Gitarre & Laute XXXI/2009/Nº 1

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Gitarre & Laute ONLINE XXX/2008/Nº 5-6 Edin Karamazov Respect. Mauro Giuliani Der Guitarrefreund Francisco José Goya y Lucientes Felix Mendelssohn-Bartholdy


P R I M - Musikverlag : EditionEN Tilman Hoppstock Neuerscheinungen 2006-2007

Transkriptionen für Gitarre solo transcriptions for solo guitar

Für Gitarre solo:

Transkriptionen für Gitarre solo transcriptions for solo guitar

Transkriptionen für Gitarre solo

Joh. Seb. Bach: Cellosuite Nr. 2 a-moll (2 Fassungen) PRIM 99 079 Preis: 11,90

Johann Seb. Bach

transcriptions for solo guitar

FRANZÖSISCHE SUITE

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Joh. Seb. Bach: Franz. Suite Nr. 2 (orig. für Cembalo) PRIM 99 062 Preis: 10,50

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Johann Seb. Bach

orig. für Cembalo in c-moll

Cellosuite Nr. 2

orig. for harpsichord in c minor

Bearbeitung und Fingersätze von/ transcription and fingerings by

Tilman Hoppstock

Dietr. Buxtehude: Suite Nr. 10 BuxWV 236 (orig. für Cemb.) PRIM 99 061 Preis: 8,50

a-moll BWV 1008

Isaac Albéniz

2 Fassungen

Cello suite no. 2

TANGO PRim - Musikverlag Darmstadt E L P OLO

a minor BWV 1008 2 versions

Nr. 99 062

Isaac Albéniz: Tango + El Polo (orig. für Klavier) PRIM 99 077 Preis: 9,95

Bearbeitung und Fingersätze von/ transcription and fingerings by

orig. für Klavier Tilman Hoppstock orig. for piano

PRim - Musikverlag Darmstadt

Bearbeitung und Fingersätze von/ transcription and fingerings by

Nr. 99 079

Tilman Hoppstock

PRim - Musikverlag Darmstadt

Franz Schubert

Nr. 99 077

LIEDER MIT GITARRE

Schubert: 110 Lieder für Gesang und Gitarre

Band 3: 12 Lieder aus “Winterreise” Band 4: 17 Lieder nach versch. Dichtern Band 5: 6 Lieder aus “Schwanengesang” Band 6: 12 Lieder nach Schiller/Klopstock

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Vol. 5

Franz Schubert LIEDER MIT GITARRE

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Vol. 3

PRIM 99 703 Preis: 16,90 PRIM 99 704 Preis: 15,50 PRIM 99 705 Preis: 13,90 PRIM 99 706 Preis: 14,50

6 Lieder aus „Schwanengesang”

12 Lieder aus „Winterreise”

6 songs from “Schwanengesang”

für Tenorstimme 12 songs from for tenor voice “Winterreise” Bearbeitung und Fingersätze von/ transcription and fingerings by

Tilman Hoppstock

für hohe/mittlere Stimme

PRim - Musikverlag Darmstadt

for high/medium voice

Nr. 99 705

Bearbeitung und Fingersätze von/ transcription and fingerings by

Tilman Hoppstock

PRim - Musikverlag Darmstadt Nr. 99 703

Aus der bekannten Serie “Große Komponisten für junge Gitarristen” Gaspar Sanz: 3 Suiten für 2 Gitarren PRIM 99 074 Preis: 10,50 Enrique Granados: Valses Poeticos f. Gitarre solo PRIM 22 100 Preis: 8,50 Isaac Albéniz: Asturias + Malagueña f. Git. solo PRIM 99 039 Preis: 8,50

G r o ss e Komponisten fu¨r junge G i t a r r i s t e n

Gaspar Sanz 3 Suiten

G r o ss e Komponisten fu¨r junge G i t a r r i s t e n

Für 2 Gitarren:

Dietrich Buxtehude: Passacaglia PRIM 99 074 Preis: 10,50 Gitarrenkammermusik

2 Gitarren

Enrique Granados Valses Poetic os

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bearbeitet fu¨r 2 Gitarren/ arranged for 2 guitars by

Tilman Hoppstock

Dietrich Buxtehude PASSACAGLIA

PRim - Musikverlag Darmstadt

BUXWV 161

Nr. 99 065

orig. für Orgel original for organ

bearbeitet fu¨r Gitarre solo von/ arranged for guitar solo by

für 2 Gitarren

Tilman Hoppstock

for 2 guitars Bearbeitung von/ transcription by

Tilman Hoppstock

PRim - Musikverlag Darmstadt

PRim - Musikverlag Darmstadt

Nr. 22 100

Nr. 99 074

PRIM-Musikverlag

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Postfach 10 11 20 64 211 Darmstadt Infos und Bestellung: www.prim-verlag.de

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Chanterelle

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Liebe Leserinnen, liebe Leser

Viel hat sich ereignet seit der letzten Ausgabe von Gitarre & Laute-ONLINE! Zum Beispiel sind die ePaper-Präsentationen der Zeitschrift umgezogen. Sie finden sie jetzt auf der Seite www.Gitarre-und-Laute.de. Dort kann auch die pdf-Version heruntergeladen werden. Ich bedanke mich herzlich bei den Mitarbeitern von CANTAT in Wien, die bisher die ePapers aufbereitet und auch gehostet haben. Ich habe mich aber dafür entschieden, alles zentral von Köln aus zu fertigen und ins Netz zu stellen um Reibungsverluste zu vermeiden. Außerdem sind einige Neuerungen geplant, die besser hier am Ort getestet werden – in der nächsten Ausgabe werden Sie erfahren, worum es sich handelt. Die Internetseiten von Gitarre & Laute und des Verlags MusiCologne Ltd. sind getrennt worden: www.MusiCologne.eu www.Gitarre-und-Laute.de. Das ist lediglich aus Gründen der besseren Übersicht geschehen. Auf der einen Seite stehen die Informationen über die Zeitschrift, auf der anderen finden Sie die Verlagsverzeichnisse und Neuigkeiten von MusiCologne.

Weiterhin werden Sie, wenn Sie möchten, mittels eines Newsletters informiert, wenn neue Ausgaben oder andere Informationen online gestellt werden. Sie finden einen Link auf der Startseite von Gitarre & Laute. Dort sehen Sie, dass lediglich Ihre Email-Adresse abgefragt wird und keine weiteren persönlichen Daten. Außerdem werden wir Sie auch nicht mit Werbung zuschütten! Aber bedenken Sie auch, wie bequem es ist, bei Erscheinen von neuen Ausgaben einen diskreten Hinweise zu erhalten! Zu den Ausgaben, die hier in Gitarre & Laute ONLINE erscheinen, vielleicht noch ein kleiner Hinweis. Die Ausgaben können Sie zwar kostenlos herunterladen und verwenden – gleichwohl sind sie urheberrechtlich geschützt. Nähere Informationen finden Sie auf meiner persönlichen Homepage: www.peter-paeffgen.eu Dort finden Sie auch Rezensionen und Artikel und sie haben die Möglichkeit, Kommentare abzugeben und zu vorgegebenen Themen zu diskutieren … natürlich nur zu Beiträgen, die von mir selbst stammen. Für andere Themen aus Gitarre & Laute wird der Blog www.gl-blog.de

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noch bearbeitet. Ich werde Sie informieren, wenn er aktiv ist. Viel Vergnügen mit Gitarre & Laute-ONLINE! Ihr

Peter Päffgen Chefredakteur/Herausgeber

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… was ich noch sagen wollte … hier gebe ich Ihnen in lockerer Form Bemerkungen mit auf den Weg, von denen ich glaube, sie wären von allgemeinem Interesse. Es wird sich dabei wie heute um Bemerkungen über neu erschienene Bücher oder CDs drehen, die vielleicht auch mit der Gitarre oder der Laute überhaupt nichts zu tun haben. Oder vielleicht gilt es auch, einen Geburtstag zu feiern oder aus anderem Grund an einen Großen unserer Zunft zu erinnern. Sollte ich Sie langweilen oder sollten Sie Vorschläge machen wollen, schreiben Sie doch einfach an: mailto:peter.paeffen@MusiCologne.eu Peter Päffgen

Helmut C. Jacobs, Der Schlaf der Vernunft. Goyas Capricho 43 in Bildkunst, Literatur und Musik, Basel 2006, Schwabe Verlag, € 84,—, ISBN 3-7965-2261-0 Dass Bücher von Helmut C. Jacobs hier in zwei aufeinander folgenden Ausgaben von Gitarre & Laute-ONLINE besprochen werden, geschieht aus unterschiedlichen Gründen. Das Erste, in Ausgabe XXX/2008/Nº 3-4, war entstanden wegen des Autors heimlicher Leidenschaft für das Akkordeon. Giulio Regondi, von ihm handelt das Buch, (1822/1823— 1872) hatte, als es mit der Gitarre immer schlechter bestellt war, mit fliegenden Fahnen das Lager zur Concertina gewechselt. Auch da war er sehr erfolgreich, auch da feierte er Triumphe! So, über Regondis Wechsel zur Concertina, war Helmut C. Jacobs’ Buch für eine Zeitschrift namens Gitarre & LauteONLINE interessant geworden. Jacobs, das nebenbei bemerkt, lehrt hauptberuflich als Professor für Romanische Philologie an der Universität Duisburg/Essen. Das heute behandelte und zu würdigende Buch hat zur Musik und da speziell zur Musik für Gitarre oder für Laute eine weniger direkte Beziehung als das über Regondi. Obwohl … hier in Gitarre & Laute ist schon eine mehrteilige Artikelfolge über Mario Castelnuovo-Tedescos Komposition über die Caprichos de Goya erschienen. Das war zwischen 1991 und 1994 und die Beiträge stammten von Lily Afshar. Den über das Blatt „43“ finden Sie in der vorliegenden Ausgabe zu Ihrer Erinnerung, ebenso bisher unveröffentlichte Anmerkungen zu den verfügbaren CD-Einspielungen der „Caprichos“ (S. S. 8). Im vorliegenden Buch befasst sich Helmut C. Jacobs mit den Caprichos von Francisco José Goya y Lucientes aus Sicht seiner Wissenschaft, obwohl Goya Maler war und nicht Dichter. Und er befasst sich auch nicht mit allen achtzig Radierungen des Zyklus, er befasst sich mit einer einzigen: Nº 43: „El sueño de la razon produce monstruos“ (S. S. 7). Achtzig Radierungen waren es, als Goya sie 1799 veröffentlichte – aber er hatte „vier weitere Platten hergestellt, es wegen ihres brisanten Inhalts aber nicht gewagt, die entsprechenden Radierungen zu veröffentlichen.“ (S. 24). Die Heilige Inquisition war es, die er fürchtete. Und sie war es auch, die die Blätter ohne die vier nicht veröffentlichten ein paar Tage nach ihrem Herauskommen verbot. 1803 schenkte Goya die Platten dem Kupferstichkabinett des Königs – vermutlich um weiteren Verfolgungen zu entgehen. „Ob 1806 oder 1807 eine weitere Auflage der Caprichos hergestellt wurde, ist unklar. Die zweite nachweisbare Auflage erfolgte erst 1850, spätere Auflagen dann in den Jahren 1860, 1877/78 und öfter.“ (S. 26) Feststellen muss man jedenfalls, dass alle nachweisbaren Auflagen nach der ersten des Künstlers selbst im Auftrag und zu Gunsten der Königlichen Museen angefertigt und verkauft worden

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sind … 1850 schließlich war Goya schon mehr als zwanzig Jahre tot! Die Nummer 43 sollte ursprünglich einmal das „Titelbild“ des Zyklus sein. Goyas Selbstportrait (s. Abbildung S. 4) hat es ersetzt. Jetzt ist #43 das mittlere Blatt, das Trennblatt zwischen zwei zusammengehörenden internen Zyklen. André Malraux (1901—1976), Dichter und erster französischer Kultusminister nach dem Zweiten Weltkrieg, meinte: „Erst spät bemerkte man, dass zwei Bücher aufeinander folgten: das erste, von Blatt 1 bis 43, umfasst beinahe die Gesamtheit der sogenannten Sittenszenen; das zweite, das mit dem Titel Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer beginnt, umfasst zu neun Zehntel der Radierungen Hexen, Dämonen und Gespenster“. Aber nicht nur seine prominente Position im Gesamtzyklus macht Blatt 43 zu etwas Besonderem. Es ist nicht nur das berühmteste, „sondern auch eines der am meisten gedeuteten Bilder der spanischen Kultur überhaupt, nicht zuletzt wegen seiner vieldeutigen Bildlegende »El sueno de la razón produce monstruos«.“ Der Autor will aber mehr, als eine weitere Deutung anzubieten, er will „in dieser Untersuchung eine intensive Wahrnehmungsweise“ anregen, „mittels derer das gründliche, ergründende Sehen, Lesen und geistige Erfassen in exemplarischer Weise an einem einzigen Bild erprobt wird.“ (S. 14) „Wie Capricho 43 selbst zum Nachdenken anregen will, so soll auch dieses Buch zum selbständigen Weiterentwickeln von Seherlebnissen und Reflexionen anregen.“ … „Es geht nicht nur um die Interpretation eines einzelnen Bildes, sondern in einem umfassenden Sinne auch um grundsätzliche ästhetische, künstlerische und anthropologische Fragen, die in diesem Bild fokussiert werden …“ (S. 13). Der Rahmen, den Jacobs steckt, ist also sehr weit. Eine pädagogische Mission ist es vor allem, die er erfüllen möchte: Zu sehen soll der Leser lernen, zu sehen und über das Gesehene zu reflektieren. Rund 680 Seiten Text muss er, um das zu können, erst einmal durcharbeiten; 680 Seiten, in denen quer durch verschiedene Geisteswissenschaften und ihre Methoden mit einer enormen Fülle an Informationen aufgewartet und argumentiert wird. Hie und dort habe ich Mühe zu verstehen, wie die gedanklichen Ansätze miteinander verlinkt sind, und an der einen oder anderen Stelle suche ich auch nach Antworten auf Fragen, die sich mir aufdrängen. Los geht es mit einem kurzen Kapitel über „Entstehungsgeschichte und Anordnung der Caprichos unter besonderer Berücksichtigung von Capricho 43“ … und bereits hier bremst mich eine Ungereimtheit in meinem Lesefluss. Goya hat 1803 die Platten für die Caprichos dem Minister Miguel Gayetano Soler zur Übergabe an das Königliche Kupferstichkabinett angeboten. In einem Brief Goyas vom 7. Juli 1803 an den Minister heißt es (alle Übersetzungen von Jacobs): „Sie [die Radierungen] wurden nicht mehr als zwei Tage öffent-


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lich verkauft für eine Goldunze pro Buch, es wurden 27 Bücher verkauft. Man kann 5000 bis 6000 [sic] Bücher drucken.“ (S. 25) Am 9. Oktober 1803 schließlich übergab Goya die Platten und dazu 240 gedruckte Exemplare dem Kupferstichkabinett. Die erste Auflage, das scheint klar belegt zu sein, bestand aus 267 Exemplaren. 27 hatte der Künstler selbst verkauft, 240 abgegeben. Aber wie konnte Goya danach noch „über Restexemplare, die er im Laufe der Zeit verkaufte“ verfügen? Später heißt es: „Ob 1806 oder 1807 eine weitere Auflage der Caprichos hergestellt wurde [die Druckplatten befanden sich zu der Zeit bereits im Besitz der Spanischen Krone], ist unklar. Die zweite nachweisbare Auflage erfolgte erst 1850, spätere Auflagen dann in den Jahren 1860, 1877/78 und öfter“ (S. 26). Bekannt ist, dass 1937 die bisher letzte, zwölfte Auflage hergestellt worden ist und zwar in der Calcografía Nacional in Madrid, die heute die Druckplatten Goyas zu ihren größten Schätzen zählt. Die Literatur zum Thema Druckgrafik und Drucktechniken weist darauf hin, dass die maximale Druckauflage von Aquatinta-Platten bei einhundert Exemplaren [!] liegt und dass von Radierungen rund zweihundert Drucke angefertigt werden können. Die Technik des „Verstahlens“, des Beschichtens von Metalloberflächen mit Eisen, erlaubt heute – bei Verlust an Feinheit in den Farbabstufungen und an Detailgenauigkeit – wesentlich höhere Auflagen, für sie fehlten zu Goyas Zeit aber noch die technischen Voraussetzungen. Wenn Goya 1803 schrieb, dass er 5000 bis 6000 Drucke für möglich hielt, heißt das natürlich nicht, dass diese Stückzahlen auch gedruckt worden sind. Jacobs bestätigte mir in einer privaten Email allerdings eine große internationale Verbreitung der Caprichos: „Die Auflage ist in der Tat enorm hoch, wenn man alle Auflagen zusammenrechnet. Man merkt es auch daran, wie viele Serien allein in Deutschland in den Museen und Kupferstichkabinetten aufbewahrt werden, mal abgesehen von den Privatsammlungen in aller Welt, die nicht erfaßbar sind.“ Ein Blick in Verzeichnisse von Kunsthändlern und in Versteigerungskataloge verrät, dass die Blätter der Caprichos heute meist einzeln verkauft werden und dass fast immer angegeben wird, aus welcher Druckauflage die jeweiligen Exemplare stammen … letztere Information allerdings meist mit Unschärfewarnungen wie „vermutlich“ oder „ca.“. Angaben über die Anzahl der gedruckten Exemplare, wie man sie von modernen Druckgrafiken kennt, werden nicht gemacht. Die Preise variieren je nach Popularität und Bekanntheit des jeweiligen Blatts und liegen über € 750, meistens über € 1.000 pro Blatt. Bei Sotheby’s in London wurde am 5. Dezember 2002 ein kompletter Satz der Caprichos für knapp £ 60.000 versteigert … „good delicate impressions from the first edition“. Geschätzt war das

Lot in London mit £ 40.000 bis 60.000. Sotheby’s Mitbewerber Christie’s versteigerte am 8. Juli 1998 „Blatt 1“ des Zyklus, Goyas Selbstportrait, für £ 3.450 bei einem ursprünglichen Schätzpreis von £ 1.500 bis 2.500. Zum Vergleich: Albrecht Dürers berühmtes Blatt „Melencolia I“ von 1524 brachte in der gleichen Auktion £ 40.000. Die in Uppingham (England) ansässige auf grafische Kunst spezialisierte Goldmark Gallery hatte am 13. Januar 2009 43 Blätter aus den Caprichos im Angebot und zwar für £ 950 pro Blatt (URL: www.goyaprints.com). Der New Yorker Händler „Harris Schrank Fine Prints“ bietet auch Goya-Blätter an und gleichzeitig bei ebay einen Beitrag mit dem Titel „Goya Fine Prints – An Introduction to the Aquatints“. Hier wird erklärt, wie es zu den offensichtlich großen Auflagen gekommen ist: „Further editions were done in the late 1800’s, with various inks, still on wove paper, and the plates continued to deteriorate. The plates were then steelfaced (a tiny layer of steel applied to them, to halt the deterioration).” Das heißt also, der Prozess des Verstahlens (oder „Verstählens”) wurde in dem Moment angewandt, als er zur Verfügung stand und als die Qualität der Goya-Drucke deutlich schlechter wurde und man diesen Verfall aufhalten wollte. Die Autoren, Kunsthändler, zögern aber nicht anzumerken, dass diese späten Drucke zwar noch „Originale“ sind, weil sie mit den originalen Platten angefertigt worden sind: „Connoisseurs of course prefer the impressions from the First Edition, and the earlier impressions from that edition if possible.“ So erklären sich die vielen GoyaDrucke, die sich international in Sammlungen befinden und so erklären sich auch die erheblichen Qualitäts- und Preisunterschiede, wenn sie zum Verkauf angeboten werden. So erklärt sich aber nicht die Aussage Goyas, seine Druckplatten seien für 5000 bis 6000 Drucke gut. Er konnte freilich nicht wissen, dass fast ein Jahrhundert nach Herstellung seiner Druckplatten ein Verfahren zu ihrer Konservierung erfunden werden sollte – sehr wohl hat er aber gewusst, dass Aquatinta-Platten nach spätestens zweihundert Drucken keine

