Ukraine-Konflikt: Interview Kirchhoff/ Kraus

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„… es lassen sich, wie so oft in Konflikten, zwei komplett unterschiedliche Geschichten erzählen!“

Interview mit Prof. Dr. Lars Kirchhoff und Dr. Anne Isabel Kraus (Europa-Universität Viadrina) zur Rolle von Vermittlung in der Ukrainekrise

Was waren Ihre Berührungspunkte mit Mediation vor Beginn Ihrer Tätigkeit in der Ukraine?

Wir haben um das Jahr 2000 herum angefangen, die dann bereits angelegten Strukturen an der Europa-Universität Viadrina zu einem der wissenschaftlichen und auch praktischen Zentren im Bereich Mediation, Konfliktmanagement und Entscheidungsfindung auszubauen. Dazu gehörte die Etablierung eines Master-Studiengangs Mediation (2002), des Instituts für Konfliktmanagement und des Center for Peace Mediation (beides 2008). Die Kontakte zur Ukraine spielen sich – thematisch naheliegend – insbesondere über das letztgenannte Center ab, das der Erforschung und methodischen Optimierung von Friedensprozessen gewidmet ist. Unser Bekenntnis zum Konzept handlungsorientierter Wissenschaft hat dazu geführt, dass neben der Forschung immer auch die Beratung zu und aktive Begleitung von praktischen Prozessen im Zentrum unserer Arbeit stand und steht. •

Wie kam es zu Ihrer Tätigkeit in diesem Konflikt?

Interessanterweise ist der initiale Kontakt in die Ukraine nicht über das Feld der Friedens-, sondern der Wirtschaftsmediation erfolgt: Im Namen der bayerischen Industrie- und Handelskammer haben wir 2014 Teile einer Mediationsausbildung für ukrainische Vermittler in Lviv konzipiert und durchgeführt. Es sollten sowohl Mediatoren aus allen Teilen des Landes geschult als auch künftige ukrainische Ausbilderinnen für ihre spätere eigene Dozententätigkeit qualifiziert werden. Es wurde allerdings rasch klar, dass über die Hälfte der Teilnehmenden aus NGOs, Verbänden und anderweitig gesellschaftlich hochaktiven Zirkeln stammte. Aus diesen Kontakten haben sich dann – angesichts der zentralistischen Prägung der Ukraine wenig überraschend – schnell Verbindungen Richtung Kiew ergeben, die durch die schiere Alltagswucht der damaligen Maidan-Dynamiken zu einer Akzentuierung des Engagements der Viadrina weg von der Wirtschaft und hin zu den so viel relevanteren politischen Zerwürfnissen im Lande führte. Parallel dazu erreichte die von uns mitgegründete Initiative Mediation Support Deutschland (IMSD) eine Anfrage von Marieluise Beck. Als Mitglied des deutschen Bundestages hatte sie nach dem gewaltsamen Zusammenstoß zwischen pro-russischen und pro-europäischen Gruppen am 2. Mai 2014 in Odessa, bei dem 48 Menschen gestorben waren, die Stadt besucht. Sie fragte, ob wir nicht ein Projekt zur Verständigung zwischen den gespaltenen Lagern in Odessa konzipieren könnten, damit der Konflikt dort nicht weiter eskaliere. •

Zu welchem Zeitpunkt im Konflikt wurde der Weg der Mediation eingeschlagen?


Mit Blick auf den internationalen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland gibt es eine einfache und eine komplexe Antwort. Die einfache: Dank der Initiative der traditionell mediationsaffinen Schweiz, die zum damaligen Zeitpunkt den Vorsitz der ebenfalls auf Konsenslösungen setzenden OSZE innehatte, binnen weniger Wochen: zahlreiche der in der ersten Jahreshälfte 2014 in die Wege geleiteten Schritte und Formate tragen entsprechend mediative Züge. Die komplexe Antwort: Es lässt sich durchaus argumentieren, dass es in der Ukrainekrise auf den sichtbaren Ebenen des Konflikts zu wenig bis – radikal betrachtet – keinerlei Initiativen gekommen ist, die tatsächlich dem methodischen Anspruch an einen Friedensmediationsprozess entsprechen: Weder hat Russland offiziell den Status als Konfliktpartei akzeptiert, noch können die vermittelnden Akteure – inklusive Deutschland natürlich – als allparteilich eingestuft werden. Von letzterer Aussage ausnehmen möchten wir die OSZE, die allerdings ebenfalls mit der sehr speziellen Rolle Russlands in dem Konflikt konfrontiert war und sich zu Recht speziellen Reaktionen und Kompromissen genötigt sah. So stellt etwa Russland ein signifikantes Kontingent an Mitarbeitern in der im März 2014 unter Schweizer Vorsitz und mit dem Konsens aller 57 OSZE-Teilnehmerstaaten ins Leben gerufen Special Monitoring Mission (SMM) – und beobachtet sich damit als Konfliktpartei gewissermaßen selbst. Unser eigenes, gemeinsam mit der IMSD auf die oben genannte Anfrage initiiertes Projekt in Odessa arbeitete mit dem Ansatz des Dialogs, der sich von dem der Mediation im Wesentlichen dadurch unterscheidet, dass primär auf ein besseres gegenseitiges Verständnis zwischen verfeindeten Gruppen und weniger auf die Erarbeitung von konkreten Vereinbarungen hin gearbeitet wird. Es gibt jedoch methodische Gemeinsamkeiten: für die lokalen Dialogfazilitatoren, die wir in Odessa vernetzten, trainierten und berieten, ist es beispielweise ebenso wie für Mediatoren essentiell, dass sie als allparteilich wahrgenommen werden. Angesichts der eigenen Herkunft aus dem Konfliktkontext steht oder fällt damit oft ihre ganze Reputation. •

