perspektive21 - Heft 47

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HEFT 47 DEZEMBER 2010 www.perspektive21.de

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

NACH DER WIRTSCHAFTS- UND FINANZKRISE

It’s the economy, stupid? TOBIAS DÜRR:

Gesellschaft mit geschrumpfter Zukunft Im Amt, aber an der Macht? PEER STEINBRÜCK: Die Krise als Zäsur JOACHIM RAGNITZ: Auf der Suche nach neuen Lösungen MICHAEL GÖBEL: Anstoß für mehr INGO SINGE & CHRISTOPH THIEME: Geld ist nicht alles RALF CHRISTOFFERS: Viele kleine Schritte MARTIN WILKE: Den Blick voraus RICHARD WILKINSON: Mehr Gleichheit ist für alle besser THOMAS KRALINSKI:


Eine persรถnliche Bestandsaufnahme

20 Jahre nach der friedlichen Revolution von 1989: Wie viel Einheit haben wir erreicht? Welchen Aufbruch braucht Deutschland jetzt?

224 Seiten, gebunden

| Hoffmann und Campe | Das will ich lesen


vorwort

It’s the economy, stupid? m September 2008 erreichte die Wirtschafts- und Finanzkrise mit dem Zusammenbruch der Lehman Brothers-Bank ihren ersten Höhepunkt. In der Folge stürzte die deutsche Wirtschaft um bis dato nicht für möglich gehaltene fünf Prozent ab. Schon im Frühjahr 2009 haben wir uns in der Perspektive 21 erstmals mit den Lehren aus der Finanzkrise beschäftigt. Heute, gut zwei Jahre nach dem dramatischen Herbst von 2008, haben wir die Wirtschaftspolitik erneut in den Mittelpunkt eines Heftes gerückt. Was keiner vermutet hatte: Brandenburg ist im Großen und Ganzen relativ glimpflich durch die Wirtschaftskrise gekommen. Das hat viel mit der Exportschwäche unserer Unternehmen zu tun, aber auch mit der mittlerweile breiter aufgestellten Wirtschaftsstruktur unseres Landes. Peer Steinbrück analysiert in seinem Beitrag sehr überzeugend, warum wir ein neues Wirtschaftsmodell brauchen – und wie dies aussehen kann. Dazu zählt auch die Demokratisierung unserer Wirtschaftsordnung. Das heißt mehr Mitbestimmung, vernünftige Gewerkschaften und starke Betriebsräte. Ingo Schöne und Christoph Thieme erklären anschaulich, warum gerade die Unternehmen mit einem hohen Maß an Mitbestimmung besonders gut durch die Krise gekommen sind und auch mit Fachkräftemangel besser umgehen können. Genau das ist ein zentrales Thema für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, denn in Brandenburg werden demnächst die Arbeitskräfte knapp und wir müssen sehen, wie es gelingt, Fachkräfte zu halten und zu gewinnen. Mit einer Niedriglohnstrategie, wie sie immer noch von den Konservativen verfolgt wird, geht das nicht. Seit 2005 gibt es eine neue Förderstrategie des Landes: „Stärken stärken.“ Welche ersten Ergebnisse diese Politik zeitigt, diskutieren wir ebenfalls in diesem Heft. Wie schädlich Ungleichheit und wie wichtig mehr Gleichheit für eine Gesellschaft ist, erläutert Richard Wilkinson, der zusammen mit Kate Picket ein sehr lesenswertes Buch zu diesem Thema geschrieben hat. Es geht um die Frage, wie man eine Gesellschaft zusammenhalten kann. Und nichts anderes ist unser Ziel hier in Brandenburg.