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zufriedenstellenden Ergebnisse mehr hergaben und –geben … obwohl seine erste Auflage bereits aus mindestens 278 Exemplaren bestanden hat. Ein Rätsel? Im nächsten größeren Zusammenhang des Buches geht es um strukturelle Aspekte des Bildes (Capricho 43), um Zentrizität und Exzentrizität, um den homo geometricus des Marcus Vitruvius Pollio oder um die sectio aurea, den „Goldenen Schritt“. Hier glaubt der Autor ein Rätsel entdeckt zu haben: „ein geheimnisvolles Telestichon“, verborgen in der Legende zu Capricho 43. „El sueño de la razon produce monstruos“. „Liest man – von unten nach oben – jeweils den letzten Buchstaben einer jeden Zeile, ergibt sich das spanische Wort seno. Goyas vierzeilige Bildlegende enthält also ein Telestichon – ein üblicherweise aus den Endbuchstaben der Verszeilen eines Gedichts gebildeter Begriff oder Satz – war ein beliebtes Verfahren, um geheime Botschaften in einem Text zu verstecken.“ (S. 56) Aber welche Botschaft will der Künstler mit dem Wort „seno“ transportieren? Das Wort stammt vom lateinischen sinus ab und ist ebenso vieldeutig. Der Autor präsentiert eine Vielzahl möglicher Erklärungen, ohne sich auf eine von ihnen festzulegen; ja, er sichert sich sogar all denen gegenüber ab, die das Telestichon für ein Zufallsprodukt halten könnten: „Ganz unabhängig von der Frage, ob sich das Wort seno zufällig beim Zeilenumbruch ergeben hat oder ob es sich um eine bewusste, ingeniöse Verschlüsselung einer geheimen Botschaft im Text der Bildlegende handelt, lässt sich feststellen: Das Telestichon seno ist unbestreitbar vorhanden und eröffnet zahlreiche Sinnhorizonte.“ Mehr noch: „Die Komplexität von Bild und Text in Capricho 43 wird aufgrund der semantischen Vieldeutigkeit des Telestichons geradezu potenziert.“ (S. 79) Jacobs’ Präsentieren möglicher Erklärungen, seinem generösen Teilhabenlassen an seinem imponierenden Wissen zur Sprach- und Literaturwissenschaft und zur Philosophie der Zeit Goyas begegnet man im vorliegenden Buch ständig. Zu oft allerdings lässt der Autor seine Leser, was konkrete Deutungen angeht, danach allein … aber hat er das nicht bereits im Vorwort angekündigt? „Wie Capricho 43 selbst zum Nachdenken anregen will, so soll auch dieses Buch zum selbständigen Weiterentwickeln von Seherlebnissen und Reflexionen anregen“ heißt es da! Jacobs erreicht auf diese Weise, dass die eine oder andere mögliche Deutung als „weit hergeholt“ erscheinen darf … schließlich ist sie lediglich ein Angebot. Und hie und dort scheint er sich auch zu verlieren im Surfen durch die Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, wo es um Uni-


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versalsprachenprojekte geht zum Beispiel und wo man viel über Pasigraphie oder die Gebärdensprache – oder Taubstummensprache, wie sie einmal geheißen hat – lernt. Kommt man schließlich an das Kapitel, um das es hier in einer Musikzeitschrift konkret gehen sollte, blendet zunächst eine postbarocke Überschrift: „Rezeption und intermediale Transformation – Capricho 43 als Inspirationsquelle für neue Kunstwerke“ um das anzukündigen, was schon im Buchtitel, da aber griffiger, versprochen wurde. Eine Menge Überraschungen wartet auf den Leser … und zwar vor allem aus dem Bereich der bildenden Kunst. Capricho 43 ist sehr oft von Malerkollegen Goyas zitiert worden. Zahlreiche Beispiele findet man in Jacobs’ Buch, einige in farbiger Darstellung. Und schließlich die Musik: Die Komposition von Mario Castelnuovo-Tedesco wird erwähnt, ein paar Sätze zu ihrer Entstehungsgeschichte findet man, das ist alles. Und man liest, welche anderen Komponisten in Stücken auf Goya und seine Caprichos Bezug genommen haben. Enrique Granados, Hans Werner Henze, Michael Denhoff, Tilo Medek und andere. Schließlich noch einmal Gitarre und Gitarrenmusik: Auf Jürgen Ruck verweist der Autor und auf sein „bemerkenswertes musikalisches Goya-Projekt zu den Caprichos“. Helmut C. Jacobs betrachtet in seinem Buch die Caprichos von Francisco José de Goya y Lucientes aus jeder möglichen und unmöglichen Perspektive. Viele Fragen stellt und noch mehr Antworten liefert er … schließlich will er seine Leser „zum selbständigen Weiterentwickeln von Seherlebnissen und Reflexionen anregen.“ Pädagogische Absichten verfolgt er also mit der Herausgabe seines Werks und damit steht er in der Tradition von Gregorio González Azaola, der vor knapp zweihundert Jahren (1811) über die Caprichos schrieb, es sei das geeignetste Werk, „um die Begabung der Jugendlichen zu üben, und wie ein Stein des Anstoßes, um die Kraft des Scharfsinns und die Lebhaftigkeit der Auffassungsgabe jeder Art von Personen zu erproben …“ (S. 473) Der eine oder andere seiner erkenntnisbegierigen Leser wird gezwungen sein, ein Wörterbuch zu Rate zu ziehen, denn Jacobs benutzt gern Fremdwörter mit altgriechischen Wurzeln … auch, wenn sie durchaus ersetzbar sind. Und schließlich: Der Untertitel des Buches „Goyas Capricho 43 in Bildkunst, Literatur und Musik“ verspricht etwas, das das Buch nicht hält. Über die Caprichos und speziell Capricho 43 wird hier alles ausgebreitet – das Kapitel „Rezeption und intermediale Transformation“ ist allerdings nur ein Anhängsel. Peter Päffgen

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Die „24 Caprichos de Goya“ nehmen im Repertoire für Gitarre eine besondere Position ein: Der Zyklus gehört zu den umfangreichsten Kompositionen, die jemals für die Gitarre geschrieben worden sind. Dazu ist er spieltechnisch höchst anspruchsvoll … ein Vergleich mit Paganinis „24 Capricci“ op. 1 für Violine drängt sich regelrecht auf, verbietet sich aber gleichzeitig, weil die Goya-Caprichos spieltechnisch alles verlangen, allerdings nie virtuos im demonstrativen Sinn sind. Sie sind auch nicht schwer, weil Mario Castelnuovo-Tedesco (1895–1968) sie als Nicht-Gitarrist in Unkenntnis des Instruments ungeschickt eingerichtet hätte. Mario Castelnuovo-Tedesco, 24 Caprichos de Goya op. 195, Frank Bungarten, Aufgenommen August 1994 und Juni 1995, MDG (2 CD) 305 0725-2 [1996] dies., Zoran Dukic, Aufgenommen Mai 2008, NAXOS (2 CD) 8.572252-53 [2009] Beides Referenz-Einspielungen!

Die Caprichos de Goya hat M.C-T 1961 aufgeschrieben, entstanden sind sie in den Jahren des Suchens nach dem desaströsen Krieg, der ihn, C-T, nach Hollywood verschlagen hatte. 1938 hatte er als Jude sein geliebtes Florenz verlassen und sich gerade noch rechtzeitig vor Verfolgungen in Sicherheit gebracht. M.C-Ts Arbeitgeber in Hollywood war Metro-Goldwyn-Mayer. Die Filmindustrie blühte und brauchte Musiker: Komponisten, Arrangeure, Ghostwriter, Interpreten … kein Job für engagierte Künstler, aber man konnte davon leben. Als C-T die Caprichos komponierte und aufschrieb, orientierte sich die intellektuelle Welt in Fragen der Musik an Arnold Schönberg und Anton Webern, an Messiaen, Varèse und Theodor W. Adorno, dessen berühmtes Diktum von 1968 „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben“ wie ein Motto das kompositorische Schaffen der Nachkriegsjahre bestimmt hat. Aber M.CT wehrte sich gegen die zwölftönige und serielle Osession und schrieb Gedichte. Die „Caprichos de Goya“ jedenfalls präsentieren eine Vielzahl musikalischer Ideen und musikalischer Stile, die Eines immer gemeinsam haben: eine gewisse Dominanz des Melodischen. Und gerade die lässt mich die Aufnahme von Zoran Dukic der von Frank Bungarten gelegentlich vorziehen. Der, Bungarten, ist eher der rationale Deuter, der diesen Koloss an Werk mit seinen Rissen und offenen Fragen darstellt – während Zoran Dukic ihn spielt, in den Klang seines Instruments verliebt ohne sich in ihm zu verlieren. Die technischen Anforderungen an den Interpreten hört man bei keinem der Interpreten – und das darf man freilich auch nicht. Aber sie sind da -- vor allem in der Ballung von 24 Einzelsätzen. Die „Caprichos de Goya“ sind kein Zyklus für die Bühne. Es ist auch keine deskriptive Programmmusik wie beispielweise „Peter und der Wolf“, obwohl jeder Satz eine Grafik von Goya zur Vorlage hat und diese Vorlagen auch genannt werden und bei Bungarten sogar im Booklet abgebildet sind. Aber die natürlich gegenständlichen Bilder von Goya haben abstrakte Hintergründe … vielleicht versuchen wir uns einmal an der Nº 43: „El sueño de la razon produce monstruos“? Dies sind zwei Einspielungen der „Caprichos de Goya“ und beides sind Referenz-Einspielungen. Die von Zoran Dukic ist brandneu -- die von Bungarten rund 15 Jahre alt. Beide sind auf dem aktuellen Stand der Spielkunst, beide sind ernst gemeinte und außergewöhnliche Meinungsäußerungen zum Thema Mario Castelnuovo-Tedesco und Goya … und mit beiden sollte man sich auseinandersetzen!


Aktuelles rund um die

Gitarre Konrad Ragossnig

Gitarrentechnik kompakt Grundformen der Technik • Effektives Einspielen • Tägliches Üben 85 Seiten, broschiert ISMN M-001-12919-0 (ED 9263) € 22,95

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Die moderne Gitarrenschule für Jugendliche und Erwachsene 96 Seiten, broschiert mit CD ISBN 3-7957-5598-0 (ED 9475) € 19,95 Wer Gitarre spielen zu seinem Hobby machen möchte, liegt mit dieser Schule genau richtig. Dabei ist es egal, ob es ein Neueinsteiger ist, der da in die Saiten greift oder jemand, der vor vielen Jahren bereits einmal gespielt hat und nun wieder seine Kenntnisse auffrischen möchte. Eine ausgewogene Mischung von Pop, Klassik und Folk verhindert Langeweile. Da Akkord- und Melodiespiel berücksichtigt werden, ist der Schüler sowohl für den Abend am Lagerfeuer als auch für das Hauskonzert gewappnet. Die praxiserprobte Methode ist sowohl für den Unterricht als auch für das Selbststudium geeignet, wobei die beiliegende CD als Trainingspartner dient.


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Bossems, Gerd (Hrsg.) Leichte Gitarrenmusik aus fünf Jahrhunderten, Ausgewählt und herausgegeben von Gerd Bossems. Leichte bis mittelschwere Stücke von Bach, Sanz, Mertz, Giuliani und vielen anderen bis hin zur „Spanischen Romanze“ und „Malagueña“. Hervorragend für den Unterricht geeignet, da die verschiedenen spieltechnischen Problemen durch Spielmaterial behandelt werden und da Stücke verschiedener Schwierigkeit aus allen Epochen der Gitarrenmusik zusammengefasst sind. EUR 8,00 G&L 133

sen und Manfred Joh. Böhlen, Zeichnungen von Achim Wichert, ISMN M-50089130-7 EUR 10,00 G&L 130

Duarte, John W. Danserie No. 2 für Gitarre solo, ISMN M50089-142-0 EUR 7,50 G&L 142

Robles, A. und Jorge Milchberg El Condor pasa, Für Gitarre bearbeitet von Eduardo Falú, ISMN M-50089-116-1 EUR 5,00 G&L 116

Falú, Eduardo Gavota para Guitarra, Mit Fingersätzen versehen von Hubert Käppel, ISMN M50089-112-3 EUR 3,50 G&L 112

Rodriguez, Luis El Nahuel, El Penitente, Luz del Machu Pichu, für Gitarre solo EUR 4,50 G&L 132

Falú, Eduardo Preludio del pastor, ISMN M-50089-111-6 EUR 4,50 G&L 111 Garsi da Parma, Santino Sämtliche Lautenwerke, Gesamtausgabe der handschriftlichen Quellen, Faksimile mit Übertragungen und Kommentar von Dieter Kirsch, ISMN M-50089-148-2 EUR 30,00 G&L 148 Robert Johnson Sechs Stücke für Laute (Fantasie, Pavan, Galliard, Alman, Alman „Hit and Take it“, Carman’s Whistle), Aus der Tabulatur übertragen und für Gitarre herausgegeben von Hildegard Ruhe und Reinbert Evers. Mit Faksimile-Nachdruck der vollständigen Tabulaturen, ISMN M-50089109-3 EUR 7,00 G&L 109 Joplin, Scott Five Ragtimes für Gitarre (Maple Leaf Rag, Weeping Willow, Palm Leaf Rag, reflextion Rag, the Entertainer), Bearbeitet und mit einem Vorwort versehen von Harald Thon, ISMN M-50089-101-7 EUR 6,00 G&L 101 Newsidler, Hans Das Newsidler-Heft mit einer Gebrauchsanweisung für die deutsche Lautentabulatur, Herausgegeben von Johannes Jan-

10 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1

Obrovská, Jana Hommage à Choral Gothique für Gitarre Solo, Revidiert von Milan Zelenka, ISMN M-50089-122-2 EUR 8,50 G&L 122 Patiño, Adrian Nevando Está, Für Gitarre bearbeitet von Eduardo Falú, ISMN M-50089-120-8 EUR 5,00 G&L 120

Sáinz de la Maza, Eduardo Drei Bearbeitungen für Gitarre: Fum-FumFum, Stille Nacht (Gruber), Clair de la Lune (Debussy), Herausgegeben von Thomas Schmitt, ISMN M-50089-164-2 EUR 8,00 G&L 164 Sáinz de la Maza, Eduardo Drei Stücke für Gitarre Solo, Herausgegeben von Thomas Schmitt, ISMN M50089-160-4 EUR 8,50 G&L 160 Sáinz de la Maza, Eduardo Laberinto, Präludium, für Gitarre Solo, Herausgegeben von Thomas Schmitt, ISMN M-50089-163-5 EUR 7,50 G&L 163 Strasfogel, Ignace Prélude, Elegie und Rondo für Gitarre, Herausgegeben von Volker Höh ISMN M-50089-168-0 EUR 11,00 G&L 168 Weiss, Silvius Leopold Tombeau sur la Mort de M: Cajetan d’Hartig arrivée le 25 de Mars 1719, Aus der Lautentabulatur übertragen und für Gitarre herausgegeben von Gerd Michael Dausend. Mit einem Faksimile-Nachdruck der vollständigen Tabulatur, ISMN M50089-126-0 EUR 4,00 G&L 126


Gitarre & Laute ONLINE XXXI/2009, Heft 1 Inhalt

Editorial 3 … was ich noch sagen wollte … Helmut C. Jacobs: Der Schlaf der Vernunft 4 Frank Bungarten und Zoran Dukic spielen „24 Caprichos de Goya“ von Mario Castelnuovo-Tedesco 8 N.N. The Lute is a Song … Edin Karamazov über seine neue CD 12 Peter Päffgen Respect! Internationales Gitarrenfestival Belgrad, Februar 2009 16 Felix Mendelssohn-Bartholdy zum 200. Geburtstag Canzonetty aus dem Streichquartett op. 12 für Gitarre bearbeitet von Francisco Tárrega 25 Martin Lange Das professionelle Stimmen der Gitarre, auch Mandoline und Bass 31 Peter Päffgen Neue Schallplatten 35

Impressum: Verlag: MusiCologne Ltd., Registered in England & Wales No. 5752198; Niederlassung Deutschland: MusiCologne Ltd., Sielsdorfer Straße 1a, D-50 935 Köln (Briefanschrift: Redaktion Gitarre & Laute, Postfach 410 411, D-50 864 Köln). Telefon: ++49-221-346 16 23. FAX: ++49-1803-5 51 84 30 17. Internet: www.Gitarre-und-Laute.de, Kleinanzeigen: www.VerkaufeGitarre.de und www.gitarre-und-laute.de. Weblog: http://www.gl-blog.de Email: info@Gitarre-und-Laute.de (weitere Email-Adressen sind im redaktionellen Zusammenhang veröffentlicht). Erscheinungsweise: sechsmal jährlich, am Anfang der ungeraden Monate (Januar, März, Mai ...). Kündigungsfrist: sechs Wochen vor Ablauf der Bezugsfrist. Preis: Einzelheft EUR 5,50, Abonnement für ein Jahr (sechs Ausgaben) 28,00 EUR inklusive Porto (In- und Ausland) und der gesetzlichen Mehrwertsteuer (19 %). Chefredakteur: Dr. Peter Päffgen. Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 13. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge in dieser Zeitschrift entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt der Verlag keine Haftung. Terminangaben, insbesondere in der Rubrik „Dates“ erfolgen prinzipiell ohne Gewähr. © Nachdruck in jedweder Form und allen Medien, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Aboverwaltung: Verlag, Niederlassung Köln. [Abo@gitarre-und-laute.de], Bildnachweis für vorliegende Ausgabe: Titelseite und S. 12-15: DECCA; S. 16-25: Peter Päffgen; S. 25: Felix Mendelssohn-Bartholdy, Gemälde von James Warren, London 1830, Mendelssohn-Archiv der Deutschen Staatsbibliothek, Berlin; S. 26-30: Notensatz Peter Päffgen, Köln; S. 41: www.klemke.de; S. 43: Markus Wessolek.

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The Lute is a Song ‌

Edin Kara


amazov über seine neue CD

Edin Karamazov: Das Album „The Lute is a Song“ besteht aus vier Teilen. Erst spiele ich solistisch, für etwa zehn Minuten, und dann endet jeder Abschnitt mit einem Lied. Ich kenne jeden der Sänger schon seit vielen Jahren. Ich habe neben ihnen gesessen und von ihnen gelernt, fast mein halbes Leben lang. Die „Geschichte“, die Historie meines Instruments, ist immer eng mit dem Gesang verbunden gewesen. Und auch meine Freunde finden, dass die Laute perfekt zur menschlichen Stimme passt. Ich wollte immer singen – kann es aber nicht. Deshalb spiele ich Laute und Gitarre, einfach, weil ich nicht singen kann. Und sie sagen eben, dass sie nicht spielen können (lacht). So haben wir unseren Spaß zusammen, lernen voneinander. Und dabei noch Musik zu machen ist wundervoll.

G&L: Wie sind die Stücke auf der CD mit einander verbunden? E.K.: Wir haben auf der Welt nur einen Ozean und einen Fluss, alles fließt ineinander, ist dasselbe. Der Fluss hier und das Meer dort sind alle miteinander verbunden. So ist es auch mit der Musik. Auf der CD haben wir Bach und Domeniconi, einen Komponisten unserer Zeit. Sie sprechen alle verschiedene Sprachen. Bachs Sprache ist eine andere als die, die Sting in seiner Musik verwendet. Aber sie alle drücken Gefühle aus. Und diese Regungen sind eben – menschlich. Ich spiele Leo Brouwer auf der E-Gitarre. Das ist wieder eine andere Sprache, die aber auch die Wahrheit sagen will – Das ist also die gleiche Idee.

Dieses erste Stück ist das einzige, welches Sie nicht auf der Laute spielen. Was ist das für eine Komposition?

G&L:

E.K.: „Paisaje cubano con rumba“ ist von Leo Brouwer, einem Freund von mir, einem großartigen kubanischen Komponisten. Er ist für mich eine der wichtigsten Persönlichkeiten in der gesamten „Geschichte“ der Gitarre. Er hat das Stück vor langer Zeit für das Frans Brüggen Blockflötenquartett geschrieben. Später hat Leo eine Version für vier Gitarren geschrieben. Das habe ich auch in meinem Programm, mit drei vorher aufgezeichneten Stimmen, zu denen ich die vierte live spiele.

