PJS 1-2013 - Vorbild USA?

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Carola Jaeckel

MERKEL IN DER KRISE

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Einleitung Europa, sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal, sei ein „Haus“, aus dem sie „nie wieder ausziehen“ möchte (Brand 2012). Seitdem ist sie in der europäischen Hierarchie von der Hausmeisterin zur Hausherrin aufgestiegen. Mit hohem persönlichem Einsatz „bergsteigt“ sie von Eurogipfel zu Eurogipfel und verliert keine Sekunde lang den Atem. Mit der Verschärfung der europäischen Schuldenkrise im Jahr 2010 verselbstständigte sich die Euro-Debatte dann aber auch schnell zur Merkel-Debatte. Die Diskussion um Merkels Führungsstil ist eigentlich alt. Die abwartende und zaudernde Art der Regierungschefin wurde zu Hause viel diskutiert – gepaart mit Rücktrittsforderungen aus den eigenen Parteireihen. Die deutsche Kanzlerin zeigt die Neigung, sich in Sachfragen erst festzulegen, wenn sich ein mehrheitsfähiger Kompromiss abzeichnet (Glaab 2010: 130). Ihre Bewunderer nennen ihren zurückhaltenden Stil strategisches Kalkül, ihre Kritiker sehen darin Führungsschwäche. Jetzt erreicht dieselbe Diskussion die Arena der Europäischen Union. Wurde sie von der internationalen Presse vor nicht allzu langer Zeit noch mit Titeln wie „Miss Europa“ oder „Angela Europa“ gefeiert, wird sie heute „Madame Non“ genannt oder gar zur „Zerstörerin der europäischen Idee“ degradiert (Ebd.: 130). Während Merkels Ziehvater Altkanzler Helmut Kohl darüber klagt, dass Merkel „sein Europa kaputt“ mache (Schlieben 2011), Gertrud Höhler Merkels Politikstil als „egomanisch” beschreibt (Höhler 2012: 31) und Ulrich Beck gar von “Merkiavelli” (Beck 2012: 50) spricht, erhält sie von der deutschen Öffentlichkeit seit Beginn der EuroKrise doch sehr hohe und seit vielen Monaten auch die höchsten Beliebtheitswerte unter den deutschen Politikern (ZDF-Politbarometer 2012). Auch das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes lobpreist Merkel und setzt sie auf Platz eins der Liste der 100 mächtigsten Frauen der Welt 2011 und 2012. Das Magazin sieht in der deutschen Kanzlerin das Gesicht der stärksten europäischen Volkswirtschaft und die „de facto Führungskraft der EU“ (Forbes Magazine 2012).

Der situative Führungsstilansatz nach Hersey und Blanchard Wenn wir nun Merkels Führungsstil wissenschaftlich untersuchen wollen, brauchen wir dafür eine geeignete Methode. Unter den Kontingenztheorien der Führungsforschung hat in der Praxis das Modell des situativen Führens von Paul Hersey und Kenneth H. Blanchard die größte Beachtung gefunden.1 Sie entwickelten eine situative Theorie des Führens, die auf dem Entwicklungsstadium der Geführten aufbaut. Ausgangspunkt ist die Führungsstiltypologie der Ohio-Schule mit zwei Dimensionen von Führung: Aufgaben- und Personenorientierung. Diese werden dichotomisiert und zu vier Führungsstilen kombiniert. Die Situation wird dabei durch eine einzige Variable beschrieben: den Reifegrad der Geführten. Dieser Reifegrad definiert sich als das Maß, zu dem ein Geführter die Fähigkeit und Bereitschaft aufweist, Verantwortung für eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen (Hersey et al 2001: 175). Dieser kann situationsabhängig zwischen vier Zuständen variieren, die im Modell mit R1 (unfähig und nicht bereitwillig oder unfähig und unsicher), R2 (unfähig, aber bereitwillig, oder unfähig, aber selbstsicher), R3 (fähig, aber nicht bereitwillig oder fähig, aber unsicher) und R4 (fähig und bereitwillig oder fähig und selbstsicher) beschrieben werden (vgl. Abbildung 1). Wenn der Führungsstil korrekt vom Reifegrad der Geführten abgeleitet wurde, dann ist die Erfolgswahrscheinlichkeit des ausgewählten Führungsstils maximal. R1 und R2 erfordern wegen mangelnder Fähigkeit, Bereitschaft oder Verunsicherung der Geführten einen Führungsstil S1, den Hersey und Blanchard mit „Unterweisung“ (telling), oder einen Führungsstil S2, den sie mit „Verkaufen“ (selling) beschreiben. Auf den niedrigeren Levels hat die Führungskraft eine starke Entscheidungsmacht, die sich bei höheren Reifegraden stärker auf die Geführten verlagert. Ein hoher Reifegrad R3 oder R4 erlaubt wegen ausreichender Fähigkeit, Bereitschaft und Selbstvertrauen der Geführten einen Führungsstil S3, „Beteiligen“ (participating), oder S4, „Delegieren“ (delegating). Das Modell 1 Eine gute Darstellung der historischen Entwicklung der Führungsforschung mit ihren vielen Etappen, die auf einander aufbauen, findet sich in: Hersey, Paul/ Blanchard, Kenneth H.: Management of Organizational Behavior. Utilizing Human Resources, Englewood Cliffs 1969, S.61ff.

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