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BOULEVARD DER HELDEN

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ZAHLEN, BITTE

ZAHLEN, BITTE

MUHAMMAD ALI „WHAT’S MY NAME!“

Serie: MICHAEL KÖHLMEIER erzählt die außergewöhnlichen Geschichten inspirierender Figuren – faktentreu, aber mit literarischer Freiheit. Folge 7: Wie sich Box-Künstler Muhammad Ali an einem Großmaul rächte.

Am 6. Februar 1967 boxte Ernie Terrell unter dem riesigen Kuppeldach des Astrodome in Houston, Texas, gegen Muhammad Ali. Der Kampf war für Ali ein Rachefeldzug, für Terrell eine Tragödie, ein Trauma, das endgültige Aus. Eigentlich war der Kampf eine Farce.

Nachdem Terrell von der World Boxing Association (WBA) 1965 zum Weltmeister erklärt worden war, meinten er und sein Manager, den wahren, in Wahrheit von allen anerkannten Weltmeister, nämlich Muhammad Ali, herausfordern zu können. Terrell wurde der „Papierweltmeister“ genannt, und das hieß, die Entscheidungen der WBA wurden missbilligt, verächtlich gemacht, belächelt. Die Verwirrung entstand, weil die verschiedenen Boxverbände untereinander in Konkurrenz standen, jeder kürte seinen Weltmeister, einer warf dem anderen Korruption vor, die Kämpfe seien geschoben, sagte der eine über den anderen, Sieg und Niederlage stünden von vornherein fest. Drei Jahre zuvor hatte der Olympiasieger im Halbschwergewicht von Rom 1960, Cassius Clay, seinen Namen auf Muhammad Ali geändert. Er wolle nicht einen Namen tragen, der einem seiner Vorfahren von einem Sklavenhalter gegeben worden war, argumentierte er.

Ali war damals schon berühmt für seine Unverblümtheit, er ließ sich von niemandem etwas gefallen, er hatte es nicht nötig, sich einen Sieg zu kaufen. Vor seinen Kämpfen zeigte er mit den Fingern auf, in welcher Runde er seinen Gegner auf die Bretter schicken würde. „Er kann nicht so gut kämpfen, wie er reden kann“, hatte ein Reporter vor dem legendären

Kampf gegen Sonny Liston über – damals noch – Cassius Clay geschrieben. Das arrogante Auftreten dieses ungewöhnlich gut aussehenden Boxers provozierte, und als er im selben Jahr seiner Namensänderung dann auch noch bekanntgab, dass er Mitglied der Nation of Islam sei, MICHAEL KÖHLMEIER der Black Muslims, wie die Anhänger

Der Vorarlberger dieser radikalen religiöspolitischen

Bestsellerautor gilt Organisation genannt wurden und sich als bester Erzähler selbst nannten, war die Empörung nicht deutscher Zunge. Zuletzt erschienen: der Roman „Matou“, nur bei den Sportfans groß, sondern beim Großteil der weißen Amerikaner. 960 Seiten, Ernie Terrell, selbst Afroamerikaner, sah

Hanser Verlag. seine Chance. Ihm imponierte Alis großsprecherische Art, er wollte es ihm gleichtun und seinerseits seinen Gegner beschimpfen und herabsetzen. Wenn es ihm gelänge, Muhammad Ali nicht nur im Ring, sondern auch in puncto Angeberei zu schlagen, dann würde er sich den Platz des guten Schwarzen sichern. Also beschlossen er und sein Manager, es auf die harte Tour zu versuchen.

