Brasilien. Die Untersuchung von Veränderung und Bedeutung des brasilianischen Regenwaldes im globalen und nationalen Zusammenhang, die Analyse der Strukturen und das Herausarbeiten

von Stärken und Schwächen und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten der Kautschukzapfergenossenschaft sind dabei wichtige Elemente des praktischen Teils. Weitere Bestandteile sind das Einbeziehen unmittelbare Probleme, Bedürfnisse und der Kenntnisstand der Betroffenen, die einfache Wissensweitergabe, lokale und verfügbare Ressourcen und die Einbindung der Kultur. Das Aufzeigen von Möglichkeiten mit dem Material Kautschuk schafft Impulse und eröffnet Perspektiven.





B. Praktischer Teil Produktentwicklung mit der Kautschukzapfergenossenschaft Mista da Floresta Nacional do Tapaj贸s aus Maguary im brasilianischen Amazonasgebiet



B.1. Projektreise nach Brasilien Produktentwicklung mit der Kautschukzapfergenossenschaft Mista da Floresta Nacional do Tapaj贸s aus Maguary im brasilianischen Amazonasgebiet


„Damit das Mögliche entsteht, muß immer wieder das Unmögliche versucht werden.” Herrmann Hesse

142



Projektrahmen & Hintergrundinformationen Der Amazonas und das Klima. Die menschlichen Eingriffe verändern die Region drastisch. Das Dorf Maguary ist ein Musterbeispiel für den Grundkonflikt und zeigt, wie das Leben mit der Natur funktionieren kann.

Das Unmögliche versuchen ...

Regenwald-Institut e.V.

... bedeutet in meinem Fall die Reise im Juli 2009 nach Maguary im brasilianischen Regenwald, um mit den Menschen der Kautschukzapfergenossenschaft Mista da Floresta Nacional do Tapajós vor Ort Produkte zu entwickeln. Eine fantastische Reise mit vielen interessanten Begegnungen, Situationen und Erlebnissen und der Erkenntnis, das Mut und Engagement viel bewegen können.

Das Regenwald-Institut e.V. versucht mit innovativen, wissenschaftlich fundierten und nachhaltigen Projekten die Ursachen der Regenwaldvernichtung zu bekämpfen. Ausgangspunkt der Projektansätze ist die betroffene Bevölkerung vor Ort. Hierzu gehören einerseits indigene Bevölkerungsgruppen und traditionelle Waldbewohner, wie beispielsweise die Gummizapfer, deren alleinige Lebensgrundlage der Regenwald ist. Ebenso stellt der Wald für weitere Bevölkerungsgruppen (Siedler, Kleinbauern) letztlich ein „Sicherheitsnetz“ dar, das ihnen beim Wegfall anderer Erwerbsquellen zur Subsistenzsicherung dient. In der „Nachhaltigen Nutzung“ der Regenwälder durch die traditionellen Bevölkerungsgruppen sieht das RegenwaldInstitut einen zentralen Beitrag zu einem dauerhaften Regenwaldschutz. Wenn diese traditionellen Bevölkerungsgruppen in der Lage sind, aus den natürlichen, von den Wäldern zur Verfügung gestellten Nicht-Holz-Rohstoffen (z.B. Samen, Früchte, Öle, Harze, Pflanzenfasern, Latex) ansprechende, dem Zeitgeist entsprechende Produkte herzustellen und erfolgreich zu vermarkten, so ist dies die beste Rückversicherung für einen dauerhaften Bestand der Wälder und für die Fortführung eines traditionellen Lebensstils jenseits der Armutsgrenze. Für das Erreichen dieser Ziele bricht das Regenwald-Institut die bisher in der Entwicklungszusammenarbeit angewandten Strukturen um die klassischen Disziplinen der Bio-, Forstund Agrarwissenschaft auf und verknüpft sie mit innovativen Ansätzen aus anderen, fachfremden Fachbereichen.

Nach der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema GLOCAL DESIGN – Wandel und Möglichkeiten von Design im globalen Kontext suchte ich einen Projektpartner, mit dem ich meine Erkenntnisse praktisch Umsetzen konnte. Erstens das Verstehen globaler Zusammenhänge und die Verfolgung grundlegender Methoden. Um diese globalen Herausforderungen zu lösen ist zweitens das lokale Ansetzen unverzichtbar. Das Wissen über unmittelbare Probleme und Bedürfnisse und den Kenntnisstand der Betroffenen, die einfache Wissensweitergabe, lokale und verfügbare Ressourcen und die Einbindung der Kultur sind wichtige Bestandteile des praktischen Teils meiner Diplomarbeit. Das Regenwald-Institut e.V., vertreten durch Dr. Rainer Putz, stand meinem Projektansatz offen gegenüber und unterstützte mich bei meiner Reise. Die Kautschukzapfergenossenschaft aus Maguary erwies sich als ideales Beispiel für die Zusammenhänge von global und lokal. 144



Bedeutung für das Weltklima

Die Kettenreaktion der Regenwaldzerstörung

Der Amazonas-Regenwald ist heute mit 5,4 Millionen Quadratkilometern das größte zusammenhängende Regenwaldgebiet der Welt, gefolgt von den Regenwäldern im Herzen Afrikas und Indonesiens.

Die Zerstörung der Amazonas-Regenwälder hat eine erschreckende Effizienz erreicht: Um einen lebendigen Regenwald in der Größe eines Fußballfeldes in eine tote Wüste zu verwandeln, braucht eine perfektionierte Maschinerie nur wenige Sekunden. Denn pro Minute gehen mindestens 4,5 Fußballfelder Regenwald verloren. Die Satellitenbilder von Rondônia auf Seite 94 zeigen die enorme Geschwindigkeit der Abholzung.

Eine Besonderheit dieser großen Regenwaldregionen ist die Fähigkeit, durch ihre Wasserkreisläufe das Klima stark zu beeinflussen. Der Amazonas-Regenwald erfüllt im Bezug auf das Weltklima zwei wichtige Funktionen: Erstens ist er ein mächtiger Speicher für organischen Kohlenstoff, der in der riesigen Pflanzenmasse des tropischen Regenwaldes gebunden ist. Das Gesamtgewicht der Pflanzen auf einem Hektar kann über 1.000 Tonnen betragen. Bei Zerstörung der Pflanzenmasse durch Abholzung, Waldbrände und Dürre entweicht Kohlenstoff und verbindet sich in der Luft mit Sauerstoff zu dem Treibhausgas CO2. Zweitens funktioniert er wie eine riesige Klimaanlage. Die Hälfte der Sonnenenergie, die auf den Wald einstrahlt, wird durch Verdunstung in riesige Mengen Wasserdampf umgewandelt. Die dadurch entstehenden Wolken versorgen den Wasserkreislauf des Regenwaldes und haben gleichzeitig einen kühlenden Effekt auf das Weltklima. Verschwindet der Wald, gehen auch die Niederschläge zurück. Die Veränderungen im regionalen und globalen Klimakreislauf könnten am Amazonas zu etwa 20 Prozent weniger Regen führen und wird nicht nur in Amazonien, sondern in Regionen der ganzen Welt zu spüren sein. Amazonien gehört zu den am reichhaltigsten gefüllten Schatzkammern der Artenvielfalt: Etwa zehn Prozent aller Tiere und Pflanzen, die es auf der Erde gibt, sind hier zu finden. In dieser Region leben mehr als 427 verschiedene Säugetier- und 1.294 Vogelarten. Rund 3.000 Fischarten bevölkern diese wasserreiche Landschaft, und mehr als eine 100.000 unterschiedliche Insekten und mindestens 40.000 Pflanzenarten zaubern unendlich viele Farbtupfer in die Wälder und an die Ufer der Flüsse. Die immense Artenvielfalt ergibt sich aus dem Nebeneinander verschiedener Lebensräume, die diese Region den Tieren und Pflanzen bietet: Riesige Regenwaldformationen wechseln sich mit Überschwemmungswäldern und mit Savannen-ähnlichen Bereichen und Flussformationen ab, in denen zum Überleben unzählige „Spezialisten“ über Jahrtausende entstanden sind. 146

Diese Zerstörungsmaschinerie wälzt sich in einer breiten Front von Süden und Südosten aus über Amazonien. Wie Speerspitzen schlagen zunächst Straßen, Pipelines und Staudämme tiefe Wunden in den Regenwald. Damit ist der Weg frei für die Holzfäller. Rechts und links der Straße dringen sie in den Regenwald ein und fällen die wertvollsten Baumarten. Die kreischenden Motorsägen schneiden Löcher in die dicht vernetzte Vegetation des Waldes. Durch das Loch im Blätterdach trocknen Sonnenstrahlen anschließend das Unterholz aus, so dass es einem Feuer idealen Nährboden bietet. Verfügt der Wald über keine gewinnbringenden Bäume mehr, kommen die Flammen. Von einem Feuerzeug springen sie auf das benzingetränkte Unterholz und fressen sich durch den noch verbliebenen Wald. Kaum sind die Feuer erloschen, werden die Flächen schon von den riesigen Rinderherden gestürmt. Denn ihre alten Weiden sind abgegrast. Diese wiederum werden von der Agrarindustrie mit ihren Hauptprodukten Soja, Mais und Zuckerrohr belegt, da sie immer mehr Fläche dafür brauchen. Seit einigen Jahren nimmt der Sojaanbau bei der Zerstörung des Amazonasregenwalds eine führende Rolle ein. Die Waldrodung für den Sojaanbau verläuft noch schneller und großflächiger als die Regenwaldzerstörung für die Schaffung von Rinderweiden. Seit kein Tiermehl mehr verfüttert werden darf, ist Soja das wichtigste Futtermittel für Schweine, Hühner und Rinder - auch in Europa. Die meisten Schnitzel, die wir uns schmecken lassen, haben ihren Ursprung also auch im Amazonasregenwald. Dabei gibt es bereits alternatives Soja, für das kein Regenwald gerodet wurde. Santaém ist dabei in den vergangenen zwei Jahrzehnten zum Einfalltor geworden. In Santarém am Rio Tapajós, der dort in einem breiten Trichter in den Amazonas mündet, liegt der große Sojahafen der US-amerikanischen Firma Cargill Incorporate. Während die Sojabauern in der Vergangenheit ihre Produktion auf Lastern über Tausende von Kilometern in die südostbrasilianischen


gerodeter Wald // Porto de Moz, Bundesstaat Pará, Brasilien (oben) unberührter Primärwald // Porto de Moz, Bundesstaat Pará, Brasilien


Häfen transportieren mussten, können sie seit wenigen Jahren die preisgünstigere Nordroute wählen. Nach der vollständigen Asphaltierung der Bundesstraße BR 163, die in Kürze vollendet sein wird, sollen sich die Kosten sogar noch weiter verringern. Momentan deutet wenig darauf hin, dass der Sojaboom, der Brasilien seit etwa zwei Jahrzehnten heimsucht, langfristig gebremst werden könnte. Landrechtsprobleme heizen die verheerende Vernichtungsdynamik noch an. Da keine genauen Vermessungsdaten vorliegen, gibt es kein Grundbuch, das den Besitz der Regenwaldflächen regelt. Was legal oder illegal ist, bleibt oft der Interpretation der Behörden überlassen.

Der Nationalpark Flona Tapajós Die brasilianische Umweltbehörde IBAMA verfolgt das Ziel, nachhaltiges Leben mit und von dem Wald zu ermöglichen. Der Nationalpark Flona Tapajos im Süden von Santarém im Bundesstaat Pará wurde bereits 1974 gegründet und umfasst 544 000 Primärwald. Dort leben in 29 Gemeinden zirka 1900 Familien. Das Schutzgebiet liegt im Osten den Bundesstaates Pará, begrenzt im Osten vom Fluss Tapajos und im Westen von der Bundesstraße BR-163 Cuiabá-Santarém. Ziel des Nationalparks ist, ein Gebiet mit geschlossener Walddecke mit überwiegend einheimischen Arten zu schützen und den Bewohnern ein Leben im Einklang mit der Natur zu bieten. In der IBAMA hat die Flona Tapajós einen hohen Stellenwert. Der Nationalpark hat eine lange Historie, in der wichtige Projekte wie das Pilot-Programm zum Schutze der brasilianischen Regenwälder (PPG7) mit Unterstützung von verschiedenen brasilianischen Ministerien, Repräsentanten der Weltbank, der Europäischen Union und der Länder der G-7-Gruppe durchgeführt wurden. Die hier gesammelten Erfahrungen und entwickelten Konzepte fließen in den künftigen Regenwaldschutz mit ein. Des Weiteren liegt die Flona Tapajós Nahe der Provinzhauptstadt Santarém, in der die Umweltbehörde eine Regionalverwaltung betreibt. Nationale wie internationale Forscher haben so einen schnellen Zugang zum Wald, um Konzepte für nachhaltige Forstwirtschaft zu erarbeiten, wissenschaftliche Forschungen zu Flora und Fauna, dem Wasserkreislauf oder dem Leben der Bewohner durchzuführen. Auch die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme und die Umweltbildung sind wichtige Schwerpunkte des Nationalparkkonzeptes. Lernen mit dem Wald zu leben. Das ist die einzige Chance für Mensch und Umwelt. 148

Leben von und mit der Natur In dem kleinen Dorf Maguary (Betonung auf –y) inmitten der Flona wohnen einige Dutzend einheimische Familien, direkt am Rio Tapajós, in kleinen, primitiven Holz- oder Backsteinhäuschen, mit einfachen Sanitäranlagen, Trinkwasser und Stromanschluss. Die Menschen leben von einfacher Landwirtschaft und versuchen, sich eine alternative Einnahmequelle zu erschließen: Mit Hilfe von Kautschuk, den sie aus den Bäumen zapfen, produzieren sie Latex und verarbeiten es zu Handtaschen, Schuhen und anderen Accessoires. Der Absatzmarkt ist begrenzt, auch wenn inzwischen Anfragen übers Internet aus brasilianischen Metropolen und aus Europa eingehen. Die nötige Infrastruktur und das Wissen für einen Vertrieb fehlt jedoch. Das kleine Dorf Maguary inmitten des Schutzwaldes ist ein Musterbeispiel für den Grundkonflikt in Amazonien. Während die Großgrundbesitzer und Großunternehmen großflächig für den Weltmarkt produzieren, erhalten die Einheimischen die Natur und versuchen, trotzdem zu existieren.

