Maschinenliebe Sonderausgabe Game On Stage

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UNTER SPRACHMASCHINEN Martin Ganteföhr, Gamedesigner Liebes Team von machina eX, vor einigen Wochen habe ich Euer theatrales Point-and-Click-Adventure „15.000 Gray“ gespielt. Mit neun anderen Spielern bin ich 30 Minuten lang zwischen den Figuren und Kulissen eines verrückten Thriller(?)-Szenarios herumgehetzt, habe Codes entziffert, Telefonnummern gesucht, eine Bombe entschärft und schließlich: die Welt gerettet. Das war ein ganz großartiges Erlebnis, ein Riesenspaß. Was es sonst noch war, darüber habe ich, nachdem ich meinen Spielrausch ausgeschlafen hatte, eine ganze Weile nachdenken müssen. Figurengeleitetes Interactive Drama, interaktive Rätselei? Ernsthaftes Abenteuerspiel, spielbare Games-Parodie? Mitmach-Theater? Alles zusammen, keins von alledem? Fest steht zunächst: Ihr betretet mit Eurer Arbeit ein kaum kartiertes Gebiet. Gewissermaßen als Rucksack-Pioniere erwandert Ihr eine neue Zone im Niemandsland zwischen digitalem und analogem Drama. Das ist sehr aufregend und es ist sehr gefährlich, denn erfahrungsgemäß folgen den mutigen Entdeckern schon bald die gut organisierten Kolonialkohorten der bekannten Welt, um das Neuland professionell zu „erschließen“, sprich: es nach Wertvollem zu durchwühlen und dann unter Beton zu begraben. Eine solche feindliche Übernahme, das muss ich vorausschicken, habe ich hier nicht vor. Ich betone das, weil ich in der Woche nach meinem Besuch bei Euch die interessante Analyse des nachkritik.de-Autors Christian Rakow gelesen habe. Christian sortiert „15.000 Gray“ in den Theaterkontext ein und mit Bezug auf unsere gemeinsamen Diskussionen im Barcamp schreibt er, wir Games-Experten würden Euch mit „typischen Game-Designer-Problemen“, mit Forderungen nach „Realismus” und „naturalistischem Gaukelspiel“ in die ästhetische Irre leiten. Unsere Agenda sei ein „Einfühlungs-Dogma”. Das habe ich gelesen und gedacht: Einfühlungs-Dogma. Oha. Da spricht man als Gamer mal von inneren Vorgängen statt von Explosionen und Abschussquoten, und zack! hat man gleich das Big Fucking Gun der Theaterkritik an der Schläfe. Menschenverachtende Welt der E-Kultur! Aber im Ernst: Ich bin froh, dass dank Eurer Arbeit eine Verständigung von (und über) Games und Theater möglich wird. Die beiden Disziplinen, das haben wir alle beim Spielen Eures Stücks und in den anschließenden Diskussionen gesehen, haben allerhand zu besprechen – und einander viel zu sagen. Dass im Zuge eines solchen Austauschs zwangsläufig auf beiden Seiten ästhetische (und andere) Präkonzeptionen unter Erklärungsdruck geraten, halte ich für den spannendsten Teil dieses Prozesses.


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