i z3w 344 Auszug: Angereicherte Gefahr - globale Geschäfte mit Uran

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Angereicherte Gefahr – globale Geschäfte mit Uran

iz3w t informationszentrum 3. welt

Außerdem: t Kein Frieden in Kolumbien t Queer in Afrika t Flüchtlinge im Sinai t Vertreibung in Chile …

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Sept./Okt. 2014 Ausgabe q 344 Einzelheft 6 5,30 Abo 6 31,80


I n d ieser A u sga b e

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Schwerpunkt: Uran Titelmotiv: M. Backes, G. Wick [M]

15 Unbeherrschbar Die Verwertung des Urans geht mit der Vervielfältigung von Gewalt einher von Martina Backes

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In den Händen von Kriegsherren Die Geschichte einer Mine in der DR Kongo von Golden Misabiko

20 3 Editorial 22

Politik und Ökonomie 4

23 Nebenan

Kolumbien: Schleichkatze auf Hochtouren

Tagebau in Sichtweite der Dörfer von Thomas Bauer und Christian Russau

25 Geheimniskrämerei

Migration: Verhängnisvolle Flucht

Rund um den internationalen Handel mit Uran von Benjamin Paaßen

Im Sinai finden grausame Gewalttaten gegen Flüchtlinge statt von Eva-Maria Bruchhaus

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China: Gratulation zum Armutsgebiet Die schwierige Rolle von NGOs bei der Armutsbekämpfung von Dirk Reetlandt

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28 Gefahrenanreicherung Auf Uranabbau folgen Risiken bis hin zum Atommülldesaster von Udo Buchholz

30 Aufgeflogen Die malische Regierung übergeht lokale Verantwortliche von Olaf Bernau

Antiziganismus I: Was heißt denn hier ‚Roma’? Aktuelle Formen des medialen Antiziganismus von Markus End

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Strahlendes Material auf Reisen von Dieter Kaufmann

Chile: Nach dem Feuer von Valparaíso Die sozialen Folgen von Naturkatastrophen von Jürgen Schübelin

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»Dem Schweigen verpflichtet« von Hilma Shindondola-Mote

Der Friedensprozess stößt weiter auf große Hindernisse von Matthias Schreiber

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Freigesetzte Übel Der Uranabbau hinterlässt irreversible Langzeitfolgen von Günter Wippel

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Ein Sinto in Deutschland von Sebastian Lotto-Kusche

Wer gewinnt? Abbaupläne und Gesetze in der Mongolei von Eike Seidel

Antiziganismus II: Angenommen und abgestempelt 34

Im Zeichen der Unabhängigkeit Das Förderverbot in Grönland ist aufgehoben von Stefan Brocza und Andreas Brocza

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»Indien wurde für sein Atomprogramm belohnt« Interview mit dem Aktivisten Kumar Sundaram

Kultur und Debatte 39

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Literatur: Dissidenten für die Freiheit

48 Rezensionen

In seinem Roman »Ketzer« lobt Leonardo Padura die Andersdenkenden von Klaus Jetz

50 Szene / Tagungen Impressum

Fotografie I: Aufklärerische Begierde Auch kritische Bücher sind nicht vor dem kolonialen Blick gefeit von Heike Kanter und Jörn Hagenloch

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Fotografie II: »Wie lesen wir Bilder?« Interview mit Thomas Allen Harris über fotografische Repräsentationen des Afroamerikanischen

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Film I: »Auf der Suche nach dem besseren Leben« Interview mit dem Dokumentarfilmer David Fedele

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Film II: Queer Africa Ein Schwerpunkt des Kölner Afrika Film Festivals widmet sich LGBTIs von Karl Rössel

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Edi t o r ia l

Geliebt werden wollen Liebe LeserInnen, Sie werden es schon bemerkt haben: Die Zeitschrift iz3w führt ein recht selbstbewusstes Eigen­ leben, sie meldet sich gerne bei allen möglichen Gelegen­ heiten zu Wort. Sie nimmt auch schon länger keine Blätter mehr vor den Mund, wenn es darum geht, dem Redak­ tionsteam die Meinung zu geigen. Vor einigen Monaten nutzte sie bei einer Redaktionssitzung die Gelegenheit zu einer Ansprache: »Hört mal, ich werde demnächst 44 Jahre alt. Ich weiß, ich hab mich ganz gut gehalten. Sogar junge Leute finden mich attraktiv, wenn ich die vielen Neuabos von Studierenden so interpretieren darf. Aber wie das so ist im Laufe der Jahre: Zipperlein bleiben nicht aus.« Die plötzlich hellwach gewordene Redaktion begann zu rätseln: Worauf um Himmelswillen wollte die iz3w ­hinaus? Die Aufklärung folgte nach einer taktischen Lobes­hymne: »Ich weiß es ja zu schätzen, dass ihr mir seit 1996 ein schi­ ckes Layout spendiert. Ihr gebt euch viel Mühe beim Redi­ gieren, damit die Texte leserlich sind. Bei der Bildauswahl habt ihr oft ein gutes Händchen. Aber eines nervt langsam: Diese Minischrift! 8,5 Punkt, das ist doch nicht euer Ernst! Ihr tut so, als sei das eine völlig normale Schriftgröße und als habe niemand ein Problem damit. Glaubt ihr, ich merke nicht, wie ihr beim Korrekturlesen die Lesebrillen zückt? Oder die Satzfahnen direkt vor die Nase haltet? Langsam wird es echt peinlich, wie ihr alle Anzeichen des Alterns mit verkrampftem Lockersein überspielen wollt! Ich kann mich selber kaum noch lesen! Ich bestehe jetzt auf einer anstän­ digen Schriftgröße. Mit 44 Jahren hat frau ein Recht darauf, nicht in Sack und Asche zu gehen!« Das saß. Die sich ertappt fühlende Redaktion begann zu diskutieren. Eine Minderheitsfraktion gab zwar zu, dass die Schrift nicht gerade barrierefrei ist, verschanzte sich aber hinter Sachzwängen: »Wir haben doch so schon kaum Platz für all die spannenden Texte. Wir kürzen jetzt schon, was geht. Wenn wir die Schrift vergrößern, gehen Inhalte verloren. Und: Mehr Seiten drucken ist finanziell einfach nicht drin.« Die Mehrheit hingegen wollte zwar keine re­ volutionäre Umgestaltung in Form eines kompletten Re­ launchs, aber doch eine Reform. Interessanterweise waren die BesitzerInnen von Lesebrillen in beiden Fraktionen vertreten.