Kautschukzapfergenossenschaft aus Maguary Dank des intelligenten und motivierten lokalen Unternehmers Arimar Feitosa, ist es der Gemeinde Maguary gelungen, aus ihrer Kautschuktradition heraus neue Produkte zu entwickeln. Arimar Feitosa gründete 1997 die Genossenschaft Couro Ecológico (Naturleder), die lokal geernteten Kautschuk für ihre Produktion verwendet. Couro Ecologico ist mittlerweile auf etwa 20 Arbeitnehmer gewachsen. Für die Frauen und Männer eine gute Chance ihren Lebensunterhalt zu verdienen, da es im gesamten Nationalpark nur sehr wenig Arbeitsstellen gibt und wirtschaftliche Möglichkeiten begrenzt sind. Das Projekt gibt den Mitgliedern der Gemeinschaft die Möglichkeit, ein menschenwürdiges Leben zu führen und ihre Kultur und Identität beizubehalten, während sie nachhaltig forstliche Ressourcen nutzen. Die Genossenschaft erwirtschaftet Gewinne und sichert so das Einkommen vieler Familien. Dieses Einkommen macht auch weniger abhängig gegenüber staatlicher oder ausländischer Beihilfe. Innovationen wie die Genossenschaft Couro Ecológico dienen als erfolgreiches und inspirierendes Modell für andere Gemeinschaften und benachbarte Gemeinden, die dem Beispiel folgen. Hier Leben die Menschen mit und von der Natur.


Sojafarm nahe des Xingu Indianerreservats // Mato Grosso, Brasilien (oben) unber체hrter Prim채rwald und entwaldete Landwirtschaftsfl채chen nebeneinander // Mato Grosso, Brasilien


Von den Indianern zum Kautschukboom

Der Gummizapfer (Seringueiro) markiert die Bäume (oben) in seinem Revier. Damit seine Arbeit rentabel wird, braucht er etwa 100 Kautschukbäume, die mit einer Dichte von 10 Bäumen pro Hektar wachsen. Jeden Tag muss er alle seine Bäume in den ersten vier Stunden des Tages melken, bevor die Sonne die Säfte aufsaugt und den Riss in der Rinde verschließt. So erhält der Seringueiro 5 bis 6 kg Flüssigkeit pro Baum, die er nach Rückkehr zu seiner Hütte im Rauch eines Feuers aus grünen Palmennüssen zum Gerinnen bringt. Das macht er so lange, bis er einen Kautschukballen (oben rechts) von 30 bis 40 kg Gewicht erhält. Danach geht er in den Wald um Nüsse für den folgenden Tag zu sammeln. Erst dann kann er sich um sein Essen kümmern und ein wenig ausruhen. 150

Ursprünglich war das Vorkommen auf das tropische Amazonasbecken beschränkt. Die Indianer nannten die Pflanze auch „ca-hu-chu“, was soviel wie „weinendes Holz“ bedeutet. Im 15. Jahrhundert berichteten die Portugiesen zuerst von Latex und erkannten die positiven Eigenschaften, wie zum Beispiel die Möglichkeit, wasserdichte Kleidung durch Beschichtung mit dem dickflüssigen Saft herzustellen. Nach der Entdeckung des Herstellungsverfahrens von Gummi (Vulkanisation) im Jahr 1839 erhöhte sich die Nachfrage enorm und bescherte zur Jahrhundertwende der Amazonasregion um Manaus und Belém einem Kautschukboom. Manaus entwickelte sich zu einer reichen Metropole, mit einer der weltweit ersten elektrischen Straßenbahn, einem großen Opernhaus und allen Annehmlichkeiten die Metropolen wie London und Paris zu dieser Zeit boten. Auf dem Höhepunkt des brasilianischen Kautschukboomes wurden 80 Millionen Hevea-Bäume auf 3 Millionen Quadratkilometern Urwald angezapft. Manaus exportiert jährlich 80 000 t Rohkautschuk. Die Exportzölle darauf machten allein 40 % des brasilianischen Staatshaushaltes aus. So hatten die Gummizapfer in den entlegenen, von der globalen Entwicklung völlig abgekoppelten


Transport dvon Kautschukballen über Flüsse viele Kilometer bis nach Manaus Stapel Kautschukballen bei einem Händler

Regenwäldern plötzlich einen entscheidenen Anteil am rasch wachsenden Wohlstand vieler Industrieländer, von dem sie selbst jedoch völlig ausgeschlossen bleiben. Brasilien hielt das Weltmonopol über Jahrzehnte, auch nachdem in den afrikanischen Tropen Naturkautschuk gewonnen wurde. Nach mehreren missglückten Versuchen anderer gelang es 1876 dem Abenteurer Henry Wickham im Auftrag des britischen India Office und der Königlich Botanischen Gärten von Kew bei London, den Samen außer Landes zu bringen. In den ostasiatischen Gebieten der Straits Settlements entstanden nach verschiedenen Rückschlägen in den 1890er Jahren die ersten Plantagen, die ihre Produkte ab 1905 auf den Weltmarkt brachten. Bald verdrängte britischer Kautschuk aus Malaysia den brasilianischen vom Weltmarkt. Das aufgebaute Imperium in Brasilien brach binnen kurzer Zeit wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Heutige Vorfahren Eine Renaissance stellt sich im Verlauf des 2. Weltkriegs ein, als die südostasiatischen Plantagen in die Hände der Japaner fielen. Dies führt zur Ausbildung sogenannter „Gummisoldaten“

in Brasilien, welche nun per Befehl in die Wälder zogen, um den kriegswichtigen Rohstoff zu sammmeln. Die Wehrpflichtgen wurden vor die Wahl gestellt entweder in den Krieg gegen die Deutschen zu ziehen oder Gummizapfer zu werden. Bevor sie ihre Arbeit begannen, waren die Gummisoldaten bereits verschuldet. Sie mussten ihre Ausrüstung sowie Lebensmittel mit Gummi abzahlen. Dieses Lieferungssystem machte es ihnen unmöglich, jemals zu Geld zu gelangen und so konnten sie auch nach Ende des Krieges nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die bis heute in den Wäldern lebenden Gummizapfer sind allesamt Nachfahren dieser „Gummisoldaten“. Sie führen ein sehr traditionelles Leben im Einklang mit der Natur und versuchen ihre Existenz weiterhin auf der Basis der Latexproduktion in der Herstellung von einfachen Produkten aus Naturlatex zu erwirtschaften. Ihre Arbeit und der Fortbestand ihrer Tradition ist ein wichtiger Baustein zu einem langfristigen Schutz der Regenwälder, zumal die Existenz vieler Regenwaldschutzgebiete, sogenannte Sammlerreservate (RESEX) unmittelbar von ihrer Tätigkeit abhängt. Leider gibt es aktuell praktisch keinen Markt für den sehr aufwändig geernteten und daher sehr teuren Naturlatex, so dass für die weitere Existenz der Gummizapfer eine lokale Wertschöpfung aus Rohlatex in Form der Entwicklung von verkaufsfertigen Endprodukten unverzichtbar ist.


Oliver Heintz, Dr. Rainer Putz und Wolfgang Meier

Design in der Entwicklungshilfe Die Auseinandersetzung mit dem Thema Entwicklungszusammenarbeit begann 2002 mit der Chance meinen Ersatzdienst in Brasilien zu machen. Im allgemeinen Sprachgebrauch umschreibt man mit dem Begriff der „Entwicklungshilfe“ eine Hilfsleistung der sogenannten „Ersten Welt“ an die „Dritte Welt“. Allein schon die Verwendung von Terminologien wie „Dritte Welt“ oder „Entwicklungsländer“ ist mehr als problematisch, da damit die Gefahr einer Wertung einhergeht. Charakteristisch für sogenannte „Entwicklungsländer“ ist die oft unzureichende Fähigkeit, die eigene Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Arm im eigentlichen Sinne ist nicht derjenige, der kein Geld besitzt beziehungsweise keine Kaufkraft, sondern der, der es nicht schafft, seine Grundbedürfnisse zu stillen, mit anderen Worten: ein menschenwürdiges Leben zu leben. Dazu gehört eine ausreichende Versorgung mit Trinkwasser und sanitären Anlagen, hinreichende Nahrungsmittel, eine adäquate medizinische Versorgung, eine Behausung zum Schutz vor äußeren Einflüssen, aber auch die Möglichkeit der Bildung beziehungsweise geistiger Weiterentwicklung und der Subsistenzsicherung. 152

Die Arbeit in der Kindertagesstätte PROMEC zeigte mir, dass die Betrachtung des großen Ganzen und des Details wichtig ist um Lösungen für Herausforderungen zu finden. Gerade im Design wird versucht mittels Nutzungsszenarien die spätere Verwendung möglichst genau vorherzubestimmen. Eine ursprüngliche Intention kann sich unter Umständen in eine nicht geahnte Richtung entwickeln. Ein Produkt, das seine eigentliche Bestimmung verfehlt, würde in der westlichen Welt lediglich zu einem Flop am Markt führen. Im Kontext der Entwicklungshilfe könnte ein solcher Flop eine weitaus größere Tragweite bekommen. Nicht immer gelingt die Übertragung vom Sender an den Empfänger mittels selbst erklärendem Design problemlos. Im Falle der Entwicklungshilfe ist zudem die nicht zu unterschätzende kulturelle Differenz zwischengeschaltet. Dass Maßnahmen der Entwicklungshilfe von ausgeprägter Sensibilität begleitet sein müssen, ist nachvollziehbar. Daher sollten meine Entwürfe den Menschen Möglichkeiten aufzeigen, was aus ihrer Ressource Kautschuk und mit ihrem bisherigen Wissen herstellbar ist. Das implizieren von Produkten, die nicht im Kontext der Genossenschaft stehen, wollte ich vermeiden. D ies ist aus meiner Sicht klar der falsche Weg, weshalb


Reisevorbereitung ich auch im Folgenden dazu übergehe, den landläufigen Begriff „Entwicklungshilfe“ durch „Entwicklungszusammenarbeit“ zu ersetzen um die Interaktion von Designer und Benutzer hervorheben. Im Mittelpunkt sollten also eine möglichst weitreichende Anpassung der Produkte an die kulturellen Begebenheiten vor Ort stehen. Zielsetzung war, Produkte entstehen zu lassen, die der Subsistenzsicherung dienen und der Genossenschaft neue Möglichkeiten aufzeigen. Nicht technisch komplex, sondern einfach verständlich und mittels lokaler Materialien und Fertigungstechniken umgesetzt. Des Weiteren sollte der Arbeitsaufenthalt zeigen, dass kleine Impulse neue Möglich eröffnen. Eine ausgeprägte Evaluation der herbeigeführten Situation, aber auch eine Reflexion der eigenen Tätigkeit waren hierbei wichtige Bausteine. Dadurch ergaben sich eine Reihe von Erkenntnisse, die ich teilweise auch bei der Erarbeitung des theoretischen Teiles festgestellte.

Mitte Mai 2009 konkretisierte sich die Planung für die Produktentwicklung mit der Kautschukgenossenschaft. Das Regenwald-Institut stellte Hintergrundinformationen und die nötigen Kontakte bereit, so dass mir eine umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Thema Amazonien und der Genossenschaft, sowie eine Analyse des Materials Kautschuk möglich war. Erste Materialtest mit Kautschuk aus dem Bastelversand erwiesen sich als hilfreiches Basiswissen. Im Laufe der Vorbereitung auf die einmonatige Reise im Juli 2009 stellte sich heraus, das zur selben Zeit auch Oliver Heintz von der Firma Bark Cloth ein Projekt mit der Genossenschaft plant. Bark Cloth produziert und vertreibt in Uganda hergestellte Rindenstoffe. Diese Stoffe wollte Oliver Heintz von der Genossenschaft latexieren lassen. Um einen einfacheren Projektstart zu gewährleisten organisierte auch Rainer Putz vom Regenwald-Institut einen Aufenthalt für wenige Tage in Santarém. Vor Ort erwies sich Wolfgang Meier als eine sehr hilfreiche Unterstützung. Auch der intensive Austausch und die Praxisberichte über das Thema Entwicklungszusammenarbeit waren sehr aufschlussreich. Vielen Dank für die tolle Unterstützung!


154


Brasilien Juli 2009 Reisetagebuch & Erfahrungsbericht


02. Juli, 10:15 Uhr Paris, Charles de Gaulle Airport, kurz vor dem Start von Paris nach Rio

Der Beginn meiner Reise war Flughafen Münster/ Osnabrück um 6:30 Uhr. Jedoch begann der Tag wesentlich früher. Mit Vogelgezwitscher und einem Frühstück mit meinem Vater. Trotz meiner Unorganisiertheit kamen wir pünktlich los. Nun bin ich schon in Paris im Flugzeug nach Rio. Der Kapitän des Flugzeuges zeigt gerade Kartentricks und macht Späße mit den Fluggästen. Scheint eine Imageoffensive von AirFrance nach dem Flugzeugabsturz am Pfingstmontag vor Recife zu sein. Vertrauen ist immer gut. Noch immer steigen Passagiere ein, aber ich habe anscheinend mal wieder Glück und ergattere einen Doppelplatz. Kluge Entscheidung in der Woche zu fliegen und einen Gangplatz hinten im Flugzeug zu buchen. Mal sehen ob das so bleibt. Habe leider meine Zeitschrift im Zubringerflugzeug vergessen. Wird sicher genug zu erleben sein, so dass ich gar nicht zum lesen kommen werde. Bin schon sehr gespannt. Der Kapitain ist immer noch bei seinen Tricks. Wird ein guter Flug und eine tolle Reise.