Das Stück beschreibt eine von vier kubanischen Landschaften. Es gibt eine „Paisaje cubano con rumba“, also eine kubanische Landschaft mit Rumba, eine kubanische Landschaft mit Regen, das Stück spiele ich auch in meinen Konzerten, eine kubanische Landschaft mit Carrillon, mit Kirchenglocken und eine kubanische Landschaft mit Traurigkeit. Das Stück ist sehr rhythmisch und das schwierigste auf dem Album. Denn ich habe ja alle vier Stimmen gespielt. Wenn


man im Studio Note für Note einspielt, ist es, als setze man ein Mosaik zusammen. Wie ein Kreuzworträtsel, in das man einzelne Buchstaben einfügt. Und am Ende braucht es dann auch noch den Geist des Komponisten!

gar nicht. Ich hoffe aber, nicht nur in Richtung des Publikums, sondern zu jedem einzelnen Zuhörer. Deshalb sind wir Musiker nach Konzerten so erschöpft, denn was wir tun müssen, finde ich, ist, sie jedem Herzen zugänglich zu machen.

Ich spiele es auch mit meinem Gitarrenquartett, was viel einfacher ist, denn da haben Sie vier verschiedene Persönlichkeiten, vier unterschiedliche Seelen. Ich habe es mit einem Freund in einem Studio in Zagreb aufgenommen. Wir haben zwei Tage nur für dieses Stück gebraucht.

Bei einer Aufnahme ist das völlig anders. Ich konzentriere mich natürlich auch, ich schicke meine Liebe ins Mikrophon. Aber dabei stelle ich mir ganz und gar nicht vor, jetzt im Konzertsaal zu stehen.

Eine E-Gitarre für ein Lautenalbum zu benutzen, klingt dennoch merkwürdig…

G&L:

Dieses Wort „elektrisch“ vor der Gitarre missverstehen viele Leute. „Elektrisch“ ist etwas Wunderschönes, etwas so Natürliches. MEINE elektrische Gitarre bringt Farben hervor. Elektrizität ist wie Wasser! Elektrizität ist Rumba! Elektrizität ist Wind! Das ist, was „elektrische Gitarre“ für mich bedeutet. E.K.:

G&L: Fühlen Sie sich eher als Lautenist oder als Gitarrist? Spielen Sie lieber frühe oder zeitgenössische Musik? E.K.: Ich fühle mich nicht als Lautenist, und ich fühle mich auch nicht als Gitarrespieler. Es geht nur darum, die Gefühle einiger Komponisten wiedererstehen zu lassen. Was ich mache, ist Wiederverwertung. Die Gefühle, die Leo… oder Johann Sebastian Bach… oder jeder andere in einem bestimmten Moment gehabt haben, als das Notenpapier noch leer war. Sie haben ihre Gefühle als musikalische Kunst ausgedrückt. Und was ich tue, ist das Wiederaufleben lassen im Moment. Also gibt es für mich weder frühe noch zeitgenössische Musik. Zufällig bin ich Lautenspieler oder auch Gitarrespieler, aber dadurch fühle ich mich nicht als Lautenist, und ich verwende auch nicht besonders viel Zeit darauf zu denken: „OK, das ist jetzt Lautenmusik oder etwas anderes.“ G&L:

Wie sind Sie zur Laute gekommen?

Ich erinnere mich an den ersten Moment, als ich eine Laute sah – ich verliebte mich sofort. In alles an ihr, ihre physische Schönheit, ihren Klang. Mit dem Geheimnisvollen der Laute, mit allem. E.K.:

Wie unterscheidet sich Ihr Spiel in Konzerten von einer Studioaufnahme?

G&L:

E.K.: Wenn ich auf der Bühne eines Konzertsaales stehe, dann schließe ich ganz einfach die Augen. Und all die Stunden, JAHRE, die ich mit der Vorbereitung und mit Üben verbracht habe, verschwinden. Ich schalte den Auto-Piloten an und versuche, so ernst wie möglich zu sein und die Musik fließen zu lassen. Wohin, weiß ich

Sind die Gefühle bei einer Aufnahme die gleichen wie in einem Livekonzert?

G&L:

E.K.: Als ich Bachs Toccata und Fuge aufgenommen habe, habe ich gedacht: „OK, jetzt versuche ich mal eine aggressive Fassung.“ Dann versuche ich eine andere, die melancholischer ist. Ich füge verschiedene Affekte hinzu, verschiedene Stimmungen. Und dann, wenn ich die Gesamtstruktur habe, alle zehn oder zwölf Stücke auf dem Album, dann suche ich die Version aus, die in den Gesamtkontext passt. Am Ende hatte ich sechs Versionen. Eine ist in einem schnelleren Tempo, die andre ist langsamer, die eine ist aggressiv und die nächste etwas sanfter. Und dann kommt es ganz darauf an, welches Stück danach oder vorher kommt. Dann suche ich eine Fassung aus und hebe die anderen zu Hause auf. (lacht) G&L:

Wie war die Aufnahme mit Sting?

Das Stück mit Sting ist ein kurzes Haiku, wunderschöne Poesie. Wir hören den Dichter Sting! „Alone with my thoughts this evening“, wir haben es aufgenommen, während er im letzten Jahr mit Police tourte. Er war sehr erschöpft, Tag für Tag in riesigen Stadien zu spielen und vermisste die Laute sehr. Wir haben den Song an einem herrlichen Sommertag im Juni aufgenommen, in Belgrad, am Donauufer, in einem SEHR kleinen Studio, dem kleinsten, das Sie sich vorstellen können. Das Apartment eines Freundes, direkt am Fluss. Aber es war wunderbar. E.K.:

G&L: Wie hat Renée Fleming reagiert, als Sie ihr die Purcell-Arie „When I am laid in earth“ vorgeschlagen haben?

Sie fand die Idee großartig, sie sagte „Oh, ja, die habe ich schon mal gesungen, vor vielen Jahren, das ist ein einfaches Stück“. ABER! Wir haben es in New York aufgenommen, auch an einem schönen Sommertag, aber in einem RIESIGEN Studio, ganz anders als mit Sting. Wir nahmen es einmal auf, und sie sagte: „Oh, es ist doch nicht so einfach wie ich dachte.“ Wir sprachen ein bisschen über ein paar Ornamente und Tempi, dann haben wir es noch mal aufgenommen – und das war’s. Sie verlor ihre Stimme. Sie sagte: „Ich kann nicht mehr singen.“ Warum? Ich glaube,

E.K.:

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Edin Karamazov, The Lute is a Song Werke von Brouwer, Sting, Johann Sebastian Bach, Henry Purcell, Giovanni Zamboni, Händel, Domeniconi Aufgenommen 2008 DECCA L’oiseau Lyre [www.loiseaulyre.com; www.edinkaramazov.com] 478 1077 … Come fly with Edin. It is a wild ride … ✰✰✰✰✰ Nein, ein herkömmliches Programm ist das nicht für eine „Lautenplatte“. Eher das Gegenteil! Aber Edin Karamazov ist auch kein herkömmlicher Lautenist. Das Letzte, was wir von ihm gehört haben, war seine CD mit DowlandLiedern. Die enthielt zwar herkömmliches Repertoire – aber der Sänger war alles andere als eine gewohnte Figur in der Szene der Alten Musik. Es war Sting. Nun mag man annehmen, Edin Karamazov sei „eigentlich“ so etwas wie ein Rock-Musiker, der sich, aus Spaß sozusagen, eine Laute ausgeborgt hat um den neuen Klang auszuprobieren. Aber dem ist nicht so! Edin hat in Basel bei Hopkinson Smith studiert. An der Schola Cantorum Basiliensis, dem weltweit bekannten Institut, das sich der Alten Musik verschrieben hat und der Erfoschung der Aufführungspraxis. Nun ist es natürlich keineswegs so, dass ein Absolvent der Baseler Schola mit dem Examen das Gelübde ablegen müsste, den Rest seines musikalischen Lebens, zölibatär sozusagen, vor neuer Musik die Augen (pardon, die Ohren) zu verschließen. Nein! Aber Edin Karamazov hat für sich entschieden, dass er in mehr als einer musikalischen Welt Erfahrungen machen möchte und dass er sich keineswegs mit dem für sein Instrument überlieferten Repertoire begnügt. Das Programm dieser CD ist, ich sagte es schon, ungewöhnlich. Nicht nur, dass wir Brouwers „Paisaje cubano con rumba“ zu hören bekommen, es gibt auch „Koyunbaba“ von Carlo Domeniconi. Alles auf der Laute? Falsch! Bouwer


spielt er auf einer [!] Elektrogitarre, „Koyunbaba“ sehr wohl auf der Laute. Dazwischen gibt es immer wieder lautenbegleiteten Gesang, einmal mit der amerikanischen Opernsängerin Renée Fleming, einmal mit Sting und schließlich mit Edins ehemaligem Basler Kommilitonen Andreas Scholl. Letzterer singt sehr verinnerlicht und übersinnlich schön „Oh Lord, whose mercies numberless“ aus Händels Oper „Saul“. Renée Fleming hat in „When I am laid in earth“ aus „Dido and Aenaeas“ von Purcell Mühe, ihre große Opernstimme zu zügeln und der fast transparenten musikalischen Umgebung anzupassen. Es gelingt ihr nicht vollends. Sting hat ein eigenes Lied zugesteuert, „Alone with my thoughts this evening“. Ganz am Schluss singt dann noch die Rocksängerin Kaliopi [Bukle] ein Volkslied ihrer mazedonischen Heimat: „So maki sum se rodila“ und hier gelingt den beiden Musikern der vollendete Gleichklang von Gesang und Begleitung, von innerer und äußerer Harmonie. Von Johann Sebastian Bach hören wir natürlich keine der üblichen Lautenkompositionen, sondern „Toccata und Fuge d-Moll“ BWV 565, im Original für Orgel. Dieses Stück war in der Interpretation von Edin schon vor Erscheinen der CD über YouTube zu sehen und zu hören … und auch da fragte ich mich schon, ob er sich da nicht einen zu großen Brocken vorgenomen hatte. Man hört die Mühe, die er mit schnellen Figuren hat und mit den vielen Noten … manchmal sind es nur noch Umrisse, nicht aber einzelne Bestandteile. Da aber jeder das Stück von der Orgel her kennt, verschmerzt man diesen Verlust. Wir müssen uns bei Edin Karamazovs Spiel an vieles gewöhnen – zum Beispiel daran, dass er solche Transkriptionhen spielt anstelle originaler Lautenwerke, und auch, dass er (bewusst) mit solchen Transkriptionen an die Grenzen der spieltechnischen Machbarkeit geht. Und er beweist ja auch, dass ihm das traditionelle Repertoire für Barocklaute nicht fremd ist. Er spielt eine Sonata von Giovanni Zamboni, und er tut das Note für Note … tja, aber auch hier, in einer „Giga“, in durchaus avanciertem Tempo und mit einem gewissen „Swing“, der dem Stück einen hinreißenden Schwung verleiht. Dies ist Edin Karamazovs Debüt bei DECCA. Er stellt sich vor als einer, der sehr eigene Vorstellungen von (s)einem Lautenistenleben hat; der sogar „Koyunbaba“ auf einer vierzehnchörigen Barocklaute spielt. „Come fly with Edin. It is a wild ride“ hat Sting gesagt. Es ist spannend, was wir noch zu erwarten haben. Peter Päffgen

wegen der Dramatik des Stücks, wegen der Worte. Dido ist eine sterbende Frau, als sie das singt. Renée, wie sie ist als Künstlerin, hat einfach alles gegeben, was sie hatte in dem Moment. Und dann konnte sie einfach nicht mehr. G&L: Mit Andreas Scholl haben Sie in Basel studiert, sie sind befreundet. Wie war die Aufnahme mit ihm?

Wir haben uns bei ihm zu Hause getroffen, ein paar Bier getrunken. Das fühlt man auch (lacht). Wir haben spät abends aufgenommen, die ganze Nacht. Ein paar Aufnahmen, Diskussionen, Auswahl des Tempos, es hat Spaß gemacht. Man muss dazu sagen, dass er ja professioneller Toningenieur ist. Bevor er seine Karriere als Countertenor begonnen hat, hat er Popsongs im Studio produziert. Er hat also eine Menge Erfahrung, und diese Aufnahme hier ist etwas Besonderes. E.K.:

Er klingt hier sehr entspannt. Wenn Sie jemanden seit Jahren kennen, dann vertrauen Sie ihm wohl ganz einfach. G&L:

Wer ist der Komponist Carlo Domeni-

coni? E.K.: Carlo Domeniconi ist ein Freund. Nicht so wie Leo oder Sting oder Andreas, wir kennen uns erst seit einem Jahr. Aber ich hatte seine Musik schon seit vielen Jahren gespielt. Er ist ein Gitarrenkomponist, er lebt in Berlin. Er hat früher in der Türkei gelebt und spricht fließend Türkisch. „Koyunbaba“ ist das anatolische Wort für „Schäfer“. Es ist ein sehr populäres Gitarrenstück, jeder Gitarrespieler kennt es. Aber für mich klang es wie Bachs Musik, wie ein Lautenstück. Das populärste Instrument in der Türkei ist ja die Laute. Die Langhalslaute, „Saz“ oder „al Oud“ genannt. Also habe ich es für Laute arrangiert, es klingt so orientalisch. Es klingt wie ein Märchen, das viele unbekannte Geschichten erzählt. Ich spiele es sehr gern und finde, es ist eines der besten Stücke der Gitarrenliteratur ÜBERHAUPT. Und jetzt eben auch ein tolles Lautenstück.

durch. Alles, was sie macht, hat so viel Kraft. Ich freue mich so sehr, dass sie dabei ist. Eine der vier Sänger, die mir so viel bedeuten! G&L: Das Lied schickt den Blick am Ende des Albums irgendwie in die Weite. Haben Sie mit Absicht kein konkretes Ende gewählt? E.K.: Ich wollte das Album unvollendet lassen. Dieser letzte Song sollte die Tür öffnen zum nächsten Projekt, das wie dieses Album wieder mit einem Stück von Leo Brouwers beginnt. (lacht) Das nächste Album wird mit einer weiteren Landschaft beginnen, mit seiner „Kubanischen Landschaft mit Regen“.

Dieses Interview wurde geliefert von Edin Karamazovs Plattengesellschaft DECCA. Anfang Februar 2009 habe ich mich in Belgrad mit Edin getroffen und auf unserem Terminplan stand ein Interview für GITARRE & LAUTE-ONLINE. In der Hektik des Festivals und der Konzerttätigkeit haben wir es schließlich nicht geschafft, einmal länger miteinander zu reden. Daher wird hier dieses PR-Interview abgedruckt – allerdings mit der Vorgabe, dass ein GL-Interview bei nächster Gelegenheit entsteht und hier abgedruckt wird. (Peter Päffgen)

Öffne deine Augen für meine Welt. Werde Pate!

Sie beenden Ihre CD mit einem mazedonischen Volkslied, warum?

G&L:

Dieses alte mazedonische Lied habe ich mit meiner lieben Freundin, fast Schwester Kaliope aufgenommen, einer mazedonischen Sängerin. Es passt einfach so schön zu „Koyunbaba“, ist in der gleichen Stimmung. Ich habe es auch auf derselben Laute wie Carlos Stück aufgenommen. Und Kaliope ist wirklich etwas Besonderes. Sie ist eine bekannte Popsängerin in ihrem Land. Manchmal geben wir aber auch Konzerte mit Renaissance- und Barockstücken. Sie singt Oper, sie singt traditionelle Musik – sie ist einfach atemberaubend. Sie ist wirklich Künstlerin durch und E.K.:

Nähere Infos:

0 4la0 4w.p0la-n-d6eu11 0 tsch nd.de ww Plan International Deutschland e.V. Bramfelder Str. 70 22305 Hamburg

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espekt … das kommt vom lateinischen Wort re-spicere = „zurückschauen“, „Rücksicht nehmen“ oder auch „noch einmal schauen“. Unter dem Motto „Respect“ stand das diesjährige „Guitar Art Festival“ in Belgrad. „Respect.“ … oder doch „Respect!“? Serbien leidet seit den Kriegen in und um Jugoslawien unter erheblichen Image-Problemen im Verhältnis zu den europäischen Nachbarn und gegenüber der weltweiten Staatengemeinschaft. Bill Clinton, von 1992 bis 2001 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, und die NATO waren es, die das Land zu den „Schurkenstaaten“ zählten und schließlich auch militärisch gegen es vorgingen. Sie erinnern sich? Serbien war größter Teilstaat Jugoslawiens und nach dem Zerfall der Sozialistischen Republik Jugoslawien auch alleiniger Rechtsnachfolger der Bundesrepublik Jugoslawien. Nach dem Tod von Josip Broz Tito (1892—1980), dem Schöpfer und diktatorischen Verwalter des Staatenverbunds Jugoslawien, waren unter den Teilstaaten vermehrt se-

R

Fotos: Unten: Mihail Obrenović (1823–1868). Er erreichte für Serbien die Unabhängigkeit von den Osmanen unhd ihren Gesetzen und organisierte die serbische Verwaltung. Am Trg Republike (Platz der Republik) in Belgrad steht sein Denkmal, dahinter das Nationaltheater. Rechts: Sveti Sava, die größte serbisch-orthodoxe Kirche des Landes. Alle Fotos © 2009 by Peter Päffgen.

Respect!

Internationales Gitarrenfestiv


val in Belgrad im Februar 2009. Ein Bericht von Peter P채ffgen


paratistische Tendenzen zu bemerken, die fordernder wurden, als die Mauer fiel und als abzusehen war, dass die sozialistische Ära in Osteuropa zu einem Ende kam. Aus dem Wunsch nach Unabhängigkeit und Freiheit wurde ein Krieg, unter dem die Zivilbevölkerung enorm zu leiden hatte … jetzt, aus der Entfernung von mehr als zehn Jahren, sind uns Ereignisse und Bilder wie das „Massaker von Sebrenica“ in Erinnerung oder die Zerstörung der symbolträchtigen „Alten Brücke“ von Mostar. Und an Personen erinnert man sich. An Radovan Karadžić zum Beispiel, den ehemaligen Präsidenten der „Republika Srpska“ in Bosnien und Herzegowina, der im Juli 2008 verhaftet wurde, nachdem er unbehelligt zwölf Jahre in Belgrad gelebt hatte. Seit Juli 1996 war er per Internationalem Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen, Völkermord und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gesucht worden – heute steht er vor dem „Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien“ in Den Haag. Und an General Ratko Mladić (*1945) erinnert man sich, der ebenfalls wegen Kriegsverbrechen angeklagt ist, und zwar nicht nur gegenüber Landsleuten, sondern auch UN-Schutztruppen in Zebrenica. Ihn konnte man bisher nicht festnehmen, weil er sich wie Karadžić in Belgrad versteckt hält – das jedenfalls wird vermutet und man hat gute Gründe für diese Annahme. Aber Respekt! Deutschland bestand und besteht nicht aus Nazis oder Handlangern der Stasi und Serbien nicht aus skrupellosen Personen, wie es Karadžić oder Mladić offenbar waren. Und Respekt auch für die Veranstalter dieses Festivals und für die zahlreichen liebenswerten Helfer! Das „guitar art festival“ fand zum zehnten Mal in Belgrad statt – nicht immer in der opulenten Form wie in diesem Jahr, aber immer schon abgehoben von vielen anderen Veranstaltungen der europäischen Gitarrenszene … abgehoben, weil es nicht eines dieser Festivals ist, wo eine Hand die andere wäscht, wo man sich gegenseitig einlädt und so den Gitarren-Wanderzirkus am Leben erhält. Solche Kongresse, Symposien, Meisterkurse oder Gitarrentage finden immer in kleineren bis ganz kleinen Städten statt; die Konzerte, die dort stattfinden, haben meist wenig mehr Besucher als das Festivals eingeschriebene und zahlende Gäste; die Lehrer, Dozenten und auftretenden Künstler garantieren sich gegenseitig ihre „internationalen Karieren“ … hier ist alles anders! Belgrad ist kein Provinznest, sondern die serbische Hauptstadt; Konzerte finden hier in großem Rahmen statt und haben ihr Publikum; die vortragenden Künstler treten hier nicht „auf Gegenseitigkeit“ auf, sondern weil sie en vogue sind und den Veranstaltern volle Säle 18 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1


garantieren … und natürlich, weil sie gute Gagen bekommen. Konzerte, Meisterkurse, Wettbewerb – das sind die Programmbestandteile, die binnen einer Woche ablaufen. Lassen Sie mich einen nach dem anderen schildern, beginnend mit den Konzerten.