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och wie genau sollte die Reform aussehen? Die iz3w hatte sich dazu nicht näher geäußert. Die Redaktion tat, was JournalistInnen so tun, wenn sie, wie so oft, keine Ahnung haben: Sie begann zu recherchieren. Fündig wur­ de sie bei einem Institut für Seniorenforschung. Dessen »10 Gebote für die Gestaltung von Seniorenbroschüren«

erwiesen sich als wahre Fundgrube. Da hieß es beispiels­ weise: »Broschüren werden zwar von Senioren in der Regel mit Brille gelesen, trotzdem ist eine gut lesbare Schrift wichtig für das leichtere Erfassen des Inhalts und für die emotionale Zuwendung zum Absender«. Da die Redakteur­ Innen wie alle Menschen nichts anderes wollen als geliebt werden, waren sie nun motivierter denn je, emotionale Zuwendung der LeserInnen zu kreieren. Die »10 Gebote« waren aber nicht nur hinsichtlich typo­ graphischer Fragen ein Aha-Erlebnis. »Natürlich muss auch der Inhalt der Seniorenbroschüre interessant sein, um bei der Zielgruppe erfolgreich sein zu können.« Hmmm, die Notwendigkeit von interessanten Inhalten war bisher noch nicht so recht bedacht worden. Ebenso wenig auf dem (Bild-)Schirm hatte die Redaktion folgenden Hinweis: »Je älter die Zielgruppe, um so stärker werden englische Be­ zeichnungen emotional abgelehnt.« Oh no, Anglizismen hatten sich in der iz3w selbst bei Überschriften eingeschli­ chen. Deshalb also blieben die Liebeserklärungen der Le­ serInnen aus! Unmittelbar einleuchtend war auch diese Empfehlung: »Bei einer Seniorenbroschüre sollten möglichst auch Senioren abgebildet sein.« Die Redaktion begann umgehend, große Pläne zu schmie­ den. Zunächst suchte sie nach Best Practice-­Beispielen, ähhh, nach vorbildlich gestalteten Zeitschriften. Doch kaum fielen die Worte »Apotheken Umschau«, unterbrach die bislang geduldig lauschende iz3w rüde. »Stopp, jetzt reicht’s aber. Ihr sollt doch nur die Schrift vergrößern! Ich will schöner werden, nicht seniorengerecht. Sooo alt bin ich jetzt auch wieder nicht«, beschied sie der Redaktion genervt. An deren Urteilsfähigkeit mehr denn je zweifelnd, fügte sie hinzu: »Und noch was: Die endgültige Auswahl der neuen Schrift überlasst ihr bitteschön den LeserInnen. Ihr labert immer rum von wegen Partizipation und so. Jetzt könnt ihr beweisen, dass ihr es ernst meint.«

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as, liebe LeserInnen, ist die Geschichte, warum auf den Seiten 4 – 5 und 6 – 7 zwei Texte in einer größeren Schrift zweispaltig gesetzt sind. Erstellt wurden die Ent­ würfe vom Grafikbüro magenta, das die iz3w schon seit 18 Jahren gestaltet. Der Lesetext der Seiten 4 – 5 ist in der Schrift Stone gesetzt, die Seiten 6 – 7 in der Milo. Büro magenta und die iz3w verstehen sich übrigens bestens. Schon lange lästern sie hinter dem Rücken der Redaktion über deren Hang zu Bleiwüsten und ihrer Panik vor Weißflächen. Wenn Sie, liebe LeserInnen, sich dem Bündnis der beiden anschließen, beugt sich auch die redaktion

Rückmeldungen zu den beiden alternativen Schriften (und zu allem anderen) bitte an info@iz3w.org

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Kolumbien

Schleichkatze auf Hochtouren Der Friedensprozess in Kolumbien stößt weiter auf große Hindernisse

Im Juni wurde Kolumbiens Präsident Santos für weitere vier Jahre im Amt bestätigt. Seine Friedensgespräche mit der ­Guerilla und das Programm für Opferentschädigung und Landrückgabe sind wichtige Schritte hin zu Frieden. Doch Menschenrechte werden noch immer massiv verletzt, und die Wirtschaftspolitik schürt Ungleichheit.