156


02. Juli, 1 4:07 Uhr In der Luft vor Recife

Der Flug zieht sich. Nach zwei Animationsfilmen und zwei mittellangen Schlafphasen machen mich die Beatles wieder munter. ¼ der Flugzeit fehlen noch. Habe gerade im Airfrance-Kundenmagazin Gummischuhe von Lacoste gefunden. Der Stiefel ist von Zaha Hadid. Die sehen recht schick aus. Mal sehen worauf sich die Leute in der Flona Tapajos einlassen. Denke eine Stufe weniger krass könnte funktionieren. Die Möglichkeiten der Produktion sind sicher begrenzt. Schön die portugiesische Sprache zu hören. Musik in meinen Ohren. Werde versuchen meine Zunge so schnell wie möglich zu lockern.


03. Juli, 08:20 Uhr Frühstück in Santarém

Wie schön dass die Brasilianer auch so gerne Kaffee trinken. Ich sitze im Frühstücksraum meines Hotels und genieße das schwarze Getränk. Leider hat sich der Himmel schon wieder zugezogen. Heute Nacht gab es einen heftigen Regenschauer. Gestern nach meiner Ankunft war der Himmel ganz anders. Ankunft hier in Santarém war um 6:20 Uhr nach einem schönen Flug von Manaus. Sonnenaufgang und die Weite des Amazonas. Zuvor in der Dunkelheit der Nacht konnte ich keine Städte oder Dörfer entlang des Amazonas erkennen. Alles tiefschwarz. Ganz schön beeindruckend. Und dann nach dem breiten Rio Tapajos landete das Flugzeug mitten im Wald. Beeindruckend! Wolfgang Meier hat mich am Flughafen abgeholt und mit zu seiner Sitiu genommen. Ein kleines, aber feines

Haus mitten im Wald. Der Boden ist sehr sandig dort, so dass dort nur kleine Bäume wachsen. Viele Obstbäume hat Wolfgang dort mit seiner Frau geplanzt. Auch Schwimmteiche und einen kleinen Squash Platz hat er angelegt. Fast Parkähnlich. Auch einen kleinen Gemüsegarten haben die beiden. Kostet sicher viel Mühe das Ganze schön zu halten. 158


Nach einem kleinen Aufenthalt in dem Wohnhaus von Wolfgang und seiner Frau Sonia konnte ich kurz Mails checken. Noch steckte der gestresste Mitteleuropäer in mir. Im Erdgeschoss des Wohnhauses befindet sich auch das Büro der Organisation IARA, bei der Wolfgang arbeitet. Hier lernte ich auch seine Mitarbeiter kennen. Wolfgang ist, wie so viele Menschen die sich für eine bestimmte Sache einsetzen, ein Idealist. Wie Don Quichote. Bemüht die Welt zu verbessern. Jedoch sind die Windmühlenräder häufig schneller, als das Don Quichote etwas ändern könnte. Also wo ansetzen? Ist die Arbeit die ich plane, ein Ansatz oder hat sie für die Leute keinen Wert? Wo ist der Hebel, wo ist die Schraube, an der Veränderung ansetzt? Ich denke darüber werde ich noch einmal mit Wolfgang diskutieren. Dann führen wir zur Umweltbehörde IBAMA (Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis = Brasilianisches Institut für Umwelt und erneuerbare natürliche Ressourcen), um eine Aufenthaltserlaubnis für die Zeit in dem Naturschutzgebiet Flona Tapajos zu beantragen. Wie Wolfgang mir berichtete ist die IBAMA hier in Santarém eine kleine und wie in Brasilien häufig sehr bürokratische Behörde. Aber vor allem ist sie hier total unterbesetzt. Die IBAMA versucht gegen Umweltzerstörung, Abholzung und Verschmutzung vorzugehen. Aber Brasilien ist zu groß, als das eine Behörde mit so wenigen Mitarbeitern etwas ausrichten kann. Manuella, eine große und gescheit aussehende junge Frau, empfing uns und nahm die Informationen von Wolfgang über mein Vorhaben interessiert auf. Wir bekommen unsere Aufenthaltserlaubnis. Also doch gar nicht so bürokratisch. Noch immer sitze ich im Frühstückssaal. Die anderen Gäste sind schon fertig mit ihrem Frühstück. Ich sitze allein mit meinem Kaffee und einem tollen Blick gen Himmel. Brasilien hatte schon immer den tollsten Himmel. O céu azul com nuvens brancas. Wolfgangs Frau Sonia hat mich heute zum Mittagessen bei ihrer Familie eingeladen. Ich werde versuchen mich mit der Familie zu unterhalten. Dabei möchte ich erfahren, wie sie Brasiliens Position in der Welt und die Wichtigkeit des Amazonasgebietes sehen. Doch zuerst werde ich den Sojahafen von Santarém besichtigen. Auch so ein Ergebnis der Globalisierung.


03. Juli, 11:20 Uhr Nach einer Erkundungstour durch Santarém

Die Stadt Santarém ist doch nicht so groß wie ich ursprünglich dachte. Ich habe nur etwas mehr als eine Stunde gebraucht, um mir den Sojahafen und die nähere Umgebung anzusehen. Der neue Sojahafen ist beeindruckend. Wie Wolfgang mir berichtete, ist der Hafen nur mit einer vorläufigen Genehmigung errichtet worden. Ich denke da war Schmiergeld und höheres Interesse im Spiel. Der Amazonas ist hier in Santarém und flussaufwärts noch bis Manaus für hochseetaugliche Schiffe mit mehr Tiefgang befahrbar. Also richtig große Schiffe können hier anlegen und das Soja laden. Die Bundesstraße BR 163 verbindet Cuiabá mit Santarém, der Hauptstadt des Bundesstaates Mato Grosso. Ursprünglich war auch dieser Bundesstaat komplett bewaldet. Heute ist Mato Grosso, was Urwald bedeutet, Hauptanbaugebiet für Soja in Brasilien. Der neue Hafen in Santarém verkürzt die Transportwege, was auch die Preise senkt. Außerdem erhöht der Hafen den Druck auf die gesamte Region, mehr Soja anzubauen. Viele Großbauern aus den südlichen Bundesstaaten kaufen günstig Land von Kleinbaunern, die zuvor den Primärwald abgeholzt haben und bauen dann Soja an. So waschen sie ihre Hände in Unschuld. Und der Wald verschwindet trotzdem. 160



03. Juli, 16:35 Uhr Brasilianisches Grillfest churrasco Das Wetter zehrt doch ganz schön an meinen Kräften. Ich versuche mehr Wasser zu trinken, damit mein Kreislauf fit wird. Es hat gerade zu regnen begonnen. Ich sitze vor dem Hotel und genieße den Wind. Fast ein wenig frisch, aber sehr angenehm. Das Mittagessen bei der Familie von Wolfgang war ein typisches brasilianisches Fest. Reis, Bohnen, Pasta, Grillfleisch und etwas Salat. Zum Nachtisch ultrasüßen Pudding. Viel zu süß. Aber alles sehr lecker. Ein so brasilianischer Geschmack für mich. Die Familie ist sehr nett und interessiert. Mein Portugiesisch kommt immer mehr zurück. Aber Teilweise ist es auch sehr schlecht. Thema Fußball geht immer. Die Leute sind gut über den deutschen Fußball informiert. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so gut über die deutsche Bundesliga bescheid wissen. Die Brasilianer schauen halt gerne und viel Fern und Fußball ist fest in der brasilianischen Seele verankert. 162


: )

Die brasilianische Esskultur ist sehr auf einfache und traditionelle Dinge ausgerichtet. Viele Kohlenhydrate, Eiweiße und Zucker. Wundert mich nicht, dass die etwas wohlhabende und vor allem ältere Schicht fast alle Dicke sind. Selbst kinder und Jugendliche haben häufig schon Ansatz. Schmeckt auch einfach zu gut. Ein längeres Gespräch mit der Tante Vera hat mir interessante Ansichten einer Mittelschichtsfrau über Politik gebracht. Vera erzählte, dass es häufig motivierte Aufsteiger in der Politik gibt, die, wenn sie an der Macht sind, korrupt werden und dann nur noch wenig bewegen. Gleichberechtigung in der Gesellschaft wird nicht gewünscht. Die Mehrheit des Volkes wird vom Staat klein gehalten. Bildung ist wie immer der Schlüssel zum mündigen Bürger und zu Veränderung. Chancengleichheit besteht nicht wirklich und wird nicht gewollt. Politisches Engagement bedarf Mut und die hat sie nicht, sagt Vera.

=> Der erste Schritt ist die gedankliche Auseinandersetzung mit einem Thema, das dann über Diskussion mit anderen Menschen eine Meinung formt. => Der zweite Schritt ist, aus der Überzeugung heraus sein Handeln zu ändern und zu versuchen andere anzustecken und abzufärben. Bildung ist der Grundstock für einen mündigen Bürger. Gleichberechtigung ein Ziel. Zusammenhalt der Gesellschaft und gemeinsame Verantwortung gegenüber Anderen ein weiteres Ziel.

Viele Dinge also und große Ziele. Jeder einzelne kann etwas bewegen, häufig fehlt jedoch das Wissen oder der Anreiz dazu. Ist es dann die Politik oder der Unternehmer, der das Potential hat, etwas anzustoßen?


04. Juli, 09:10 Uhr Spaziergang durch Santarém

Die Brasilianer sind erstaunlicherweise gut über Deutschland informiert. Die Deutschen wissen meiner Meinung nach nicht so viel über andere Länder oder kennen nur Klischees. Vor einer Kirche in Santarém in einem kleinen Park habe ich einen Herrn und zwei junge Mädchen kennengelernt. Wir haben uns etwas unterhalten und ich habe von Deutschland erzählt. Die Leute sind immer interessiert. Das ist erstaunlich und schön. Wir leben ganz schön privilegiert. Unsere Struktur, die Möglichkeiten die jedem mehr oder weniger geboten werden, die Bildung und deren Zugang und die Unterstützung auch für dieses Projekt sind ein Segen. Dafür kann man nicht genug dankbar sein. Mir geht es schon richtig gut.

Es macht Spaß das quirlige Leben in den Straßen zu durchlaufen. Das hat mir in China schon sehr gefallen. Auch hier gibt es viele junge Menschen. Die 80er Generation ist auch hier sehr groß.

164


Der Abend mit der Tante Vera war sehr schön. Vielleicht war ich nicht ganz locker, aber ich hatte meinen Spaß. Leider ist mein portugiesisch nach zwei Tagen Brasilien noch sehr schlecht. Sprache ist der Schlüssel zur Verständigung. Vera ist eine sehr disziplinierte Frau. Sie erzählte ein wenig aus ihrem Leben. Disziplin und Ehrgeiz sind meiner Meinung nach gute Eigenschaften, gepaart mit Leidenschaft für eine Sache. An der Promenade in Santarém habe ich gestern Abend einen ganz tollen Sonnenuntergang beobachtet. Wunderschön. Und der Himmel von einer Seite des Erdball bis zur anderen. Die Natur ist immer wieder so beeindruckend.


05. Juli, 18:20 Uhr Auf dem Landgut (Sítio) von Wolfgang Meier

Ich habe mich getäuscht. Die Projekte hier im Regenwald sind doch erfolgreich. Wolfgang hat mir von seinen Projekten der Fischerei erzählt. Das Konzept seines Projektes wurde sogar auf andere Regionen übertragen. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. So wie er berichtete ist der Erfolg von vielen Faktoren abhängig. Generell kann man sagen, dass die Politik in Brasília die Ziele verfolgen und vertreten muss und gleichzeitig muss man vor Ort versuchen mit den Betroffenen zu arbeiten, und zwar konsequent. Also auch mit Maßnahmen, die Strafen darstellen. Zum Beispiel werden den Fischern bei Überfischung die Netze oder die Fischereilizenz entzogen.

=> Das große Ganze ist wichtig und konkrete Handlungsanweisungen, Vorgehensweisen und Regeln Bei allen Dingen ist es aber wichtig, nicht nur von oben herab zu handeln, sondern zu wissen, wie die Basis funktioniert. Diesen Fehler begeht die brasilianische Regierung anscheinend des öfteren. Viele Projekte und Initiativen sind zu kurz geplant.

=> Wissen was die Basis, der Betroffene will und wie er funktioniert.

Den Nachmittag habe ich mit Wolfgangs Familie auf deren Sitíu verbracht. War ein typisch brasilianisch Sonntag. Gemeinsam an einem schönen Ort grillen, unterhalten, ausspannen, Zeit teilen. Einfach abschalten und nur da sein. Ein schöner Ort. So langsam wird es dunkel und die Grillen fangen an zu zirpen. Ganz schön tropisch hier. 166


06. Juli, 08:06 Uhr Im Frühstückssaal kurz vor der Abfahrt in die Flona Tapajós Der Abend mit Wolfgang und Oliver war ganz interessant. Wir saßen in einer Bar und haben viel über die kautschukzapfer (Serengeiros) in der Flona Tapajós und das Unternehmen von Oliver gesprochen. Oliver ist meiner Meinung nach auch Idealist mit guten Ideen und Mut. Seit 1999 hat er zusammen mit seiner Frau Mary das Unternehmen BARK CLOTH aufgebaut, welches Rindenstoffe produziert und vertreibt. Heute können in Uganda etwa 700 Bauernfamilie von den Einnahmen leben. Das Rindentuch stammt vom Mutuba-Feigenbaum (Ficus natalensis) und hat lange Tradition in Ostafrika. Aus der Rinde eines Baums entsteht genau ein Tuch. Ähnlich bei einer Korkeiche stirbt der Baum nicht. Die Rinde wächst in etwa einem Jahr nach. Das Rindentuch entsteht dann in traditioneller, mühevoller Handarbeit. Hier in Brasilien versucht Oliver nun einen neuen Weg zu gehen und möchte die Rindenstoffe latexieren lassen. Erste Experimente in einem anderen Projekt in Rondônia waren teilweise ernüchternd. Mal sehen wie es wird.