Konzerte Die Stadt war, als ich nach Belgrad kam, unübersehbar plakatiert: Sting & Edin Karamazov einerseits — Ennio Morricone mit der Roma Sinfonietta andererseits, dazwischen Vicente Amigo. Das waren die unübersehbaren Stars des Festivals … oder sagen wir es so: Sie waren die Künstler, bei denen man es sich nicht leisten konnte, sie vor halb leeren Sälen antreten zu lassen. Teurer Spaß! Gut, bei Sting hätte man sich so große Werbung vielleicht sparen können. Er ist enorm populär, auch hier in Serbien, allerdings nicht für das Repertoire, das er an diesem 8. Februar 2009 zusammen mit Edin Karamazov vorstellte. Dowland! Über seinen Ausflug ins Land der Alten Musik ist schon berichtet worden und auch über den Reiz, den seine Interpretationen ausüben, und doch: Als Sting dann als Zugabe „Message in a Bottle“ oder „Every Breath you Take“, begleitet auf einer Laute, ansang, ging dieses berühmte Raunen durch den Saal. Nein mehr: Die Leute klatschten, weil das schließlich die Musik war, die man erwartete und nicht „Fine Knacks for Ladies“ oder „Come Again“. Aber egal: Sting war auf der Bühne, der Saal des Sava Centar war voll (gut viertausend Menschen) und alle waren zufrieden. Ja, alle! Dies war nicht „Alte Musik“ nach den neuesten Erkenntnissen der Forschung – aber es war vitale Musik mit Biss und Drive. Und Sting hat sich auch später in einem Gespräch als sympathischer Musiker vorgestellt, als Intellektueller, für den Musik viel mehr ist, als Broterwerb und diese alte Musik viel mehr als ein Spaß am Rande. Und dem Vernehmen nach ist auch die Deutsche Grammophon zufrieden, die Stings Dowland-Platte herausgebracht hat. Anfang Februar 2009 näherten sich die Verkaufszahlen der Zwei-Millionen-Grenze … davon konnten und können Peter Pears und Alfred Deller oder die wunderbare Emma Kirkby und aller Plattengesellschaften nur träumen! Schon einen Tag vorher spielte Vicente Amigo mit seiner Gruppe. Auch im Sava Centar – auch fast voll! Jeder, der Flamenco erwartet hat, musste eigentlich enttäuscht sein – wer freie Gitarrenakrobatik hören wollte, virFoto links: Roland Dyens am 10. Februar 2009 im Kolarac-Saal 2009 by Peter Päffgen.

tuose Pseudo-Improvisationen auf Themen des Weltrepertoires, der wurde begeistert. Freilich hatte die Musik flamencoïde Züge – vor allem dann, wenn der Sänger Miguel Pérez Ortega mitmischte – aber Flamenco war es nur gelegentlich. Den Flamenco puro, den zum Beispiel Paco Peña gespielt hat und spielt, pflegen nur noch die konservativen Gralshüter der Kunst. Vielleicht ist der Zuhörer, der sich vornehmlich mit klassischer Musik umgibt, zu wenig an musikalische Sphären gewöhnt, die sich in ständigem Wandel und Fortschritt befinden. Vielleicht entwickelt sich der moderne Flamenco aber auch in eine falsche Richtung oder, sagen wir, in eine Richtung, die nicht jeder versteht oder billigt. Wie gesagt: Flamenco „im eigentlichen Sinn“ ist es nicht mehr, aber es ist gute, unterhaltende Musik. Das musikalische Wochenende war vorüber, die Wettbewerbe begannen und die allabendlichen Konzerte zogen um in den Kolarac-Saal. Hier fühlten sich die erfahrenen Besucher von Gitarren-Recitals eher zuhause … vielleicht sechs bis siebenhundert Plätze. Mit dem Lokalmatador Vojin Kocić begann der Reigen des ersten Abends. Kocić kommt aus Belgrad und er hat 2008 den ersten Preis des Belgrader Wettbewerbs gewonnen. Ihm gehörten, wie kann es anders sein, die Sympathien der Zuschauer … und er spielte gut: Koshkin und Regondi. Danach kam Edin Karamazov – jetzt aber ohne seinen Sozius Sting, sondern im Rahmen eines nach ihm benannten Quartetts, bestehend aus Alina Gubajdullina, Violine, Korana Rucner, Viola, und Jasen Chelfi, Cello. Er selbst, Edin, spielte auch nicht Laute, wie einen Abend vorher, er spielte Gitarre. Elektrogitarre! Auf dem Programm standen eine Partita, original für Violine, von Johann Sebastian Bach und ein Quartett von Wolfgang Amadeus Mozart. Der Klang der Gitarre war gewöhnungsbedürftig, der musikalische Eindruck überzeugend: Karamazov ist eben wirklich der musikalische Tausendsassa, als den ihn die Deutsche Grammophon verkauft! Und dann kam das dritte Konzert des Abends, mit hohen Erwartungen belastet und von vielen neugierigen Zuhörern, die außergewöhnliche Spieltechnik und extraordinäre Transkriptionen ahnten, herbeigesehnt. Yamashitasan spielte eine Sonate (Nº 1: „The Blue Flower“) seiner Ehefrau Keiko Fujiie. Siebzig Minuten … gefühlte hundert! Die Sonate war eine Sonate im eigentlichen Sinne des Wortes, mit allem, was man von klassischen Sonaten zu hören gewohnt ist. Nur in unsäglicher Länge und nicht wirklich so strukturiert, dass die Zuhörer dem Werk zu folgen bereit waren. Vier Sätze – bei jeder Pause verließen reihenweise Zuhörer den

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Saal. Gut, das lag auch daran, dass der Konzertabend lang genug war und dass es zu so später Stunde schwierig ist, die Menschen im Auditorium noch auf ein neues Abenteuer einzustimmen … aber die Musik war einfach nicht gut genug, eine Art neuer Aufguss musikalischer Phrasen des 19. Jahrhundert! Schade, auch ich hatte hohe Erwartungen an das Konzerte von Yamahsita! Er hatte mit seinen Transkriptionen zwanzig Jahren vorher die Gitarristen fasziniert und gleichzeitig entsetzt – an diesem Abend gab es nur noch Enttäuschung! Der nächste Abend: Die Chinesin Xufei Yang trat nicht an. Sie hatte, so die offizielle Erklärung, Schwierigkeiten mit Ihren Visum. Pech, denn sie hätten Viele gern gesehen und gehört. Pavel Steidl spielte und mit ihm die Geigerin Gabriela Demeterova. Wunderbar! Sie präsentierten nicht das, was im Programm versprochen wurde, aber sie spielten wunderbar! Offenbar mussten viele Programme kurzfristig umgestellt werden, weil niemand davon ausgegangen ist, dass drei Konzerte pro Abend untergebracht werden mussten … Zugaben waren ohnehin unerwünscht. Paganini, Piazzolla („L’Histoire du Tango“). Dass Pavel ein Ausnahmemusiker ist, muss nicht erwähnt werden. Dass er hier mit einer kongenialen Kollegin auftreten würde, war vorauszusehen … aber dass sie so zu überzeugen wusste, war ein Extra. Vor allem Gabriela brillierte mit virtuosen Bravourstücken, aber insgesamt war das eine mehr als überzeugende Darbietung. Roland Dyens: Er improvisierte wieder einmal vor sich hin, gekonnt und wie immer überzeugend. Und er bereitete vor, was nach ihm da noch kommen sollte: Brasilien. Das hat Roland immer schon verstanden: Sein Publikum für sich einzunehmen und bestimmte klanglich-musikalische Teppiche auszubreiten. Hier war es ein brasilianischer Teppich, auf dem schließlich Badi Assad, erst allein und dann zusammen mit Roland, auftrat. Badi verblüffte ihr Publikum und faszinierte es mit ihrem mehrstimmigen Gesang und ihrer Bühnenshow. Sie spielt zwar Gitarre, aber sie ist keine Gitarristin. Und sie singt auch, ohne Sängerin zu sein. Aber sie liefert eine perfekte Show, die ihresgleichen sucht, mit verblüffenden vokalen Effekten, die eine tropische Atmosphäre zaubern und das berührte das Belgrader Publikum! Heimspiel: Am Tag danach spielten serbische Gitarristen! Volles Haus und hoher Sympathiefaktor … und gute Musik! Im ersten Programmteil gab jeder seine Visitenkarte ab, zehn Minuten Musik. Vera Ogrizović, Professorin für Gitarre an der Belgrader Akademie und eine wunderbare Kollegin, begann mit Narváez und Bogdanovic. Kaum hatte sie mit ihrem kleinen Programm begonnen, war sie 20 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1

leider schon von der Bühne. Darko Karajić kam, der nicht Gitarre, sondern Deutsche Barocklaute spielte, und zwar eine Satzfolge von Silvius Leopold Weiss. Aleksandar Hadži ðorñević spielte, dann Vesna Petković , Miloš Janić, Srñan Tošić, Zoran Anić (mit einer höchst vergnüglichen Sonate von Heinrich Albert übrigens, die man selten hört) und zum Abschluss Zoran Krajišnik zusammen mit dem Klarinettisten Aleksandar Tasić. Sie gaben eine Sonate von Radamés Gnattali und zwei Sätze aus „L’Histoire du Tango“ von Piazzolla, beides sehr argentinisch, sehr musikalisch. Schließlich, um den serbischen Abend komplett zu machen, trat dann noch Dušan Bogdanović mit seinem Ensemble auf. Dušan hat in Genf bei Maria Livia Sao Marcos studiert und danach seinen Weg in die USA gefunden, wo er blieb. Ich kenne ihn eigentlich nur als Bürger des Staates California, wo er seit vielen Jahren lebt und arbeitet. Eben dort, in Pasadena um genau zu sein, habe ich ihn vor vielen Jahren kennen gelernt, und zwar spielte er damals in einem Trio, das sich „de Falla Trio“ nannte, und das alles andere als de Falla spielte. Damals hörte ich in der ersten Hälfte des Konzerts Leonard Bernstein (eine Suite aus der „West Side Story“ und andere Repertoire-Hits) und in der zweiten Variationen über Jazz-Standards … und ich war begeistert! Seitdem habe ich den Musiker nicht mehr mit solchen Musiken gesehen und übrigens auch nicht im Trio von damals. Überhaupt bin ich ihm selbst eher selten begegnet, wohl aber seinen Stücken. Einige davon geisterten und geistern durch das Repertoire vieler Gitarristen, darunter die „Balkan Miniatures“ oder die „Jazz-Sonatina“ und die „Levantine Suite“. „Canticles“ für zwei Gitarre ist hier untersucht und analysiert worden und durch Gruber/Maklar bekannt. Dušan Bogdanović ist nicht nur in der Gitarrenwelt aktiv und er komponiert auch nicht nur für Gitarre. Am 11. Februar gab es zunächst ein Werk für Mezzo-Sopran, Flöte, Gitarre und Kontrabass, danach die Erstaufführung von „Over the face of the Water“ für zwei Klaviere und schließlich „Byzantine Theme and Two Variations“ für Gitarre und Streichquartett“. Das Programm zeigte die Vielseitigkeit des Komponisten und seine Vorliebe für Gratwanderungen. Zwischen der Alten und der Neuen Welt hat er sich vor Jahren entschieden … im „Byzantine Theme and Two Variations“ zeigt er seine kulturellen Wurzeln, die er auch in Kalifornien nicht vergessen hat … auch, wenn er vor vielen Jahren „I Like to be in America!“ jubelte. Auch das wuchtige Werk „ Over the Face of the Water“ für zwei Klaviere ließ zwischen den minimalisierten klanglichen Blöcken


Tonlichkeit des Balkans ahnen … „Niemals geht man so ganz!“ Das Konzert von Dušan Bogdanović war weitaus weniger spektakulär als die von Sting et. al., aber es war sicher ein Höhepunkt der Woche, für viele vielleicht sogar der Höhepunkt. Der nächste Abend. Das Naxos-Guitar Trio spielte. Nie gehört? Wenn ich Ihnen die Namen der Trio-Mitglieder nenne, werden Sie das nicht mehr sagen! Das Naxos-Trio besteht aus Costas Cotiolis, Aniello Desiderio und Zoran Dukić. Das Ensemble ist sicher auch kein „stehendes Ensemble“, das ständig miteinander probt und konzertiert, es ist eine Verlegenheitslösung. Drei Ausnahmemusiker, die sich sehr gut kennen, und die auf Festivals immer wieder zusammenkommen, hatten die Idee, auch zusammen aufzutreten. Und dann haben Sie ein ebenso kurzweiliges wie attraktives Programm zusammengestellt, das ihr Instrument, die Gitarre, in immer wieder anderen Facetten zeigt. Das Konzertprogramm des Trios enthält nur ein einziges Trio – das allein zeigt, dass Sie nicht wirklich auf neue Produktionen des Naxos-Trios warten müssen, jedenfalls nicht mit neu entdeckten Werken für drei Gitarren. Schließlich haben „Die drei Tenöre“ auch nicht nur Terzette des Opernrepertoires präsentiert! ABER DOCH: Dies war ein außerordentlicher Konzertabend! Cotsiolis hat, wie gewohnt, Barrios und Brouwer gespielt, Desiderio, nach angekündigter Programmänderung, „Asturias“ (was alle kannten, denn alle raunten), Zoran Dukic erinnerte noch einmal an seinen Landsmann Dušan Bogdanović und spielte hinreißend schön dessen „Balkan Miniatures“, dazwischen kamen der eine und andere Hit des Duo-Repertoires … Sie wissen: Mallorca, Córdoba et. al. … und dann, dann, dann schließlich kam der Publikumsrenner, der Hit des Tages: „Circus Music“ von Carlo Domeniconi. Sogar der neben mir sitzende Oscar Ghiglia meinte ganz aufgeregt: „Ich muss unbedingt Carlo anrufen, ob er mir eine Kopie der Noten schickt“. Aber es gibt sie schon, die Noten! Bei Margaux sind sie erschienen. Was nun ist diese „Circus Music“, warum war das Publikum so begeistert? Circus Music ist eine Art Suite, in welcher eher Schauspieler oder Comedians als Musiker gefordert sind.

Fotos rechts: oben Hubert Käppel und Roland Dyens, Mitte Kazhito Yamashita beim Unterrichten; Unten Aniello Desiderio, Costas Cotsiolis und Zoran Dukic nach ihrem Konzert

Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1 21


Zwei Akteure sitzen sich gegenüber und erzählen dem Publikum Witze … nein … sie spielen alle möglichen Episoden und dazu bedienen sie sich ihrer Gitarren. Jede Episode hat einen Titel, der an diesem Abend jeweils auf Serbisch und Englisch vorgetragen wurde. Natürlich sprach Aniello den serbischen und Zoran den englischen Text! Allein hierbei sprang das Lachen schon von den Akteuren auf das Publikum über. Pause. Wer an diesem Abend nach der ersten Pause spielte, hatte es schwer. Das Publikum war verwöhnt worden und guter Stimmung. Vier Schweizer traten auf, das Eos Guitar Quartet, bestehend aus Marcel Ege, Martin Pirtkl, David Sautter und Michael Winkler. Auch hier war eher Spaß angesagt … schließlich feiert das Quartett seinen zwanzigsten Geburtstag! Musik zwischen Máximo Diego Pujol und Ralph Towner gab es – sehr zum Vergnügen aller. Der Spaß war subtiler als der vor der Pause. So, wie Comedians die Kabarettisten inzwischen überrunden, wird der Sinn für feinen Humor immer seltener … aber das Eos-Quartett wurde verstanden und goutiert. Roland Dyens’ „Seul seuls“ hat mir besonders gefallen. Einen Kommentar zum dritten Recital des Abends, dem von Roberto Aussel, muss ich mir leider verkneifen. Ich war überfüttert mit Gitarrenklängen und habe statt dessen (außerhalb des Konzertsaals natürlich!) interessante Gespräche geführt. Aber er muss phänomenal gespielt haben – ein Programm mit Stücken von Barrios, Piazzolla und Atahualpa Yupanqui. Am nächsten Abend wieder das Sava-Centar: Vlatko Stefanovski spielte, einer der Superstars der ehemaligen jugoslawischen Musikszene. Vlatko ist Gitarrist, und zwar einer von der virtuosen, schnellen Art. Seine Improvisationen gehen auf Standards zurück, vornehmlich aber auf Themen, die unverkennbar vom Balkan stammen. Vor allem darin, in seiner Vorliebe für diese Klanglichkeit unterstützt ihn der Kaval-Spieler Theodosil Spassov, der auch an diesem 13. Februar 2009 seine Klasse zeigen konnte. Der Kaval gilt als das Nationalinstrument Bulgariens und Mazedoniens. Es handelt sich um ein Blasinstrument, das sich aus einer türkischen Hirtenflöte entwickelt hat. Das Instrument ist zwischen 60 Zentimetern und einem Meter lang und hat sieben Grifflöcher für die Finger und eines für den Daumen. Da der Kaval kein Mundstück hat, wird er ähnlich wie ein Didgeridoo angeblasen und erlaubt viele sehr unterschiedliche Klangfarben. Ein sehr eindrucksvolles Klangbeispiel des Instruments, gespielt von dem enorm virtuosen und kreativen Theodosil Spassov, findet man bei YouTube unter: http://www.youtube.com/watch?v=GPezX1t Ej3Q. 22 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1

Souvenirs! Wenn man eine Reise tut … dann bringt man Andenken mit. Der eine eine Kuckucksuhr aus dem Schwarzwald, der andere eine Flasche Wein, weil ihm der im Urlaub so gut geschmeckt hat. Noch andere bringen ein Reagenzglas mit Sand mit von dem Strand, an dem sie so glücklich waren. Wenn man professionell reist, sind die Souvenirs natürlich andere. Ich bringe von Gitarrenreisen zum Beispiel CDs mit oder Notenausgaben und Bücher. Hier sind meine Souvenirs aus Belgrad. Serbian Contemporary Guitar Music Vera Ogrizović, Guitar Werke von Vojislav Ivanović, Vladimir Tosić, Dragana Ivanović, Dušan Bogdanović, Alexandar Damnjanović, Vuk Kulenović, Vlastimir Trajković, Miloš Petrović, Srdjan Jaćimović Aufgenommen 2004 Guitar Art Festival, 2005 [www.gaf.co.yu]

Die Interpretin dieser CD, Vera Ogrizović, ist Professorin an der Musikakademie in Belgrad und war aktiv in der künstlerischen Leitung des Festivals Respect. Im „Serbien-Konzert“ spielte sie ein paar kleinere Stücke … ihr Engagement gilt aber vornehmlich zeitgenössischer serbischer Musik. Die Stücke, die hier zusammengefasst sind, haben gemeinsam, dass sie von Komponisten stammen, die noch leben – damit sind ihre Gemeinsamkeiten allerdings fast erschöpft. Eine wunderschön sanghafte Ballade von Vlastimir Trajković mit tiefen Einblicken in

ihr harmonisches Innenleben steht da gegen einen lustigen „Circus Valse“ von Vojislav Ivanović. Von ihm stelle ich noch eine andere CD vor, auf der aber eine ganz andere Sprache gesprochen wird. Aber auch der „Circus Valse“ ist kein durch und durch lustiges Stück … wie der Clown, der neben seinem Lachen auch immer eine Träne im Knopfloch hat. Durch „Pure Energy“ von Dragana Ivanović ziehen sich ostinate Phrasen, Passagen, die an eine Chaconne erinnern, dann aber folgen liedhafte Stellen … und wieder diese ostinate Figur, die das Stück ordnet und gliedert. Ein Puls geht durch, ein Puls, der energisch voranschreitet und dann wieder in Liedhaftem verweilt. Von Vuk Kulenović sind „Four Nocturni“ dabei, vier kurze Nachtstücke, die alles andere als träumerisch sind. Überhaupt nicht. Auch nicht schlafwandlerisch, eher unruhig, aufgeregt sich um sich selbst drehend. Im vierten Nocturne endlich, am Ende der Nacht, kehrt die Ruhe ein. Am Schluss gibt es noch etwas Spielerisches, drei Stücke von Srdjan Jaćimović … aber auch sie sind weit entfernt davon, irgendwelche Gitarrismen transportieren zu wollen. Keines der Stücke dieser CD ist von der Gitarre und ihren Vorzügen oder Schwächen bestimmt. Allerdings zeugt auch keines davon, „gegen die Gitarre“ geschrieben worden zu sein, das heißt, aus Unkenntnis des Instruments technische Unmöglichkeiten zu fordern. Vera Ogrizović ist eine souveräne Interpretin dieser Stücke, die eine gewisse Distanz fordern, einen Abstand des Respekts und der Achtung. Indem sie den einhält, kommt sie den Kompositionen nah’. Und mehr noch: Sie vermittelt diese Nähe ihren Zuhörern.


