Leben und wir
Wie sag ich’s meinem Kind:
Interview
Adoption Schwierige Themen – kinderleicht gemacht. Oder so leicht wie möglich. Diesmal in der Tipi-Serie: Adoption. Wie man das Kindern am besten erklärt, weiß Psychologin Jasmin Mandler. von markus höller Soll man es dem Kind überhaupt proaktiv sagen, auch wenn es nicht danach fragt? Jasmin Mandler: „Ich bin adoptiert“ ist ein Thema, das einen Menschen wohl ein Leben lang begleitet. Je früher die Auseinandersetzung damit beginnen kann, desto eher besteht die Möglichkeit, die Adoption als Teil des eigenen Lebensweges und der eigenen Biografie annehmen zu können. Es dem Kind nicht zu sagen, erfordert von Eltern ein „Zurückhalten“ von etwas, das für sie Realität und für das Kind Unwissenheit ist. Ein offener Umgang und ein offenes Thematisieren der Gedanken und Gefühle wird erst durch das Transparentmachen der Adoption möglich. Das schafft die Basis, um sich mit Themen wie „Zugehörigkeit“, „emotionale“ und „biologische Familie“ und „Bindungen/Beziehungen“ auseinandersetzen zu können.
© Privat, Illustration: Julia Marschat
Gibt es ein „ideales“ Alter dafür? Grundsätzlich gilt: Je früher, desto besser. Auch mit kleinen Kindern kann man – in kindgerechter Sprache, mit einfachen kurzen Sätzen – erklären, dass es verschiedene Formen von Familie gibt und sie über die eigene „Familienzusammensetzung“ aufklären. Wichtig ist dabei zu betonen, dass das Kind nicht schuld ist, dass es zur Adoption freigegeben wurde und auch die leiblichen Eltern nicht abzuwerten. In der Regel werden Kinder nicht aus Mangel an Liebe zur Adoption freigegeben, sondern weil die biologi-
schen Eltern aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind, die kindlichen Bedürfnisse zu erfüllen. Die Tatsache, dass sie ihr Kind zur Adoption freigegeben haben, zeigt jedoch, dass es ihnen wichtig war, ein „gutes Zuhause“ für ihr Kind zu finden. Wie kann man dem Kind helfen, wenn es deswegen gemobbt wird? Hier gilt es einerseits, das betroffene Kind zu stärken, indem z.B. mit ihm gemeinsam thematisiert wird, dass es verschiedene Formen und Konzepte von Familie gibt – „klassische“ Familien mit „Mutter, Vater, Kind“, Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien, Familien mit einem Elternteil, Familien mit Adoptiv- und Pflegekindern etc. Erfahren Eltern, dass ihr Kind aufgrund der Tatsache, dass es adoptiert ist, gemobbt wird, sollten sie dies bei den zuständigen Personen, die mit dem Kind zu tun haben, transparent machen, damit gemeinsam daran gearbeitet werden kann, das Mobbing zu beenden. Wie soll man die Situation handhaben, wenn das Kind seine leiblichen Eltern kennenlernen will? Der Wunsch eines Menschen, seine „Wurzeln“, seine (biologische) Herkunft, zu kennen, ist ein zutiefst menschliches und meist sehr stark ausgeprägtes Bedürfnis. Vor diesem Hintergrund ist es unbedingt wichtig, den Wunsch des Kindes – mehr über seine biologischen Eltern erfahren
Mag.a Jasmin Mandler ist Klinische und Gesundheitspsychologin für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern. PÄPSY, Gumpendorfer Str. 139/Top 1.04, 1060 Wien, www.paepsy.at
oder sie kennenlernen zu wollen – ernst zu nehmen. In vielen Adoptiveltern löst dieser Wunsch gleichzeitig große Unsicherheit und Ängste aus. Oft machen sich Adoptiveltern auch Vorwürfe oder Schuldgefühle: „Ist unser (Adoptiv-)Kind auf der Suche nach seinen leiblichen Eltern, weil wir ihm keine guten Adoptiveltern sind?“ Wichtig ist zu sehen, dass der Wunsch des Kindes, seine biologischen Eltern kennenzulernen, in der Regel nicht als Abkehr gemeint ist, sondern als wichtiges Bedürfnis zum besseren Verständnis der eigenen Biografie. Häufig machen sich auch die Adoptivkinder Sorgen, dass ihre Adoptiveltern sie dann für „undankbar“ halten. Was tun, wenn die leiblichen Eltern unaufgefordert Kontakt zum Kind suchen? Da es heutzutage vor allem offene bzw. halboffene Adoptionen gibt, betrifft das Thema der Kontaktgestaltung zwischen den leiblichen Eltern und dem Kind viele Adoptivfamilien. Suchen leibliche Eltern Kontakt, erscheint es erst mal wichtig, die Motive und Erwartungshaltungen dahinter zu erfragen. Neben dem Recht der leiblichen Eltern, Kontakt zu ihrem Kind zu haben, hat auch das Kind das Recht auf Selbstbestimmung. Kontakte zu den leiblichen Eltern sollten im Vorhinein unbedingt mit dem Kind besprochen und genau geplant werden. Die Adoptiveltern sollten bei einem Kennenlernen anwesend sein, um das Kind zu unterstützen und auf seine Bedürfnisse eingehen zu können. Langfristiges Ziel sollte es sein, eine klare Besuchsregelung zu vereinbaren, die den kindlichen Bedürfnissen entspricht und an die sich sowohl Adoptiv- als auch leibliche Eltern halten. Sollten leibliche Eltern darüber hinaus weiterhin unaufgefordert Kontakt zum Kind suchen, kann es sinnvoll sein, sich von zuständigen Fachpersonen der Adoptionsvermittlungsstelle oder auch der Kinder- und Jugendwohlfahrt beraten zu lassen. som m er 2019 |
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