von Matthias Schreiber

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Am Ende war es die versammelte Linke Kolumbiens, die Juan Manuel Santos Calderón am 15. Juni seine zweite Präsidentschaft sicherte. Ausgerechnet Santos. Jenem ehemaligen Minister, in dessen Zeit als Chef des Wirtschaftswunder dank Plünderung Verteidigungsressorts unter Präsident Álvaro Uribe Vélez Militär und Polizei mit über 4.700 außergerichtlichen Hinrichtungen eitt International hat die Regierung Santos neben der Friedens­politik vor allem für ihre Wirtschaftsbilanz viel Beifall bekommen. Seit nige der fürchterlichsten Menschenrechtsverbrechen staatlicher ihrem Amtsantritt 2010 wächst die Gesamtwirtschaftsleistung Sicherheitskräfte verübten. Jenem Hardliner, für den vor vier Jahren jährlich um vier Prozent oder mehr. Die Exporterlöse sind seitdem noch Uribe als Anführer der ultrakonservativen Rechten kräftig die gar um 45 Prozent auf 66,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2013 Wahlkampftrommel gerührt hatte. Ihren Anfang nahm die Allianz zwischen dem Amtsinhaber und gestiegen, fast 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Und mit 16,8 Milliarden US-Dollar investierte das Ausland 2013 so viel wie der Linken vier Monate zuvor. In einem epischen Medienkrach hatte Expräsident Uribe seit Längerem mit seinem Nachfolger noch nie in Kolumbien. Für ein Land, das nach wie vor einen Krieg im Innern führt, beeindruckende Zahlen. Sie haben Kolumbien gebrochen, weil er das seit 2012 gültige Gesetz für Opferentschänicht nur einen Platz unter den »Schleichkatzen« eingebracht – digung und Landrückgabe und die im selben Jahr aufgenommenen Friedensgespräche mit Kolumbiens größter Guerilla FARC rundweg jenen als CIVETS-Staaten bezeichneten neuen Schwellenländern, ablehnte. Später hatte er mit dem Centro Democrático Mano denen glänzende ökonomische Zukunftsperspektiven bescheinigt Firme Corazón Grande auch seine eigene Partei gegründet. Ende werden. Auch mit der OECD verhandelt die Regierung seit 2013 Februar 2014 schließlich bestimmte der Expräsident erst seinen über eine Vollmitgliedschaft. Das Zerwürfnis zwischen dem Santos- und Uribe-Lager muss früheren Finanzminister, den weitgehend unbekannten Óscar Iván Zuluaga Escobar, zu deren Präsidentschaftskandidaten. Bei den aus dieser Perspektive überraschen, haben doch beide Präsidenten diese Entwicklung angekurbelt und das Land für den handelspoliParlamentswahlen im März zog der umtriebige und in vielen Retischen Zeitgeist geöffnet: Sieben Freigionen Kolumbiens noch immer äuhandelsverträge hat der aktuelle Präsident ßerst populäre Uribe dann selbst als Das Zerwürfnis zwischen den Lagern bisher unterzeichnet, elf sein Vorgänger. Anführer der zweitstärksten Fraktion Beim Großteil der Bevölkerung kommt in die Senatskammer ein. von Santos und Uribe überrascht indes vom Wachstum nur wenig an: Fortan rückte der sich bieder geMit einem GINI-Index von 0,54 war in bende Zuluaga Woche für Woche stärker in den Umfragen zu Santos auf. Nach oben spülte ihn wohl Kolumbien auch 2013 Besitz und Einkommen so ungleich verteilt nicht zuletzt Uribes Heckwelle: Ununterbrochen beschwor der sein wie nur in wenigen Staaten Lateinamerikas, der ungerechtesten Mantra, allein militärische Härte könne dem Land Frieden bringen, Region der Erde. Fast ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der nationalen Armutsgrenze von weniger als 107 US-Dollar Einkommen und wütete in Dauertiraden gegen den Amtsinhaber, dieser kaufe pro Kopf und Monat. Auf dem Land sind es sogar 43 Prozent. Stimmen und veruntreue Steuergelder für seine Wahlkampagne. Dies verwundert kaum. Denn die Wirtschaft wächst vornehmlich Dennoch unerwartet gelang es Zuluaga Santos mit 29 zu 26 Proin Sektoren, die nachwachsende, fossile oder mineralische Rohstofzent der Stimmen im ersten Wahlgang Ende Mai sogar als Verlierer in die Stichwahl zu schicken. Die Wahl wurde damit doch noch zu fe ausbeuten. Deren Ausfuhr erzielt allein 80 Prozent aller Exporteiner Abstimmung für oder gegen die Verhandlungen mit der erlöse. Wie kein anderer Zweig floriert dabei die von Santos zur Guerilla. Zuvor hatten sie nicht die alles überragende Rolle im »Entwicklungslokomotive« gekrönte Öl- und Bergbau-Industrie – Wahlkampf gespielt. eine Branche, die zwar riesige Landflächen verschlingt, aber nur tt

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Geeint in der Hoffnung auf einen Friedensvertrag – und der Furcht vor einer Rückkehr zur militärischen Eskalation unter einem Präsidenten Zuluaga – gaben sich die linken Strömungen Kolumbiens von nun an so geschlossen wie selten. Die in der ersten Runde unterlegenen Enrique Peñalosa Londoño von der Alianza Verde und Clara López Obregón vom Polo Democrático, auch die Unión Patriótica, die Marcha Patriótica und sogar die Kommunistische Partei – sie alle riefen ihre UnterstützerInnen vor der Stichwahl auf, für den Amtsinhaber zu stimmen. Mit 51 zu 45 Prozent kam Santos mit einem blauen Auge davon. Vor ihm liegt nun die Aufgabe, ein in Fragen der Konfliktlösung so stark wie nie zuvor gespaltenes Land zu versöhnen.

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Eines von vielen Opfern: FARC-Militärchef »Mono Jojoy« starb bei einem Bombardement

für wenige Arbeitsplätze und Steuereinnahmen sorgt. Seit 2010 ist der Sektor im Jahresschnitt um neun Prozent gewachsen, mehr als doppelt so stark wie die Gesamtwirtschaft. Er allein absorbiert heute fast die Hälfte der Auslandsdirektinvestitionen. Und seine Erzeugnisse, allen voran Öl, Kohle und Gold, generieren schon über drei Viertel der Exporteinnahmen. Im Bergbau zeigen sich auch die Parallelen zu Uribes Wirtschaftspolitik besonders deutlich: Leitete dieser mit der Vergabe von fast 7.000 Schürflizenzen den Mineralien-Boom ein, setzte ihn Nachfolger Santos mit etwa 2.000 genehmigten Konzessionen fort. Schon heute kann auf 8,5 Millionen der 114 Millionen Hektar großen Festlandsfläche Kolumbiens geschürft und gegraben werden. Zusätzlich erklärte die Regierung 2012 weitere 20,5 Millionen Hektar zu »strategischen Bergbaugebieten« der Branche.