07. Juli, 11:20 Uhr Besuch bei den Serengeiros in der Flona Tapajos

Gestern besuchten wir das Kautschukzapferprojekt in der Flona Tapajos. Sehr beeindruckende Landschaft. Ich bin immer noch total von diesem Himmel begeistert. Große, sich bis auf 15 Kilometer auftürmende Kumuluswolken. Auch der Wald und die Wege durch den Wald waren ein Abenteuer. Auf diesem Tagesausflug stellten wir uns und unsere Pläne den Leuten der Kautschukgenossenschaft vor, besprachen die Vorgehensweise und organisatorische Dinge wie Unterkunft und Verpflegung. Bei unserer Ankunft in Maguary war für mich die Vorstellung in dem Dorf mit den Menschen zu leben und zu arbeiten sehr gewöhnungsbedürftig. So anders und einfach war es hier. Mich überkam ein Gefühl der Überforderung. Was hatte ich mir dabei gedacht, mit Menschen im Amazonasgebiet Produkte entwickeln zu wollen? Was mache ich hier eigentlich? Nach unserem Gespräch mit der Gruppe über unser Vorhaben und der Vorgehensweise änderte sich mein Gefühl. Die Leute waren sehr nett und aufgeschlossen. Ich denke ein langsames Ankommen und Kennen lernen der Bewohner und ihrer Lebensweise wird gut sein. Bin froh, nicht allein dort hin zu gehen und freue mich drauf. 168



08. Juli, 08:10 Uhr Im Frühstückssaal des Hotel Universal in Santarém

Wieder ein interessanter und aufschlussreicher Tag. Wir haben uns gestern ein wenig die Stadt angesehen und ein paar Einkäufe wie den Kauf von Hänematten erledigt. Der Hafen ist das wirtschaftliche Zentrum von Santarém. Hier treffen die Menschen aus einer Region ein, die fast so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Quirliges Leben mit fliegenden Händlern. Spannend und erlebnisreich.

170


Über der Stadt in der Nähe der Promenade gibt es eine Aussichtsplattform. Vor dort kann man über den Rio Tapajós bis zum Amazonas sehen. Der Tapajos ist recht schwarz und der Amazonas hat relativ braunes Wasser. Ein paar Kilometer fließen die beiden Flüsse nebeneinander her, bis sich ihr Wasser vermischt. Total beeindruckend.


Gegen Nachmittag haben wir Rosa Costa besucht. Sie ist die Präsidentin des Kunsthandwerkerverbandes von West Pará. Rosa berichtete uns, dass sie einige Taschenideen in das Projekt der Seringueiros gebracht hat. Auch die Ideen der Tierchen aus Gummi ist nicht von dem Bewohnern gekommen, sondern von dem Künstler Darlindo José de Oliveria Pinto. Auch er hatte schon einen Kurs mit den Bewohnern gemacht und ihnen das Arbeiten mit Gipsformen gezeigt. Diese Informationen waren etwas irritierend für mich, da mir die Leute des Projektes erzählten, dass sie die Ideen für die Produkte selbst entwickelt haben. Dies war eine wichtige Erkenntnis. Anscheinend ist es für die Kautschukzapfern einfacher gute Ideen weiter zu entwickeln, als selbstständig neue Ideen zu kreieren. Also aufbauend auf Wissen und Können der Bewohner.

=> Eigene Ziele und Gedanken verfolgen und erst im zweiten Schritt mit anderen Abstimmen. Abends waren wir noch einmal in einer Bar. Die Gespräche über internationale Politik und die dazugehörige Geschichte mit Wolfgang waren sehr bereichernd. Wolfgang ist ein wandelndes Lexikon. Fundiertes Wissen über Politik und Geschichte ermöglicht die Zusammenhänge die Geschehnisse zu verstehen. Häufig ist politische Profilierung und Kurzsichtigkeit das Problem an Fehlentscheidungen. Dies kann auch auf Entwicklungszusammenarbeit übertragen werden. Länder, Projektbereiche oder Themen wie zum Beispiel die Förderung von kleinbäuerlicher Landwirtschaft verschwanden aus dem Fokus der UNO. Und damit viele wichtige Strukturen, die heute dank der Lebensmittelknappheit mühsam wieder aufgebaut werden. Lobbyarbeit für ein Thema ist daher wichtig. Die Vernetzung mit Entscheidern und mit bereichernden Menschen. Häufig ist Unwissenheit das Problem. Und Wissen über Sprache und Kultur ist oft entscheidend.

=> => => => => 172

Weitblick und Übersicht haben Dinge global im Ganzen und lokal im detail betrachten Wissen über den Einzelnen, seine Kultur und seine Lebensart Vernetzung mit kompetenten Menschen Engagement für ein Thema / Lobbyarbeit dafür



08. Juli, 12:06 Uhr Im Bus zum Kautschukzapferprojekt

Ich sitze im Bus von Santarém nach Maguary. Gerade machen wir eine Pause, obwohl wir gerade einmal eine Stunde gefahren sind. Hoffe das geht gleich etwas schneller. Gerade merke ich meine Erkältung wieder. Dieser Temperaturunterschied zwischen klimatisierten Autos und der Hitze draußen hat mich erwischt. Zehrt an meinen Kräften.

08. Juli, 17:50 Uhr Nach einem langen Tag am Ufer des Rio Tapajos Nach vier Stunden Busfahrt sind wir bei den Serengeiros in der Flona Tapajós angekommen. Fürs erste wohnen wir im Haus von Almiro, dem Vater des Leiters der Kautschukzapfer-Genossenschaft Arimar. In dem kleinen Haus haben wir ein Zimmer zur Verfügung gestellt bekommen. Almiro ist wie die gesamte Familie sehr sympathisch. Bei einem Cafezinho (Kaffeechen) diskutierten wir mit Arimar und seinem Bruder Né unser Vorhaben. Arimar hat die Kooperative vor mehr als zehn Jahren gegründet und kümmert sich inzwischen mehr um die administrativen Arbeiten. Er organisiert Unterstützungsgelder, Leute die Kurse geben, und kümmert sich um den Verkauf. Denke er hat eine relativ gute Ausbildung genossen. Durch die Kooperative ist er schon in vielen Gegenden Brasiliens, Mittelamerikas und sogar schon einmal nach Italien und Frankreich gereist. Wobei die Reisen nicht durch die Kooperative, sondern von Fördergelder bezahlt wurde. Aber er hat Weitblick und ist genau der Richtige für diese Position. Die Zusammenarbeit wird bestimmt interessant. 174


Produktionsstätte

Almiros Haus

Wie Arimar weiter berichtete, werden die Produkte inzwischen in Italien, Frankreich, Belgien, England und Deutschland verkauft. Außerdem in Santarém, Belém, Manaus, Rio de Janeiro und São Paulo. An der Universität in Brasilia wird an Latexmilch gearbeitet, die frei von toxischen Zusatzstoffen sein soll. Von vielen Seiten bekommen die Serengeiros in Maguary Unterstützung.

Arimar


Gerade waren wir in einem nahegelegenen kleinen Fluss baden. Die Abkühlung tat gut. Angenehm frisch. Jetzt sitze ich am wunderschönen Rio Tapajós und genieße den Sonnenuntergang. Beeindruckendes Naturschauspiel.

176



09. Juli, 17:49 Uhr Herstellungsweise und Produkte des Kautschukzapferprojekts

Arbeitsbeginn gegen 9 Uhr. Arimar und Né haben uns ein paar Details zu den Produkten erzählt, die Herstellungsweise und den Produktionsprozess erläutert. Die Herstellung der Latexmilch will mir Né in der kommenden Woche zeigen, da die Gruppe nicht jeden Tag Latex zapft. Eine richtige Arbeitsplanung gibt es in der Genossenschaft nicht. Die Gruppe schaut, welche Taschen sich gut verkaufen und produziert dann 178

Dorf


eine höhere Stückzahl auf Vorrat. Dabei wird jedoch nicht differenziert welche Varianten die Kundschaft bevorzugt. Je nach vorhandenem Rohmaterial und individueller Präferenz werden Farben und Muster gewählt. Also alles sehr beliebig. Eine unübersichtliche Vielfalt an Taschen, Farben und Mustern findet der Kunde in dem kleinen Verkaufsraum der Genossenschaft. Sehr voll wirkt der Raum und das ist er auch. Denn er dient gleichzeitig als Lager für fertige Taschen.

Laden

Zuschnitt & Schneiderei

Latexierung


Erst einmal werde ich mich den vorhandenen Produkten und vor allem den Taschen zuwenden. Schon erstaunlich welche Taschen sich gut verkaufen. Teilweise verkaufen sich die meiner Ansicht nach unansehnlichsten Taschen relativ gut. Diese bunte Taschenvariante verkauft sich beispielsweise in Frankreich sehr gut. So wird es schwierig f체r mich eine objektive Empfehlung f체r ein bestimmtes Design zu geben. Meine Empfehlung wird immer eine subjektive, europ채isch-deutsche sein. 180


Modell 1. ßen 3 Grö ge 1 Län

Type 1.

Modell 2.

5Größen

ßen

Type 2.

rö 3 G

Modell 3.

Modell 4.

ne iede rsch e v d 6 n un Type ßen Grö

Type 1.

Type 2.

Die Touristengruppen, die hier einen Zwischenstopp einlegen, sind aus allen Teilen der Welt. Somit ist auch deren Geschmack total verschieden. Die Gruppen machen entweder einen Tagesausflug in die Flona von Santarém aus oder sie reisen mit einem Boot den Rio Tapajós herunter und besuchen so das Kautschukprojekt. Häufig werden aber doch nur kleinere Taschen oder Souvenirs gekauft und nicht die teureren, größeren Taschen. Nach näherer Betrachtung stellte ich fest, dass die Kooperative doch nur vier Modellreihen mit verschiedenen Typen und Größen herstellt. Diese Modellreihen sind für den Kunden aber nur sehr schwer zu erkennen. Die Überforderung der Kunden mit der Vielfalt an Taschen könnte ein Grund sein, weshalb eher kleinere Produkte gekauft werden. Arimars Frau Ije erzählte mir, dass die Genossenschaft einen neuen separaten Verkaufspavillon plant. Meine Anmerkungen der Unübersichtlichkeit sieht sie ebenfalls. In dem neuen Pavillon soll nur eine Auswahl der Produkte gezeigt werden. Ein guter Plan.


meh r vers als 15 chie den e Des igns

182

NATUR LATEX

DUNKELBLAU

ORANGE

VIOLETT

HELLGRÜN

BRAUN

WEIß/ BEIGE

GRÜNBRAUN

SCHWARZ

ROT

DUNKELBRAUN

GELB


Die Designs der Muster sind frei gewählt und nicht wie ich ursprünglich annahm Muster mit langer Tradition. Jede Näherin entscheidet selbstständig, welches Motiv sie sticken möchte. Eine Liste mit 15 verschiedenen Motiven existiert zwar, jedoch weichen die meisten Motive dieser Liste ab. Einerseits finde ich diese individuelle Gestaltung sehr spannend, aber auf der anderen Seite macht es die Auswahl sehr komplex und hält meiner Meinung nach vom kauf ab. Bei den Farben verwendet die Genossenschaft zwölf verschiedene. Die Farbauswahl trifft die Gruppe nach eigenem Empfinden und nicht anhand der Nachfrage. Somit wird die Farbwahl von der Gruppe bewusst getroffen.

Die Stickerei mit der Blume stach mir sofort ins Auge. Sie unterscheidet sich sehr von den anderen Motiven und inspirierte mich zu einer Tasche, die sehr schlicht ist und nur ein bildhaftes Motiv trägt. Diese Idee werde ich morgen ausprobieren. Das Motiv sollte jedoch aus dem Amazonas sein.


10. Juli, 11:20 Uhr Nach einer Zeichenrunde mit ein paar Kindern des Dorfes

Die einfachste Methode an Motive zu gelangen die den Amazonas thematisieren, erschien mir eine Zeichenrunde mit den Kindern von Maguary. So schnappte ich mir heute Morgen ein paar Kinder und animierte sie mir ein paar typische Dinge zu zeichnen. Zum GlĂźck haben die Kinder gerade Ferien. Das Quatschen mit den Kinder hat mir viel SpaĂ&#x; gemacht. Ich denke einige Motive kann ich weiterverwenden. 184


tatu = G端rteltier

cobra = Schlange

borboleta = Schmetterling

barata = Kakerlake


10. Juli, 14:00 Uhr Nach dem Mittagessen

frischer Fisch aus dem Rio Tapajos zum Mittagessen

Beim Kaffee nach dem Mittagessen habe ich mich mit unserer heutigen Köchin unterhalten. Sie hat ein wenig aus ihrem Leben erzählt. Mit zehn Jahren verließ sie schon ihr Zuhause. Ihre Mutter verstab sehr früh. Einen Vater gab es nicht, wie häufig in brasilianischen Familien. Heute hat sie sieben Kinder und versucht allen gerecht zu werden. Die älteste hilft im Haushalt und versorgt die jüngeren Geschwister. Eine ihrer Töchter lebt seit kurzem bei einer befreundeten Familie in Brasília. Dort besucht sie nun eine relativ gute Schule. Bildung ist das wichtigste im Leben. Das Versucht unsere Köchin ihren Kindern mitzugeben. Sie sollen einen Beruf erlernen und erst später eine Familie gründen. Dafür arbeitet sie jeden Tag hart. 186


Über ihre Geschichte denke ich noch eine ganze Zeit nach. Was für ein Leben. Und totzdem strahlt sie Zufriedenheit und Zuversicht aus. Beeindruckend! In Deutschland ist vieles einfacher. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass nur wenige hart für ihre Ziele kämpfen und viele in der Zukunft etwas bedrohliches sehen.

=> für Ziele kämpfen => Solidarität mit Schwächeren => Chancen ermöglichen - Chancen nutzen


11. Juli, 08:35 Uhr An einem ruhigen Samstag Morgen

Das Motiv des Gürteltieres erschien mir als eines der prägnantesten. Erste Versuche das Motiv zu sticken waren sehr gut. Für ein ordentlich gesticktes Motiv habe ich zwei Stunden gebraucht. Die zweite Variante dauerte sogar noch etwas länger. Etwas viel Zeit, auch wenn mir das Ergebnis gefällt. In der selben Zeit könnten die Leute auch mehr Dinge schaffen, die ähnliche Wirkung haben. Das Drucken des Gürteltiers klappte dann auch sehr gut. Leider ist die Knete bei der Wärme sehr weich, was den Umgang erheblich erschwert. Ganz weich und empfindlich.

