nemo - Neue Mobilität in der Region Stuttgart (02)

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PORTRÄT · DER PROFESSOR LUTZ FÜGENER

„Das Auto der Zukunft muss an Gewicht verlieren.“

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o kann man Pforzheim lernen? Hä? Wie bitte? Lutz Fügener hat eine ganze Weile gebraucht, bis er diese Frage verstanden hat. Da wollte jemand aus China wissen, wo man in Deutschland Autodesign studieren kann. Der Studiengang „Transportation Design“ ist zum Synonym für die Stadt geworden. So laut tönt der exzellente Ruf dieser Kaderschmiede in die Welt hinaus. Lutz Fügener ist einer von zwei Professoren, die in Pforzheim dem gegenwärtigen Nachwuchs lehren, den Fahrzeugen der Zukunft Gestalt zu verleihen. 20 Bachelor- und 14 Masterstudenten werden jedes Jahr angenommen. Zehn Mal so viele bewerben sich. Sie kommen aus Neuseeland und China, aus Russland, dem Iran und Israel. Die deutschen Studenten sind in dem Masterstudiengang in der Minderheit. Das Institutsgebäude ist klein und unscheinbar und würde mit seinem Charme einer Industriehalle in keinem Gewerbegebiet auffallen. Unten im Foyer steht eine große Carrera-Bahn, an der Wand hängen Bilder von Autos, die Absolventen bei Autobauern wie

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BMW, Daimler oder Audi entworfen haben. Der Bilderreigen gleicht einer Ahnengalerie, Heldenverehrung wird hier allerdings keine betrieben. Das würde weder zu den Zukunftsvisionen passen, die an diesem Ort entwickelt werden, noch zu dem nüchternen Wesen von Lutz Fügener. Der weiß, dass Autos nicht nur Kultgegenstände sind, sondern auch gegen Bares verkauft werden müssen. In Pforzheim werden keine Künstler ausgebildet, Querdenker sind jedoch willkommen. „Ich freue mich, wenn jemand etwas Neues versucht. Nicht nur die Asche weiterreicht, sondern die Flamme weiterträgt“, sagt Fügener. Die Asche weitertragen – das hat die Autoindustrie lange genug gemacht, findet der Professor in Jeans und Kapuzenpulli, der viel hinterfragt und sich nicht mit Oberflächenpolitur zufrieden gibt. „Der Wandel hin zu neuer Mobilität kommt zwanzig Jahre zu spät“, sagt er. Schon Ende der 80er Jahre hätte es ein hohes Bewusstsein für Umweltfragen in Deutschland gegeben. Die dicken Autos mit ihrem Benzindurst waren schon damals politisch so unkorrekt wie die SUVs von heute, die so genannten Geländelimousinen. Aber dann fiel die Mauer und in Russland und China fanden die Statussymbole „made in Germany“ reißenden Absatz. „Warum hätte sich die Autoindustrie anstrengen sollen, neue Technologien voranzubringen, wenn doch die bewährten Modelle so gut liefen? Am

Ende zählen immer die Verkaufszahlen“, sagt Fügener. 1500 Euro bezahle der Käufer eines Neuwagens fürs Marketing. 150 Euro fürs Design. 1,5 Milliarden koste die Entwicklung eines neuen Modells. Es geht um viel Geld. Als die Mauer fiel, war der in Dessau aufgewachsene Lutz Fügener 24 Jahre alt und Student. Mit seinen 100 Mark Begrüßungsgeld hat er sich ein Auto gekauft. Einen Renault, der auf einer Wiese stand und mit Holzscheiten vollgestopft war. Er hat ihn wieder zum Laufen gebracht. Heute besitzt er zusammen mit seiner Frau zwölf Autos, die meisten davon gebrauchte Designikonen. Vernarrt in Autos ist Fügener seit jeher. „Alle Kinder reagieren stark auf Fahrzeuge. Und von uns Autodesignern sind eben viele in dieser frühkindlichen Phase verharrt“, sagt der Professor in der ihm eigenen Art, gesegnet mit reichlich Selbstironie. Im Ungarn-Urlaub kauften seine Eltern dem damals 14-Jährigen das 500 Seiten starke Magazin „Auto-Revue“. Er hat dieses Kompendium aller international erhältlichen Automodelle als Junge so oft gelesen, inhaliert und auswendig gelernt, bis es auseinanderfiel.

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ügener ist ein Mann der Formen. Als solcher hat er sein Maschinenbaustudium in Dresden aufgegeben zugunsten eines Studiums zum Industriedesigner in Halle. Er arbeitete als Praktikant in einem Designstudio, wurde später Gesellschafter und entwarf


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