Welche Mediationsstrategie lag zugrunde?

Um den Versuch zu unternehmen, die akuten Gewalthandlungen einzudämmen, galt die Aufmerksamkeit auf diplomatischer Ebene zunächst der primär vom Schweizer OSZE-Repräsentanten Alexander Hug vermittelten Waffenruhe. Das in der Öffentlichkeit am klarsten sichtbare „Normandie-Format“ wurde am 6. Juni 2014 zwischen den Präsidenten Russlands, der Ukraine, Frankreichs und der deutschen Kanzlerin vereinbart, ebenso die Etablierung der Trilateral Contact Group (TCG), der neben ukrainischen und russischen Vertretern die Schweizer Botschafterin Heidi Tagliavini seitens der OSZE angehörte. Dieses bewusst flexible Gremium nahm die Arbeit nur 2 Tage nach seiner Etablierung auf. Dank der umsichtigen Vorgehensweise von Tagliavini kamen die im Rahmen der TCG geführten Gespräche einem mediativen Ansatz sehr nah. Unser eigenes, zivilgesellschaftlich vernetztes Dialogprojekt hatte das Ziel, die lokalen Akteure zu stärken, die Dialoge auf Gemeindeebene in Odessa durchführen oder zukünftig durchführen könnten. Neben bereits praktizierenden Dialogbegleitern und Mediatoren waren das auch Psychologen und Kirchenvertreter. Diese konnten anders als wir externe Akteure leichteren Zugang zu den relevanten Gruppen finden und dem Konfliktkontext vor Ort dauerhaft erhalten bleiben.


Wie lief die „Multi-Track“-Mediation ab? Wie lief die Verzahnung mit den anderen Tracks ab? Und haben sich im Ukraine-Konflikt etwaige Schwächen der Multi-TrackStrategie gezeigt?

Es lassen sich, wie so oft in Konflikten, zwei komplett unterschiedliche Geschichten erzählen. Einerseits gab es auf mehreren Ebenen Vermittlungsansätze: die bereits geschilderten Formate auf der obersten diplomatischen Ebene sind als klassische Track 1 Initiativen einzuordnen. Als Beispiel für Maßnahmen auf Track 2 können etwa die von Wolfgang Ischinger moderierten Runden Tische eingestuft werden. Auf Track 3, der zivilgesellschaftlichen Ebene, haben sich in der Ukraine zahllose Mediations- und Dialogprojekte herausgebildet, weit mehr als die von uns in Odessa begleiteten. Insofern kann die Ukraine als Musterbeispiel von Aktivitäten auf allen Ebenen angeführt werden. Genauso imposant wie die Anzahl an Aktivitäten sind aber andererseits deren offenkundige Nicht-Verzahnung und ein suboptimales Zusammenspiel der Einzelstränge: Zwischen Track 1 und Track 3 gibt es kaum Berührungspunkte; die auf Track 2 durchgeführten Runden Tische wiederum blieben sowohl von Track 1 als auch Track 3 weitgehend unbemerkt. Wir stufen die Krisenreaktion auf die Geschehnisse in der Ukraine daher nicht als „Multi-Track-Mediation“ ein, sondern eher als ein Nebeneinander mediativer Formate auf unterschiedlichen Ebenen. •

Hatten die auf höchster Ebene unterzeichneten Minsk I und Minsk II-Abkommen Einfluss auf den Verlauf der Mediation in „Ihrem“ Track?