188



12. Juli, 09:00 Uhr An einem ruhigen Samstag Morgen

Irgendwie kann ich immer noch nicht gut in der Hängematte schlafen. Erst ist es zu heiß, dann nachts recht kalt. Außerdem wache ich von vielen Geräuschen nachts noch auf. Bisher noch nicht so erholsam der Schlaf. Die Latextests sind ganz gut geworden. Dauert doch länger, bis alles durchgetrocknet ist. Bin gespannt, wie das Tuch mit den Motiven aussieht und wie es von den Leuten hier aufgenommen wird. Nach dem Mittagessen werde ich noch etwas ausprobieren.

Gestern Abend waren wir mit Arimar und seinem Vater Almiro ein Bierchen uns schon nach so kurzer Zeit in sein Herz geschlossen und etwas aus seinem gewesen. Ein harter Job und ein hartes Leben. Musste viel arbeiten, um seiner hat das Geld immer nur gerade so gereicht. Und leider fand er nie den großen

trinken. War sehr nett. Almiro hat Leben erzählt. Goldgräber ist er Familie etwas zu ermöglichen, jedoch Goldnugget.

Erst in den letzten Jahren ist das Leben besser geworden. Die Caixa da Construcão (staatliche Bausparkasse) hat die neuen Häuser im Dorf finanziert. 5000 R$ kosten die Häuser und erst nach fünf Jahren müssen die Besitzer jeden Monat 5 R$ an Raten zurück zahlen. Dadurch können dann wo anders neue Häuser finanziert werden. 20 Jahre oder mehr müssen die Besitzer die Häuser abbezahlen. Für die Bewohner eine günstige Möglichkeit Besitzer eines richtigen Hauses zu werden. Es gibt jedoch nur einen Haustypen, die in ganz Brasilien errichtet werden. Hier in den Tropen ist die Konstruktion nicht die idealste. Die Feuchtigkeit lässt die Häuser schnell altern. Außerdem staut sich die warme und feuchte Luft in den Häusern, so dass Gegenstände schnell anfangen zu schimmeln. Almiro erzählt weiter von der Gemeinschaft der Nachbarn, der Ruhe und der Sicherheit in Maguary. Die 190


Menschen leben bewusst hier im Wald und nicht etwa in Belterra oder Santarém. Nur wenige zeiht es in die Städte. Häufig kehren sie nach Jahren wieder zurück. Arimar ergänzte, dass die meisten Bewohner sehr glücklich oder zumindest zufrieden mit ihrem Leben in Maguary sind. Den Eindruck hatte ich bisher auch. Schrittweise bewegt sich das Leben der Menschen in Maguary vorwärts. Seit zwei Jahren gibt es Strom im Dorf, das Wasser (Mineralwasser) hat hervorragende Qualität, die Menschen haben feste Häuser, die Schule ist nun im Gemeindezentrum ein Dorf weiter und nicht mehr 20 Kilometer entfernt und weniger Leute erkranken an einfachen Krankheiten. Zwar arbeiten alle daran, dass der Weg weiter nach oben führt, aber das bedeutet nicht, dass die Leute von Stress getrieben werden. Die Gemeinschaft macht stark und unterstütz bei Schwierigkeiten.

=> => => =>

Gemeinschaft macht stark durch Arbeit schrittweise voran kommen mit dem zufrieden sein, was man erreicht hat schätzen, was gut ist


12. Juli, 16:30 Uhr Stille, Hitze und ein kleines Lüftchen in Maguary Seit dem Mittagessen warte ich auf die Abfahrt zu einer vorgelagerten Insel im Rio Tapajós. Almiro hat die Abfahrt auf 17 Uhr gelegt, da es heute so heiß ist. Denke das wird noch später. Ich bin schon sehr gespannt wie die Insel aussieht und Freue mich schon sehr darauf.

12. Juli, 21:48 Uhr An einem ruhigen Samstag Morgen Der Ausflug war fantastisch. Bei schönstem Sonnenschein bin ich mit Arimar und seinem Cousin in einem von der KFW-Bank finanzierten Boot raus gefahren. Die beiden zeigten mir die schönste Aussicht.

=> Wie wunderschön die Natur ist … Was für ein schöner, glücklicher Moment. Eigentlich unbeschreiblich … Total eins mit der Welt. So schön die Natur, die Aussicht, der Sonnenschein, die Geräusche und das Wasser.

192


Nach einer Rundfahrt machten wir das Boot an der Insel fest und gingen ins Wasser. Wobei von der Insel nur ein paar Palmen herausschauten. Gerade ist Hochwasserzeit. SchÜn warm das Wasser. Während des schnellen Sonnenunterganges sahen wir noch einen Delfin beim Luft holen. Jetzt kann ich wirklich verstehen, warum die Leute so gerne in Maguary leben.

=> Zeit in der Natur genieĂ&#x;en => Wassersport in der Natur => mit Familie & Freunden gute Momente teilen


13. Juli, 10:12 Uhr Herstellungsprozess des Naturlatex Früh morgens, wenn die Temperaturen noch niedrig sind, wird der Milchsaft des Kautschukbaums (Hevea brasiliensis) geerntet. Dabei entfernt Arimar mit einem speziellen Messer die obere Schicht eines kleinen Bereiches der Rinde. Sofort läuft der weiße Rohkautschuk aus der Rinde. An dem ringförmig angeordneten Schnitt läuft die Latexmilch in einem Rinnsal den Baum herunter und sammelt sich in einem Becher. Arimar erntet alle zwei Tage an ungefähr 30 Bäumen jeweils 200 ml Latexmilch. Der ganze Prozess dauert circa drei Stunden. Nach einem Jahr ist der Baum einmal über die Länge von zwei Metern angeritzt worden.

Der Baum wächst normal weiter. In der Regenzeit und bei extremer Trockenheit erntet die Genossenschaft nicht. 194


Né zeigt mir die Vulkanisation des Rohkautschuk. Dazu wird die Kautschukmischung, bestehend aus Rohkautschuk, Ammoniak (gegen Gerinnung des Rohkautschuk) und dem Vulkanisationsmittel (Schwefel oder schwefelspendenden Stoffen) zur Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit erhitzt. Dabei werden die langkettigen Kautschukmoleküle durch Schwefelbrücken vernetzt. Hierdurch gehen die plastischen Eigenschaften des Kautschuks bzw. der Kautschukmischung verloren, der Stoff wird mittels des Verfahrens der Vulkanisation vom plastischen in einen elastischen Zustand überführt. Das bei diesem Verfahren entstehende Latex hat gegenüber dem Kautschuk(-Rohstoff) dauerelastische Eigenschaften, kehrt bei mechanischer Beanspruchung jeweils wieder in seine Ursprungslage zurück, hat eine höhere Reißfestigkeit, Dehnung und Beständigkeit gegenüber Alterung und Witterungseinflüssen. Nach der Vulkanisation ist das Material über mehrere Monate haltbar. Somit kann die Genossenschaft auch in den Zeiten Produkte herstellen, in denen kein Rohlatex geerntet werden kann. Je nach Verwendung wird dem Latex noch flüssiges Farbkonzentrat hinzu gefügt.


Wieder geht ein langer Tag zu Ende. Ich laufe ein wenig durch Maguary und genieße die Stille. Ein paar Hühner zanken irgendwo und der Fluss rauscht angenehm. Dabei muss ich an ein Gespräch mit Arimar denken: „Für mich ist das Leben hier sehr gut. Ich lebe tausendmal lieber hier als in der Stadt. Hier ist es ruhig und bedächtig, 196


es gibt nicht dieses hin und her wie in der Stadt. Wir gehen zum Fluss und fangen uns einen Fisch, wir können Hühner züchten, und wenn wir mal kein Geld für den Einkauf haben, schlachten wir eins, um zu überleben. Das ist also alles sehr gut hier.“


14. Juli, 08:15 Uhr Nach dem Mittagessen Heute Morgen habe ich mir einen Plan gemacht, welche Ideen ich diese Woche umsetzen möchte. Dabei haben sich drei Produktkategorien heraus gebildet. 1. Einfarbige Taschen mit einfachen Motiven. Die Motive sollen von den Menschen kommen. Die Kinderzeichnungen dienen als Grundlage. Den Menschen mit Baum und das Boot werde ich von Albertinho (Albertchen) und das Gürteltier werde ich von Thaissa übernehmen. Sie haben eine hohe Prägnanz, spiegeln das Leben am Fluss wieder und sind authentisch. Außerdem werde ich den Slogan „Ich liebe Regenwald“ ausprobieren. Die Motive sollen einen hohen Wiedererkennungswert haben.

Eu té I 2. Schmuck Verschiedenfarbige Schichten von Latex übereinander bilden ein Sandwichmaterial. Als Grundlage werde ich ein Baumwollstoff verwenden, damit die Haut nicht in direktem Kontakt mit dem Latex kommt. Armreifen, Fingerringe und Schlüsselanhänger werde ich herstellen.

198


Verschiedene Kindermotive werde ich für Broschen verwenden. Mit der vorhandenen Wickeltechnik der Bälle werde ich Ohrringe herstellen. Die könnten sehr schön werden. Ein innerer Schimmer wäre klasse. Also auch wieder eine Zweifarbigkeit.

3. .Stülpvase/ Wendevase

Das vorhandene Wissen der Technik des Eintauchen einer Form in die Latexmasse verwende ich bei dieser Idee. Die Zweifarbigkeit ermöglicht es, ein Produkt mit zwei Erscheinungsbilder zu schaffen. Vasenformen: a) traditionelle Vasenformen b)Formgebung aus der Natur von Nüssen, Früchten oder Blättern c) abstrakte Formgebung, kristalline Form d) Formgebung vorhandener Materialien wie Rohre, Flaschen, Holzklotz, etc.


14. Juli, 15:15 Uhr Arbeitsergebnisse mehrerer Tage

Experimente mit Vasenformen. Das AbgieĂ&#x;en dauert doch sehr lange. Vier Tage arbeite ich nun schon an dem Entwurf. Das Latex trocknet doch langsamer als gedacht. Das Ergebnis kommt bei der Gruppe gut an. KĂśnnte mir vorstellen, das sich die Vasen auch gut verkaufen. Ein kleines und schickes Mitbringsel.

200



Die Versuche mit einem Sandwichmaterial sind ganz gut geworden. Der Baumwollstoff an der Unterseite ist ganz angenehm auf der Haut. Jedoch klebt die obere Schicht noch nicht so gut. Arimar hat mir den Tipp gegeben, nicht vulkanisierten Latex zu nehmen. Der hat eine höhere Klebkraft. Guter Tipp. Funktioniert sehr gut. Die Ringe und Schlüsselanhänger werden von den Leuten interessiert aufgenommen.

202


Aber die Leute der Genossenschaft haben eine andere Vorstellung wie Schmuck allgemein aussehen soll. Die Idee hinter den Ringen und der Armreifen ist, dass der Nutzer nicht mit der Gummioberfl채che 체ber l채ngere Zeit im Kontakt ist. Die Oberfl채che des Stoffes ist angenehm auf der Haut. Alle drei Produkte in einer etwas expressieveren Farbe kommen sicher gut bei den internationalen Kunden an. Jedoch scheint das Design doch etwas weit entfernt von den Leuten hier zu sein.


Die blauen Motive auf dem Baumwollstoff kommen gut raus. Die Oberfläche mit dem Naturlatex wirkt sauber. Ich bin gespannt, wie damit eine Tasche wirkt.

Auch bei der zweiten Vase dient Plastilin als Formmaterial. Bei so einer groĂ&#x;en Vase ist die Handhabung des weichen Plastilin schwierig. Das Wetter ist einfach zu warm. Aber die Form kommt gut heraus. 204


15. Juli, 18:51 Uhr Einsatz für ökologische Bewirtschaftung und selbstbestimmte Existenz

Gestern ist Maria Zélia Machado Damasceno bei dem Kautschukzapfernprojekt eingetroffen. Sie wird den Leuten der Genossenschaft bis Samstag in einem Kurs neue Techniken zeigen. Maria betreut im ganzen Amazonasgebiet 29 Gruppen, die durch Kunsthandwerk ihr Leben finanzieren. Teilweise indigene Völker. Die Seringueiros von Maguary begleitet sie schon seit der Gründung im Jahre 1999. Daher kennt Maria die Menschen und ihre Arbeitsweise sehr gut. Das aktuelle Projekt wird von der brasilianischen Erdölgesellschaft PETRPBRAS finanziert. Die Gespräche mit ihr sind sehr bereichernd. An der Universität von Rio Branco die Hauptstadt des Bundesstaates Acre im Grenzgebiet zu Bolivien betreibt sie mit ihrem Ehemann ein Institut zum „Schutz der Biodiversität und nachhaltige Nutzung von Ressourcen“. Sie unterstützen Gruppen in der ökologisch einwandfreien und nachhaltigen Bewirtschaftung von Regenwaldgebieten und helfen einen Weg zu einer selbständigen und auskömmlichen Existenz zu finden. Wissenstransfer ist dabei der Schlüssel. Herstellungstechniken, Materialkunde und Qualitätsverständnis vermitteln sie. Eines der größten Probleme fast aller Gruppen ist der fehlende Vertrieb und das Erscheinungsbild. Also Marke und Design der Produkte. Interessante Erkenntnis. Ein erster Schritt ist ein gemeinsamer Flyer mit Informationen über die Projekte. So etwas wäre auch für die Seringueiros aus Maguary interessant. Sie könnten ihre Stärken präsentieren und den Kunden etwas mehr Information mitgeben.