Sicherheit = Wohlstand = Frieden? Viel Hehl aus der Nähe zum politischen Kurs seines Vorgängers hat Santos nie gemacht. Nicht umsonst überschrieb er 2010 den Nationalen Entwicklungsplan mit dem Leitmotiv »demokratischer Wohlstand«. Unüberhörbar hallt hier rhetorisch Uribes Politik der »demokratischen Sicherheit« nach – jene Doktrin, die Verteidigungshaushalt und Personal in Polizei und Armee nahezu verdoppelte, ZivilistInnen massiv in Militäraktionen einzubinden begann und zehntausende Paramilitärs derart lückenhaft demobilisierte, dass tausende Altmitglieder heute weiter in neuen Verbänden operieren können. Man kann Santos’ Wortspiel auf zweierlei Weise lesen: Als Abkehr von Uribes Sicherheits-, nicht aber seiner Wirtschaftspolitik – oder als Bekenntnis zur Kriegsstrategie des alten Präsidenten, die dem neuen als Fundament seines Wachstumsplans dient. Ohne Frage, mit dem Opfergesetz ging die Regierung Santos einen historischen Schritt vor allem auf die mehr als 5,9 Millionen Binnenvertriebenen zu. Sie sollen darüber zumindest einen Teil der 6,6 bis 10 Millionen Hektar Land zurückerhalten, die ihnen im bewaffneten Konflikt gestohlen worden sind. Dass sich die Regierung um den Dialog mit den Guerilla-Gruppen bemüht, verdient tt

Foto: iz3w-Archiv

ebenfalls Anerkennung: Mit den FARC verhandelt sie offiziell seit Oktober 2012, mit dem kleineren ELN führt sie seit Anfang 2014 Sondierungsgespräche. Einen Waffenstillstand für die Dauer ihrer Verhandlungen haben FARC und Regierung zwar nicht vereinbart. Aber der bisherige Verlauf der weitgehend geheim in der kubanischen Hauptstadt Havanna geführten Gespräche lässt hoffen. Von sechs Agendapunkten einigten sich die Delegationen bereits in dreien. Entschieden sind Übereinkünfte über eine »umfassende Landreform«, die Abkehr der Guerilla vom »illegalen Drogenhandel« und die »politische Teilhabe« künftiger Exguerilleros. An das abgemachte Stillschweigen über die genauen Inhalte hielten sich beide Seiten bisher ebenfalls. Und selbst kräftige Differenzen und Störfeuer von außen haben die Gespräche nicht kippen können. All das spricht für den ernsthaften Willen, sich zu einigen. 2013 wurden in Kolumbien 14.782 Morde und 219.398 Vertreibungen verzeichnet. Bei allen Friedensbemühungen kann da von einem nahen Ende des Gesamtkonfliktes keine Rede sein. Dafür müsste die Regierung auch die nach wie vor aktiven paramilitärischen Verbände wirklich zerschlagen. Ob die Guerillagruppen im Fall eines Friedensabkommens tatsächlich dauerhaft entwaffnet, aufgelöst und ihre Mitglieder in das gesellschaftlich-politische Leben reintegriert werden können, wird – wie der Erfolg der Landrückgabe-Initiative – auch davon abhängen, inwieweit die Regierung bereit ist, ihre Wirtschaftspolitik zu überdenken. Denn die jahrzehntelangen Konflikte darüber, wie die fruchtbaren und rohstoffreichen Ländereien Kolumbiens genutzt werden sollen, sind einem Modell geschuldet, das zum Vorteil Weniger die Ausbeutung von Land als Hauptstütze der nationalen Wirtschaft vorsieht. Diese Frage werden Gespräche mit den Guerilleros indes nicht allein beantworten können.

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Matthias Schreiber ist Mitglied der Kolumbien-Ländergruppe

von Amnesty International Deutschland. Eine längere Fassung dieses Beitrags steht auf www.iz3w.org

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Freigesetzte Übel Der Uranabbau hinterlässt gefährliche Nebenprodukte und irreversible Langzeitfolgen

ielereien: Radioaktive Sp asten aus den rk tie Experimen : orau.org lle 1950ern, Que

Die Gewinnung von Uran birgt erhebliche Gefahren für Mensch und Umwelt, die auch lange Zeit nach dem Ende des Uranbergbaus noch präsent sind. Neben Gesundheitsrisiken bei der Verarbeitung, dem Transport und der Extraktion berührt die Urangewinnung aber auch Landrechtsfragen und übergeht Mit­ bestimmungsrechte. von Günter Wippel Als der deutsche Chemiker Eugen Klap­roth 1789 das chemische Element Uran entdeckte, hatte es nur geringe Bedeutung. Erst durch die von Otto Hahn, Lise Meitner und anderen 1938 entdeckte künstliche Kernspaltung, die nur mit Uran (U 235) möglich war, gewann es strategische und wirtschaftliche Bedeutung. Die unkontrollierte Kettenreaktion, die man mit der Uranspaltung auslösen konnte, eröffnete die Möglichkeit, eine Waffe mit extremer Sprengkraft zu bauen. Das erkannten bald auch die Militärs. Die Gewinnung von Uran wurde zu einer Frage kriegsentscheidender Bedeutung. In der Folge wurde massiv nach Uran gesucht, zunächst dort, wo Radium – ein Zerfallsprodukt von Uran – gewonnen worden war, wie in Port Radium im Norden Kanadas oder in Shinkolobwe in Belgisch-Kongo (siehe S. 18). tt