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IHR KLAUS NESS

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inhalt

It’s the economy, stupid? NACH DER WIRTSCHAFTS- UND FINANZKRISE

MAGAZIN

Gesellschaft mit geschrumpfter Zukunft ...................................... 7 Warum es in der alternden Gesellschaft schwieriger wird, Fortschritt zu organisieren TOBIAS DÜRR:

Im Amt, aber an der Macht? .............................................. 13 Fast überall in Westeuropa steht die Handlungsfähigkeit der Politik auf dem Spiel THOMAS KRALINSKI:

THEMA

Die Krise als Zäsur................................................................ 19 Die Bewältigung der Finanzkrise erfordert mehr als nur die Sanierung des Bankensektors PEER STEINBRÜCK:

Auf der Suche nach neuen Lösungen .................................... 27 Die ostdeutsche Wirtschaft nach der Finanz- und Wirtschaftskrise JOACHIM RAGNITZ:

Anstoß für mehr ...................................................................... 33 Eine Zwischenbilanz der neu ausgerichteten Brandenburger Förderpolitik MICHAEL GÖBEL:

Geld ist nicht alles ........................................ 41 Über die Lage der ostdeutschen Unternehmen, fehlende Fachkräfte und Betriebsräte INGO SINGE & CHRISTOPH THIEME:

Viele kleine Schritte .......................................................... 51 Warum Brandenburg so erfolgreich ist und wie das so bleiben kann RALF CHRISTOFFERS:

Den Blick voraus ........................................................................ 57 Wie Frankfurt (Oder) zu einer der dynamischsten deutschen Städte wurde MARTIN WILKE:

Mehr Gleichheit ist für alle besser .................................... 61 Über Fettleibigkeit, Gehaltsunterschiede und eine neue Wirtschaftsdemokratie RICHARD WILKINSON:

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Gesellschaft mit geschrumpfter Zukunft WARUM ES IN DER ALTERNDEN GESELLSCHAFT SCHWIERIGER WIRD, DRINGEND NOTWENDIGEN FORTSCHRITT ZU ORGANISIEREN VON TOBIAS DÜRR

n der alternden, demografisch schrumpfenden, zunehmend von Kinderlosigkeit geprägten, wohlhabenden westeuropäischen Gesellschaft des frühen 21. Jahrhunderts schrumpft zugleich auch die Zukunft. Oder genauer gesagt: Es schrumpft die subjektive Zukunft. Mit „subjektiver Zukunft“ ist diejenige Zukunft gemeint, die Menschen für sich selbst als bedeutsam, als gestaltbar und gestaltenswert erleben und empfinden. Denn auf absehbare Zeit wächst relativ zu der Zahl der Menschen, deren Leben zu guten Teilen noch vor ihnen liegt, unaufhörlich die Zahl der Menschen, die den größeren Teil ihrer Lebenszeit bereits hinter sich haben. Die subjektive Zukunft in unserer Gesellschaft schrumpft mithin in vielen Einzelfällen mit der individuellen biologischen Alterung; und sozusagen per Saldo verliert die subjektive Zukunft in unseren Gesellschaften insgesamt an Gewicht (während die subjektive Vergangenheit an gesellschaftlichem Gewicht zulegt). Auf der individuellen Ebene sind die Phänomene des „Alterskonservatismus“ und des „Altersegoismus“ seit langem bekannt; was wir aber inzwischen zunehmend erleben, sind gesamtgesellschaftlicher Alterskonservatismus und Altersegoismus oder anders gesagt: der Konservatismus und der Egoismus einer insgesamt im historischen Vergleich beispiellos alten Gesellschaft – mit mächtige Folgen für die Fähigkeit dieser Gesellschaft, ihre objektive Zukunft angemessen zu organisieren, also die konkreten Erfordernisse der kommenden Jahrzehnte zu bewältigen. Dies soll hier schlaglichtartig an zwei Sachverhalten verdeutlicht werden. In einem Fall handelt es sich um anekdotische Evidenz, im anderen um solide sozialwissenschaftliche Demografieforschung: Erstens: Gegen das groß dimensionierte Bahnprojekt „Stuttgart 21“ kann man zweifellos viele Einwände erheben – aus guten und aus weniger guten Gründen. Ein spezifisches Motiv des Widerstandes tritt aber immer wieder zum Vorschein. Protestierende geben explizit oder sinngemäß zu verstehen: „Ach, wissen Sie, es soll