16. Juli, 08:25 Uhr Erste Überlegungen zur Abschlusspräsentation

Nach einer Woche Leben und Arbeiten in Maguary habe ich mir einen ganz guten Überblick verschaffen können, wie die Kautschukzapfergenossenschaft arbeitet. Die folgende Punkte sind mir bisher aufgefallen:

Positive Punkte + + + + + + + + +

Geschichte & Entwicklung der Kautschukzapfergenossenschaft & der FLONA TAPAJÓS Entwicklung des Projektes Wissensstand der Herstellung Motivation & Arbeitseinstellung Kreativität & Offenheit Vielfalt Handarbeit Authentizität / Produkt des Amazonas Naturmaterial & Energieeffizient

Negative Punkte -

Unübersichtlichkeit der Produktfamilien Vermarktung der Produkte Verkaufsstrategie Farbkombinationen Motive

Potential

=> Erkennbarkeit einer Produktfamilie - Ähnlichkeit der Produkte - Farbkombinationen - wiederkehrendes Motiv => Überraschung, Dinge die man nicht kennt und nicht typisch Regenwald sind, die aber Bezug zum Wald, evtl. Tradition haben UND authentisch sind! 206


Mit einer kleinen Gruppe der Genossenschaft habe ich ein Brainwriting zum Thema Amazonas durchgeführt. Ich wollte herausfinden, welche Assoziationen sie haben und welche Unterschiede es gibt, mit Menschen die nur als Besucher nach Maguary kommen. Bei dem Brainwriting das ich zuvor für mich druchführte, kamen fast die gleichen Begriffe heraus. Das überraschte mich ein wenig. Also ähnliche Wahrnehmung. Der Umweltgedanke und die Bedeutung von Amazonien war jedoch deutlich ausgeprägter. Allgemein denke ich, dass ausländische Besucher mit dem Regenwald häufig auch Indianer assoziieren. So wie ich bei Gesprächen mit Touristen herausgehört habe, denken viele, dass die Genossenschaft einen indigenen Hintergrund hat und nicht überwiegend aus Siedlern und Kleinbauern besteht. In der brasilianischen Gesellschaft stehen die Indianer ganz unten und der Vergleich mit Indianern grenzt an Beleidigung. Daher sollten auch die Produkte der Genossenschaft keine gedankliche Verbindung zu Produkten indigenen Ursprungs aufkommen lassen.


16. Juli, 17:47 Uhr Wieder geht ein Tag in Maguary zu Ende

Die abendlichen Spazierg채nge durch Maguary lassen meinen Kopf immer frei werden. Herrlich den Blick einfach 체ber die Landschaft schweifen zu lassen. Das st채rkt und erfreut mich immer wieder. 208


Das Passagierschiff verkehrt zwischen den kleineren Orten in der Flona Tapajós. Anscheinend gibt es auch einen Fahrplan. Bei Fahrten die länger als einen Tag dauern, können die Leute in Hängematten an Deck schlafen.


17. Juli, 15:50 Uhr Markenerscheinung von EVO COURO

Arimar hat mich gebeten, an der Neugestaltung des Logos der Genossenschaft mitzuhelfen. Der bisherige Name soll aus COURO ECO LÓGICO in ECO COURO (von Ökologisches Leder in Ökoleder) gekürzt werden. Sein Vorschlag einen Kautschukbaum mit Riefen abzubilden finde ich ganz gut. Jedoch für ein Logo zu viele Informationen. Ich werde versuchen das Kautschukzapfen stilistischer darstellen.

210


Besprechung der ersten Ideen mit Arimar. Ihm gefällt der schlichte Stil. Ich werde ein paar verschiedene Muster ausprobieren. Arimar möchte in dem O von ECO Streifen haben, damit die Verbindung zum angeritzen Kautschukbaum noch deutlicher wird. Die Schrift könnte in grün und bernsteinfarben (Naturlatex) die Nähe zur Natur und zum Latex verbinden.


17. Juli, 22:55 Uhr Nach einer ereignisreichen Woche Ich habe mir mal wieder den Sonnenuntergang angesehen. Da es seit gestern Abend keinen Strom gibt, sieht man noch besser die Sterne. Angeblich ist eine Leitung besch채digt und normalerweise ist so ein Defekt schnell behoben. Vielleicht dauert es, weil heute Samstag und die Stelle im Wald sehr schwer zug채nglich ist. In Deutschland sind wir noch abh채ngiger vom Strom als die Menschen hier. Jetzt sitzen die Leute wieder zusammen und unterhalten sich, anstatt vor dem Fernseher zu sitzen und kitschige Telenovela zu schauen.

212


Almiro hat mich noch einmal mitgenommen zum Haus seiner Schwägerin. Wir unterhielten uns über Altersversorgung. Die ärmere Bevölkerung schafft es kaum in den Genuss der Rente zu kommen. Der Nachweis über die Anstellung ist häufig sehr schwierig. Bei einfachen Arbeitsverhältnissen wurde früher auf die Zahlung des Rentenbeitrages verzichtet. War damals einfach mehr Geld, was ausgezahlt wurde. Dieses Geld fehlt natürlich um auf die Gesamtzahl an Arbeitsjahren zu kommen. Außerdem sind die Renten dann noch sehr gering. Viele Rentner arbeiten noch nebenbei, um überhaupt leben zu können. Also anders als bei Familien der Mittelschicht wie der Familie von Wolfgangs Frau. Wobei auch die für ihren Stand hart gearbeitet haben.


18. Juli, 09:34 Uhr An einem ruhigen sonnigen Samstagmorgen

Heute werde ich noch einmal ein paar Formen für Vasen ausprobieren. Ausgehend von der Idee der zweifarbigen Stülpvase möchte ich die Formensprache näher an den Regenwald brigen. Also Motive die entfernt Bezug zum Wald haben. Abstrahierte Tier- oder Pflanzenformen. Eher organisch-weich. Die Standfestigkeit und die Materialstärke sind bei der Vase wichtig.

214



Diese drei Vasen sollen eine Idee aufzeigen, wie eine Serie von Vasen aussehen kann. Um die Kunden zu 端berraschen, ist eine experimeltellere Formensprache auch interessant.

216


Versuche die Motive der Kinder in kleine Objekte zu verwandeln. Idee dahinter ist, den Kunden kleine und günstige Produkte anzubieten. Denkbar wären Broschen, Schlüsselanhänger und Obrringe. Die Herstellung ist simpel und ohne großen Aufwand. An der Sauberkeit der Formen muss ich noch etwas arbeiten. Das Baummotiv finde ich immer noch am prägnantesten.


19. Juli, 12:45 Uhr Nichts los in Maguary

Heute ist der erste Tag, an dem ich mir ein wenig Pause gönne. Die Arbeit und auch das heiße Wetter jeden Tag um die 34°C sind anstrengend. Ein paar Überlegungen für die Abschlusspräsentation werde ich später machen, außerdem die zweite Vase entformen. Ich bin schon ganz gespannt, wie die wirkt. Doch zuerst zeichne ich ein wenig. 218



19. Juli, 15:15 Uhr Ein ruhiger sonniger Sonntag

220


Die Vase ist ganz gut geworden. Etwas dünnwandig, weich und etwas dunkel. Fünf Schichten reichen nicht aus. Das doppelte wäre ganz gut. Jedoch wird die Zeit etwas knapp. Bis Mittwoch zur Abschlusspräsentation sollen die Sachen fertig sein. Gefällt mir ganz gut. Die Form wirkt wie ein dicker Bauch. Sieht richtig niedlich aus. Dick und plump.


20. Juli, 08:46 Uhr Zu Beginn meiner letzten Woche in Maguary

Heute Morgen scheint ein typischer Montag zu sein. Die Leute erzählen sich die Geschichten des Wochenendes. Keiner hat wirklich Lust zu arbeiten. Anscheinend weltweit so. Trotzdem werde ich versuchen, meine Taschen genäht zu bekommen. Gerade habe ich Kathryn aus Südflorida kennen gelernt. Sie studiert Kunst und arbeitet mit indigener Bevölkerung. In Maguary möchte sie Ideen aufnehmen, die sie mit ihren Gruppen weiterentwickeln kann. Jedoch waren ihre Ideen und Ansätze schon in meiner Arbeit. Ich erläuterte ihr meine Arbeit und erklärte ein paar Zusammenhänge. Sie sprudelte förmlich über vor Fragen. Dann diskutierten wir über die Außenwirkung dieser Produkte. Interessante Aussage war, dass sie zwei verschiedene Märkte für Kunsthandwerk sieht. Den Bereich in dem Kunsthandwerker ihre Sachen günstig verkaufen und den Bereich der Mode oder den Fashion-Bereich. Die meisten Produkte würde ich dem einfachen Kunsthandwerk zuschreiben. Einige Ansätze gehen ein wenig weiter. Jedoch bedarf es noch Arbeit für die Gruppe, in den Fashion-Bereich zu gelangen. Dort muss auch die Qualität stimmen. Das Gespräch war sehr nett. 222


Mein Taschenentwurf soll eine simple Form ohne große Dekoration haben. Nur ein prägnantes Motiv soll jede Seite ziehren. Dabei sollen die Motive die Herkunft der Kautschukgenossenschaft wiederspiegeln. Eine gewisse Naivität der Motive ist gewollt, kann aber auch negativ wahrgenommen werden. Die einseite Latexierung des Baumwollstoffes schüzt den Inhalt der Tasche vor Feuchtigkeit und spart den Einsatz eines Innenfutters. Hierdurch kann die Genossenschaft Material sparen.


224


Ijé hat sich beim Nähen der Taschen viel Mühe gegeben. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Die Anmutung ist so wie geplant und auch die Motive kommen gut heraus. Auch bei näherer Betrachtung fallen die Details auf, wie die sauber vernähte Bordüre, der einseitig latexierte Baumwollstoff und das Logo auf. Die optische Nähe zu Jutebeuteln ist im Kontext der internationalen Kundschaft in Ordnung. Wäre die Tasche ausschließlich für den deutschen Markt bestimmt, sollte das Naurlatex, welches mit der Zeit noch nachdunkelt, durch eingefärbten Latex ersetzen werden. Als Beispiel für eine reduzeirte Kollektion eignen sich die Taschen gut.


21. Juli, 19:34 Uhr Zufrieden

So, meine Präsentation ist nun fertig. Alle wichtigen Aspekte habe ich zusammen gesucht und anschaulich auf Zetteln aufgeschrieben. So wird die Präsentation für jeden nachvollziehbar. Gleich teste ich den Ablauf noch einmal auf portugiesisch. Hoffe ich habe alle wichtigen Vokabeln herausgesucht. Folgende Punkte werde ich Ansprechen: 1. Übersicht zu meiner Präsentation 2. Ansprache: * Danksagung für - die herzliche Aufnahme, - die Teilhabe am Arbeitsalltag, - die Unterstützung und Hilfe der Gruppe und - die Verwendung des Materials. * meine Sichtweise als deutsch-europäsischer und junger Designer * meine Intention des Projektes: Denkanstöße geben und Arbeistweise zeigen und nicht: Ihr müsst das so und so machen! => schließlich ist die Genossenschaft ihr Unternehmen und die Gruppe kann die Dinge besser einschätzen 3. Analyse * Proddukategorien & Modellvarianten * Farben & Muster * Kenntnisse und Techniken * Zielgruppe - was ist eine Zielgruppe? - Zusammensetzung einer Zielgruppe - welche Zielgruppe hat die Genossenschaft? - Assoziantionen zu Thema Amazonas * Marke COURO ECOLÓGICO - Stärken und Potenziale der Genossenschaft - Hauptaussage der Marke Couro ECOLÓGICO - mögliches Ziel und Positionierung der Marke - Bedeutung von Kommunikation - Erscheinungsbild * Logoentwurf & Informationsbroschüre 226


4. Ansätze - Motive - Stickerei - Druck - Taschen - Vasen - Schmuck (Sandwichmaterial) Fingerringe, Armring, Schlüsselanhänger, Ohrring, Brosche 5. Diskussion & Feedback

Ich bin sehr gespannt, wie meine erste portugiesische Präsentation klappt und wie die Leute meine Arbeit aufnehmen. Bin zufrieden mit dem Ergebnis und freue mich auf den morgigen Tag. Die Sonne geht wieder in den herrlichsten Farbtönen unter - was für ein schönes Bild zum Ende des Tages.


22. Juli, 10:50 Uhr Nach meiner Abschlusspr채sentation vor allen Mitgliedern der Genossenschaft

228


Nach langer Vorbereitung habe ich heute Morgen die Abschlusspräsentation gehalten. Bis auf Arimar und Edileuza waren alle da. Arimar werde ich die Ergebnisse heute Nachmittag zeigen. Der Aufbau und die Vorgehensweise waren ganz gut. Auch die Schritte und Abschnitte waren gut. Die Leute haben glaube ich auch alle Schritte verstanden, auch die Erläuterung der Zielgruppen. Als ich dann meine Denkweise und Arbeitsschritte erklärt habe, waren sie ganz begeistert. Denke die Art Vorgehensweise kannten sie bisher noch nicht. Das Weiterdenken und Abstrahieren über den aktuellen Wissensstand fällt den Leuten manchmal schwer. Das ist auch etwas, was man nicht wirklich unterrichten kann. Viel Erfahrung und reflektiertes Handeln sind meiner Meinung nach dafür wichtig. Aber die Menschen der Genossenschaft sind auf einem guten Weg und profitieren von Arimars Erlebnissen, die er mit seinen Mitmenschen teilt. Das fehlende Wissen über den Markt und die Möglichkeit der Distribution ist eine der Schwächen der Genossenschaft. Eine Steigerung der Produktionsmenge ist zwar möglich, aber nur in bedingten Rahmen. Dazu mögen die Menschen von Maguary ihr entspanntes Leben zu sehr, als dass sie dies groß ändern würden. Hinzu kommt, dass die Besucher oder Kunden, die die Genossenschaft besuchen, aus (fast) allen Teilen der Welt kommen und somit sehr unterschiedliche Geschmäcker haben. Wenn die Genossenschaft in Zukunft zusätzliche Märkte beliefern will, werden sie sich für bestimmte Richtungen entscheiden müssen. Alle Farben und Schnitte herzustellen, weil die Kunden es wollen ist relativ beliebig. Aber im Moment scheint diese Strategie gut zu funktionieren. Meine Anregung einer simplen Taschenlinie mit wiederkehrenden Motiven ist von der Gruppe interessiert aufgenommen worden. Die Umsetzung und der Erfolg kann jedoch dauern. Zwölf Jahre hat esseit der Gründung der Genossenschaft gedauert um auf den heutigen Entwicklungsstand zu kommen. In der Feedback-Runde fand ich die Aussage von Né sehr bezeichnend: „Wenn du in zwei Jahren mal wieder vorbei kommst, haben wir sicher die ein oder andere Idee umgesetzt.“ Mehr als ein Impuls, ein Anstoß, eine Idee was möglich ist, habe ich als Ergebnis der Projektes auch nicht erwartet.


