Relax Magazin 2021

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L EB E N S A R T

„ICH BIN AN UMWEGEN GEWACHSEN“ Die Ärztin und Afr ika-Aktivistin Chr istine Wallner hat auf die har te Tour gelernt, wie auch aus schmerzhaften Er f ahrungen Kraftquellen werden, die man anzapfen kann. Jetzt ist sie bei sich angekommen – und es ist nicht mehr so wichtig, ob es Wien oder Tansania ist .

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s muss immer weitergehen. Pause machen, entspannen, einfach einmal fünf gerade sein lassen – das sind Konzepte, die in Christine Wallners Vokabular nicht vorzukommen scheinen. Und in ihrer Biografie schon gar nicht. „Ich war immer schon eine, die in die Zukunft schaut“, sagt sie. „Ich war schon so ein Kind, das immer nur durch Leistung bestehen konnte. Das kriegst du nie ganz weg. Bis ich damit meinen Frieden mache – da muss ich schon sehr alt werden!“ Ich sitze mit der 76-jährigen Ärztin in ihrer Wohnung in Wien-Hernals und linse verstohlen auf den Zettel mit meinen Interviewfragen. „Ruhestand?“, stand da in der ersten Zeile. Und darunter: „Relaxen?“ Nun ja. Wenn Gesichter umarmen könnten, dann hätte Christine Wallner so ein „Umarm-Gesicht“. Es strahlt Offenheit und Wärme aus – ganz abgesehen davon, dass man ihr eher 56 als 76 Jahre zuschreiben würde. Was es aber gewiss nicht ausstrahlt, ist „Ruhestand“. Damit brauche ich gar nicht erst anzufangen. Gut, denke ich. Dann reden wir übers Leben. Über die Umwege, über das Hinfallen, Aufrappeln, Weiterwurschteln. Weil aufgeben? Sicher nicht. Aufgeben tut man bekanntlich nur Briefe. Ein letzter Kontrollblick auf den Zettel, dann packe ich 20

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ihn weg. Christine Wallner, steht da, Ex-Frau des ehemaligen Casino-Chefs Leo Wallner, zwei gemeinsame Kinder, Cornelia und Clemens. Doch das war vor 35 Jahren. Heute macht Wallner einen unabhängigen Eindruck. Eine Definition als „Frau von …“ wird ihr längst nicht mehr gerecht. Als die Kinder groß genug waren, folgte sie dem Weg ihres Herzens: das langersehnte Medizinstudium, die Arbeit im Spital, eine eigene Praxis. Ihr erstes Studium, die Rechtswissenschaften, hatte sie noch als brave Tochter absolviert. „Eigentlich war es schrecklich“, sagt sie, „ich möchte nie mehr einen Fuß in einen Gerichtssaal setzen!“ Damals hätte sie schlicht unreflektierte Disziplinarbeit geleistet, ihrem Vater zuliebe, der bei jeder erfolgreichen Prüfung weinte. Heute würde sie ihr Studium am liebsten verkaufen, um in Afrika ein paar Kindern mehr eine Zukunft zu ermöglichen. Geld war auch da nach der Scheidung. Es war ihr nicht wichtig („Ich brauch nicht viel“), aber es gab den Kindern die sichere Basis einer guten Ausbildung und ihr selbst noch etwas Zeit, um ihr Medizinstudium zu vertiefen und ihren Wissensdurst mit fünf Jahren Zusatzausbildungen zu stillen. Helfen, heilen, vor allem: nicht bloß danebenstehen, wo etwas gebraucht wird. Ärmel hochkrempeln, anpacken. In Afri-


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