Bei allen Interviews vor dem Kampf nannte Terrell seinen Gegner, und das sehr oft und jedes Mal mit zynischer Betonung: „Cassius Clay“. Auf die Frage eines Reporters, ob er denn nicht mitgekriegt habe, dass Cassius Clay mittlerweile Muhammad Ali heiße, antwortete er, von einem gewissen Propheten Muhammad habe er zwar schon irgendwann irgendwas gehört, aber der sei doch schon lange tot, aber gut, wenn nicht, dann werde er es bald sein. Das war sehr mutig – und sehr dumm. Der Kampf wurde im Fernsehen übertragen, ich glaube mich zu erinnern, es muss bei uns so gegen drei oder vier Uhr am Morgen gewesen sein. Wir

besaßen damals schon einen Fernseher, unseren ersten, ein kleines Schwarzweißgerät, das heißt, klein war es nicht, es war ein mächtiges Möbelstück, nur der Bildschirm war klein. Mein Freund und ich, wir waren siebzehn, blieben in dieser Nacht auf. Diesen Kampf wollten wir unbedingt sehen.

Ali hatte zunächst angekündigt, er werde Ernie Terrell in der fünften Runde k.o. schlagen, hatte dann auf die dritte Runde korrigiert und schließlich auf die erste. Bisher hatte er mit seinen Prognosen noch immer recht behalten. Es würde also ein kurzes Aufbleiben werden, mein Freund und ich mussten ja am nächsten Tag in die Schule.

Es kam anders. Nach der ersten Runde ließ Ali verlautbaren, er werde seine Strategie ändern, das freche Verhalten von Ernie Terrell müsse bestraft werden. Schon jetzt war klar, Terrell hatte nicht die geringste Chance gegen diesen Gegner, und wenn Ali es gewollt hätte, wäre er tatsächlich gleich zu Beginn des Kampfes zu Boden gegangen. Aber genau das wollte Muhammad Ali nicht, er wollte Ernie Terrell bestrafen. Er schonte ihn. Noch. Scheinbar.

Nach jedem Schlag schnauzte er ihn an: „What’s my name? What’s my name?“

Mein Freund und ich waren von Anfang an auf Alis Seite. Was denn sonst! Spätestens seit seinem Kampf gegen Sonny Liston war Cassius Clay alias Muhammad Ali für uns der Größte. Dass er jedes Mal vorher bekanntgab, in welcher Runde der Kampf zu Ende sein würde, werteten wir nicht als Angeberei, sondern als nüchterne Bekanntgabe einer Wahrheit. Liston war ein Wunder gewesen – gewesen –, aber ein Wunder war er. Er verfügte über nur wenig Technik und über gar keine Eleganz. Dass ein Schwergewichtler elegant sein kann, auf diese Idee wäre vor Muhammad Ali ohnehin niemand gekommen. Ein Schwergewichtler haut zu und steckt ein, fertig. So einer war Sonny Liston. Er stand im Ring wie angeschraubt, ein Boxer mit Herz – darunter wird nicht einer verstanden, der lieb ist, sondern einer, der einstecken kann. Und das konnte Mister Liston. Einer sagte einmal über ihn, dem könne man einen Kirchturm auf den Kopf hauen, dann schüttele er sich nur und weiter geht’s. Er hatte ein vertrauensvolles Verhältnis zum organisierten Verbrechen. Für seine Gegner hieß es, sich ducken, den Schlägen ausweichen und durchhalten, ein einziger Treffer würde genügen. So erging es dem damaligen Weltmeister Floyd Patterson, 1962 streckte ihn Sonny Liston in der ersten Runde nieder, K.o., ein Treffer. Aber dann der Kampf gegen Cassius Clay. Nun konnte die Welt sehen, dass Schwergewicht und Eleganz, Angeberei und furiose Könnerschaft einander nicht ausschließen. In der sechsten Runde gab Liston den Kampf auf, technischer K.o. Der Mann mit dem Hammer aus Stahlbeton war geschlagen – und gedemütigt. Cassius Clay hatte nicht ein einziges Mal während des Kampfes die Fäuste zur Deckung erhoben. Er war um den Weltmeister herumgetänzelt wie ein übermütiges Mädchen, nicht einen wirklichen Schlag hatte Liston anbringen können. Cassius Clay hatte den scheinbar Unbesiegbaren vorgeführt wie einen Tanzbären, er hatte ihn blamiert. – Meinem Freund und mir hatte das gefallen. Das war ein neues Boxen! Das war ein schönes Boxen!