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ja 10 oder 15 Jahre dauern, bis die ganze Sache fertig ist. Bis dahin bin ich sowieso tot, und deshalb bin ich dagegen.“ Zweitens: Wie Harald Wilkoszewski vom Rostocker Max-Planck-Institut für Demographieforschung im Vergleich von 13 europäischen Ländern empirisch gezeigt hat, sind ältere, kinderlose und unverheiratete Menschen weniger geneigt, öffentliche Transfers (also Geld, Zeit, Bildung, Infrastruktur) zugunsten von Familien und Kindern zu unterstützen. Stattdessen favorisieren diese älteren, kinderlosen oder unverheirateten Menschen Transfers, die ihnen selbst zugute kommen. In welche Versuchungen die politischen Parteien damit angesichts der sich weiter zugunsten von älteren, kinderlosen und unverheirateten Wahlberechtigten verschiebenden gesellschaftlichen Mehrheitsverhältnisse geraten, liegt auf der Hand. Selbst was schlecht ist, soll so bleiben, wie es ist Es ist kein Zufall, dass als die beste Zeit der Bundesrepublik vielfach diejenigen Jahre gelten, in denen die Angehörigen der heute quantitativ breitesten westdeutschen Alterskohorte jung waren, ins Berufsleben starteten und Familien gründeten. Jedenfalls im kulturell tonangebenden Westen Deutschlands erinnert man sich an die sechziger und frühen siebziger Jahre als Ära des Aufbruchs; darin kommen biologische und gesellschaftliche Zeit zur Deckung. Je älter nunmehr die deutsche Bevölkerung im Durchschnitt wird, je mehr sie schrumpft und je mehr sich das innergesellschaftliche Gleichgewicht von den Jüngeren zu den (seinerzeit jungen) Älteren verschiebt, desto mehr droht sich diese Gesellschaft insgesamt auf eine Weise zu verändern, die ihrem zukünftigen Erfolg und ihrer objektiven Zukunftstauglichkeit gerade nicht zugute kommt. Die kollektive Mentalität der Gesamtgesellschaft mit ihrer geschrumpften subjektiven Zukunft begünstigt zunehmend defensive, an der Bewahrung des Status quo (ante) ausgerichtete Haltungen: „Das Beste war schon“, statt „Das Beste kommt noch“. Anschauliche Indizien unter anderen sind in jüngerer Zeit der Erfolg der sozialprotektionistischen Retro-Bewegung WASG, die beschlossene „Rentengarantie“, die angestrebte Rückabwicklung von – gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit herstellenden – Sozialreformen (Rente mit 67), die öffentliche Zustimmung („Endlich traut sich mal einer …“) zum rassentheoretischen Obskurantismus Thilo Sarrazins sowie die in dieser Zustimmung zu Sarrazins „komischen Ansichten“ (FAZ) zum Ausdruck kommende Islamophobie und Angst vor „Überfremdung“, der ausgeprägte Widerstand gegen Einwanderung, 8