Johann Sebastian Bach: Pièces pour la Luth Oscar Ghiglia, guitar BWV 995, 1006a und 998 Aufgenommen 1999/2000, erschienen 2008 Stradivarius STR 33795 Den Interpreten dieser CD als „Altmeister der Gitarre” zu bezeichnen impliziert ungewollt, er sei alt. Nun, nach Jahren – Oscar Ghiglia ist 1938 geboren – ist er nicht mehr jung, aber alt kann er nicht sein! Hören Sie sich auf dieser CD an, wie jung er diese Musik spielt. Und wie jung er denkt und ist, habe ich in Belgrad erneut erlebt. Oscar Ghiglia behandelt diese Musik nicht, wie es so viele tun, als unantastbare Heiligtümer, die man nicht anrühren und schon gar nicht erneuern darf. Nein, er geht sie sehr undramatisch und unpathetisch an. Wenn man sich die Gavotte in BWV 995 zum Beispiel anhört und den wunderbar tänzerischen Fluss, den dieser Satz ausstrahlt, und ich meine hier nicht nur die zweite Gavotte, ich meine die umrahmende erste, dann merkt man, wie sehr Ghiglia um ein alles in Bewegung und im Fluss haltendes Legato bemüht ist, das von so vielen Gitarristen ohne Not vernachlässigt wird. Einen Ton oder einen Akkord angestoßen, staccato, auszuführen heißt, ihm eine ganz bestimmte Funktion zuzuweisen und zwar eine Funktion im Rahmen der Phrasierung. Da werden Akzente gesetzt und Flussrichtungen geändert … und nicht einfach willkürlich Töne herausgehoben oder spieltechnische Mängel überhuscht. Auch die Gavotte (wieder eine Gavotte!) in BWV 1006a ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Oscar Ghiglia einen solchen Satz gestaltet und nichts dem Zufall überlässt … ohne, dass er damit das Stück in eine Art Korsett sperren würde! Nach vorne treibende Impulse und kontemplative Phasen bedingen sich gegenseitig und der Interpret hat die Pflicht, ihnen diese Funktion auch zuzuweisen. Und dann Oscar Ghiglias Umgang mit Agogik! Hie und dort fällt er in Vorhalte und … verweilt … und hält inne … um danach den Fluss wieder aufzunehmen. Wunderbar! Eine mehr als bemerkenswerte Bach-Einspielung! Sie bietet einem immer wieder neue Einblicke und Überraschungen … und das bei einer Musik, die man auswendig kennt! Vojislav Ivanović Levantina

Sophocles Sapounas, Athen [www.subwaymusic.com] SM 52 Von Vojislav haben wir eben schon gehört. Er hat den „Circus Valse“ geschrieben, den Vera Ogrizović auf ihrer „serbischen CD“ gespielt hat. Hier nun, auf seiner eigenen CD, bewegt er sich musikalisch zwischen westlichem Jazz und der Musik, die in diesem Schmelztigel, den er Levante nennt, geboren wird. Im östlichsten Mittelmeerraum kommen Einflüsse der Slaven und der Osmanen zusammen, gemischt mit Einflüssen, welche von den sephardischen Juden, von Sinti und Roma dazugekommen sind und aus der ehemaligen byzantinischen Kultur. Und diese Musik ist nicht unplugged – wir hören eine Band von maximal sieben Musikern mit Schlagzeug, verschiedenen Gitarren und keyboard, Saxophon. Ivanović präsentiert auf seiner CD den kulturellen Bodensatz dessen, was viele Jahrhunderte lang dort, in der Levante, erzeugt und zurückgelassen worden ist. Kulturelle Fossilien. Und all das sieht er aus der Perspektive eines Mannes des 21. Jahrhunderts. Mit Kriegen und Eroberungen hinter sich; mit der Erfahrung von Recht und Unrecht; Krieg und Frieden; Hass und Liebe. Eine sehr vielfältige Musik hört man – mit dem Schlussakkord „Levantina“, einem melancholischen, traurigen Rückblick, wird man entlassen. Swing, Jazz, Bossa. Durch viele Sphären hat man die Musiker begleitet, auch durch orientalische natürlich und durch die Musik des Balkan. Es ist eine spannende Reise, auf die man sich begibt. Eine spannende Reise, die bei den Reisenden voraussetzt, dass sie sich auf Neues und Fremdes einlassen. Peter Päffgen

Der Dritte im Bunde war Miroslav Tadić, ein Gitarrist, der in Italien und den USA ausgebildet worden ist und dort, in Los Angeles, selbst seit 1985 unterrichtet. Das Trio dieses Abends lieferte mitunter aufregende, immer aber höchst unterhaltende Musik. Dem einen imponierte die ungeheure Virtuosität von Stefanovski, dem anderen das sehr lebendige und kreative Zusammenspiel der beiden Gitarristen und wieder andere, zu ihnen zähle ich, waren fasziniert von dem Zusammenklang mit dem Kaval, einem geheimnisvollen Instrument, das an diesem Abend perfekt in Szene gesetzt wurde. Noch ein Konzert sollte es geben in Belgrad – für viele war das der Höhepunkt, für andere eher ein Ärgernis. Der große Ennio Morricone (*1928) trat in der Belgrader Arena auf – zusammen mit seinem Orchester, der Roma Sinfonietta, das eigens für dieses Konzert eingeflogen wurde. Dass dieses musikalische Spektakel im Rahmen eines Gitarrenfestivals stattfand, lässt sich dadurch erklären, dass Maestro Morricone vier kleine Stücke für Gitarre komponiert hat, und diese „Pezzi per Chitarra“ spielte Carlo Marchione dann auch gleich zu Beginn des Konzerts, nicht aber das angekündigte „Terza concerto per chitarra, marimba e orchestra d’archi“, das der Maestro kurzfristig abgesagt hatte. Sehr kurzfristig! Das Konzert hatte sehr viel Vorbereitungsarbeit gekostet und wird sehr selten aufgeführt … schade! Die vier kleinen Stücke blieben dem Gitarristen, der in dieser riesigen Arena völlig deplaciert wirkte. Man stelle sich vor: Die Belgrad-Arena ist 48.000m2 groß und fasst 20.000 bis 25.000 Zuschauer. Sie wird hauptsächlich für Sportveranstaltungen genutzt: Basketball, Handball, Tennis und demnächst auch Eishockey. An diesem Abend kamen Morricone und sein Orchester. Der Maestro hat für über fünfhundert Filme die Musik geschrieben, bekam etliche Goldene und Platinschallplatten, mehrere Oscars und schließlich einen für sein Lebenswerk, Grammies und andere Auszeichnungen und Ehrungen. „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Es war einmal in Amerika“, „Die Unbestechlichen“ und viele andere Filmmusiken, die jeder, buchstäblich jeder kennt. Und diese Musik gab es an diesem Abend – ohne Film, und das war schade, aber in vollendetem Klang. Ich finde zwar, dass zu Filmmusik der Film gehört und dass mir sonst etwas fehlt … aber es war auch so ein riesiges Spektakel! Und ich wette, dass die meisten Besucher den jeweiligen Film auch so vor Augen hatten! Dies war der Höhepunkt des Festivals – und zwar insofern, als hier die meisten Menschen zusammengekommen sind und weil, na ja, Ennio Morricone der berühmteste Musiker ist, der zu diesem Event nach Belgrad geGitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1 23


kommen ist. Berühmter als Sting … kaum zu glauben!

Wettbewerb

„Wettbewerbe“, muss man eigentlich sagen, denn das Ganze fand in sechs Gruppen mit sechs unterschiedlichen Juries statt. Die Teilnehmer der jüngsten Gruppe waren elf Jahre und jünger, die der ältesten 35 Jahre und jünger. Beobachten konnte ich die Gruppe VI, die ältesten Teilnehmer, und im Finale die Gruppen V und VI, also alle Teilnehmer im Alter zwischen 29 und 35 Jahren Jahren und jünger. Bei diesen Kandidaten saß ich in der Jury. Pflichtstücke waren nicht vorgegeben, sondern in beiden Gruppen sollten mehrere Stücke unterschiedlichen Stils gespielt werden. 12 oder 15 Minuten in der ersten, 20 oder 25 Minuten in der zweiten Runde. Sabrina Vlaškalić war die unumstrittene Sigerin der Gruppe VI. gefolgt von Yuri Aleshnikov und Bojan Ivanovski, In der nächst jüngeren Gruppe V gewann Leata Eduard vor Filip Živanović und Miloš Vukićević. Der sehr gute Ausbildungsstand der jungen Musiker zeugt von dem hohen Niveau der Institute und von der engagierten Arbeit ihrer Dozenten. Die Mehrzahl der Teilnehrinnen und Teilnehmer kam aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien. Noch ein Wort zum Schluss: Das „guitar art festival“ in Belgrad ist ein großes Event … so groß, dass man sich kaum vorstellen kann, wie das alles organisiert und finanziert wird. Boško Radojkovič, der Gründer der Veranstaltungsreihe und sein Team leisten exzellente Arbeit und sie haben offenbar sehr gute Verbindungen. Dafür spricht die Liste der Sponsoren, die das Festival möglich gemacht haben: Hotel, Fluggesellschaft, Banken, die Presse, Gastronomie usw. usw. Man kann nur hoffen, dass sie weiterhin diese wunderbare Veranstaltung unterstützen, die um Respekt bittet!

Wettbewerb Preisträger

Ema Kapor Vanja Štulić Viktor Nañ Viktor Juskan Ivan Simić Jelena Lukić Liora Šijački Uroš Marković Luka Radovanović Marcin Kuzniar Aleksa Tarabanović Mihajlo ðorñević Leata Eduard Filip Živanović Miloš Vukićević Sabrina Vlaškalić Yuri Aleshnikov Bojan Ivanovski

Preis

Gruppe

I II III I

I I I II

II III I

II II III

II III I II III I II III I II III

III III IV IV IV V V V VI VI VI

Foto unten: Respect für die Sieger: Die Preisträger am Schlussabend des Wettbewerbs, (Foto: Peter Päffgen)

24 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1


Zum Mendelssohn-Jahr 2009 Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809–1847)

CANZONETTA aus dem Streichquartett op. 12 Für Gitarre eingerichtet von Francisco Tárrega

Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1 25


CANZONETTA

aus dem Streichquartett op. 12 (2. Satz)

Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809–1847) Für Gitarre eingerichtet von Francisco Tárrega

Allegro moderato

2

3

1 3 2

2

8

1

2 3 1

1 2

1 2 3

2

4 2

2

3

1 3 2

II

4

4

1 2

1 3

1 3

3

3

2 3 2

1

8

II

4

4

0 2 8

4

2

3

4

2

2

2

1

4 2

2

4 1 2

1 2

1

2 2

1

1

8

4

rit.

3 8

1

2

3

3 2

2 1

1

2

cresc. Revision des Notentextes von Markus Grohen. © 2009 auf Ausgabe und Stichbild 2009 by Verlag Dr. Peter Päffgen, Köln Weitere Informationen und Kritischer Bericht unter www.peter-paeffgen.eu

26 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1


1 3 2

2 4

1 2

8

cresc.

4 2 3

rit.

2 2

2

1

1 3 2

8

1 2 4

2

dim.

un poco più mosso

dim.

8

1

2

4

2 4

2 3 5

8

VII 4

2

4

4 2

3

3

1

2 3

1 8

4

3 3 8

2

3 1 2

1

4

2

1

1 2

4

1

Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1 27


VII 4

4 1

2

2 8

arm. XII.

8

dim.

8

cresc.

8

2 3 8

II

3 8

28 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nยบ 1

2 3 2

2 3

1

3

1


V 2

4

4

3

3

2

8

II 4 1

4

4

3

1

2

2

3

3

8

3

1

2

4

2

1

4

1

3

4

1

3

4

4

2

1

2

4

4 8

2

1 2

arm. VII 1 3

0

2

0

3

3

2

2

2

dim.

8

1

3

4 3 1 8

3

1

2 3

1

1

3

1

1 3 4

1 3 4

arm. VII

8

Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nยบ 1 29


1 1 2

3

8

3

3

2

1

1

3 2

3

2

3

4 2 3

3

1

4 4 2

2

DA CAPO AL SEGNO

1 2

8

1

rall.

8

8

cresc.

V 1 1

3 4

1 2

8

1 3 4

3

1 2

1

3 4

1

1

2

4 3

V 1 2 3

2 4 3

1 2

4 0 3

rall.

4 2 3

II 2

1

2 4

1 1

4

8

30 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nยบ 1

2

0 3 0

1 3 2

3

1

3

1 0 2 0

2 4


Das professionelle Stimmen von Gitarre, auch für Mandoline und Baß nur mit einer Stimmgabel Grundlagen, Verfahren Von Martin Lange Zusammenfassung In diesem Artikel werdn Konzepte/Grundlagen und Verfahren für ein professionelles Stimmen dargelegt. Von der gleichschwebend temperierten Stimmung als Grundlage der Anfängerstimmung über Intervalle, Partialtöne (harm. Obert.) als Grundlagen der ebenfalls vorgestellten Flageolettstimmung und Einflüssen auf die Stimmung zum vom Autor entwickelten professionellen Stimmverfahren, mit dem man sich in jedem Tonstudio sehen lassen kann. Die Abschnitte mit den physikalischen und musikalischen Grundlagen wechseln mit denen über die praktische Anwendung.

Einführung Durch die Einführung preiswerter Stimmgeräte gerät die Kunst, ein Instrument nur mit einer Stimmgabel zu stimmen, mehr und mehr in Vergessenheit. Bereits in den 1990er Jahren kam es vor, daß sogar Lehrkräfte höherer Musikschulen ihr Instrument nicht professionell stimmen konnten. Aber oftmals sind Stimmgeräte gar nicht so gut, haben Kinderkrankheiten, oder die Batterie ist einfach leer, oder man hat sie einfach vergessen. Das Stimmen mit der Stimmgabel ist und bleibt also eine pflegenswerte Kunst.

1.) Die (mathematisch) gleichschwebend temperierte Stimmung (12. Wurzel von 2)

Die „gleichschwebende Temperatur“, „...die den Oktavraum in 12 gleiche Tonabstände einteilt, die Mittelwerte der Schwingungsverhältnisse sind. In diesem chromatischen Zwölftönesystem (Zwölfhalbtonsystem), in dem jeder Ton zu den übrigen stets im gleichen Verhältnis 12. Wurzel von 2 = 1,0594 steht, kann jede Melodie in jede beliebige andere Tonart transponiert werden; die Akkorde aller Tonstufen weisen den gleichen relativen Reinheitsgrad auf, der sich für die Auffassungsfähigkeit des menschlichen Ohres als befriedigend erwiesen hat.“ (großer Brockhaus, 1956–1958 Stichwort: „Stimmung“) Bei einer Länge der schwingenden Saite zwischen Steg und Sattel von 65 cm wird das erste Bundstäbchen also so gesetzt, dass die Länge der schwingenden Saite beim Drücken des ersten Bundes noch 65:1,0594 = 61,355 cm beträgt, also nach 65 - 61,355 = 3,645 cm. Vom zweiten Bund bis zum Steg sind es dann noch 61,355:1,0594 = 57,915 cm. Vom ersten auf den zweiten Bund beträgt der Abstand dann 61,355 - 57,915 = 3,44 cm. Und so fort.

2.) Die „Anfängerstimmung“ auf Gitarre, Mandoline und Baß Bei Gitarre und Baß sind es vom E zum A 5 Bünde, ebenso von A zu d, von d zu g und von h zu e’. Nur vom g zum h sind es 4 Bünde. Die Mandoline wird immer im 7. Bund gestimmt. Da es hier um das professionelle Stimmen geht, setze ich die Anfängerstimmung als bekannt voraus.

Prinzipiell handelt es sich hierbei um eine Stimmung nach der 12. Wurzel von 2. Die Anfängerstimmung folgt aus der „gleichschwebenden Temperatur“

3.) Die Flageolettstimmung 3.1 Grundlagen 3.1.1 reine Intervalle und Bezeichnungen. Eine Oktave – also von A nach a – erhält man, indem man die Saite genau halbiert: 65:2 = 32,5 cm. Die Quinte über dem a, nämlich das e’, erhält man, indem man die Saite drittelt: 65=3 = 21,67cm. Die Quarte darüber, nämlich das a’ erhält man, indem man die Saite viertelt: 65=4 = 16,25 cm. große Terz über a’ —> cis’’: 65/5 kleine Terz über cis’’ —> e’’: 65/6 Weitere Frequenzverhältnisse zweier Töne zueinander: Quinte: 3:2 Quarte: 4:3 gr. Terz: 5:4 kl. Terz: 6:5 gr. Sek: 9:8 oder 10:9 kl. Sek: 16:15 Bezeichnungen vom Grundton A aus (enharmonisch verwechselt) A Prim B kl. Sekunde H große Sekunde c kl. Terz cis große Terz d Quarte dis Tritonus e Quinte f kl. Sext fis große Sexte g kleine Septime

Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1 31


gis a

gr. Sept Oktave

3.1.2 harmonische Obertöne Jeder Ton, der mit einem Instrument erzeugt wird, enthält Obertöne. Wenn man eine Saite genau an einem Schwingungsknoten berührt, wird ein bestimmter Oberton erzeugt. Bei genau der Hälfte: die Oktave = 1. Oberton, bei einem Drittel: die Quinte über dem 1. Oberton, das ist der zweite Oberton Bei einem Viertel: die Quarte über dem 2. Oberton und so fort, siehe „3.)“. Bei einem Viertel vom E wird also ein e’ erzeugt

Gitarre und Baß (Baß ohne a1, e, f): a) Stimmgabel (= Ton a’) auf Steg setzen und die A-Saite (zwei Oktaven tiefer) danach stimmen. Es ist am genauesten, mit der A-Saite anzufangen zu stimmen, deshalb sollte man das immer so machen. a1) erzeuge einen Flegeolettton auf der ASaite im 7. Bund – pardon – über dem 7. Bundstäbchen (=Schwingungsknoten; hier: 1/3 - Punkt der Saite). Dieser muß mit der leeren e’-Saite gleich klingen. b) erzeuge einen Flageolettton auf der E–Saite im 5. Bund – pardon – über dem 5. Bundstäbchen und über dem 7. Bundstäbchen der A-Saite. Sie müssen gleich klingen.

c) Ebenso 5. Bundstäbchen A-Saite und 7. Bundstäbchen d-Saite d) Ebenso 5. Bundstäbchen d-Saite und 7. Bundstäbchen g-Saite e) Ebenso 5. Bundstäbchen h-Saite und 7. Bundstäbchen e’-Saite f) 4. Bundstäbchen g-Saite und 5. Bundstäbchen h-Saite sind nicht ganz genau - das ist eben der Unterschied zwischen reiner und gleichschwebend temperierter Stimmung. Man kann im 4. Bund drücken und mit der leeren h-Saite vergleichen (gemäß Anfängerstimmung).

Folgende Möglichkeiten ergeben sich insgesamt Grundton

eer

l

Gitarre:

e’

1. Oberton

2. Oberton

3. Oberton

1/2

1/3

1/4

h’’

e’’’ h’’ g’’

e’’

h g d

fis

d’

a’ e’

g’

A E

’’ d’’

h’

a

d’’ a’

e

h

e’’

e’’’

h’’

a’ d’

a’’ d’’

e’’’ a’’

g

g’

d’’

g’’

d

a

d’

Mandolin

e’

e:

e’’’’ a’’’ d’’’

Baß: D

4. Oberton (1/5): fis’ 5. Oberton (1/6): a’

Die Hälfte ist am 12. Bund, die Drittelspunkte sind der 7. und der (12+7=)19. Bund Die Viertelspunkte sind der 5. und der (2*12=)24. Bund. Daraus ergibt sich die nun folgende Stimmmethode:

3.2 Die Flageolettstimmung (aus: Lange, Liedbegleitung auf der Gitarre für Fortgeschrittene, 1989 + 1993, Selbstverlag) Einen Ton, bei dem man zum Anschlagen die Saite mit der linken Hand (= Greifhand) nur berührt, aber nicht drückt, nennt man Flageolettton. Das Wort hat mit Flöte zu tun, es ist also ein relativ weicher, „flötenartiger“ Ton, ganz anders, als der normale gezupfte Gitarrenton.

32 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1


Der Flageolettton im 1/6-Punkt ist das a’ von der Stimmgabel, er ist leider einige mm vom 3. Bund entfernt.