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SDAG eigene Krankenhäuser, einen ‘Sicherheitsdienst’, eine bessere Nahrungsmittelversorgung. Parallelen sind heute in den Minenstädten Arlit und Akokan im Niger oder in Arandis in Namibia zu finden, errichtet speziell für die BergarbeiterInnen mit Krankenhäusern, die im Besitz der Bergbaufirmen sind. Der Gedanke, die Kettenreaktion zu kontrollieren und zur Energiegewinnung zu nutzen, Aufgrund der kriegswichtigen Bedeutung wurde ebenfalls schon in den 1940er Jahren gingen Regierungen dazu über, Uranbergverfolgt: Enrico Fermi gelang 1942 der Bau werke zu verstaatlichen oder gleich als Staatseines ersten «Uranreaktors«. Bis zur Entwickunternehmen zu gründen. So entstand in lung kommerzieller Atomreaktoren war es Frankreich die Firma COnoch ein weiter Weg. USPräsident Eisenhower hielt GEMA, in Russland ROSATOM, in Kasachstan Kaza1953 vor der UN-VollverBereits Probebohrungen tomprom. In Deutschland sammlung die Rede «Atoms können das Grundwasser waren es die Urangesellfor Peace«. Sie war Teil eiradioaktiv verseuchen schaft mbH und die Uranner großen Medienkampaerzbergbau GmbH, beide gne, um Nukleartechnik 1967 gegründet, auf Vernach dem Schrecken von anlassung der damaligen Bundesregierung Hiroshima und Nagasaki gesellschaftsfähig zu und von dieser finanziell gefördert. machen. Zwei Jahre später gingen die ersten Uranbergwerke wurden unter strenge GeAtomreaktoren ans Netz, in der UdSSR und in heimhaltung gestellt und mit Tarnnamen verEngland. In der Europäischen Gemeinschaft wurde sehen wie die «Sowjetisch-Deutsche Aktien­ die Entwicklung und Nutzung der Atomkraft gesellschaft (SDAG) Wismut« in der DDR. Es entstanden »Staaten im Staat«. So hatte die 1957 durch den Euratom-Vertrag zementiert.

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Uran Der erste bis heute gültige Artikel des Vertrags besagt, es sei Aufgabe der Atomgemeinschaft, »zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten und zur Entwicklung der Beziehungen mit den anderen Ländern beizutragen.« Damit wurde ein Grundstein für den weltweiten Handel mit Uran und Kerntechnologie gelegt.

Vom Fund zum Abbau tt Geologisch gesehen kommt Uran in geringsten Konzentrationen fast überall vor. In manchen Regionen ist das Grundwasser so stark mit Uran belastet, dass es nicht als Trinkwasser geeignet ist. Der Abbau lohnt nur dort, wo Uran im Gestein eine bestimmte Konzentration erreicht. Zu Beginn wird prospektiert: Uranhaltige Gebiete werden durch Grundlagenuntersuchungen eingegrenzt. So hat die deutsche Uranerzbergbau GmbH bereits in den 1970er Jahren weltweit im Auftrag der Bundesregierung nach Uran gesucht: in Australien, Tansania, Kanada und den USA. Die Untersuchungsergebnisse dienen heute, zum Beispiel in Tansania, neuen Forschungen zur Uranerkundung als Grundlage. Im zweiten Schritt, der Exploration, werden Anomalien in der natürlichen Radioaktivität aufgespürt, die auf Uranvorkommen schließen lassen. Danach wird der Uranerzkörper durch Probebohrungen in seiner Ausdehnung und Qualität erfasst. Bereits Probebohrungen können Grundwasser radioaktiv oder chemisch, durch Bohrschmiermittel, verseuchen und in der Folge Gesundheitsschäden bei Mensch oder Tier verursachen. Quellen und Wasserstellen können versiegen, wie in Mali, Tansania und der Mongolei geschehen. Probebohrungen werden oft ohne Zustimmung der Bevölkerung vor Ort durchgeführt (s. S. 30). In Mali war und in Tansania ist Land beispielsweise gemeinschaftlicher Besitz der Dörfer, unterschiedliche Landrechtsauslegungen zwischen Gemeinden und Staat führten zu Streitigkeiten. In Tansania wurde den Protesten aus der Bevölkerung 2012 und 2013 mit Polizei-Eskorten der Explorationsteams begegnet. Zeigen Machbarkeitstudien, dass der Abbau nicht nur technisch möglich, sondern auch wirtschaftlich rentabel ist, so werden Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) und daran anschließend Genehmigungsverfahren eingeleitet und schließlich Lizenzen zum Abbau vergeben. Die Evaluierung von UVPs erfordert hochspezialisierte Kenntnisse in Sachen Bergbau, Ausbreitung von radioaktiven und toxischen Materialien in der Umwelt, deren Anreicherung, ihr Langzeitverhalten bezüglich Grundund Oberflächengewässern etc. Vielfach verfügen die Behörden der Länder des Globalen Südens nicht über die erforderlichen Kenntnisse und überlassen auch die Überwachung des Betriebs den Firmen selbst: So verfügt Malawi trotz des neuen Uranbergwerks Kay-

elekera über keinerlei Einrichtungen zur Messung von Radioaktivität. Zudem sind Verwaltungen oft schnell bei der Unterschrift, wenn Bergwerksfirmen Steuereinnahmen und Arbeitsplätze versprechen.