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die verbreitete Beschäftigung mit Identitäts- statt Problemlösungsdiskursen, die zunehmende Bereitschaft, für Missstände bestimmte Kollektivsündenböcke verantwortlich zu machen (die Politiker, die Banker, die Muslime, die Ausländer, die Ossis/Wessis), die Begeisterung für Baumaßnahmen, die untergegangene Architektur möglichst originalgetreu wiederherstellen sollen (Stadtschlösser Potsdam und Berlin), die spontane Bereitschaft zur Identifikation mit Anti-Modernisierungs-Protesten (neben Stuttgart 21 auch die Hamburger Schulreform, Carbon Capture & Storage (CCS), Windräder, überhaupt: die Erneuerung von Energieinfrastruktur). Vielfach erkennen politische Eliten mehrheitlich die Notwendigkeit der Erneuerung, werden aber von gesellschaftlichen Vetokoalitionen am Handeln gehindert (Hamburger Schulreform) oder von „Not in my backyard“-Bündnissen („NIMBY“) in Schach gehalten; in anderen Fällen rollen politische Akteure die Reformfahne bereits vorauseilend ein (wie etwa in der SPD bei der Rente mit 67). Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, hat unlängst mit geradezu verblüffender Offenheit seine eigene Beobachtung zum Thema der schrumpfenden Zukunft beigesteuert, freilich ohne sie explizit mit der gesamtgesellschaftlichen Alterung in Verbindung zu bringen: „Die Menschen sind zutiefst verunsichert und sehnen sich nach dem Ort, wo sich nichts ändert, wo nichts verändert wird, wo sie sich auskennen und sich sicher fühlen. Vor allem dort, wo sie wohnen, in ihrer Heimat, wollen sie nicht auch noch Veränderungen und Verunsicherungen hinnehmen müssen. Selbst das, was schlecht ist, soll so bleiben, wie es ist.“ Wer wird den Wohlstand erwirtschaften? „Selbst das, was schlecht ist, soll so bleiben, wie es ist“ – dies ist sozusagen der Schlachtruf der alterskonservativen Gesellschaft mit ihrer subjektiv geschrumpften Zukunft. Aber: Unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts ist das natürlich eine vollständig unerfüllbare, im Übrigen auch zutiefst irrationale Erwartung. Denn die kommenden Jahrzehnte werden Jahrzehnte ungeheuren Wandels sein: 2050 werden 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben - und sie alle müssen ernährt werden; es drohen dramatische Auseinandersetzungen um Ressourcen; das Ende des fossilen Zeitalters zeichnet sich drastisch ab; das globale Klima wandelt sich. Das alles schafft unerhörte Notwendigkeiten der zupackenden Veränderung, der Gestaltung, der Umstellung und der Erneuerung. Kein Fortschritt, keine Innovation, keine neuen Ideen, keine Bewegung, keine Dynamik, einfach nur perspektive21

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Festhalten am Bestehenden - diese Option besteht ganz einfach nicht. Um Guiseppe Tomasi di Lampedusa zu paraphrasieren: Gerade wer in unseren westlichen Gesellschaften will, dass im 21. Jahrhundert vieles so bleibt, wie es ist, der wird außerordentlich viel verändern müssen. Hinzu kommt: In unseren eigenen Gesellschaften sind es paradoxerweise nicht zuletzt die durch die Prozesse der Alterung und Schrumpfung verursachten Veränderungen selbst, die sich nur mit großer Erneuerungsbereitschaft bewältigen lassen: Wer wird den Wohlstand der älteren und schrumpfenden Gesellschaft erwirtschaften? Wie soll die Fähigkeit zur ökonomischen und technologischen Innovation erhalten und aktualisiert werden, wenn nicht mit massiver Investition in Bildung und Forschung? Wer wird die vielen Älteren pflegen und medizinisch versorgen? Keine einzige dieser Herausforderungen wird sich bewältigen lassen ohne sehr viel Erneuerung wie – beispielsweise – erhebliche zusätzliche Einwanderung. Aber Einwanderung ist ja nun gerade eine Veränderung des Status quo, vielleicht diejenige Veränderung schlechthin, vor der sich die alterskonservative Gesellschaft mit ihrer subjektiv geschrumpften Zukunft am allermeisten fürchtet. Erneuerer werden gebraucht Damit droht Deutschland in einen gefährlichen psycho-demografischen Teufelskreis zu geraten. Gerade in der alternden und schrumpfenden Gesellschaft, die doch des Aufbruchs und der Öffnung im Grunde besonders dringend bedarf (schon um die Lebensqualität der ökonomisch inaktiven Gruppen zu finanzieren), wachsen Nostalgie, Verunsicherung und Angst vor den Zumutungen der Zukunft. Das Bevorstehende scheint für immer mehr Menschen kein Versprechen mehr zu bergen. Stattdessen wird die Zukunft als bedrohlich und unübersichtlich wahrgenommen – oder eben für das eigene Leben als nicht mehr relevant. Nicht die gemeinsame Suche nach praktischen Lösungen für das bestmögliche gesellschaftliche Miteinander angesichts zukünftiger Herausforderungen ist unter solchen Umständen prägend für den öffentlichen Diskurs, sondern die Verteidigung des Bestehenden und (mutmaßlich) Entschwindenden. Dies also ist das Dilemma der subjektiv schrumpfenden Zukunft: Je älter die Bevölkerung im Durchschnitt wird, je mehr sie schrumpft, je mehr sich das innergesellschaftliche Gleichgewicht von den Jüngeren zu den Älteren verschiebt, desto stärker droht sich die kollektive Mentalität der Gesellschaft insgesamt in einer Weise zu verändern, die ihrer objektiven Zukunftstauglichkeit im Wege steht. Dass wir es hier mit dramatischen Herausforderungen für die Steuerungs- und 10