Baß:

Mandoline:

a’-Saite ist der Stimmgabelton. Flageolett 7. bei der g-Saite und 12. bei der d’-Saite müssen gleich klingen. Flageolett 7. bei der d’-Saite und 12. bei der a’-Saite müssen gleich klingen. Flageolett 7. bei der a’-Saite und 12. bei der e’’-Saite müssen gleich klingen. 3.3 Stimmtechnik Zum Stimmen muß man die Töne sehr leicht anschlagen. Wenn der Flageolettton zu leise ist, dann ist der Finger nicht genau genug an dem Punkt, an dem er sich befinden sollte, dem „Schwingungsknoten“. Den Finger um wenige Millimeter zu verschieben, wirkt da oft Wunder. Man stimmt übrigens jede Saite jeweils „von unten nach oben“. D. h. die Saite, wenn sie zu hoch ist, erst viel zu tief und dann langsam nach oben stimmen, und wenn sie zu tief ist, „ganz normal“ nach oben stimmen. Wenn der Ton zu leise ist, hat man ihn vielleicht an der falschen Stelle angeschlagen. Man muß ihn am „Schwingungsbauch“ anschlagen. Der Anfänger schlägt bei der Gitarre am besten 5 - 10 cm vom Steg entfernt an, bei der Mandoline sind es etwa 3 cm. Wenn man nach der Flageolettstimmung stimmt, hat man eine „reine Stimmung“ 3.4 Ungereimtheiten bei der „reinen Stimmung“, das pythagoräische Komma und andere Unzulänglichkeiten „Weder in der pythagoräischen noch in der reinen Stimmung kann ein von einem Ausgangston durch reine Oktavschritte erreichter gleichnamiger („äquivalenter“) Ton durch die anderen ‘natürlichen’ Intervalle genau erreicht werden, sondern es bleibt immer ein geringer Rest: 12 aneinander gereihte Quinten überragen die 7. Oktave des Ausgangstons um das pythagoräische Komma rund 73/74), 3 aneinandergereihte große Terzen bleiben hinter der Oktave um die kleine Disis zurück (125/128) (—> Dièse), 4 kleine Terzen übersteigen sie um die große Disis (625/628).“ (Brockhaus, dito) Also: 1,5 hoch 12 = 129,75, 2 hoch 7 = 128. 128:129,75 ist ungefähr 0,9865 ebenso 73:74.

4.) Einflüsse auf die Stimmung hölzerner Saiteninstrumente a) Zunächst mal einige Einflüsse, die ein guter Instrumentenbauer/Saitenhersteller beseitigen kann:

Ungenauigkeiten bei der Herstellung des Instrumentes = Bundunreinheit; Ungenauigkeiten bei der Herstellung der Saiten = „Oktavreinheit“; Abstand Saite – Griffbrett = Saitenhöhe/Saitenabstand; unrunde Wirbel/Mechanik; „hüpfen“ der Saiten über den Sattel. Schlupf wegen schlechter Befestigung der Saiten an den Wirbeln vor allem bei glatten Saiten und bei elektrischen Gitarren der Betätigung nicht zeitgemäßer Vibratohebel. Abhilfe hierbei: Heutzutage gibt es – zumindest im elektrischen Bereich – Klemmmechaniken. Die Feinjustage geschieht dann mit Schrauben am Steg. Dehnung neuer Nylonsaiten: billige sind oftmals nicht „vorgestreckt“ indirekt: Saitendicke, Bundhöhe (s.u.) b) Feuchte, Temperatur, Erschütterungen: Aus Feuchte und Temperatur folgt: Sonne, Heizung oder Außenwand beeinflussen die Stimmung. Zu trockene Räume und Nässe sind Gift für das Holz, in zu feuchten Räumen verstimmt sich das Instrument laufend. Ebenso ist es beim Spiel in einem kalten Raum, man stimmt die Gitarre, spielt, dabei drückt man sie an den eignenen Körper, sie wird warm, verstimmt sich, man legt sie weg, sie wird wieder kalt, verstimmt sich ... Auch zu starker Anschlag beim Spiel läßt eine Gitarre schneller verstimmen, womit bereits der nächste Punkt angeschnitten wird. c) Auch die Gitarrenspieler tragen manchmal sehr direkt zum Verstimmen bei: Wenn man eine andere Saitendicke als vorher aufzieht, muß sich die Gitarre erst daran gewöhnen. Man sollte nicht alle Saiten gleichzeitig entfernen und dann alle gleichzeitig aufziehen, sondern immer erst eine runter und sofort die neue Saite rauf, also Saite für Saite. Capodaster oder zu fester Druck mit den Fingern beim Greifen sind auch ein erheblicher Einfluß auf die Stimmung. In diesem Zusammenhang sei noch die Saitendicke erwähnt: Dünnere Saiten lassen sich problemloser tiefer drücken und mehr ziehen, weshalb eine Gitarre dann oft verstimmt klingt, wenn man akkordisch spielt. Außerdem sei hierbei die Bundhöhe erwähnt, die, wenn sie zu groß ist, diesen Effekt noch begünstigt. Die Stärke des Anschlages: Bei einer leicht verstimmten Gitarre kann es durchaus helfen, die Saiten liedbegleitungsmäßg durchzuschlagen, dies recht kräftig, statt leise zu „zupfen“, dann hört man weniger, daß das Instrument leicht vertimmt ist. Natürlich darf man dies nicht zu stark tun, da sich die Gitarre sonst noch weiter verstimmt.

Bei alten Saiten verändern Abrieb und (Finger-)Fett die Dichte an einigen Stellen und die „Oktavreinheit“ ist nicht mehr gegeben. d) Um die sich überlagernden Effekte von Bundunreinheiten und der Dehnung der Saiten bei sauberem Drücken zu minimieren, gibt es verschiedene Ansätze: Allgemein bekannt ist sicherlich, daß es etliche Systeme gibt, bei denen die Mensurlänge beim Steg angepasst wird: vom schrägen Steg bei Westerngitarren bis zu ausgeklügelten Systemen der Einstellung für die Bundreinheit bei E-Gitarren Auch gab es ein Experiment von Walter Vogt, ein Griffbrett mit verschiebbaren Bünden (Zupfmusik-Magazin 1/86) 1993 wurde von Hervé R. Chouard, einem Gitarrenbauer aus Freising ein verschiebarer Sattel vorgestellt. Nachdem 1990 Walter Vogt verstarb, entwickelte Chourard dessen Werk weiter.

Verfahren von Martin Lange beim Stimmen a) Stimmgabel (= Ton a’) auf Steg setzen und die A-Saite (zwei Oktaven tiefer) danach stimmen. Es ist am genauesten, mit der ASaite anzufangen zu stimmen, deshalb sollte man das immer so machen. b1) erzeuge einen Flageolettton auf der ASaite im 7. Bund – pardon – über dem 7. Bundstäbchen. Dieser muß mit der leeren e’Saite gleich klingen. b2) A-Saite 5. Bund flageolett und e’-Saite 5. Bund gegriffen müssen gleich klingen. c1) A-Saite 12. Bund flageolett und g-Saite gegriffen 2. Bund müssen gleich klingen. c2) A-Saite gegriffen 10. Bund und g-Saite leer müssen gleich klingen. c3) g-Saite flageolett 12. Bund und e’-Saite gegriffen 3. Bund müssen gleich klingen c4) g-Saite 9. Bund gegriffen und e’-Saite leer müssen gleich klingen. d1) erzeuge einen Flageolettton auf der ESaite im 5. Bund – pardon – über dem 5. Bundstäbchen und über dem 7. Bundstäbchen der A-Saite. Sie müssen gleich klingen. d2) E-Saite gegriffen 5. Bund und A-Saite leer müssen gleich klingen (von der Anfängerstimmung her bekannt) e1) A flageolett im 5. Bund und d flageolett im 7. Bund müssen gleich klingen. (von der Flageolettstimmethode her bekannt) e2) A-Saite gegriffen 5. Bund und d-Saite leer müssen gleich klingen (von der Anfängerstimmung her bekannt) f1) d flageolett im 5. Bund und g flageolett im 7. Bund müssen gleich klingen. (von der Flageolettstimmethode her bekannt) f2) d-Saite gegriffen 5. Bund und g-Saite leer müssen gleich klingen (von der Anfängerstimmung her bekannt)

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g1) h flageolett im 5. Bund und e’ flageolett im 7. Bund müssen gleich klingen. (von der Flageolettstimmethode her bekannt) g2) h-Saite gegriffen 5. Bund und e’-Saite leer müssen gleich klingen (von der Anfängerstimmung her bekannt) g3) g Saite gegriffen im 4. Bund und h Saite leer müssen gleich klingen (von der Anfängerstimmung her bekannt) Bei einer guten Gitarre mit guten Saiten sollte der gedrückt Ton minimal höher als der nichtgedrückte sein, wenn man dann mit Flageolett vergleicht, macht man einfach die andere Saite höher. Dadurch ist eine Saite immer zwischen zwei Tönen. 8.1 für die Mandoline: Stimmgabel = a’-Saite g-Saite 14. Bund gegriffen und leere a’-Saite müssen gleich klingen. g-Saite 5. Bund flageolett (= g’’) und a’-Saite 10. Bund gegriffen müssen gleich klingen. Flageolett 7. bei der g-Saite und 12. bei der d’-Saite müssen gleich klingen. g-Saite gegriffen 7. Bund und d’-Saite leer müssen gleich klingen. Flageolett 7. bei der d’-Saite und 12. bei der a’-Saite müssen gleich klingen. d’-Saite gegriffen 7. Bund und a’-Saite leer müssen gleich klingen. Flageolett 7. bei der a’-Saite und 12. bei der e’’-Saite müssen gleich klingen. a’-Saite gegriffen 7. Bund und e’’-Saite leer müssen gleich klingen. Die Vorteile der Stimmethode liegen klar auf der Hand: Selbst eine mittelmäßige Gitarre kann relativ genau gestimmt werden, bei Bundunreinheiten kehren sich zwar die Dinge, die man von einer bundreinen Gitarre her kennt u. U. um, aber der etwas geübte Anwender wird die Methode im Kopf entsprechend anpassen und durchführen können. Auch ist hier der Nachteil eines Stimmgerätes ersichtlich: Mit dem Stimmgerät stimmt der normale Gitarrenspieler leere Saiten. Aber Saiten sind zum drücken da, bei der gedrückten Saite wird der Ton etwas zu hoch und man hat das Problem. Abhilfe wäre, minimal den Zeigerausschlag auf dem Stimmgerät nach links gehen zu lassen, also die Saiten minimal tiefer zu stimmen. Bei den modernen Stimmgeräten, die sich jedes Kind leicht vom Taschengeld leisten kann, ist hierzu vielleicht eine gewisse Frustrationstoleranz vonnöten. Wenn nun noch Bund- oder Oktavunreinheiten oder sonstige Probleme auftreten, brauch man ein Stimmgerät gar nicht in die Hand zu nehmen. Also haben es gerade die Leute, die billige Gitarren haben und nicht so oft Geld in neue Saiten investieren wollen nötig, das Stimmen zu lernen. Und nun viel Spaß! 34 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1

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Vorgestellt von Peter Päffgen

Neue Platten

Es ist der 25. November 2008. Ich sitze vor meinem Computer und schreibe Besprechungen von neu erschienenen CDs. Ich schaue aus dem Fenster und sehe den Rest des Schnees vom Vortag. Mehr dreckige Trauerränder als weiße Pracht … November! Und dann höre ich Zsófia Boros mit „Un dia de Noviembre“ von Leo Brouwer. Und ich höre die Melancholie, die dieses Stück ausstrahlt. Welche Stimmung hat Leo wohl auffangen wollen, als er dieses Stück geschrieben hat? November in Havanna? Nein, da ist diese Jahreszeit sicher freundlicher und fröhlicher. Aber da, im Mittelteil des Stücks kommt ein Schimmer Hoffnung auf in seinem November … sie schmilzt dahin wie der Schnee vor meinem Fenster. musicbox zsófia boros Werke von Brouwer, Muthspiel, Tárrega, Iglesias, Lauro, Barrios, Dyens und Savio Aufgenommen im März 2008-11-25 Preiser Records (in Deutschland bei NAXOS) PR 91 154 … Solo-Debut einer vielversprechenden Musikerin … PPP

Dann „Drei Tonspiele“ von Wolfgang Muthspiel, die eigentlich überhaupt nicht melancholisch sind. Aber ich denke beim Hören an einen anderen Leo, an Leo Witoszynskyj, der vor ein paar Wochen gestorben ist. Er hat seinen Schüler Wolfgang Muthspiel sehr geschätzt! Wieder Novemberstimmung! Die Tonspiele sind weniger spielerisch, als es ihr Titel anzudeuten scheint … obwohl: Man kann sie in keine Formschemata pressen. Sie kommen irgendwie vom Hölzchen aufs Stöckchen wie ein Surfer im Internet, der bei „A“ beginnt und sich urplötzlich bei „XYZ“ wiederfindet, oder wie ein Geschichtenerzähler, der sich dauernd auf Nebenschauplätzen verirrt. Aber die „Tonspiele“ sind weder märchenhaft noch sind sie quasi improvisiert … dafür beweisen sie wieder einmal das Erzähltalent von Wolfgang Muthspiel. Dann betreten wir mehr als vertrauten arabischen Boden mit Tárregas „Capricho“ und der „Arabesca“ von Angel Iglesias, die viel arabischer erscheint, als Tárregas bekanntes Stück, von dem auch Segovia schon gesagt hat, er fände nichts arabisches daran. Aber Iglesias arbeitet mehr mit tonmalerischen Elementen, mit Bildern und Metaphern, mit Farben und, tja, mit Arabesken, wie wir sie kennen. Das ist nicht wirklich originell, wäre aber als Filmmusik für „Der Kalif von Bagdad“ besser geeignet als Tárregas arabisches Capricho. Die anfängliche Melancholie schien der jungen Gitarristin Zsófia Boros zu liegen und so gelingt ihr „El Sueño de la Muñequita“ von Agustín Barrios, der „Traum des Püppchens“, auch besonders gut. Schließlich kommt der Tango von Roland Dyens, den ich in CD- und Bühnenprogrammen schon fast vermisst habe, nachdem er jahrelang bei keinem Event fehlen durfte. Ich will nicht sagen, ich sei voll

auf turkey gewesen, weil niemand ihn mehr spielte, aber er fing an mir zu fehlen! Die Ungarin [!] Zsófia Boros, geboren 1980 in Prag [!], fetzt ihn hin mit einem jugendlichen Elan, der seine Virtuosität unterstreicht, seine tangoëske Laszivität, fast Frivolität, aber leider verschweigt. Dies ist das Solo-Debut einer vielversprechenden Musikerin. Sie tischt uns nicht das Debut-Potpourri auf, das wir alle kennen, sondern ein anspruchsvolles Programm mit Stimmungsbildern unterschiedlichster Art – von Brouwers ansteckender Novembermelancholie bis zur feinen „Cajita de Música“ von Isaias Savio. Wenn wir schon von Melancholie reden: Russische Musik, sagt man, strahlt sie aus. Immer und überall. Russische Seele eben! Spanische Musik dagegen, sagt man, ist immer Ausdruck ausgelassener Freude und Lebenslust. Hier nun kommt spanische Musik von russischen Komponisten … Ispaniada: Spanish Music by Russian Composers The Timofeyev Ensemble Werke von Ippolitov-Ivanov, Albéniz, Gubbaidulina, Pettoletti, Dargomyzhsky,Sychra, Morkov u.a. Aufgenommen im Oktober und Dezember 2006, erschienen 2008 Hänssler-Profil (bei NAXOS) PH08073 … Der Reiz dieser CD liegt in der Werkzusammenstellung … PPP Dass nicht alles, was einem spanisch vorkommt, aus Spanien kommt, wissen wir schon seit unserer ersten Begegnung mit „Carmen“, der spanischsten aller Opern. Ihre Musik stammt bekanntlich von einem französischen Komponisten (Georges Bizet 1838—1875), ihr Libretto von Prosper Merimée (1803—1870). Auch Franzose! Etliche russische Komponisten, Timofeyev selbst schreibt es im Booklet, hatten oder haben ein Faible für Spanisches. Die bekanntesten Auswüchse dieser Leidenschaft sind Nikolai Andrejewitsch Rimsky-Korsakows (1844—1908) „Capriccio EspaGitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 1 35


Zarzuela? oder: Federico Moreno-Torrobas „eigentliches Œuvre“ Von Peter Päffgen Jeder Spanienurlauber weiß, wenn er nicht gerade als Ballermann- oder All-inclusive-Tourist reist, was eine Zarzuela ist. Ein Fischgericht nämlich, bei dem verschiedene Fischsorten zusammen mit Knoblauch und Gemüsen angebraten und dann in Wein gegart werden. Eine Zarzuela ist kein preiswertes Gericht, sondern ein eher anspruchsvolles, zu dem man Wein und keine Sangria oder ähnliche alemannischtouristische Getränke zu sich nimmt. Wenn wir hier und jetzt von Zarzuelas sprechen, dann finden wir sie nicht auf Speisenkarten, sondern eher in Programmheften von Opernhäusern … und doch, genau hier beginnt das Problem. Schaut man in die musikalische und auch die musikwissenschaftliche Fachliteratur, dann findet man das Stichwort „Zarzuela“ dort durchaus, und zwar als Bezeichnung für eine Art „spanischer Operette“ … aber in Programmheften findet man den Terminus nicht mehr. Gut, mag man jetzt sagen, die „klassische“ Operette wird hierzulande ja auch noch höchstens in Altenstifts aufgeführt und dort mit Interpretinnen und Interpreten, die (rein demografisch) schon bei den Uraufführungen dabei gewesen sein könnten. Stimmt alles … aber jetzt kommt Placido Domingo [!] und bringt die Zarzuela zu neuer Blüte. Nicht im Stadttheater von Cádiz oder Pamplona, sondern bei den Salzburger Festspielen. Voilà: Amor, vida de mi vida Zarzuelas with Placido Domingo and Ana María Martínez Mozarteum Orchester Salzburg, Jesús López Cobos DVD medici arts (in Deutschland bei NAXOS) 20724768 Federico Moreno Torroba: Luisa Fernanda Jesús López Cobos,Coro y orchesta Titular del Teatro Real, Plácido Domingo u.a. CD Deutsche Grammophon [www.universalmusic.com] 0028947658252 … Diese Produktionen der Zarzuelas sollte man sich nicht entgehen lassen! … ✰✰✰✰✰ Dabei bringt er einen Komponisten wieder ins Gespräch, den Viele schon zu denen gezählt haben, die nur durch Maestro Segovias Gnaden noch in Wikipedia zu finden ist: Federico Moreno-Torroba. Er, heißt es allenthalben, sei heute unbekannt, wenn er nicht für Segovia Gitarrenstücke geschrieben und er, Segovia, sie nicht weltweit vorgeführt hätte. Aber, notabene, Federico Moreno-Torroba Ballesteros (1891—1982) hatte schon vor Segovia eine Karriere und zwar als Komponist von Opern und vor allem zahlreicher Zarzuelas, von denen „Luisa Fernanda“ seine populärste war und ist. Am 26. März 1932 ist sie im Teatro Calderón in Madrid uraufgeführt worden und hatte sofort großen Erfolg. Mit dem spanischen Bürgerkrieg, beginnend 1936, ist die Zarzuela aber ganz aus dem spanischen und dem internationalen Repertoire verschwunden. Die Idee, sie als eine Art „opera nacional“ zu etablieren, war längst aufgegeben, ihre plüschige Dekadenz wurde als anachronistisch abgelehnt. Dabei gab es Zarzuelas schon seit dem 17. Jahrhundert. Pedro Calderón de la Barca (1600—1681) schrieb 1657 und 1658 zwei Bühnenwerke, die als Zarzuelas benannt waren