Der Preis macht’s tt In der Regel ist Uran nur in geringen Konzentrationen von 0,01 bis zirka zwei Prozent im Uranerz vorhanden. Hochprozentige Vorkommen wie Cigar Lake (Kanada) mit bis zu 20 Prozent Urangehalt sind selten. Ab wann sich der Abbau rentiert, bestimmen der Weltmarktpreis und die Abbaubedingungen: niedrige Löhne, wenig Umweltschutzvorschriften. Im Jahr 2007 stieg der Uranpreis plötzlich auf ein Mehrfaches an. Die Zahl der im Uransektor tätigen Firmen stieg sprunghaft an. Um die erforderlichen finanziellen Mittel aufzubringen, platzierten sie auf dem Kapitalmarkt Aktien und Anteile, suchten und fanden risikofreudige Investoren, die beim Fund eines Uranvorkommens schnellen Reichtum erhofften. So identifizierte Mantra aus Australien das Mkuju River Uranvorkommen im Selous Game Reserve in Tansania (siehe iz3w 337). In der Regel folgt dann der Verkauf an eine der großen Uranfirmen. Heute werden bereits Vorkommen mit 0,02 bis 0,05 Prozent Urangehalt als abbauwürdig betrachtet. Um bei einem Urangehalt von 0,1 Prozent einhundert Tonnen Natururan zu gewinnen, müssen 100.000 Tonnen Erz abgebaut werden. 99.900 Tonnen werden zu Abraum, bei niedrigeren Konzentrationen vervielfacht sich diese Masse. Dass Uran und einige seiner Zerfallsprodukte auch im Abraum toxisch wirken, wird meist weniger beachtet. Uranerz wird im Tagebau oder im Untertagebau abgebaut. Das Uranerz wird auf Sandkorngröße zermahlen. Anschließend wird das Uran meist mit Schwefelsäure sowie anderen Chemikalien ausgelaugt. Die so genannte Uranmühle ist eine chemische Fabrik, die das als Yellowcake bekannte Natururan produziert. Für die Berg- und die UranmühlenarbeiterInnen ist die Gewinnung mit hohen Risiken verbunden. Yellowcake wird in der Regel auf dem Landund Seeweg zur Weiterverarbeitung abtransportiert. Zurück bleibt der Abraum – fest oder flüssig. Er enthält zirka 85 Prozent der ursprünglichen Radioaktivität des Uranerzes. Einige der Zerfallsprodukte von Uran, die im Abraum verbleiben, sind sehr langlebig: U234 mit 245.500 Jahren, Thorium mit 77.000 Jahren und Radium 226 mit 1.600 Jahren. Die Abraumhalden bleiben lange Zeit radioaktiv, aus menschlicher Perspektive ewig. Durch den Bergbau, das Zermahlen des Erzes und das chemische Auslaugen ist die radiologische Situation irreversibel verändert. Der vorherige Zustand – Einschluss des Urans im Gestein mit vergleichsweise geringen Freisetzungen – kann nie wieder hergestellt wer-

den. Das Uran und seine ca. 60 Zerfallsprodukte sind in der Umwelt nahezu frei beweglich: Sie können über die Atemluft in die Lunge gelangen, über Grundwasser ins Trinkwasser, über den Boden und Pflanzen in den Organismus und diesen schädigen. Außerdem sind genetische Schäden infolge der Strahlung möglich, die an künftige Generationen weitergegeben werden und sich möglicherweise erst bei ihnen zeigen. Abraum und Schlämme müssten aufgrund ihrer Radioaktivität isoliert gelagert werden. Da die Zerfallsprodukte langlebig sind, müsste die Lagerung zudem über einen langen Zeitraum sichergestellt sein. Doch es gibt keinerlei Methoden, Millionen Tonnen Abraum auf Tausende von Jahren hinaus sicher zu lagern. Jede Sanierung kommt dem Versuch einer Schadensbegrenzung gleich. Zudem belaufen sich die Kosten einer Sanierung ehemaliger Uranbergbaue schnell auf Milliardenbeträge. Das belegen Studien, die das deutsche Wirtschaftsministerium (1995) als auch die OECD in Zusammenarbeit mit der IAEA (2002) erstellen ließen.

Fehlende Kontrolle verbilligt den Abbau tt In den Ländern des Südens gibt es keine oder nur sehr unzureichende Vorkehrungen, die Uranfirmen zur Sanierung ihrer Bergwerke zu verpflichten. Während die Firmen in Australien Geld für die Sanierung in einen Fonds einbezahlen müssen, gibt es in anderen Ländern lediglich Verpflichtungen zur Sanierung. Zudem können sich die Unternehmen Sanierungsverpflichtungen entziehen, zum Beispiel durch Konkurs. Dann obliegt die Sanierung den Staaten, und diese haben in der Regel nicht die finanziellen Mittel, manchmal auch nicht den politischen Willen, diese Aufgabe anzugehen. Der radioaktive und toxische Abraum bleibt für die nächsten Jahrhunderte als Gefahr für Umwelt und Gesundheit der Bevölkerung liegen. Gesetzeslücken, ungleiche Auflagen und mangelnde Kontrolle in vielen Ländern des Südens, insbesondere in Afrika, haben eine geografische Verlagerung des Abbaus begünstigt. John Borshoff, Chef der australischen Uranbergbaufirma Paladin, benennt den Grund der Verlagerung seiner Firmenaktivitäten so: »Australien und Kanada sind übermäßig anspruchsvoll ... Da gibt es Überreaktionen hinsichtlich der Umwelt- und Sozialbelange, die Unternehmen wie Paladin zwingen, nach Afrika zu gehen.« Sein Unternehmen wendete sich, wie viele andere auch, dem afrikanischen Kontinent zu. Dort baut Paladin Uran in Malawi und in Namibia ab.

Günter Wippel ist Mitglied der Arbeitsgruppe uranium-network.org der Organisation Menschenrechte 3000 e.V. tt

