Pistoia

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G ir o p a ra d is o Giwi ieser aufs Rennrad ? unsere autorin Jennifer Warum steigen jedes Wochenende so viele Pisto ftet und sich verliebt – in ihr fahr rad hat sich einem Ex-P rofi an den hinterreifen gehe

Tex t : Jenni fer Gi w i foto s: oli ver Reinhar d t

Jetzt nehme ich die richtige Abzweigung. Die nächste Steigung lässt nicht lange auf sich warten. Ich lege den falschen Gang ein und

Schon im Fahrradladen von Andrea Panconi an der Via Battisti

werde von einem älteren Radfahrer überholt.

wird mir etwas mulmig zumute. Morgen geht es mit einem ehe-

Ich trete fester in die Pedalen und hole ihn

maligen Radprofi auf die Strecke. Domiziliano Spadi ist zwar 33

ein. Lange halte ich das aber nicht aus. Ich

Jahre älter als ich, aber Profi bleibt Profi. Das Fahrrad, das ich

steige ab, bevor ich wieder in den Straßengra-

mir ausleihen will, muss deshalb top sein. Panconi bringt mir ein

ben stürze. Plötzlich steht Vincenzo Chimento

Rennrad mit einem Carbonrahmen. Es ist gerade mal acht Kilo

neben mir und erklärt mir die Gangschaltung.

schwer, auf dem Rahmen steht Panconi. Ich habe schon auf ei-

„Si, si“, sage ich. Als er noch mehr Italienisch

nigen Rennrädern gesessen, aber davon konnte ich bislang nur

redet, antworte ich: „Non parlo l‘ italiano.“

träumen. Damit könnte ich es schaffen, mit dem Maestro mitzu-

Vincenzo, 70 Jahre alt, kann ein bisschen

halten. Mit geübtem Blick schätzt Panconi meine Größe, stellt den

Deutsch. Er hat drei Jahre lang in Hannover

Sattel ein und verpasst mir ein paar gelbe Radschuhe. Treffpunkt

gelebt. Er will wissen, was ich hier mache.

am nächsten Tag: Hier vor dem Fahrradladen, 12 Uhr mittags.

Ich zeige ihm meine Route. Wir beschließen,

Aber vorher will ich erst mal noch alleine trainieren. Ich schwin-

zusammen zu fahren. Das Klima ist ideal zum

ge mich auf das schwarze Rennrad mit den roten Reifen. Mei-

Radfahren. „Huuuh, die Luft ist frisch, we-

ne Hände umgreifen die schwarzen Hörner des Bügellenkers.

nige Autos, Paradiiiiiiieeees“, sagt Vincenzo

Bevor ich aus Pistoia hinausfahre, übe ich noch das Aus- und

Chimento. Um uns herum grünt und blüht es.

Ein klicken an den Rennpedalen. Klick, klack. Im Stand klappt

Der Duft von Erdbeeren kitzelt unsere Nasen.

es gut. Das muss reichen. Ich fahre die Via Nazario Suaro aus

Die hohen Bäume spenden Schatten und ihre

Pistoia hinaus, in Richtung Serravalle. Das Rad schneidet sich

langen Ästen und Zweigen bilden strecken-

geschmeidig durch den Wind. Ich bekomm eine erste Ahnung,

weise ein Blätterdach. Der Wind schlägt uns

wie es ist, vom Boden abzuheben und zu fliegen.

ins Gesicht, als wir von Le Piastre nach Pistoia

In Serravalle biege ich falsch ab und quäle mich eine 20-pro-

acht Kilometer bergab fahren. Schließlich hal-

zentige Steigung hinauf. Immerhin ermuntern mich hupen-

ten wir vor dem Haus von Vincenzo Chimento

de Autofahrer. „Das kann doch nicht die von Nationaltrainer

anhalten. Auch er war einmal Profi-Rennfah-

Franco Ballerini empfohlene Strecke sein“, denke ich noch und

rer wie Spadi und so viele andere Pistoieser.

liege kurz darauf samt Rad im Gras am Straßenrand. Zum Glück

Heute besitzt er noch drei Rennräder und ein

nix passiert. Die Füße stecken noch immer in den Pedalen. Ich

Mountainbike.

f luche, klicke mich aus und schiebe das Rad den Berg wieder

Am nächsten Tag bin ich pünktlich am Treff-

hinunter.

punkt. Domiziliano Spadi ist mit seinen 59


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