perspektive21 - Heft 39

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thema – osteuropa und wir

quoten zu erhöhen); es geht um aktive Arbeitsmarktintegration, um anständige Lohnersatzleistungen und Mindestrenten. Im Jahr 2009 wird Polen das 20. Jubiläum des Umbruchs feiern; in Rumänien wird man sich an den schwierigen Umbruch vom Winter 1989/90 zweifellos mit zwiespältigeren Emotionen erinnern. Am 4. Juni 1989 fanden in Polen die ersten, teilweise freien Wahlen statt – teilweise frei, denn gemäß einer Vereinbarung zwischen demokratischer Opposition und kommunistischen Machthabern ging die Hälfte der Mandate im Parlament an die Kommunistische Partei. Der Fall des Kommunismus war bereits zu diesem Zeitpunkt in ganz Mittel- und Südosteuropa nicht mehr zu verhindern, denn das Ancien régime war schon seit mindestens zehn Jahren politisch bankrott und seit Mitte der achtziger Jahre ökonomisch unhaltbar geworden. Die Debatte muss beginnen Heute jedoch stehen Polen und Rumänien an einem Scheideweg. Viel wird für Europa davon abhängen, ob den beiden Staaten (ebenso wie den übrigen Neumitgliedern der EU) der erfolgreiche Einstieg in den Aufbau eines Wirtschafts- und Sozialmodells entlang der skizzierten Linien eines modernen Sozialinvestitionsstaates 42

dezember 2008 – heft 39

gelingt. Selbstverständlich ist das keineswegs. Denn noch hat die Debatte über den Charakter und die Zukunft des je eigenen Wirtschafts- und Sozialmodells, über dessen Probleme und Defizite nur in allerersten Ansätzen begonnen – in Polen mehr als in Rumänien. Festzuhalten ist bei aller Parallelität der Herausforderungen zunächst jedoch grundsätzlich, dass zwischen den Wirtschafts- und Sozialsystemen der neuen EU-Mitgliedsstaaten sowie dem sozialen Selbstverständnis in diesen Ländern einerseits und der Situation im westlichen Europa andererseits weiterhin beträchtliche Unterschiede bestehen. Drei zentrale Differenzen sind generalisierend zu nennen: FEHLENDE MITTELSCHICHT. Weder Polen noch Rumänien besitzen eine breite Mittelschicht nach deutschem oder auch französischem Muster. Es existiert in diesen Ländern also keine ausgeprägte Klasse auf der Mitte der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leiter, die zugleich als Motor einer industriellen Wirtschaft zur Wohlstandsbildung und als Trägerin des Sozialstaats zur institutionalisierten Solidarität beitragen würde. Was beispielsweise in Polen Mittelschicht genannt wird, entspricht zwar dem Lebensstil und dem Wohlstandsniveau nach mehr oder weniger westeuropäischen Mittelschichten. Es handelt sich


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