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gnol“ und die „Spanische Serenade“ von Alexander Konstantinowitsch Glasunow (1865—1936). Ich selbst könnte noch Beispiele, von russischen Gitarristen zum Beispiel, hinzufügen, die nicht davon abzubringen sind, auf den Bühnen dieser Welt Flamenco zu spielen … bzw. das, was sie dafür halten. Aber woher kommt die Leidenschaft für’s Spanische? Ist es die Sehnsucht nach Meer und Sonne? Oder waren es, wie Timofeyev vermutet, Ressentiments politischer Art gegen Frankreich und gegen Deutschland, die westeuropäischen Musiknationen? Wie kommt es, dass russische Komponisten überhaupt so vertraut waren mit spanischer Musik oder, sagen wir, dem spanischen Kolorit, zumal sie, die Spanier, auch erst dabei waren, einen „Nationalstil“ auszubilden? Die auf der CD „Ispaniada“ dargebotenen Stücke sind von Komponisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Einige sind älter, Pietro Pettoletti zum Beispiel, der dazu nicht einmal Russe war und auch nicht Spanier, sondern Schwede italienischer Abstammung, der aber in St. Petersburg gelebt hat. Die prominenteste Komponistin ist Sofia Gubaidulina (*1931), die zwei kleine Stücke für Gitarre komponiert hat, eines davon, „Serenade“, ist hier eingespielt. Das Gros der Stücke, die wir zu hören bekommen, ist gefällige Salonmusik – gleich die einleitende spanische Serenade von Michail Ippolitow-Iwanow (1859—1935) ist ein gutes Beispiel, auch die Romanze von Alexander Dargomyshski (1813— 1869). Und wir hören eine MenAbbildung links: Pietro Pettoletti, Foto aus der russischen Zeitschrift „Gitarrist“ X/XI/1904


ge bekannter Töne, denn oft sind die spanischen Anklänge keine Stilanlehnungen oder Stilkopien, sondern ganz direkte Zitate … oder gar Transkriptionen. Die „Malagueña“ von einem Stutchevsky zum Beispiel ist eigentlich die von Isaac Albéniz (1860—1909) und die schon erwähnte Romanze von Dargomyshski hält sich wacker an Tárregas (1852—1909) „Jota Aragonesa“. Von den jüngeren Komponisten spielt Rodion Shchedrin (*1932) mit den Hispanismen, die seine Vorfahren so gern aufgenommen haben. Er karikiert sie, indem er sie übertreibt und „bloßstellt“, das heißt aus dem musikalischen Kontext löst. Die namensgebende letzte Komposition der CD („Ispaniada“) ist von Wladislaw Solotarjow (1942—1975) und führt den Zuhörer schließlich in eine völlig andere musikalische Welt … keine Salonmusik mehr und auch keine aufgesetzten spanischen Klänge, sondern eine über 18 Minuten dauernde Fantasie, im Original geschrieben für Solo-Bajan, ein chromatisches Knopfakkordeon, und musikalisch irgendwo zwischen programmgebundener Klangimprovisation und rhapsodischer Fantasterei. Oleg Timofeyev präsentiert diese Musik mit einem nach ihm benannten Ensemble. Seine Mutter, die Cellistin Natalia Timofejewa gehört dazu, er selbst als Spieler der siebensaitigen russischen Gitarre – dazu Gäste wie jetzt der Akkordeonist Ivano Battiston und Dan Caraway, Gitarre. Wir kennen Oleg Timofeyev, den Gitarristen, der dieses Programm zusammengestellt hat. Wir kennen ihn ob seiner bemerkenswerten Platte mit Werken von Matvei Pavlov-Azancheev (s. Gitarre & Laute-ONLINE XXIX/2007/Nº 4, S. 34). Sein spanisch-russisches Programm präsentiert viele Aspekte eines unerklärlichen Phänomens – Meisterwerke erleben wir nicht, dafür durchaus einige Petitessen, deren Bekanntschaft man gern gemacht hat. Der Reiz dieser CD liegt in der Werkzusammenstellung. Federico Moreno Torroba: Works for Guitar Michael Boyd, Gitarre Aufgenommen im Juli 23006, erschienen 2008 CENTAUR (in Deutschland bei Klassik Center, Kassel, www.KlassikCenter-Kassel.de) CRC 2935 … Schade, das Repertoire, das Thomas Boyd präsentiert, ist mehr als interessant … dessen Darbietung eher enttäuschend … PP Federico Moreno Torroba (1891—1982) wäre heute, das jedenfalls vermuten Viele, vergessen, hätte er nicht Stücke für Gitarre geschrieben und wären die nicht vom damali-

gen Doyen des Instruments, Maestro Andrés Segovia, bekannt gemacht worden. Eine seiner Zarzuelas (s. S. 36) liegt zwar jetzt in einer Neueinspielung mit Placido Domingo vor, eine Renaissance dieser musikalischen Gattung und damit der Werke von MorenoTorroba ist aber mehr als unwahrscheinlich. Hier ist wieder einmal ein Gitarrist, der eine ganze CD dem Komponisten widmet: eine Reihe kleiner, zum Teil unbekannter Stücke bekommen wir zu hören und ein paar große Kompositionen, und auch die gehören nicht zum Standard-Repertoire: „Sonata-Fantasía“ und „Tríptico“: „a unique compilation of rarely heard pieces by one of the Twentieth Century’s most important composers for the guitar.“ Keine „Sonatina“ und kein „Madroños“, auch keine „Pièces Caractéristiques“! Dabei fällt mir auf, dass die „Sonata-Fantasía“ erst in den letzten Jahren hie und dort gespielt und auch eingespielt worden ist … und tatsächlich gehört sie zu den nach dem Tod Segovias entdeckten Werken, die Angelo Gilardino bei Berbèn herausgibt. Michael Boyd, der Gitarrist, hat über Federico Moreno-Torroba eine Dissertation geschrieben, man kann ihn also als den oder mindestens einen der Spezialisten zu diesem Thema annehmen [„The works for guitar and orchestra of Federico Moreno-Torroba and performing edition of „Romancillos“ for guitar and orchestra“, University of Southern Mississippi, 2005; bei UME unter #3217194 zu bekommen]. Während der Vorbereitungen für seine Dissertation hatte Dr. Boyd in Spanien Kontakt zu Federico Moreno-Torroba-Larregla, dem Sohn des Komponisten, aufgenommen und der hat eine Schublade geöffnet, in der sich Manuskripte mit bislang unveröffentlichten Gitarrenstücken seines Vaters befanden. So ist das extraordinäre Programm seiner CD zustande gekommen. Die meisten Stücke gehören dem Genre an, das wir von Moreno-Torroba gewohnt sind: kurze Charakterstücke in vorsichtig erweiterter spätromantischer Harmonik und mit dem Charme ausgeprägter Be-

tonung melodischer Ideen. Wie spielt denn Michael Boyd seine Entdeckungen? Man ist, was Musik von Moreno-Torroba angeht, die Eigenwilligkeiten von Maestro Segovia gewohnt, man hat sie so kennen gelernt. Dann kamen die Epigonen, die versuchten, wie der Maestro zu spielen. Sie haben seine höchst persönlichen und privaten Interpretationen kopiert, haben jede agogische Eigenheit Segovias zum Bestandteil der Komposition erklärt, oft ohne zu verstehen, was Don Andrés da gemacht hat. Anders Michael Boyd. Er spielt das, was in den Noten steht, und zwar ohne dem Ganzen seinen eigenen Stempel aufzudrücken … eine eigene Note fehlt! Die „Vieja Leyenda“ zum Beispiel könnte viel mehr gesungen werden, der „Zapateado“ getanzt und die „Ronda Festiva“ gefeiert. Schade, Michael Boyds Spiel wirkt streckenweise regelrecht steril – die üppige Akustik der St. Thomas Aquinas Catholic Church in Hattiesburg/MS und vielleicht auch ein ingeniöser Toningenieur täuschen darüber hinweg, aber es wirkt zudem streckenweise ungelenk und zusammenhaltlos, besonders in den großen Kompositionen am Schluss. Schade, das Repertoire, das Thomas Boyd präsentiert, ist mehr als interessant … dessen Darbietung eher enttäuschend. Noch eine CD mit Stücken von Moreno-Torroba ist neu herausgekommen, und auch die enthält vornehmlich bisher weniger bekannte Stücke: Federico Moreno-Torroba: Puertas de España Agustín Maruri, guitarra Aufgenommen im September 2008 EMEC E 076, www.emecdiscos.com (in Deutschland bei Sunny-Moon, Köln, www.sunny-moon.com) E-076 … Gestaltungswille, Tonschönheit und virile Kraft … PPPP Agustín Maruri spielt diese Musik ver-

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und die im „Palacio Real de la Zarzuela“ in Madrid aufgeführt wurden. Der spanische Begriff „Zarzuela“ bedeutet eigentlich „Brombeersträuchlein“ und leitet sich vermutlich daraus ab, dass das Theater, wo die neuen Singspiele aufgeführt wurden, von solchen Sträuchern umgeben war. Die Zarzuela war zunächst eine Art Volkstheater-Stück und wurde teils gesprochen und teils gesungen. Ihre Thematik war oft ländlich-pastoraler Art. Im 19. Jahrhundert wurde eine „Zarzuela Grande“ entwickelt, die sich näher an die Oper anlehnte. Die Franzosen im Tross Napoleon Bonapartes hatten die Französische Oper mit ins Land gebracht, die italienische Oper beherrschte ohnehin die europäischen Bühnen … neue Zarzuelas entstanden, die einerseits an italienischen Vorbilder orientiert waren, andererseits die folkloristischen Einflüsse der älteren Zarzuela weiterführten. Sie waren meist dreiaktig. Gleichzeitig entstand eine neu Form der Zarzuela, der „Género chico“, eine einaktige Form. Die „Zarzuelas chicas“, wurden in Madrider Theatern im Stundentakt gegeben und wurden daher auch „teatro por horas“ genannt. Sie behandelten und karikierten Themen des täglichen Lebens und sprachen mit ihren eher einfachen textlichen und musikalischen Formen einfachere Menschen an. Niedrige Eintrittspreise sorgten dafür, dass sie von jedermann gesehen werden konnten. „Zarzuelas chicas“ entstanden zu Hunderten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden wieder Zarzuelas, die eher der „Zarzuela grande“ verpflichtet waren, das heißt der mehraktigen, anspruchsvolleren Zarzuela des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Zu ihnen zählen die Werke von Federico Moreno-Torroba, die jetzt durch Plácido Domingo eine ungeahnte Renaissance erfahren. Denn bei allen Bemühungen nach dem Spanischen Bürgerkrieg und dem Zweiten Weltkrieg, die Zarzuela am Leben zu erhalten oder ihr neues Leben einzuhauchen – sie war von den Bühnen verschwunden. Ihre romantisierende Leichtigkeit, die zu Beginn des Jahrhunderts noch eine Chance zu haben schien, sie war nach den Kriegen nicht mehr gefragt. Nun ist eine Einspielung von „Luisa Fernando“ erschienen und in Salzburg hieß es im Jahr 2007 sogar „Placido Domingo rettet die Salzburger Festspiele“. Er hatte, zusammen mit Ana María Martínez, dem Mozarteum-Orchester, Salzburg und dem Dirigenten Jesús López Cobos einen spanischen Abend angesagt, der hier nun als DVD vorliegt. Arien, Duette aus Zarzuelas, dazwischen einige orchestrale Hispanismen von Manuel de Falla oder Jerónimo Giménez Bellido (1854—1923). Einige der Nummern aus Luisa Fernanda“ finden wir hier wieder, überhaupt einiges von Moreno-Torroba. Dass das Salzburger Publikum diesen Konzertabend so frenetisch gefeiert hat, und das hat es, liegt sicherlich weniger an dem Namen Federico Moreno-Torroba, den vermutlich die allermeisten Besucher des Konzerte nie vorher gehört hatten und auch nicht daran, dass Nummern aus Zarzuelas dargeboten wurden, die wahrscheinlich die Meisten, wenn überhaupt, für Fischsuppen gehalten hätten … nein, es war der Tenorissimo Plácido Domingo, den die Salzburger Schickeria seit Jahren als ihr Eigentum betrachtet und um dessen begnadete Stimme sie sich sorgt … gesorgt hat, denn die Gerüchte, er werde bald seine Karriere beenden (müssen), sind verstummt. Am Schluss des Hauptprogramms steht „En mi tierra extremameña“ aus Luisa Fernanda“, ein wirklich anrührendes Duett, hinreißend dargeboten und vom Publikum … tja … mit Jubel und nicht enden wollenden Standing Ovations gefeiert und quittiert. Vier Zugaben, die letzte davon „Lippen schweigen“ aus der „Lustigen Witwe“ von Franz Léhar, dem österreichischen Komponisten von Zarzuelas … pardon … Operetten. Die Komplett-Produktion der Deutschen Grammophon trägt den Reihentitel Z:Zarzuelas, ganz als würde die ehrwürdige Gesellschaft jetzt beginnen, das Gesamtwerk von Federico MorenoTorroba einzuspielen … ist vermutlich nicht der Fall! Und auch nicht, dass man sich jetzt, wo das Klassik-Geschäft immer schwieriger wird, auf die „Leichte Muse“ stürzt. Aber die Einspielung von „Luisa Fernanda“ macht Spaß und bereichert das Angebot des Gelben Labels. Eine Frage stelle ich mir allerdings: Wäre die Einspielung zustande gekommen, wenn Placido Domingo nicht dabei gewesen wäre? Vermutlich nicht … Diese Produktionen der Zarzuelas sollte man sich nicht entgehen lassen!

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gleichsweise nüchtern und geradeaus … und bei dem Vergleich ziehe ich natürlich die alten Aufnahmen von Andrés Segovia heran, der für Moreno-Torrobas Popularität verantwortlich ist. Diese „Versachlichung“ bekommt den Stücken gut, zumal Agustín Maruri einen wunderbar vollen und runden Gitarrenton hat und großen Wert auf legato gespielte Melodien legt … und das tat der Maestro, wenn wir ehrlich sind, nicht. Sein Ton und dessen Wandlungsfähigkeit waren legendär – aber auch seine Tour, Akkorde, auch wenn sie aus nur zwei Tönen bestanden, zu „arpeggieren“ und Melodien agogisch so umzugestalten, dass sie gelegentlich ihren Halt verloren. Nein, Maruri spielt im Prinzip das, was in den Noten steht, und er tut das mit jenem Quäntchen Distanz, das die Musik uns Menschen des 21. Jahrhunderts erneut erobert. Einige der reichlich bekannten Pretiosen von Moreno-Torroba sind in seinem CD-Programm, „Contemplación“ zum Beispiel, aber auch seltener gehörte Stücke wie die „Suite Miniatura“ oder auch die „Madrileñas“, wie die „Puertas de Madrid“ eine Huldigung des Komponisten an seine Heimatstadt Madrid. Bei allem Bemühen Maruris, sich von Andrés Segovias Interpretationen abzugrenzen und damit jedem Verdacht auf Epigonentum entgegen zu treten; In Einem hätte er sich dem Meister anschließen sollen: in seiner enormen Detailverliebtheit nämlich. Agustín Maruri huscht hie und dort über Figuren hinweg, nimmt sie nicht ernst. Das ist schade, denn insgesamt beeindruckt seine CD sehr. Gestaltungswille, Tonschönheit und virile Kraft – das strahlt sein Spiel aus. Temperamente Sina Neumärker, Gitarre, Michael Dolak, Bandoneon und Reentko Dirks, Percussion Erschienen 2008 Eigenproduktion Redguitar (www.redguitar.de) … Und sehr viel Spaß an der Musik … PPPPP Bandoneon? Das riecht nach Tango! Ist es


auch, aber nicht wieder eine dieser Vermarktungen der Handvoll Kompositionen vom großen Che Astor, wie wir sie in der Gitarrenszene kennen, sondern eine Reihe teilweise unbekannter Tangos von Größen wie Anibal Carmero Troilo (1914—1975), Pedro Laurenz (1902—1972) oder Cacho Tirao (1941— 2007). Aber natürlich gibt es Piazzolla: „Verano Porteño“ und die wahrlich himmlische „Milonga del Angel“. Sie, Sina und ihre Gitarre, stehen im Mittelpunkt des Geschehens. Nicht einmal das Bandoneon macht ihnen ihre Position streitig. In der wunderschönen „Milonga de mis amores“ von Pedro Laurenz beweisen sie im Gegenteil, wie gut sich der Macho Bandoneon und die vergleichsweise zarte Gitarre verstehen. In „La ultima curda“ (von Anibal Carmelo Troilo) heult sich ein Tanguero über sein Schicksal aus, das er nur im letzten Suff ertragen kann: „Lastima, bandoneón, mi corazon tu ronca maldición maleva” … „Bandoneon, dein böser Fluch trifft mich im tiefsten Herzen“. Diesen Klassiker des argentinischen Tangos hat Sina Neumärker für Gitarre solo arrangiert. Und sie bringt das ganze Elend und die Verzweiflung des Tanguero zum Ausdruck, der kleinlaut und zutiefst verletzt und verunsichert seine Geschichte erzählt. Dann die Milonga „La Trampera“, auch von Troilo aber nicht von Sina selbst arrangiert, die, anders, Lebenslust ausstrahlt und in der auch das perfekte Zusammenspiel von Bandoneon und Gitarre, bzw., besser gesagt, von Michael Dolak und Sina Neumärker, noch einmal offenkundig wird. Die Gitarre spielt hier eine Art ostinate Figur, um die herum sich Kommentare, Einwürfe und Melodien des Bandoneon ranken. Manchmal suchen beiden sich, manchmal streiten sie, manchmal sind sie sich einig. Und am Schluss stimmen sie in einen Akkord ein … war alles nur Spaß! Temperamente ist eine höchst delikate und abwechslungsreiche CD. Nicht klassisch im strengen Sinn, aber klassische Gitarre und klassische Technik! Keine Tangoplatte im strengen Sinn, aber viel Tango und viel Tangofeeling. Und sehr viel Spaß an der Musik! Ach ja, zwischendurch geht sie fremd, die Sina Neumärker. Da kehrt sie Argentinien den Rücken und wendet sich dem Schweizer Filmmusik-Komponisten (das ist, wie Sie sehen, keine contradictio in adiecto!) Niki Reiser zu, dessen Musik zu „Jenseits der Stille“ sie selbst arrangiert hat. Ist es nicht seltsam: An anderer Stelle in diesem Heft schreibe ich, dass einem bei Filmmusik, die ohne Film präsentiert wird, immer der optische Reiz fehle, dass zu Filmmusik eben der Film gehöre. Hier geht es mir nicht so. Hier habe ich sogar den Eindruck, ich sehe Lara,

die Protagonistin des Films, und ihre Geschichte vor mir! Das ist sehr lebendige Musik, die erzählt und Bilder vor einem erscheinen lässt. Ein offenes Buch! Wir, als Zuhörer, lernen Laras gehörlose Eltern kennen und wir begleiten Lara auf einer Radtour. Und das alles in der klanglichen Reduktion, die Sina Neumärker uns anbietet. Reduziert auf eine Gitarristin und einen Tontechniker! Soundscapes: Guitar Music by Leo Brouwer and Carlo Domeniconi Rainer Stegmann, Guitar Aufgenommen im Mai 2008 GENUIN (in Deutschland bei Codaex, www.codaex.com) GEN 88527 … außerordentlich glückliche Hand … PPPPP Leo Brouwer spendet in seinen Werken für Gitarre gern Tribut an Kollegen … oder, sagen wir, er zitiert gelegentlich. Stilistisch oder direkt. Wenn in seiner Sonate für Gitarre Takte aus Beethovens Pastorale wie aus dem Nichts auftauchen, dann finden sich Zuhörer wieder, andere hören Skriabin im zweiten Satz. 2002 sind Leo Brouwers „Nuevos Estudios Secillos“ entstanden und sie sind, eine nach der anderen, musikalischen Vorbildern gewidmet. Dabei kommt es auf die Zuhörer an, wo und wie sie die Geehrten, oder, sagen wir, die Widmungsträger oder Inspiratoren, wiederfinden. Kein Rätsel, nein! Und schon gar keine Pasticcios! Wenn Leo Brouwer einen Kollegen zitiert, dann tut er das diskret und hinter vorgehaltener Hand. Man muss sich auskennen in der Musikgeschichte und im Repertoire, um die manchmal zarten Hinweise deuten zu können. Nº 5 zum Beispiel ist Francisco Tárrega gewidmet und ich finde Phrasen aus Brouwers „Decameron Negro“ – umwoben von Tremoli, die an Tárregas Erinnerungen an die Alhambra erinnern. Nº 6 heißt Sor und mahnt schon direkter an eine Sor-Etüde, mit der sich jeder Gitarrist irgendwann

Die Bach-Gesamtausgabe für Gitarre Sämtliche Lautenwerke von Johann Sebastian Bach für Gitarre eingerichtet von Ansgar Krause Ansgar Krause hat in den letzten Jahren alle Lautenwerke Bachs kompetent für sein Instrument eingerichtet und dabei vielfach neue Wege beschritten, nicht zuletzt in der Wahl der Tonarten. Die Bearbeitungen Krauses klingen überzeugend und unverbraucht – sie sind im Konzert erprobt und auf CD dokumentiert. Durch die Erwähnung der Abweichungen vom Lauten-Original liegen textkritische Editionen vor.

