Tipi – Magazin für die Familie Frühling/2016

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Pro und Kontra

Handy ab der Volksschule

PRO

Von Alexander Reichmann Natürlich MUSS ein Heranwachsender ab der Volksschule in welcher AHS auch immer mit einem Smartphone einchecken. SMARTPHONE. Nicht mit der alten Nokia-8210-Gurke. Obwohl … damals hielt der Akku noch eine Woche … Es muss nicht unbedingt das iPhone 12 sein, mit holografischer Tastatur, Vitalüberwachungsfunktion und Retinascanner (kommt sicher noch), aber ein „Tauge“Gerät eben. Der gesellschaftliche Druck ist dermaßen hoch, ich wage es gar nicht, mir auszumalen, wenn ein Klassenmitglied als „Nicht-Handybesitzer“ enttarnt wird. Hohn und Spott wären die Folge. Was soll denn das für ein Lulu sein? Hat noch nicht mal ein Handy, harhar, Loser, Loser! „Bist du auf Instagram? WAS? Du hast kein Handy??“ Nein, das kann man den Kleinen nicht zumuten, so leid es mir selbst tut. Aber sehen wir das Positive: Ich kann mein Kind erreichen, wann immer ich will und wie ich will. Ich kann durch fiese Handy-Ortungs-Apps immer überprüfen, ob mein Kind auch wirklich bei „einer Freundin“ ist und nicht bei einem durchgeknallten Typen, der im Garten seiner Eltern versucht, eine Cocasträucher-Plantage aufzubauen. Ich kann dem Kind Nachrichten hinterlassen, organisatorische Dinge mitteilen – „Papi kommt dich heute nicht abholen, der ist zu besoffen vom Vorabend, Oma und Opa kommen. Bitte vor der Schule warten.“ So was in der Art. Das ist praktisch. Und nicht zuletzt gibt es leider auf dieser seltsamen Welt auch immer wieder fiese Kinderverschlepper, die jungen Mädchen gerne zeigen würden, dass sie in ihrem SUV kleine, zuckersüße Kätzchen haben, von denen Kindi sich eins aussuchen darf. Beim Gedanken daran wird mir schon speiübel. Da ist ein Handy von Vorteil, man kann es orten. Ab der 3. oder 4. Klasse Unterstufe wird wahrscheinlich jeder Zweite eine Brille tragen müssen, weil man tagein, tagaus nur mehr auf ein Kastl in 30 cm Entfernung blickt und sich die Kurzsichtigkeit antrainiert, aber was soll’s. Die Erwachsenen sind auch nicht besser. Öffi-Fahrer wissen das. Zeitung? WTF soll das denn sein? Fazit – Handy ab der Volksschule: Ja. Aber es MUSS zu Hause handyfreie Zonen geben. Die dürfen sich die Eltern selber ausdenken und sollten es auch. Sonst verblöden Alt und Jung noch gemeinsam in friedlichem Gleichklang auf 30 cm Sichtweite.

KONTRA Von Trude Peters

Letztens bei der Kindergeburtstagsfeier einer Freundin rief der Vater eines kleinen Besuchers nach Verlassen des Festes an, weil sein Sohnemann offensichtlich sein Smartphone im Vorzimmer liegen gelassen hatte. Nach kurzem Suchen stellten wir das neueste Telekommunikationsteil aus der „Obstfamilie“ sicher. Der Vater war hocherfreut und forderte das Mobiltelefon für den nächsten Schultag, damit sein Sprössling erreichbar ist. Wäre der Besitzer des Handys nicht in der Volksschule und das elektronische Teil nicht jenes, das ich gerne hätte, was aber wegen der Preisklasse einfach in naher Zukunft nicht realisierbar ist, hätte ich den Vorfall nur mit einem Schmunzeln honoriert. Leider folgte nach dem Schmunzeln ein Kopfschütteln und danach ironische Statements wie „Sind die Eltern Kontrollfreaks oder doch nur Millionäre?“ und „Praktisch, wenn man eine Standleitung zum Papa hat, damit er alles richten kann“ in die verbleibende Partyrunde. Stille ... längere Stille, und dann wurde mir die Kompetenz in aktuellen Erziehungsfragen abgesprochen, weil meine Tochter schon volljährig ist und es vor zehn Jahren noch gaaaaaanz anders war. Ja, mag sein, aber eines ist sicherlich gleich geblieben. Wir erwarten, dass sich unsere Kinder individuell entwickeln, aus ihren Fehlern lernen, eine hohe emotionale Intelligenz haben, ihren Platz in der Gesellschaft finden und Werte zu schätzen wissen. Wie genau soll jetzt ein Smartphone ab der Volksschule dabei helfen? Jenes Teil, das stundenlanges Spielen ohne einen realen Partner möglich macht, in dem eine sprechende, aber emotionslose „Freundin“ sitzt, die immer Zeit hat und der keine Frage zu dumm ist, das bei geschickten Einstellungen die perfekte Überwachung garantiert und meistens den Wert von ein paar hundert Euro hat. Ich kann einfach keinen Grund erkennen, warum ein Smartphone ab der Volksschule sinnvoll sein soll. Die Schulregeln sehen ohnehin ein Verbot für sämtliche elektronische Geräte vor. Warum also schieben wir unsere Kinder schon so früh auf die „Allzeit-verfügbar-Schiene“ und gestehen diesem rechteckigen Kästchen eine so große Wichtigkeit zu?

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