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Film The Land Between An der Grenze zwischen Marokko und der spanischen Enklave Melilla: Auf Überwachungskameras ist zu sehen, wie Menschen den mit Stacheldraht gesäumten Zaun überwinden wollen, um nach Europa zu kommen. Von mehr als 2.000 Geflüchteten seit Beginn des Jahres ist die Rede. Der australische Regisseur David Fedele versucht mit seinem Film »The Land Between«, diesen Menschen ein Gesicht zu geben. Gedreht hat er ihn in den Bergen von Gourougou bei Melilla, wo tausende Flüchtlinge auf den richtigen Moment warten, den Zaun zu überwinden und in ein spanisches Auffanglager zu gelangen. Viele haben es schon mehrmals versucht, Wunden und Narben an Armen und Beinen zeugen davon. So auch Yacou aus Mali, eine der Hauptpersonen des Films. Er ist bereits seit mehr als zwei Jahren in Gourougou und wartet, ermutigt durch tt

die, die es schon geschafft haben, auf seine dritte Chance, nach Europa zu kommen, wo für ihn seiner Meinung nach alles besser wird. Fedele dokumentiert sein Camp, das der Malier, zeigt provisorische Schlafplätze, die mit Gestellen aus Ästen, Plastiktüten und Pappkartons geschützt sind und die immer wieder von Polizei und Militär zerstört werden. Viele Geflüchtete sind Opfer von Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte geworden, wurden teilweise brutal geschlagen, einige sogar zu Tode. Fedele filmt die malischen Migrierten bei ihren täglichen Aktivitäten, beim Kochen und Essen, Flicken der Kleidung und Schlafplätze, beim Fußballspielen oder Ausharren, bei der Vorbereitung auf die richtige Nacht für den nächsten Versuch, den Zaun zu überqueren. Dabei haben die Menschen die Gelegenheit, ihre Geschichte zu erzäh-

len: Wo sie herkommen, was sie zur Migration bewegte, welche Stationen sie bereits durchlaufen haben und was sie sich von Europa erhoffen. Die unter anderem auf dem International Environmental Film Festival in Paris preisgekrönte Dokumentation wurde vom Regisseur eigenständig finanziert und produziert. Sie wurde ohne großes Equipment gefilmt, weshalb der Eindruck entsteht, nah am Geschehen dran zu sein, was durch ungeschönte Bilder und Einstellungen noch verdeutlicht wird. Der Film lebt ausschließlich von den Äußerungen der MigrantInnen, von ihren Geschichten und Meinungen. Genau das zeichnet ihn aus und unterscheidet ihn von anderen Filmen zum Thema. tt The Land Between 2014, 78 min., Regisseur und Produzent: David Fedele kf

»Auf der Suche nach dem besseren Leben« Interview mit dem Dokumentarfilmer David Fedele iz3w: Woher kam die Idee, einen Film über Mi-

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grantInnen im marokkanischen Gourougou zu drehen? David Fedele: Ich bin in einer Einwandererfamilie aufgewachsen, da meine Großeltern während des Zweiten Weltkrieges von Italien nach Australien auswanderten. Als ich nach Europa kam, habe ich mich zunehmend für die Geschichten von MigrantInnen interessiert, hauptsächlich jener vom afrikanischen Kontinent. Ich wollte sie dokumentieren und dachte, es würde stärker und realer wirken, die Situation der MigrantInnen auf ihrem Weg zu filmen, anstatt ihre Geschichten aus der Retrospektive aufzuzeichnen. Bei der Recherche nach den Hauptmigrationsrouten von Afrika nach Europa stieß ich auf Berichte aus Gourougou. Daher bin ich nach Marokko gereist, mit der Intention, die Berge zu erkunden und zu versuchen, einen Film zu machen. Aber ich hatte keine Vorstellung davon, wie der Film werden würde. Er behandelt ein politisches Thema, aber ich habe versucht, auch menschliche Geschichten zu erzählen, den Alltag der MigrantInnen zu zeigen, die so würdevoll wie möglich unter diesen extremen und hoffnungslosen Bedingungen leben. Ich wollte ihnen die Möglichkeit geben, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Für mich geht es in dem Film nicht nur um Marokko und Spanien, sondern um eine universelle Geschichte von Migration, die überall auf der Welt geschehen könnte: Um Motive, die Menschen dazu veranlassen, ihre Familien und FreundInnen zu

verlassen, ihr Leben zu riskieren auf der Suche nach einem besseren Leben. Wie haben Sie Zugang zu dem Lager und den Menschen dort bekommen? tt Nach ein paar Tagen in Marokko habe ich den jungen marokkanischen Filmemacher Reda Afirah kennen gelernt, der sich ebenfalls für die Thematik interessierte. Er arbeitete mit mir als Assistent und Übersetzer. Ohne ihn hätte ich den Film nicht machen können. Ich spreche kein Französisch, also half er mir sehr bei der Sprache und der Kommunikation mit den MigrantInnen. Wir hatten am Anfang aber keine Kontakte, daher gingen wir im wahrsten Sinne des Wortes in die Berge und suchten nach MigrantInnen. Die MigrantInnen organisieren sich in Gruppen, die nach unterschiedlichen Nationalitäten und Sprachgruppen separiert sind. Wir haben viel Zeit damit verbracht, uns mit Menschen aller Gruppen zu unterhalten, ihnen zuzuhören, gemeinsam zu essen, Fußball zu spielen... So konnten wir sie als Menschen kennen lernen und verbrachten nicht nur Zeit damit, zu filmen. Wir haben eine eher persönliche Beziehung zu den Gefilmten aufgebaut – ich hoffe, das spiegelt sich im Film wider. Wir hatten großes Glück, Yacou aus der malischen Gemeinschaft zu treffen, eine der Hauptfiguren des Films. Er war seit zwei Jahren in Gourougou und ein respektierter Mann innerhalb der Community. Wir erklärten ihm unser Vorhaben. Er sagte, er würde die Anderen fragen, ob sie uns erlauben würden

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zu filmen, wir sollten in ein paar Tagen wieder kommen. Glücklicherweise waren sie einverstanden. Haben Sie während der Dreharbeiten in dem Lager gelebt? tt In Gourougou zu filmen war unglaublich riskant, für mich, für Reda und die MigrantInnen selbst. Während wir drehten, kamen das marokkanische Militär und die Polizei fast jeden Morgen gegen vier Uhr in die Berge, um Migrant­Innen festzunehmen und ihre Lagerstätten niederzubrennen. Daher haben wir, so sehr wir es wollten, nie in den Bergen geschlafen, sondern liefen morgens oder, wenn Militär und Polizei da waren, mittags in die Berge. Abends gingen wir zurück in die nächstgelegene größere marokkanische Stadt Nador. Während eines Zeitraums von zehn Wochen konnten wir drehen, bis wir von der Polizei festgenommen und verhört wurden. Sie hielten uns für viele Stunden fest, erst in den Bergen und dann in der Polizeistation in Nador. Ich wurde dazu gezwungen, jedes Foto auf meiner Kamera zu löschen, auf dem eine »schwarze Person« zu sehen war, aber glücklicherweise entdeckten sie das Filmmaterial nicht. Sie warnten uns eindringlich, nicht mehr nach Gourougou zurückzukehren. Ich blieb dann noch sechs Monate in Marokko, um den Film fertig zu bearbeiten. Welche weiteren Schwierigkeiten gab es beim Dreh? Und wie reagierten die MigrantInnen auf das Filmen?