Und nun Muhammad Ali gegen Ernie Terrell: „What’s my name? What’s my name?“

Terrell wird spätestens nach der zweiten Runde klar geworden sein, dass dieser Kampf für ihn nur schmachvoll enden konnte. Vielleicht hat er sich sogar gewünscht, dass Ali seine erste Voraussage doch wahr machte, dass er ihn in der dritten oder fünften Runde k.o. schlägt. In dem fnsteren Raum des K.o., in dem, wie es ein Boxer einmal ausdrückte, „blutrote Fackeln brennen, aber kein Licht machen“, in diesem Raum kannte sich Ernie Terrell aus, durch diesen Raum hatte er sich schon einmal in seiner Karriere tasten müssen. Was Muhammad Ali mit ihm – und zwar über alle fünfzehn Runden! – aufführte, das war ihm neu. Das war kein Kampf wie der fünf Monate zuvor gegen den Deutschen Karl Mildenberger, der über zwölf Runden ging, aber nicht, weil Ali ihn „schonen“ wollte, sondern weil Mildenberger, der Europameister, ein exzellenter Fighter war, ein ganz und gar würdiger Herausforderer, gegen den Muhammad Ali kein zweites Mal kämpfen wollte, wie er sagte – was wohl das größte Lob war, das aus seinem Mund erwartet werden konnte.

Ali „bestrafte“ Terrell. Er selbst nannte den Kampf eine Bestrafung. Nie wieder sollte es jemand wagen, ihn in seiner Gegenwart Cassius Clay zu nennen. Muhammad Ali war kein Sklave, er war der König!

Nach dem Kampf wirkte Ali, als hätte er gerade einen erfrischenden Waldlauf hinter sich. Ernie Terrell aber war nicht wiederzuerkennen. Boxen heißt Verletzen. Wer sich einen Boxkampf anschaut, darf sich nicht aufregen, wenn verletzt wird. Boxen und Mitleid passen nun einmal nicht zusammen. In den meisten Fällen ist das sehr unschön anzusehen – milde ausgedrückt. Jemanden schön verletzen konnte nur Muhammad Ali. Muhammad Ali hatte nicht nur bewiesen, dass Boxen eine elegante

„Er selbst nannte den Kampf eine Bestrafung. Muhammad Ali war kein Sklave, er war der König.“

„Nach dem Kampf wirkte Ali, als hätte er einen erfrischenden Waldlauf hinter sich.“

Angelegenheit sein kann, sondern auch, dass sich auf elegante Art und Weise das Gesicht eines Gegners in eine blutige Fratze verwandeln lässt. Zugegeben, das verwirrt, das bestürzt.

Mein Freund und ich saßen vor dem kleinen Schwarzweißbildschirm, zudem war die Übertragung schlecht, manchmal schob sich ein breiter dunkelgrauer Balken von oben nach unten über den Boxring. Uns störte das nicht. Bald störte uns auch nicht mehr das Versprechen, das wir meinen Eltern gegeben hatten, nämlich leise zu sein, damit sie schlafen können. Spätestens ab der dritten Runde brüllten wir. Bei jedem „What’s my name?“ brüllten wir mit: „What’s my name!“

Irgendwann kam mein Vater im Pyjama und schlaftrunken ins Wohnzimmer. Ob wir ein bisschen leiser sein könnten … Schließlich setzte er sich zu uns, schließlich brüllte er mit. Meine Mutter, eine zarte, milde Person, kam. Ob wir ein bisschen leiser sein könnten… Ich erklärte ihr kurz, dass dies eigentlich kein Kampf, sondern eine Art Wiedergutmachung sei – Wiedergutmachung klang weniger martialisch als Bestrafung. Sie setzte sich zu uns. Nein, sie brüllte nicht mit uns mit, aber ich glaube, sie verstand doch irgendwie, dass wir drei, mein Freund, mein Vater und ich, brüllten.

DAS JAHRESABO

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