230


Wie schnell die Zeit mal wieder vergeht. Gerne vergleiche ich Zeit mit dem Flitschen eines GĂźmmibandes. Intensiv und lang in dem aktuellen Moment und alles was zurĂźck liegt, fliegt nur so davon.

=> den Moment auskosten und die Zukunft im Blick haben Eine intensive und lehrreiche Zeit habe ich mit den Menschen der Genossenschaft erlebt. Zum Abschluss schossen wir noch ein paar Fotos. Die Produkte oben auf dem Tisch sind Ergebnisse der Workshopwoche von Maria ZĂŠlia.


24. Juli, 03:10 Uhr Uhrzeit Manaus, Airport Manaus, kurz vor Abflug aus dem Amazonas gen Heimat

Der Tag ist nun für mich schon 46 Stunden lang. Die letzte Nacht in Maguary konnte ich nicht schlafen. Viele Dinge gingen mir durch den Kopf. Wie werden die Leute meine Ideen weiterverfolgen? Hat sich der Einsatz gelohnt? Und für wen? Für die Leute hier? Konnte ich ihnen eine Idee meiner Arbeitsweise, einen Denkanstoß geben? Ich denke die ein oder andere Idee wird ihren Weg in die Produktion finden. Die große Vielfalt ihrer Taschen und Portemonnaies wird sich jedoch nicht so schnell ändern. Erst wenn die Nachfrageseite mit der Vielfalt überfordert ist, dann wird sich vielleicht etwas ändern. Die Präsentation vor Arimar war sehr gut. Viele Dinge die ich herausgearbeitet habe sieht er genau so. Aber eine Gemeinschaft ist immer nur so gut wie die langsamsten. Alle Entscheidungen werden in der Gemeinschaft getroffen und so hat Arimar nicht die Entscheidungsmacht. Im Gesamten hat das sicher Vorteile. Der Bus Maguary-Santarém hatte dann noch eine Verspätung und so kam ich mit wenigen Minuten Schlaf im Sonnenaufgang wieder nach Santarém. Wieder im Hotel Universal konnte ich mich erst einmal ausruhen. Endlich wieder ein richtiges Frühstück und Bett. Doch etwas 232

feines und endlich etwas Schlaf. Die riesige Flut Mails holte mich schnell in den mitteleuropäischen Alltag. Gegen Abend traf ich mich noch einmal mit Wolfgang und seiner Frau Sonia. Wir tauschten uns über meine Erfahrungen aus und redeten dann über die Bemerkungen der Bewohner von Maguary. Sie denken, das viel Geld nicht bei ihnen ankommt und dass sie die Fördergelder lieber selber verwalten würden. Wolfgang sieht das anders. Besonders in der Flona kam viel Geld direkt bei den Leuten an. Vieles ist nicht in Form von festen Gütern dort angekommen, sondern in softer Form als Kurs oder Unterstützung. Und besonders die Kautschukzapfergenossenschaft hat davon sehr viel Geld abbekommen. Wenn sie das Geld selbst verwaltet hätten oder würden, würde viel Geld „versaubeutelt“. Die Leute haben gar nicht das Wissen, so etwas zu verwalten. Ist natürlich einfach über die da oben zu meckern, die angeblich das Geld in die eigenen Taschen stecken. Sehr komplexe Zusammenhänge. Aber auch sehr sehr spannend. Nun wird mein Flug aufgerufen. Die Reise war eine sehr lehrreiche und fantastische Erfahrung. Wie war das zweite tolle Zitat von Herrmann Hesse noch?


“Man muß das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen.”



B.2. Produktentwicklung Arbeitsprozess und Ergebnisse der Produktentwicklung


Arbeitsprozess Werkstatt

Nach meiner R체ckkehr vom Projektaufenthalt in Brasilien richtete ich mir eine Arbeitswerkstatt in unserem Haus ein. Hier entstanden diverser Formstudien und Materialtests. Viele Ideen und Dinge entwickelten sich aus der intensiven Auseinandersetzung w채hrend der Arbeit mit der Latexmilch. 236

Die Farbauswahl, Farbkombinationen, Trocknungszeiten der Latexmilch, Schichtdicke, Alterung des Materials, Haptik und Anmutung der Oberfl채che, Kantenabschl체sse, Entformbarkeit, Materialausreizung und Gesamtanmutung standen bei den Tests im Mittelpunkt.


Modellbauwerkstatt // Metzgergasse 2, Coburg


Universal-Abtönkonzentrat in diversen Farben diente als Beimischung um den leicht durchsichtigen, bernsteinfarbenen Kautschuk einzufärben. Dabei stellte sich heraus, dass die Farbbeigabe die Kautschukalterung verlangsamt. Normalerweise bekommt das Latex einige Wochen nach dem Trocknen eine matt-weißliche Schicht, die durch Ausdünstungen entsteht. Doch der durchgefärbe Kautschuk zeigt weniger Rückstände dieser Ausdünstungen. Bei den ersten Tests spielten die Produktkonzepte und Erkenntnisse aus Brasilien nur eine untergeordnete Rolle. Vorrangig stand die Ausreizung der Materialeigenschaften im Vordergrund. Glatte und glänzende Kautschukoberflächen wirkten häufig unsauber und speckig. So bot Modellbauschau als Basismaterial der Formstudien die passende Materialoberfläche. Auch sandgestrahltes Glas oder Metall erziehlte ähnlich 238

gute Ergebnisse im Bezug auf das optische und haptische Erlebnis. Holz als Formmaterial erwies sich ebenfalls als gute Wahl. Die leichte Flüssigkeitsaufnahme des Holzes ermöglichen eine schnellere Trocknung. Gips erwies sich ebenfalls als hervorragendes Material für Formen, die Flüssigkeit noch schneller aufgenommen wird. Besonders bei filigranen Formen ist die Präzision von Gips erste Wahl. Da das Kautschuk nach der Trocknung elastisch ist, lässt sich, je nach Materialdicke, der Abguss leicht von den Formen ziehen. Somit lassen sich auch komplexere Formen mit Hinterschnitten realisieren. Bei den Tests stellte sich heraus, dass meistens nur eine Seite einer Abformung eine schöne Oberfläche hat. So entschied ich mich, nur kleine Vasenöffnungen zu realisieren, so dass nur die äußere Oberfläche sichtbar ist. Diverse Abgüsse, Formstudien, Materialien, Farben und Behäter mit Latexmilch



Verschiedene Material-, Farb- und Oberflächentests. Hintergrund dieser Tests war die in Brasilien entstandene Taschenkollektion durch verschiedene Oberflächengestaltung weiter zu entwickeln. Die Latexmilch aus dem Bastelversand weicht von den Eigenschaften der brasilianischen Latexmilch ab. So altert das Latex aus dem Bastelversand langsamer, bekommt dafür

240

jedoch einen leicht rötlichen Schimmer. Das brasilianische Latex dünstetet stärker aus und bildetet an der Oberfläche eine stärkere matt-weißliche Schicht. Die Abgüsse und Tests haben somit einen leichten rotbeige Farbton.



Weitere Tests mit der Wickeltechnik 채hnlich der in Brasilien entstandenen Ohrringe, Tests mit Stickereien und

242

Tests zur Oberfl채chenanmutung dienten zur Vertiefung der Materialkenntnisse.



Auswahl von Tests zum Thema Schmuck. Oberfl채chenanmutung stellte sich al nicht zufriedenstellend heraus. Die immer noch leicht speckige Anmutung veranlasste mich, diese Richtung vorerst nicht weiter zu verfolgen.

244

Die Broschen und Ohrringe in Form eines fliegenden Vogels erwiesen sich als weiterhin gute Idee. Formen aus Gips sind hierf체r die richtige Wahl.



Formstudien Auswahl an Skizzen zu Vasenformen

Auch bei diesen Skizzen standen die Produktkonzepte und Erkenntnisse aus Brasilien im Fokus aller Ăœberlegungen.

246



248



Formstudien Abg端sse verschiedener Vasenformen

250



252



254



Arbeitsergebnisse Vasenkollektion

Die Vasenkollektion spiegelt in einer einzigartigen Weise Leben und Arbeiten der Kautschukzapfergenossenschaft Mista Flona Tapaj贸s Verde aus Maguary wieder. Die Formen zeigen die Vielschichtigkeit der Menschen. Die drei Vasen sollen die Menschen, den Wald und das Wasser. Sie sind das Ergebnis der Interpretation und der gestalterischen Auseinandersetzung mit dem Thema GLOCAL DESIGN. 256


magua


Vasenkollektion

magua

258


magua


Halbvase

meio

Die Halbvase meio ist eine fröhliche Kombination aus einem handelsüblichen Lebensmittelkonservenglas und einem Aufsatz aus Kautschuk. Das kleines Produkt entstand aus dem Gedanken der Wiederverwendung von vorhandenen Produkten. Konvervengläser existieren in allen Teilen der Erde, so dasss es ein ideales Produkt für die Kautschukzapfergenossenschaft ist. Handelsübliche Weinflaschen fungieren als Form, was die Herstellung kostengünstig macht. Die matte Oberflächenanmutung entsteht durch das Sandstrahlen der Glasoberfläche. 260


meio


Portemonai

Die Entwürfe der Portemonais bolsa bauen direkt auf den Entwicklungen der Kautschukzapfergenossenschaft auf. Die Interpretation der einfachen Formensprache der Genossenschaft in der Kombination mit ästhetisch-funktionalen Gesichtspunkten machen das Portemonai zu einem schönen Beispiel für GLOCAL DESIGN. Die drei einzelnen Fächer im Inneren schaffen Ordnung auf kleinem Raum. Das Portemonai bietet Platz für Kleingeld, Kreditkarte und einem kleinen Mobiltelefon. 262


bolsa




Schlußteil & Danksagung Was bleibt

Nach acht Monaten intensiver Auseinandersetzung mit Wandel und Möglichkeiten von Design im globalen Kontext bin ich um einiges reicher an Erfahrung. Diverse Gespräche und Diskussionen haben meine Position gestärkt, dass in der ausgeglichenen Kombination aus Ökonomie, Ökologie und Sozialem zukunftsgerichtetes Design entsteht. Hier sehe ich die Ansätze für die maximierung des Nutzens und die Entstehung von kreativen, gedeihenden, intelligenten und fruchtbaren Systemen. Die gegenseitige Wechselwirkung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem spiegelt sich in unserer globalen Produktwelt wieder und hier sollte jeder Gestalter seine Verantwortung übernehmen. Häufig erscheint Design rückwärtsgewandt nach alten Designkriterien, ohne lokale Material- und Energieflüsse, lokale Bräuche, Bedürfnisse und Vorlieben zu berücksichtigen. Meine Arbeit mit der Kautschukzapfergenossenschaft hat genau an diesem Punkt angesetzt und den Bewohnern Möglichkeiten der Weiterentwicklung ihres Designs aufgezeigt. Die 266

nachhaltige Nutzung des Regenwaldes sichert den Menschen den dauerhaften Bestand ihrer Wälder und ermöglicht ihnen die Fortführung ihres traditionallen Lebensstils jenseits der Armutsgrenze. D ie Entnahme der Latexmilch und die Herstellung der Produkte geschieht ausschließlich durch menschliche Energie und verursacht somit keine weiteren Kosten für die Genossenschaft. Die entstandenen Produkte sind Beispiele für die Möglichkeiten mit dem Material Kautschuk. Die Umsetzung einzelner Ideen liegt nun in der Hand der Genossenschaft. Die Auseinandersetzung mit dem Thema GLOCAL DESIGN hat für mich neue Möglichkeiten für künftiges Arbeiten im Design aufgezeigt und mir Mut gemacht, Dinge weiter zu denken und vorhandene Denkweisen noch kritischer zu hinterfragen. Die Ergebnisse der Arbeit eröffnen mir eine zukunftsgerichtet Perspektive die begeistert. Lasst uns die Ärmel hochkrämpeln und Zukunft gestalten!


An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei der Betreuung und Unterstützung meiner Diplomarbeit durch Herrn Professor Raab bedanken. Schon während meines Studiums eröffnete Herr Raab mir durch die Auseinandersetzung und Förderung neue Horizonte. Für die tatkräftige Unterstützung bei meiner Projektreise möchte ich mich bei Dr. Rainer Putz vom Regenwald Institut e.V., bei Wolfgang Meier und Oliver Heinze, sowie Frau Stegmann vom Akademischen Auslandsamt und beim Hochschulverein Coburg e.V. bedanken. Ohne diese Menschen wäre meine Reise nicht zu stande gekommen. Einen weiteren Dank möchte ich allen Freunden und Kommilitonen zukommen lassen. Besonderen Dank gilt Johanna, Philipp, Daniela und Christina. Der Austausch und die Unterstützung war stehts inspirierend.

Den letzten und wichtigsten Dank möchte ich an meine größten Förderer richten. Bei allen Dingen standen meine Eltern und Geschwister immer hinter mir. Ohne deren Hilfe ich nie so weit gekommen wäre. Vielen herzlichen Dank.