Die Minsk I und Minsk II-Abkommen wurden von der ukrainischen Zivilgesellschaft zu weiten Teilen als mindestens problematisch eingestuft, als aufgezwungene Zugeständnisse an Russland im Gewand einer Pseudo-Friedensvereinbarung, wahrgenommen. Dies nicht nur aber auch, weil es keinen funktionierenden Austausch zwischen der zivilgesellschaftlichen und der obersten politischen Verhandlungsebene gab. Die tiefe Desillusionierung darüber, wie nationale Anliegen international besiegelt zu werden schienen, führte dazu, dass Aktivisten von Track 3 die Ergebnisse von Track 1 nicht unterstützen und dass Track 3-Dialoge zunehmend als wirkungslos abgelehnt werden (bisweilen als „dialogue fatigue“ bezeichnet). •

Welche Besonderheiten / Herausforderungen ergaben sich? Sprachbarriere, postsowjetische Strukturen etc.? Wie wurden Ihre Mediationsbemühungen von der Bevölkerung aufgenommen? Wer war an den Gesprächen beteiligt?

In den von uns unterstützten und anderen vergleichbaren Dialogforen zeichnet sich eine grundsätzliche Schwierigkeit ab: Die pro-ukrainische und die pro-russische Sicht, deren gegeneinander gerichtete Narrative das Land immer tiefer spalten, treffen in diesen Dialogen gar nicht zusammen, weil pro-russische Meinungen dort quasi nicht vertreten sind. Diese Exklusion hat viele Gründe, in den zwei wichtigsten spiegelt sich der Konflikt direkt wieder: offen geäußerte pro-russische Ansichten können zu gewaltsamen Übergriffen durch pro-ukrainische Bürger führen; zum anderen ist die post-sowjetische Identifikation oft mit der Vorstellung einer auf die politische Führung konzentrierten gesellschaftlichen Gestaltungsmacht verbunden. Aus dieser Sicht erscheinen Dialoge, die den Konflikt durch demokratische Mitgestaltung von Bürgern zu überwinden versuchen, schlicht sinnlos. Wir untersuchen derzeit in einer Studie, wie man dieses Henne-Ei-Problem überwinden könnte. •

Ist eine „Lösung“ des Konflikts durch Mediation in der Ukraine überhaupt möglich? Wie kann die Situation in der Ukraine langfristig stabilisiert werden?


Die geopolitischen und -strategische Kräfte, die nach wie vor in die Ukrainekrise hineinwirken, gekoppelt mit einem schmerzhaften Fehlen von Transparenz über Rollen und Motive zahlreicher Akteure, machen uns skeptisch, ob es auf absehbare Zeit zu einem vermittelten Frieden in der Ukraine kommen könnte. Gleichzeitig sind wir überzeugt, dass der vor dem Land liegende Transitionsprozess nur durch partizipative und auch mediative Formate glücken kann. Wie weit dieser mediative Ansatz im Fall der Ukraine in den Track 1 hinein funktionieren kann, wird sich zeigen. •

Haben Sie durch die wissenschaftliche und praktische Befassung mit der Ukrainekrise auch etwas über Deutschland gelernt?

Ja, eindeutig. Die intensive Befassung mit den zivilgesellschaftlichen Strukturen und den Dialogprozessen in der Ukraine hat unweigerlich das Auge für die entsprechenden Bereiche in der deutschen Gesellschaft geschärft. Der – unabhängig von der Ukrainekrise – parallel erfolgte Aufstieg rechtspopulistischer Akteure in Deutschland und das Ausbleiben so manch sinnvoller Debatte in der Reaktion darauf kann man als Konfliktforscher nicht ignorieren. Mittlerweile denken wir, dass eine ganze Anzahl an Formaten aus der vibrierenden Dialogszene etwa in Odessa auch dem deutschen Diskurs – und der deutschen Gesellschaft – ausgesprochen guttäte. Denn einige der Kernfragen der Ukrainekrise – Exklusion, Extremismus, Identität – stellen sich in anderem Gewand, aber gleicher Intensität auch vor der eigenen Haustür.

STECKBRIEF Prof. Dr. Lars Kirchhoff und Dr. Anne Isabel Kraus Die beiden Wissenschaftler leiten das Center for Peace Mediation (www.peacemediation.de), das Teil des Instituts für Konfliktmanagement an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) ist. Mit dieser 2008 gegründeten Zentralen Wissenschaftlichen Einrichtung der Universität hat sich die Viadrina der wissenschaftlichen und praktischen Begleitung von gesellschaftlichen Konfliktprozessen verschrieben. Prof. Kirchhoff ist seit Gründung der Bucerius Law School Lehrbeauftragter für den Bereich Außergerichtliches Konfliktmanagement; gemeinsam unterrichten die beiden u.a. für die Diplomatenakademie des Auswärtigen Amtes, die OSZE und die ETH Zürich. Das Interview führte Anna Seifert


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