perspektive21 - Heft 33

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[ till meyer ]

zitieren, sondern auch reproduzieren. Deutlich mehr demokratische Präsenz ist gefordert, damit wir auch jene erreichen, die gar nicht wählen gehen, weil sie keine Arbeit, keinen Sportverein und keine Verbindungen zum öffentlichen Leben mehr haben. Mehr Demokratie wagen heißt, dass Kommunalpolitiker, Eltern, Lehrer und Schüler, also die Basis eines jeden Lebens in einer Gemeinde, aufstehen, Zivilcourage zeigen und sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen. Weil die Parteien, Gewerkschaften und Kirchen im Osten geringere Bindungskraft als im Westen haben, sind auch Feuerwehren und Heimatvereine in der demokratischen Pflicht, das Gespräch mit den rechtsextremen Wählern zu suchen, den rechten Parolen zu widersprechen und ihre Propaganda zu widerlegen. Erinnerung und Auseinandersetzung Viel zu viele Schüler glauben, dass 25 oder gar 50 Prozent Ausländer in Brandenburg leben. Dabei sind es nur 2 Prozent. Dass diese Ausländer gewollt sind, dass wir mit Fremden zusammenleben und den Umgang mit der Verschiedenheit wollen, gehört zu den Grundüberzeugungen, die an den Schulen stärker vermittelt werden sollten. Themen wie Zuwanderung und Integration, Toleranz- und Demokratiegeschichte müssen in die Schule Einzug halten und diskutiert werden. Politische Bildung darf bei der Beschäftigung mit dem Holocaust nicht aufhören. Der Wesensgehalt unserer Gesellschaftsordnung muss an den Schulen erklärt werden: ihre Werte, ihre Rechtsprinzipien, ihr Selbstverständnis. Wo sonst, wenn nicht in der Schule, soll das Verständnis für die Grundregeln einer funktionierenden Gemeinschaft geweckt werden? Dabei ist Demokratie nicht nur die Organisationsform unseres Staates, sondern „ein Prinzip, das alles gesellschaftliche Sein der Menschen beeinflussen und durchdringen muss“, wie Willy Brandt 1968 erklärte. In einer aktuellen Befragung von 2.000 Berliner Schülern verneinte nur etwa jeder Zweite den Satz „Die DDR war keine Diktatur – die Menschen mussten sich nur wie überall anpassen“. In der vergleichenden Bewertung von alter Bundesrepublik und DDR konnte sich ebenfalls jeder Zweite mit der These anfreunden, die Bundesrepublik sei anders, aber nicht besser als die DDR gewesen. Hier ist das, was ich als „Demokratieunterricht“ bezeichnen möchte, dringend von Nöten. Hier sind derzeitige Lehrer und zukünftige Lehrer gefordert – übrigens fächerübergreifend! Sie müssen sagen, warum die Weimarer Republik schon frühzeitig auf den Holzweg geriet, warum Israel eine große Errungenschaft des 20. Jahrhunderts ist und warum die DDR, trotz guter Absicht manches Antifaschis34

heft 33 | februar 2007


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