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tobias dürr – gesellschaft mit geschrumpfter zukunft

Innovationsfähigkeit sowie die Legitimation des politischen Systems im Allgemeinen und ganz besonders für die politischen Parteien zu tun haben, dürfte deutlich sein. Im frühen 21. Jahrhundert werden progressive Erneuerung und Erneuerer dringend gebraucht – doch in der Gesellschaft mit geschrumpfter Zukunft bläst ihnen der Wind so heftig ins Gesicht wie selten zuvor. I

DR. TOBIAS DÜRR ist Chefredakteur der Zeitschrift Berliner Republik. perspektive21

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Im Amt, aber an der Macht? VON KOPENHAGEN BIS LISSABON – FAST ÜBERALL IN WESTEUROPA STEHT HEUTE DIE HANDLUNGSFÄHIGKEIT DER POLITIK AUF DEM SPIEL VON THOMAS KRALINSKI

s geht ein Gespenst um in Europa – das Gespenst der Unregierbarkeit. In den vergangenen Jahren haben die meisten europäischen Wahlen kaum eindeutige Ergebnisse hervorgebracht, wie eine kleine Rundreise durch einige europäische Hauptstädte zeigt. Kopenhagen: Schon seit 2001 regiert in Dänemark keine Regierung mehr mit absoluter Mehrheit. Das konservativ-liberale Minderheitskabinett, erst unter Anders Fogh Rasmussen, jetzt unter Lars Løkke Rasmussen, stützt sich im Parlament auf die ausländerfeindliche Dänische Volkspartei. Stockholm: Die Reichstagswahl im September 2010 brachte der konservativen Vier-Parteien-Koalition zwar den Sieg über die rot-grün-rote Opposition. Dennoch verlor Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt seine absolute Mehrheit im Parlament, weil die rechtsextremen Schwedendemokraten erstmals in den Stockholmer Reichstag einzogen. Vorerst regiert Reinfeldt mit einem Minderheitskabinett weiter – für Schweden keine ganz ungewöhnliche Situation. Allerdings waren es bisher immer die Sozialdemokraten, die einer Minderheitsregierung vorstanden und mit wechselnden Partnern Mehrheiten im Parlament suchen mußten. Den Haag: Seit dem Jahr 2002 hat in den Niederlanden keine Regierung mehr das reguläre Ende der Wahlperiode erreicht. Gleichzeitig hat die Zersplitterung des Parlaments zugenommen: Bei der Wahl im Sommer 2010 erreichte die stärkste Kraft – die rechtsliberale VVD – gerade einmal 20,5 Prozent der Stimmen; die drei stärksten Parteien zusammen kommen nur noch auf 55 Prozent der Stimmen. Insgesamt sitzen in der Tweede Kamer zehn Parteien. Die Regierungsbildungen stellten die Holländer schon häufiger auf harte Geduldsproben, 2010 dauerte sie fast vier Monate. Am Ende kam zum ersten Mal seit 1918 eine Regierung ohne eigenständige Mehrheit ins Amt. Die liberal-christdemokratische Regierung unter Mark Rutte ist im Parlament von der