I Suite g-moll BWV 995 EB 8232

€ 8,90

In seinem Vorwort begründet Krause die Wahl der Tonart g-moll, mit der sich seine Version von den gängigen a-moll-Einrichtungen unterscheidet. Die Bearbeitung nähert sich so Bachs Violoncello-Satz, der der Lautenfassung eigentlich zu Grunde liegt.

I Suite e-moll BWV 996 EB 8233

€ 7,90

I Partita c-moll BWV 997 EB 8234

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Krause lehnt bei BWV 997 den üblichen Titel „Suite“ als stilistisch und das gängige a-moll als satztechnisch problematisch ab, lässt das überzeugendere h-moll greifen bzw. (mit Kapodaster) das originale c-moll erklingen.

I Prelude, Fuga und Allegro BWV 998 5771002

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NEU I Prelude BWV 999 & Fuga nach BWV 1000, 1001 und 539 EB 8235

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Die bei J. S. Bach oft mehrschichtige Überlieferung wird überzeugend genutzt: für die Fuge BWV 1000 liefert stellenweise Bachs eigene Bearbeitungstechnik für Orgel (in BWV 539) gitarrengerechte Lösungen. Weitere Bach-Bearbeitungen von Ansgar Krause im Katalog «Edition Breitkopf». www.breitkopf.de

Breitkopf

Härtel

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befasst hat. Weiter wird Debussy, Barrios, Szymanowski und schließlich Strawinski gedacht. Es folgt Brouwers „HIKA“ in Erinnerung an Toru Takemitsu, dann die „Chaconne“ von Carlo Domeniconi, von der der Komponist selbst, wie im Booklet zu lesen ist, gesagt hat, sie sei so etwas wie „die Bach-Chaconne mit ausgetauschten Noten“. Die Chaconne von Carlo Domeniconi ähnelt nämlich nicht nur der Bachschen Chaconne – sie ist die Bachsche Chaconne. Note für Note! Nur eben anders. Mit den gleichen Schwerpunkten, mit der gleichen Verteilung von fließenden und akkordischen Variationen und, übrigens, mit knapp 18 Minuten auch ungefähr der gleichen Länge. Und es ergibt sich ein mehr oder weniger einheitliches neues Bild; kein sich wandelndes, das am Schluss dann doch auf Bach zurückgeht, so wie das „Nocturnal“ von Britten schließlich in „Come heavy sleep“ von John Dowland mündet. Nein, so wie die Variationen über Variationen beginnen, so enden sie. Rainer Stegmann ist übrigens nicht der Erste, der das sehr interessante Stück aufgenommen hat. Dale Kavanagh, der die Chaconne auch gewidmet ist, war früher (Hänssler 98.483). Dies ist die erste CD von Rainer Stegmann. Er schreibt über sich selbst, sein musikalischer Schwerpunkt liege „eindeutig auf dem Gebiet des 20. und 21. Jahrhunderts.“ Bei der Auswahl des Repertoires, das er hier präsentiert, hatte er eine außerordentlich glückliche Hand. Sein Spiel ist wohltuend zurückhaltend, was vor allem in den schwebenden Stimmungsbildern, die in seinem Programm vorherrschen, sehr schöne impressionistische Effekte ergibt. Decacorde: Mari Mäntylä Werke von Pekka Jalkenen, John Dowland und Johann Sebastian Bach Aufgenommen im September 2007, erschienen 2008 ALBA ABCD (in Deutschland bei Klassik Center Kassel, www.KlassikCenter-Kassel.de) 261

… Der „Sakraleffekt“ ist kaum abstellbar! … PPP Der Komponist Pekka Jalkenen (*1945) hat verschiedene Werke für sein eigenes Instrument, die Gitarre, geschrieben … und einige für den Decacorde. Er selbst und die Interpretin dieser CD unterscheiden da sehr penibel. Das sind nicht einfach beides Gitarren, die eine mit sechs und die andere mit zehn Saiten, sondern da ist die Gitarre auf der einen und der Decacorde auf der anderen Seite. „Recording it [den Decarcorde] also seemed logical, in the hope of making people more aware of the instrument’s existence.” Er ist gut für Stücke, die im Original für Barocklaute geschrieben sind oder auch für eine spätere Renaissance-Laute, – in den Augen seiner Apologeten ist er dafür sogar prädestinert, und zwar nicht nur weil man sich wegen der klanglichen Erweiterung des Instruments im Bassbereich Oktavierungen sparen kann, sondern auch, weil der Decacorde ohnehin schon „a cross between a lute and modern guitar in both its sound and its history“ darstellt. Pekka Jalkanen, von dem auch der Text des Booklets ist, weiß von einem Louis-Gabriel Besson, einem Hofmusikus in Versailles, der eine Laute mit zehn Chören besessen und diese „Decacorde“ genannt haben soll. Ganz abgesehen davon dass diese Bezeichnung keineswegs originell war und ist – das Wort Decacorde setzt sich aus lat. decem (=zehn) und lat. corda (=die Saite) zusammen –, hat es (erstens) zehnsaitige Lauten sicher auch schon vor jenem Basson gegeben und ist (zweitens) aus dieser Tatsache um Himmels Willen nicht abzuleiten, dass der Decacorde von heute ein „cross between a lute and a modern guitar“ ist. Die heute in Benutz befindliche zehnsaitige Gitarre ist von Narciso Yepes angeregt und von José Ramírez in Madrid gebaut worden. Alle zehn Saiten gehen über das Griffbrett, können also bei Bedarf gegriffen werden. Es hat „Zehnsaiter“ auch im 19. Jahrhundert gegeben – als Beispiel ist Ferdinando Carulli (1770—1848) zu nennen, der auch einen Decacorde benutzt und für ihn auch ein Lehrwerk veröffentlicht hat. Einer der Instrumentenmacher, der Decacordes herstellte, war René Lacôte (1785—1855). Das, was hier als exotische Besonderheit gefeiert wird, ist also keineswegs neu. Im Gegenteil: Es hat mehrere Versuche gegeben, Gitarren mit mehr als sechs Seiten einzuführen – keiner war wirklich erfolgreich. Die Finnin Mari Mäntylä hat sich vollständig dem Decacorde verschrieben – den Eindruck jedenfalls erweckt ihre Homepage:

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http://www.marimantyla.net. Die enorme Klangfülle, welche das Instrument bietet, sie ist Mari Mäntyläns Problem und das der Aufnahme. Die Stücke von Dowland und Bach verlieren ihren intimen Klang – in schnellen Sätzen überholen sich die Stimmen regelrecht. Die „Lachrimæ Pavan“ spielt sie sehr langsam und in gebremster Lautstärke, um diese unangenehmen Effekte zu verhindern und doch sind sie nicht völlig vermeidbar. Der „Sakraleffekt“ ist kaum abstellbar! Musique Extraordinaire 1: Samuel T. Klemke spielt Bach, Sor, Henze, Aufgenommen im Juli 2003, © 2006 2: Laura U. Klemke spielt Paganini, Bach, Ponce und Searl, Aufgenommen im Juni 2004, © 2006 3: Guitar Duo Klemke spielt de Falla, Tárrega, Sor, Granados, Boccherini, Cahpi y Lorente, Rodrigo, Pujol, Aufgenommen im August 2004, © 2005 SINGLE 1: Samuel Klemke spielt Koyunbaba, © 2007 SINGLE 2: Laura Klemke spielt ein Preludio von Adam Falckenhagen, © 2008 Bezugsquelle für alle CDs: www.klemke.de ✰✰✰✰✰ Laura und Samuel Klemke sind Geschwister. Samuel wurde 1978 in Herdecke, seine Schwester 1981 in Warendorf geboren. Mit vier Jahren konnten sie Noten lesen, danach begann der systematische Gitarrenunterricht durch ihren Vater. Seit 1999 (Samuel) bzw. 2000 (Laura) studieren beide in Weimar bei Monika Rost. Die ersten Wettbewerbe, die die beiden gewonnen haben, waren die von „Jugend musiziert“, einige andere, auch internationale, folgten. Die CDs sind Eigenproduktionen … professionell gemacht und professionell aussehend! Samuel Klemke spielt (Vol. 1) Bachs Suite BWV 997, dann Sors op. 7 und Henzes Winter-Music 1. Mein erster Eindruck: Anspruchsvoll für ein Debüt, aber die Geschwister sind so lange im Geschäft, dass man von einem Debüt eigentlich kaum reden kann. Und sein Spiel ist auch nicht das eines Debütanten. Kontrolliert, sich selbst zurücknehmend, tonlich ausgewogen und technisch ohne hörbare Probleme. Monika Rost, seine Professorin für Gitarre in Weimar, liefert eine Art Geleitwort zur CD mit: „Als Samuel 1999 zum Studium nach Weimar kam, war er bestens ausgestattet […] Die erste Aufgabe, die sich ihm hartnäckig in den Weg stellte, war die Formung eines schönen, vollen, tragfähigen Tons — für den Gitarristen das Fundamentalste überhaupt.“ Nun, dieses Pro-


blem hat er bewältigt … ist er jetzt fertig? Mir bewegt sich die Sor-Fantaisie zum Beispiel zu sehr zwischen mf und mp, da fehlen mir Ebenen, was Volumen und auch stilistische Differenzierungen angeht … aber was erwarte ich eigentlich? Ich höre hier CDs von zwei Musikern, die, als sie die Aufnahmen machten, gerade Anfang zwanzig waren (Tobias 25 und Laura 23). Seit sie vier waren, hatten sie vermutlich nichts anderes getan, als Musik zu machen und zu üben. Mit sieben hatte Tobias seinen ersten kompletten Soloabend gegeben: Giuliani, Sor, Paganini. Dann kleinere und später internationale Wettbewerbe und Meisterkurse. Und dann „Royal Winter Music“? Erwarte ich eine ausgewogene und fundierte eigene Meinung zu dieser Musik? Eine Stellungnahme, die dann auch noch dezidiert präsentiert wird? Unterstrichen und mit Ausrufezeichen? Habe ich es hier mit musikalisch frühreifen Wunderkindern zu tun … oder vielleicht mit solchen, die die Karriere machen, die ihre Eltern ihnen vorgezeichnet haben? Aber die Trainerin der beiden Musiker ist nicht Jutta Müller, es ist Monika Rost! Jetzt sind alle Examina gemacht, alle Stipendien ausgeschöpft. Jetzt gilt es, den berühmten Schritt ins Leben zu tun, jetzt besuchen die Klemkes keine Meisterkurse mehr – jetzt geben sie welche. Zurück zu „Musique Extraordinaire 1“, der Solo-CD von Samuel: Bach, Sor, Henze. Die Fuge aus BWV 997 ist mit ihren knapp acht Minuten Dauer ein Prüfstein … im ursprüng-

lichen Sinn des Wortes ein Stein, mit Hilfe dessen man den Feingehalt einer Goldlegierung ermittelt. Ist der Interpret in der Lage, das Stück so zu spielen, dass seine Zuhörer es verstehen und dass sie ihm über diese verhältnismäßig lange Zeit folgen? Er ist es … und doch könnte ich mir einen konsequenteren Umgang mit Phrasierungsmustern vorstellen, die dem Zuhörer schließlich eine Art formaler Analyse des Stücks vorschlagen. Ein Werkzeug aus dieser Kiste ist auch der gezielte Einsatz agogischer Mittel – allerdings bedarf deren Einsatz einer abgeklärten Gelassenheit, die Samuel Klemke nicht vorweisen kann. Sie, die innere Ruhe und beispielsweise das manchmal regelrecht irritierende minimale Herauszögern von Auflösungen können einem Stück eine enorme innere Dynamik geben und sie fehlen mir gerade in Klemkes Interpretation der Sor-Fantasie. Hier, ich muss es gestehen, höre ich hie und dort Banalitäten, die auf der CD leider voll zur Geltung kommen und gelegentlich sogar unterstrichen werden. Und dann Henze: Die große Geste ist es, die schon in „Gloucester“ erwartet wird, das laute und deutliche Aussprechen der eigenen Meinung. Und das traut sich Samuel Klemke! Der im Vergleich dazu introvertierte Satz „Romeo and Juliet“ könnte für mich noch etwas zarter sein, noch zurückhaltender philosophierend. Laura Klemke spielt ein auf den ersten Blick risikoärmeres Programm. Die einleitende Paganini-Sonate ertapppe ich auch wieder einmal mit unverhohlenen Banalitäten, die

jetzt aber nichts mit Lauras Spiel zu tun haben. Hier ist es das Stück, dem die junge Interpretin kein Leben einhauchen kann, weil es streckenweise banal ist. Dann Bachs Suite BWV 996. Das einleitende nicht mensurierte Passaggio fordert und erlaubt die Freiheit, die ich beim Spiel ihres Bruders vermisst habe … und auch hier vermisse ich das Auskosten dieser Freiheit. Das strenge fugierte Presto danach, das einen schroffen Gegensatz bildet, gelingt ihr dafür sehr überzeugend. Die „Sonata Mexicana“ von Ponce schließt sich an und schließlich „Five“ von Humphrey Searle. Das letzte Stück hat mich am wenigsten überzeugt. Und dann die Duo-CD: Alles, was ich mir

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für die Solo-CDs gewünscht habe, scheint hier – wie von Geisterhand geleitet – in Erfüllung gegangen zu sein. Klemke & Klemke spielen das Standard-Programm von de Falla bis Pujol, von Albéniz bis Rodrigo und sie tun das sehr überzeugend. Von ihrer ängstlichen Zurückhaltung ist Nichts mehr zu hören -- hier spielen sie frei und kreativ. Vielleicht war es ja doch nicht Geisterhand, die diese Veränderung bewirkt hat, sondern die von Thomas Müller-Pering, bei dem die Geschwister nach ihren ersten Examina in Weimar ein Aufbaustudium absolviert haben? Die Duo-Platte vermittelt noch etwas, was bei den Soloplatten nur schwer zu entdecken war: Spaß am Spiel und Spaß an der Musik. Vielleicht sind das Gefühlslagen, die sich nur oder hauptsächlich bei Kammermusik einstellen, aber sie stecken an und springen auf den Zuhörer über. Und dann sind da noch zwei Single-CDs. Samuel spielt Koyunbaba und wieder spürt man einen enormen Fortschritt im Vergleich zu der eben besprochenen CD. Gut, die Klangwelt, die „Koyunbaba“ entfaltet, ist eine besondere, aber sie wird hauptsächlich durch die offene Stimmung erreicht. Und doch ist es so, dass man eine andere musikalische Dimension betritt: rund, voluminös, weit; kreativ, mitunter regelrecht lasziv, selbstbewusst, überzeugend. Das Gleiche gilt für die CD von Schwester Laura. Sie spielt Falckenhagen durch alle Tonarten … und zwar mit atemberaubender Grandezza und Überzeugungskraft. Die CDs, die ich hier erwähnen und beschreiben durfte, sie bezeugen einen Abschnitt im Leben zweier immer noch sehr junger Musiker … wir erleben die ersten Aufnahmen zweier Solisten und ihres gemeinsamen Duos und dann noch einmal zwei Soloaufnahmen, die einige Jahre später entstanden sind. Dazwischen lagen vier, fünf Jahre Studium in Weimar! Die CDs belegen also nicht nur einen riesigen Schritt in der künstlerischen Entwicklung der beiden Interpreten, sie belegen auch die Qualität der Ausbildung an der Hochschule Franz Liszt in Weimar!

DIEGO PISADOR ENTDECKT?

CARPE DIEM [www.carpediem-records.de] (in Deutschland bei Klassic-Center, Kassel [www.ClassicDisc.de]) CD 16276 … hohe Kunst! … ✰✰✰✰✰

Von den Vihuelisten ist Diego Pisador der am seltensten gepriesene und hochgelobte – so jedenfalls stellt es sich mehr als vierhundert Jahre nach seinem Tod dar. Wir wissen sehr wenig über den Musiker und Kompilator der Vihuela-Anthologie „LIBRO DE MUSICA DE VIHUELA“ von 1552, die in dem Ruf steht, nur wenige ungebundene, freie Instrumentalstücke zu enthalten – dafür aber zahlreiche schwer verdauliche Intavolierungen: vier Messen von Josquin darunter oder Motetten zu vier, fünf oder acht Stimmen. Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass ein beträchtlicher Teil des Buches von Pisador allein 24 Fantasien enthält und dass sich auch sonst Tanzsätze und Einrichtungen höchst weltlicher Gesänge finden. Es bleibt also verwunderlich, warum Stücke von Milan oder Mudarra immer wieder, solche von Diego Pisador aber extrem selten in Programme von Gitarristen oder Vihuelisten aufgenommen wurden und werden. Nun hat das Detmolder Label Carpe Diem eine CD unter dem Titel „Si me Llaman“ herausgebracht, die ganz dem Œuvre von Pisador gewidmet ist. Der Countertenor José Hernández-Pastor und Ariel Abramovich, Vihuela, sind die Interpreten. Si Me Llaman: Diego Pisador, Salamanca 1552 El Cortesano (José Hernández-Pastor und Ariel Abramovich) Aufgenommen im Oktober 2008, erschienen 2009

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Der Villancicos bei Pisador nimmt sich diese CD an. Villancicos waren volkssprachige Gesangsstücke zu populären Themen, die gegen Mitte des 16. Jahrhunderts in Spanien außerordentlich beliebt waren. Juan Vásquez (1500—1560), ein Priester, der verschiedene Sakralwerke komponiert hat, war berühmt für seine sehr weltlichen Villancicos, die dann 1560 als „Recopilación de sonetos y villancicos a cuatro y a cinco“ in Sevilla herausgekommen sind. Von ihm stammt auch „Si me llaman“, ein Villancico, der die weibliche Schönheit besingt und der vorliegender CD ihren Namen gegeben hat. Was wir zu hören bekommen, ist sehr intime, introvertierte Musik von höchster Klangschönheit. Dass eine Vihuela ein sehr zartes Instrument war und ist, wissen wir … oder mindestens können wir es uns vorstellen. Einen modernen Nachbau des Instruments, besaitet vermutlich mit Nylon statt mit Darm und gespielt von einem Musiker des 21. Jahrhunderts, der an andere Lautstärke-Pegel gewöhnt ist als seine Kollegen vor 450 Jahren, muss man stark zurücknehmen, um ein musikalisches Tête-à-Tête so intimer Art zu erreichen. Und das gelingt hier im Zusammenspiel mit einem Sänger, der sich auch hie und dort beinahe auf ein Flüstern einstellen muss! Das ist hohe Kunst! José Hernández-Pastors Stimme verliert bei allem nicht einmal ihren strahlenden Glanz. Bei aller Begeisterung für diese Pisador-Einspielung … eine Kritik muss erlaubt sein! Es ist in den begleitenden Papieren mehrmals von einer Ersteinspielung die Rede. Ist sie nicht! Zehn Jahre vor ihr erschien in Salamanca eine CD, die gleichzeitig ein Buch über den Komponisten enthält:


Ariel Abramovich, Foto © 2008 by Markus Wessollek La Musica de Diego Pisador vezino de la ciudad de Salamanca Felipe Sánchez Mascuñano, Vihuela; Myriam Vincent, Gesang Erschienen 1995 ARS VIVA, AVA 16101 Hier wird Diego Pisador als Bürger von Salamanca gefeiert, als verkannter „Prophet im eigenen Land“. Die Aufnahme ist leider weit weniger fesselnd, gelegentlich regelrecht langweilig – und das bezieht sich auf beides, den Gesang und auch auf das Vihuela-Spiel. Dabei fängt alles ganz gut an. Die CD beginnt mit eben dem Villancico von Juan Vásquez, der der CD von El Cortesano den Namen gegeben hat: „Si me llaman“. Aber

schon der nächste, „Si la noche haze escura“ verläuft und wirkt spannungslos. Schade eigentlich, denn bei dieser Produktion merkt man, dass mit viel Elan, Stolz und gutem Willen etwas begonnen wurde, das hinterher nicht wirklich präsentabel ausgefallen ist. Das begleitende Buch übrigens enthält die Unterweisungstexte des Buches von Diego Pisador in Reinschrift, dazu weitere informative Texte in spanischer Sprache. Ein knapperer Text ist dann auch in englischer, französischer, deutscher und japanischer Sprache enthalten. Der deutsche Text, und nur den habe ich überprüft, ist fehlerhaft. Übrigens trägt auch die Produktion von ARS VIVA den Hinweis darauf, sie sei eine Erstaufnahme … und damals hat das vermutlich auch gestimmt! ■

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