Yacou (rechts) und seine Freunde in Gourougou

Es war aus verschiedenen Gründen schwer, diesen Film zu machen. Die meisten Migrant­ Innen sind in eine Art Schmuggelnetzwerk verstrickt, selbst wenn es ihnen nicht bewusst ist. Sei es nur dadurch, dass sie jemanden bezahlen, um über eine Grenze zu kommen. Die gesamte Migrationsroute ist von einer Art »Mafia« kontrolliert, auch in den meisten Gebieten im Norden Marokkos. In vielen Fällen ist es daher unmöglich, einen Film zu drehen, ohne viel Geld dafür zu bezahlen – was selbstverständlich gegen alles spricht, an das ich glaube. Da Gourougou aber nur wenig darin verwickelt ist, hatten wir einfacheren Zugang. Trotzdem war das Filmen nur schwer möglich. Ich bin nicht die erste Person, die einen Film zu diesem Thema dreht, viele Fotograf­ Innen, JournalistInnen und FilmemacherInnen kamen vor mir. In den Augen der MigrantInnen ist die Situation aber immer noch gleich oder sogar schlechter. Daher war die Reaktion der Menschen, mich nach Geld zu fragen, als ich filmte. Sie glaubten, ich würde ihre Geschichten dazu nutzen, reich zu werden, während sie nach wie vor in den Bergen festsitzen. Es gibt eine Szene in dem Film, in der zwei Männer genau darüber sprechen, dass ich sie nur ausnutzen würde. Für mich war es wichtig, diese Szene in den Film zu integrieren. Ich versuche ständig, meine persönlichen Gründe zu hinterfragen, einen solchen Film zu drehen, was, denke ich, sehr wichtig ist. Gleichzeitig möchte ich auch das Publikum dazu anregen, sich diese Frage zu stellen, denn was ändert sich an der Situation dadurch, dass es diesen Film gibt und wir ihn uns anschauen? tt

Filmstill aus »The Land Between«

Der Film ist von Jurys und Publikum gut aufgedie Rechte von MigrantInnen ein. Aber es ist eine sehr schwierige Arbeit unter harten Benommen worden und wurde sogar ausgezeichnet. Hatten Sie die Möglichkeit, ihn den Migrant­ dingungen und es ist mühsam, in diesem Innen zu zeigen? Bereich voranzukommen. Denn die Untertt Mit einigen Protagonisten aus dem Film stützerInnen versuchen Rechte von Menschen bin ich in regelmäßigem Kontakt. Yacou ist zu verteidigen, die nach dem marokkanischen jetzt in einem Auffanglager Gesetz gar keine haben. Für in Melilla. Er überwand den die MigrantInnen aus den »Wir haben eine eher Zaun im Februar erfolgselbstorganisierten Grupreich, nachdem er insgepen ist politische Arbeit persönliche Beziehung samt drei Jahre lang in den riskant. Meist sind sie nicht zu den Gefilmten Bergen lebte. Ich war in registriert und laufen immer Marokko, als er in Melilla Gefahr, als illegal erfasst aufgebaut« ankam und mich anrief. Ich und abgeschoben zu werfuhr sofort hin, um ihn zu den – ganz zu schweigen treffen. Wir schauten den Film gemeinsam an von Misshandlungen und Gewalt durch die Behörden. und ich gab ihm ein paar DVDs davon. Ich Es gibt einige internationale Organisatiorufe ihn alle paar Wochen an. nen, die MigrantInnen unterstützen. Als ich Ich habe den Film auch anderen Migrant­ Innen gezeigt, sowohl in Marokko als auch in in Marokko war, hat Médecins Sans Frontières Europa. Die Reaktionen waren überwältigend wichtige Arbeit geleistet, in dem sie Medikamente, Pflege, Decken und andere notwenpositiv. Es ist wichtig für mich, wie Migrant­ Innen über diesen Film denken, und dass es dige Dinge für die MigrantInnen bereit gestellt mir hoffentlich gelungen ist, ihre prekären haben, die in den Wäldern leben. Unglück­ Situationen auf eine respektvolle Art und Weilicherweise haben sie Marokko im März 2013 se darzustellen. verlassen – oder wurden dazu gezwungen, das ist nicht klar. Organisieren sich die MigrantInnen, um ihren Forderungen politisches Gewicht zu verleihen und sie durchsetzen zu können? tt Es gibt viele selbstorganisierte Gruppen tt David Fedele tourt derzeit weltweit mit von MigrantInnen in Marokko, die eine besseinem Film und wird im November auf dem sere Behandlung und die Anerkennung ihrer »Augen Blicke Afrika« Filmfestival in Hamburg grundlegenden Menschenrechte fordern. zu Gast sein. Der Film ist auf DVD erhältlich (www.thelandbetweenfilm.com). Außerdem setzen sich verschiedene Netzwerke und AktivistInnen sowohl auf der marokDas Interview wurde von Katharina Forster per kanischen als auch der spanischen Seite für Email geführt und aus dem Englischen übersetzt. iz3w • September / Oktober 2014 q 344

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