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islamophoben Partei Geert Wilders’ abhängig und verfügt selbst dann nur über eine Mehrheit von einer Stimme. Brüssel: Im südlichen Nachbarland war alles schon immer noch komplizierter. Dass Regierungsbildungen dort etwas länger dauern, ist das belgische Publikum bereits seit Jahren gewohnt. Dabei dominiert der Konflikt zwischen Flamen und Wallonen die politische Agenda, so dass es seit der Wahl im Mai 2010 noch immer nicht zu einer tragfähigen Regierungskonstellation gekommen ist. In Flandern hat die separatistische Nieuw-Vlaamse Alliantie die Wahl gewonnen, sie ist jedoch in der Wallonie ohne politischen Partner. Daneben stehen die vier Parteienfamilien (Sozialdemokraten, Christdemokraten, Liberale und Grüne), die jeweils einen flämischen und einen wallonischen Zweig besitzen. Es ist also keine einfache Angelegenheit, in solch einer Situation ein kohärentes Regierungsprogramm zu entwickeln, dass auch noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit für nötige Verfassungsänderungen zusammenbringt und den (flämischen) Wahlsieger in die Regierung holt. Madrid: Das spanische Parteiensystem ist eine interessante Mischung aus hoher Konzentration und gleichzeitiger Zersplitterung. Die sozialdemokratische PSOE und die konservative Volkspartei PP erhielten bei den Wahlen 2004 und 2008 zusammen deutlich über 80 Prozent der Stimmen. Das ist ein europäischer Rekordwert für die beiden größten Parteien eines Landes. Gleichwohl sitzen im Madrider Parlament zehn Parteien, wobei sechs von ihnen Regionalparteien sind. Seit mittlerweile fast sieben Jahren regiert die PSOE unter José Luis Zapatero, allerdings auch hier als Minderheitsregierung. Seit den neunziger Jahren haben sowohl die Volkspartei als auch die Sozialdemokraten ohne eigene Mehrheit im Parlament regiert – jeweils mit Unterstützung einer oder mehrerer Regionalparteien, was regelmäßig zur Ausweitung der Autonomie der Regionen geführt hat. Lissabon: In Portugal regieren seit 2005 die Sozialdemokraten. Nach den Parlamentswahlen im September 2009 kann sich Ministerpräsident José Sócrates nur noch auf eine Minderheitsregierung stützen – und dies in einer für das Land existenziell schwierigen wirtschaftlichen Situation. Die Sparmaßnahmen der Regierung konnten die Sozialdemokraten im Parlament nur mit Mühe durchsetzen. London: Großbritannien passt nicht ganz in diese Reihe. Nach den Unterhauswahlen im Mai 2010 musste Labour zwar die Downing Street räumen, doch auch die konservativen Tories konnten keine eigene Mehrheit im Parlament erringen. So kam es im Vereinigten Königreich zur ersten Koalitionsregierung seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Wie stabil die Regierung aus Konservativen und Liberaldemokraten ist, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Ähnlich wie in Deutschland 14

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thomas kralinski – im amt, aber an der macht?

mussten die Liberalen seit ihrem Regierungsantritt einen jähen Absturz in den Umfragen hinnehmen. Und allein die Tatsache, dass überhaupt eine Koalitionsregierung gebildet werden musste, zeigt, dass auch in Großbritannien traditionelle politische Muster ins Rutschen gekommen sind. Athen, Rom, Berlin: In allen drei Hauptstädten sind Regierungen im Amt, die bei den Wahlen zwar ordentliche Mehrheiten errungen haben, an deren innerer Stabilität jedoch erhebliche Zweifel bestehen. Am auffälligsten ist dies bei der Regierung Berlusconi, die in diesen Wochen ins Taumeln geraten ist. Die deutsche Regierung hat binnen weniger Monate so viel Kredit verspielt, dass die Opposition in den Umfragen mittlerweile mit 20 bis 25 Prozentpunkten vor den Regierungsparteien liegt und die Regierung im Bundesrat keine Mehrheit mehr besitzt. Und in Griechenland haben die Sozialisten die Wahlen im vergangenen Jahr zwar mit absoluter Mandatsmehrheit gewonnen, doch das Sanierungsprogramm der Regierung Papandreou ist so hart, dass keiner ganz sicher ist, ob die PASOK wirklich bis zu den nächsten regulären Wahlen durchhält. Die neue Verunsicherung der Demokratie Bei dieser Aufzählung fehlen osteuropäische Hauptstädte, obwohl diese doch bisher eher als Hort politischer Unsicherheiten galten. Doch 20 Jahre nach dem Ende des Kommunismus und fünf Jahre nach dem EU-Beitritt scheint sich der Osten Europas zu stabilisieren. In der letzten Zeit statteten die Wähler neue Regierungen mit ordentlichen Mehrheiten aus. In Ungarn regieren die Nationalkonservativen der FIDESZ mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit, in Polen wird wohl zum zweiten Mal seit 1989 eine Legislaturperiode zu Ende gebracht, in Tschechien wiederum endete im Sommer eine lange Phase der politischen Lähmung. Und selbst die Letten, die unter der Finanzkrise besonders stark leiden, wählten die Regierung wieder. Was also ist los in West-Europa? Bei allen unterschiedlichen politischen Traditionen, Konstellationen und dem jeweiligen politischen Personal: Ist tatsächlich ein gemeinsamer Trend erkennbar? Und gibt es einen Zusammenhang zu den jüngsten ökonomischen Friktionen? Zunächst einmal stehen alle Länder vor enormen wirtschaftlichen Herausforderungen. Die einen, wie Spanien, Portugal oder Griechenland, weil sie schlicht nicht wettbewerbsfähig genug sind. Andere, wie Großbritannien oder Irland, stehen vor dem Kollaps ihrer Bankensysteme. Und wieder andere, wie Deutschland oder Schweden, sind zwar bislang ganz ordentlich durch die Krise gekommen, tragen aber eine große Mitverantwortung (oder auch perspektive21