Roland Wulftange September 2009




Literaturverzeichnis Quellen 1. Monographien & Webseiten

Thackara, John: In the Bubble: Designing in a Complex World. Cambridge, Mass: MIT Press, 2005 [1]

http://www.maringa.pr.gov.br [2]

http://de.wikipedia.org/wiki/Schwellenl%C3%A4nder [3]

http://de.wikipedia.org/wiki/Zivilisation [4], [6]

http://de.wikipedia.org/wiki/Wiege_der_Zivilisation [5]

Walter; M端ller, Lars; Wyttenbach, Judith (Hrsg.): Das Bild der Menschenrechte, Lars M端ller Publishers, Baden, 2004/2008, ISBN 978-3-03778-114-2 [7], [10]

http://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language.aspx?LangID=ger Menschenrechte [8], [9], [11]

A.H. Maslow, A Theory of Human Motivation, Psychological Review 50 (1943) [12], [14]

http://www.social-psychology.de/cc/click.php?id=18 Maslow [13], [15]

http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialer_Wandel [16]

Horx, Matthias; Huber, Jeanette; Steinle, Andreas; Wenzel, Eike: Zukunft machen - Wie Sie von Trends zu Bussiness-Innovationen kommen, Campus Verlag, Frankfurt/Main, 2007, ISBN 978-3-593-38468-9 [18], [19], [20], [86], [87]

Steffen, Alex: W orld changing - Das Handbuch der Ideen f端r eine bessere Welt, Knesebeck Verlag, M端nchen, 2008, ISBN 978-3-89660-599-3 [21], [25], [39], [82]

Levitt, Theodore: The Globalization of Markets, Harvard Business Review, Mai-Juni 1983. [22]

brandeins GLOBALISIERUNG [23], [24], [26], [32], [41], [42]

http://de.wikipedia.org/wiki/UN-Millenniumsziele [27], [115]

http://www.millenniumkampagne.de/index.php?id=27 [28]

http://www.gapminder.org/ [29], [30]

270


Krugman, Paul: Internationale Wirtschaft: Theorie und Politik der Außenwirtschaft, Pearson Studium, München und Boston 2006, ISBN 978-3-8273-7199-7 [31]

http://www.worldmapper.org/ [33], [37]

http://hdr.undp.org/en/statistics/ [34], [35], [36]

http://na.unep.net/unep-atlas.php [35], [36], [37]

http://www.millennium-entwicklungsziele.de/pages/acommon/glossar.htm [38]

http://www.welthungerhilfe.de/kinderarbeit.htm [40]

Fischer, Gabiele; Lau, Peter (Hrsg.): D er Mensch - Die kleinste wirtschaftliche Einheit, Knesbeck Verlag, München, 2008, ISBN 978-3-89660-529-0 [43], [44], [45]

http://www.fomezero.gov.br/ [46]

Selle, Gert: Die Geschichte des Designs in Deutschland von 1970 bis heute. Entwicklung der industriellen Produktkultur, Köln 1978 [47]

Komar, Reinhard: Grünes Bauhaus - Wir brauchen völlig neue Formen, dtv Deutscher Buchverlag, 2008, ISBN 978-3-86622-020-1 [48], [49], [60 ], [97]

Braungart, Michael; McDonough, William: Einfach intelligent produzieren - Cradle to Cradle: Die Natur zeigt, wie wir die Dinge besser machen können, Berliner Taschenbuch Verlag, 2002, ISBN 978-3-8333-0183-4

[50], [51], [52], [53], [58], [59], [99], [100], [107], [118], [121], [123], [124], [125], [126], [129], [130], [131], [132], [134], [136], [137], [138], [139], [140], [142], [143], [143], [144], [146]

Womack, James P.; Jones, Daniel; Ross, Daniel: Die zweite Revolution in der Autoindustrie: Konseqzenzen aus der weltweiten Studie des Massachusetts Institute of Technology, Frankfurt am Main, 1992 [54]

Batchelor, Ray: Hanry Ford: Mass Production, Modernism, and Design, Manchaster and New York 1994 [55], [56]

Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie: Zufunftsbuch Deutschland in einer globalisierten Welt - Ein Anstoß zur gesellschaftlichen Debatte, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main, 2008, ISBN 978-3-596-17892-6 [57], [61], [62], [63], [64], [110], [112], [113], [114], [116], [117]

Schmitt, Lutz: Zeit, Gesellschaft und Design - Die Funktion von Design in der Gesellschaft, VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken, 2007, ISBN 978-3-8364-1346-6 [65], [69], [70], [97]

Gottlieb Duttweiler Institut (Hrsg.): Bang: Die Zukunfts der Evolution - Wie die Konvergent der Spitzentechnologie den Menschen zum allmächtigen Schöpfer macht, Verlag GDI, Rüschlikon, 2007, ISBN 978-3-7184-7027-3 [66], [67], [68], [73], [75], [81 ], [98]

http://special.lib.gla.ac.uk/exhibns/month/aug2001.html [71]

Silver, Carole. The Romance of William Morris. Athens, Ohio: Ohio UP, 1982 [72]

http://de.wikipedia.org/wiki/Humanismus [74]

http://www.ecosign.net/ [76], [78], [95], [96]


Volker Hauff (Hrsg.): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven 1987, Eggenkamp Verlag, ISBN 798-3-923166-16-1 [77], [106]

Eickhoff, Hajo; Teunen, Jan: Form: Ethik. Ein Brevier für Gestalter, Av Edition, Ludwirgsburg, 2006, ISBN 978-3-899860665 [79], [80], [88], [89], [90], [91], [92], [93], [94]

Papanek, Voctor: D esign für die Reale Welt - Anleitung für eine humane Ökologie und sozialen Wandel, Springer-Verlag, Wien, 2009, ISBN 978-3-211-78892-9 [83], [84], [85]

Grobe, Ulrich: Der Erfinder der Nachhaltigkeit. DIE ZEIT, Nr. 48/25.11.99, S.98d [101], [102], [103]

Donella Meadows, Dennis L. Meadows, Jørgen Randers, William W. Behrens: Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Deutsche Verlags-Anstalt, München 1972, ISBN 3-421-02633-5 [104]

http://en.wikisource.org/wiki/Brundtland_Report [105]

Stappen, Ralf K.: A Sustainable World is Possible. Der Wise Consensus. Eichstätt 2004–2008 [108]

http://de.wikipedia.org/wiki/Stern-Report [109]

http://www.globalmarshallplan.org/archiv/newsletter/2007/10_2007/index_ger.html [110]

http://www.bmu.de/klimaschutz/downloads/doc/40259.php [111]

Romm, Joseph J.:Lean and Clean Management: How to Boost Profits and Productivity by Reducing Pollution, New York, 1994 [119]

World Commission on Environment and Development. Our Common Future, Oxford und New York, 1987 [120]

Schmidheiney, Stephan: Eco_efficiency and Sustainable Development, Risk Management 43:7, 1996 [122]

Hillman, James: Kinds of Power: A guide to Its Intelligent Use, New York, 1995 [127]

Clive Ponting: A Green History of the World: The Environment and the Collaps of Great Civilisation, New York, 1991 [128]

Cronon, William: Nature´s Metropolis: Chocago and the Great West, New York and London, 1991 [135]

Mayer, Lars: Wilhelm Braun-Feldweg Förderpreis für designkritische Texte 2007 - Sustainable Water, Verlag Niggli, Sulgen, 2007, ISBN 978-3-7212-0634-0 [145]

earce, Fred: Die Erde früher und heute Bilder eines drastischen Wandels, P Fackelträger Verlag, Köln, 2007, ISBN 978-3-7716-4349-2 [147], [148], [149], [150], [151], [152], [153], [154]

272


Literaturverzeichnis Weiterführende Recherche 1. Monographien Benediksen, Jonas : So leben wir - Menschen am Rande der Megacitys, Knesbeck Verlag, München, 2008, ISBN 978-89660-587-0, Blau, Wolfgang; Selene, Alysa: German Dream - Träumen für Deutschland, Deutscher Taschenbuch Verlag, 2007, ISBN 978-3-423-24646-0 Braungart, Michael; McDonough, William: Cradle to Cradle - Remaking the way make things, Verlag Vintage Books, London, 2008, ISBN 978-0-099-53547-8 rainer, Stuart; Dearlove, Des: Der Atlas des Managements - Navogationshilfen für die Reise durch die Budiness-Welt, C Verlag Redline Wirtschaft, Frankfurt/Main, 2006, ISBN 978-3-636-01171-5 Donella Meadows, Dennis L. Meadows, Jørgen Randers, William W. Behrens III: Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Flusser, Vilém: Vom Stand der Dinge - Eine kleine Philosophie des Design, Steidl Verlag, Göttingen, 1993, ISBN 978-3-88243-249-7 Gamper, Karl; Gamper, Jwala: So schön kann Wirtschaften sein: Der Aufbruch der Kulturell-Kreativen, J. Kamphausen Verlag, Bielefeld, 2007, ISBN 978-3-8990-1073-2 ore, Al: Eine unbequeme Wahrheit - Die drohende Klimakatasthrophe und was wir dagege tun können, G Riemann Verlag, München, 2006, ISNB 978-570-50078-0 arvey, Eugénie: Change the World for a Fiver, H Verlag Community Links, London, 2004, ISBN 1-904095-96-8 Hauff , Volker (Hrsg.): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Eggenkamp Verlag, Greven 1987, Vorlage:ISBN 3-923166-16-8 Horx, Matthias: W ie wir leben werden - Unsere Zukunft beginnt jetzt, Campus Verlag, Frankfurt/Main, 2005, ISBN 978-3-593-37777-2 Horx, Matthias: A nleitung zum Zukunftsoptimismus - Warum die Welt nicht schlechter wird, Campus Verlag, Frankfurt/Main, 2007, ISBN 978-3-593-38251-2 Horx, Matthias: Technolution - Wie unsere Zukunft sich entwickelt, Campus Verlag, Frankfurt/Main, 2008, ISBN 978-3-593-3855-6 Jonas, Wolfgang: D esign, System, Theorie - Überlegungen zu einem systemtheoretischen Modell von Design-Theorie, Verlag Die Blaue Eule, 1994, ISBN 978-3-89206-549-7 Kelley, Tom: Das IDEO Innovationsbuch - Wie Unternehmen auf neue Ideen kommen, Econ Verlag, Berlin, 2002, ISBN 978-3-430-15317-4


elley, Tom; Littman, Jonathan: The ten faces of innovation - IDEO´s strategies for beating the devil´s advocate & driving creativity throughout your organisation, K Verlag Dubleday, Unidat States of America, 2005, ISBN 0-385-51207-4 Maeda, John: Simplicity!: Die Zehn Gebote der Einfachheit, Spektrum Akademischer Verlag , Heidelberg, 2007, ISBN 978-8274-1869-2 Mau, Bruce: Massive Change: A Manifesto for the Future of Global Design, Phaidon Verlag, Berlin, 2004, ISBN 978-0- 714844015 Merholz, Peter; Wilkens, Todd; Schauer, Brandon; Verba, David: Subject to change - Creating greate products and services for an uncertain world, Verlag O‘Reilly Media, Sebastopol, 2008, ISBN 978-0-596-51683-3 Naisbitt, John: Megatrends, Macdonald, 1984, ISBN 978-0356102092 Naisbitt, John: Mind set! Wie wir die Zukunft entschlüsseln, Carl Hauser Verlag, München, 2007, ISBN 978-446-41000-8 Schneider, Beat: Design - eine Einführung. Entwurf im sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Kontext, Birkhäuser Verlag, Basel, 2005, ISBN 978-3-7643-7241-5 Wenzel, Eike; Horx, Matthias; Dziemba, Oliver: Zukunft Deutschland 2020 - Wie sich unsere Top-Standorte zukunftsfit machen, Zukunftsverlag, Kelkheim, 2008, ISBN 978-3-938284-40-7 Wenzel, Eike; Rauch Christian, Kirig, Anja; Haderlein, Andreas: 100 Top Trends - Wie sich unsere Top-Standorte zukunftsfit machen, Zukunftsverlag, Kelkheim, 2007, ISBN 978-3-938284-30-8 erner, Götz W.: Einkommen für alle, W Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2007, ISBN 978-3-462-03775-3 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Nachhaltigkeit, Der aktuelle Begriff 06/2004, 6. April 2004, http://www.bundestag.de/pruefung/fehlermeldung.asp?keyword=2004_04_06.pdf Yunus, Muhammad; Weber, Karl: Die Armut besiegen. Das Programm des Friedensnobelpreisträgers, Carl Hauser Verlag, München, 2008, ISBN 978-3-446412361

2. Artikel/Aufsätze in Sammelbänden Michel, Ralf: Design Research Now - Essays and Selected Projects, Birkhäuser Verlag, Basel, 2007, ISBN 978-3-7643-8471-5 - Bonsiepe, Gui: The Uneasy Relationship between Design and Design Research - Keller, Ianus: For Inspiration Only - Jonas,, Wolfgang: Design Research and its Meaning to the Methodological Development of the Discipline - Manzini, Wzio: Design Research for Sustainable Social Innovation

3. Artikel in Zeitschriften HUMAN GLOBALER ZUFALL Tópicos brandeins 274


4. Webseiten www.bergpublishers.com www.birdf.com www.bmz.de www.thackara.com/ www.brucemaudesign.com www.braungart.com/ www.copenhagenconsensus.com www.dailydump.org www.dcontinuum.com www.design21sdn.com www.designagainstcrime.com www.designcanchange.org www.designforafrica.com www.designgreen.org/ www.designmanagementeurope.com www.designresearchnetwork.org www.designthatmatters.com http://designthinking.ideo.com www.deutscheumweltstiftung.de www.dgtf.de www.droppingknowledge.org www.ecodesign.at www.econcept.org www.ecosign.net http://emma.polimi.it/emma/showEvent. do?idEvent=23 www.entwicklungshilfe.de www.environdesign.com/ www.epea.com www.epo.de www.fibradesign.net www.freeplayenergy.com www.geo.de www.good.is www.gtz.de www.gapminder.org www.guibonsiepe.com http://hdr.undp.org www.hipporoller.org www.horx.com www.icsid.org www.ideo.com www.indexaward.dk

www.institutewithoutboundaries.com www.institut-social-marketing.de www.isa-sociology.org www.kfw-entwicklungsbank.de www.laptop.org www.lifestraw.com http://mass-customization.blogs.com www.massivechange.com www.nextd.org www.ohchr.org www.olpc-jericho.de http://other90.cooperhewitt.org www.openinnovation.net www.projecthdesign.com www.questions-hypotheses.org http://reset.to www.rockfound.org www.socialdesign.dk www.socialdesignsite.com www.sociallyresponsibledesign.org www.ted.com www.thackara.com/ http://thp.org www.together21.org www.treehugger.com www.un.org www.undp.org www.unep.net www.unesco.com www.unicef.org www.unido.org www.urbanrevision.com www.usgbc.org/ www.vestergaard-frandsen.com www.volkswagenstiftung.de www.watercone.com www.wikipedia.net/de www.worldchanging.com www.worldmapper.org www.wupperinst.org www.wwf.de www.zukunftsinstitut.de www.21-kom.de




Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.