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Last), damit sich die Schuldenspirale über den Partnerländern in der EU nicht überdreht und die wirtschaftlichen Ungleichgewichte nicht noch größer werden. Dabei wird immer deutlicher, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise massive politische Folgekosten hat. Sie zeigen sich in den Schwierigkeiten, die alle Regierungen haben, politische Entscheidungen kommunizieren und bisweilen auch verwirklichen zu können. Denn die Regierungen stehen einer Bevölkerung gegenüber, die bis heute kaum verstanden hat, wie und warum der Euro in Gefahr geraten konnte, weshalb Griechenland gerettet werden musste und wieso die Weltwirtschaft immer noch am Abgrund steht und die Art unseres Wirtschaftens bedroht. Das geht einher mit gesellschaftlichen Ausdifferenzierungsprozessen, die sich in den vergangenen Jahren noch beschleunigt haben. Sie führen dazu, dass es den „guten alten Volksparteien“ immer weniger gelingt, breite soziale Schichten anzusprechen und deren Interessen zu vertreten. Parteiensysteme mit neurotischen Zügen Die Folgen sind kleiner werdende Großparteien und zunehmend ausdifferenzierte Parteiensysteme. Damit haben sich zwar, wie in Deutschland schön zu beobachten, die Koalitionsmöglichkeiten vervielfacht. Aber eben auch gleichzeitig die Blockade- und Vetomöglichkeiten. Man könnte auch sagen, dass die Parteiensysteme neurotische Züge bekommen haben, weil zwar viele Parteien im Parlament sitzen, aber längst nicht alle mit allen (regieren) können oder überhaupt Verantwortung tragen wollen. Das macht die Mehrheitsbildung kompliziert – und führt eben auch immer häufiger zu Minderheitsregierungen. Der gesellschaftliche Ausdifferenzierungsprozess trifft auch und gerade die sozialdemokratischen Parteien, die einstmals großen auf sozialen Ausgleich und Aufstieg orientierten Arbeiterparteien. Arbeiter alten Schlages gibt es kaum noch, und mit dem Aufstieg und Ausgleich ist es auch viel komplizierter geworden. Gerade auch die Schwäche der Sozialdemokraten hat in vielen Ländern zu komplizierten Mehrheitsverhältnissen geführt. Ganz offensichtlich ist dies in Schweden, Dänemark oder Holland, wo die Sozialdemokraten für die Regierungsbildung weder gebraucht werden noch überhaupt genügend Bündnispartner haben. Ähnlich stellt es sich in Deutschland und Großbritannien dar – wenngleich Regenerationsprozesse in der Opposition nach einer langen Regierungszeit gewiss nicht ungewöhnlich sind. Die Integrationsschwäche der Sozialdemokraten erleichtert rechtspopulistischen Parteien die Suche nach Sündenböcken. Die Wähler der so genannten 16

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Schwedendemokraten, der FPÖ, der Wilders-Partei, des Front National oder der dänischen Volkspartei waren noch vor kurzem klassische sozialdemokratische Stammklientel. Arbeiter, Hilfsarbeiter, Ungelernte haben das Vertrauen verloren in das klassische Aufstiegsversprechen – und den Glauben in die Wirksamkeit von Politik gleich mit. Neue Konzepte für gesellschaftliche Integration und sozialen Aufstieg zu entwickeln, ist deshalb die Grundvoraussetzung, um überhaupt neues Vertrauen in die Wirkungsmacht von Politik zu generieren. Eine Aufgabe, der sich alle europäischen Parteienfamilien stellen müssen – aber ganz besonders die Sozialdemokraten. Auch deshalb, weil die Sozialdemokratie in den meisten Ländern Konkurrenz von links bekommen hat. Sie ist damit quasi automatisch eine Kraft der Mitte geworden, die in viele Richtungen integrieren kann. Heute sieht es so aus, als hätte die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht nur einen Schock an den Börsen, sondern auch einen Verunsicherungsschub in den europäischen Demokratien ausgelöst. Und damit stehen die Demokratien an sich unter Rechtfertigungsdruck. Entscheidend ist also, wie es gelingt, die nötigen wirtschaftsund finanzpolitischen Maßnahmen mit einem neuen gesellschaftspolitischen Ansatz zu verbinden – und damit Gestaltungs- und Handlungsmacht der Politik zurückzugewinnen. Dann gibt es auch eine realistische Chance, das Gespenst der Unregierbarkeit wieder zu vertreiben. I

THOMAS KRALINSKI

ist Geschäftsführer der Brandenburger SPD-Landtagsfraktion und Chefredakteur der Zeitschrift Perspektive 21. perspektive21

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Die Krise als Zäsur DIE BEWÄLTIGUNG DER FINANZKRISE ERFORDERT MEHR ALS NUR DIE SANIERUNG DES BANKENSEKTORS VON PEER STEINBRÜCK

Die ökonomischen Auswirkungen der Turbulenzen an den Finanzmärkten mit den Übersprungeffekten auf die Realwirtschaft und den Arbeitsmarkt sind offensichtlich. Die weltweiten Wohlstandsverluste werden unterschiedlich eingeschätzt. Der niedrigste Wert, den ich gelesen habe, war 15 Billionen US-Dollar. Den weltweiten Abschreibungsbedarf in den Bilanzen der Banken hat der IWF auf 1,7 Billionen Dollar taxiert. Der britische Rechnungshof schätzte Ende 2009 die Stützungsmaßnahmen der zehn wichtigsten Industrieländer für ihre Banken auf 5 Billionen Euro, darunter die USA mit 2,5 Billionen Euro. In den USA sind allein im Jahr 2009 rund 140 Banken zusammengebrochen und von der Einlagensicherung FDIC geschlossen worden. Briten und Amerikaner haben in höchstem Pragmatismus etwas getan, was hierzulande von ordnungspolitischen Puristen revolutionären Umtrieben gleichgesetzt wird: Sie haben Banken verstaatlicht oder unter ihre Fittiche genommen. Die Staatsschulden der G20-Staaten steigen bis zum Jahr 2015 wahrscheinlich um fast 40 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist

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nach internationalen Berechnungsstandards in einigen Ländern wie den USA und Großbritannien stark (auf fast 10 beziehungsweise 8 Prozent) gestiegen, in Deutschland dank effektiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen sogar gesunken. Weite Teile der Welt pendeln zwischen kurzfristigen Deflationsängsten und mittelfristigen Inflationserwartungen. Zerstörerische Kraft Die Auswirkungen der Krise werden jedoch viel tiefer greifen und nachhaltiger sein, als die nackten Daten unmittelbar erkennen lassen. Wir haben es mit einer Schuldenkrise zu tun, die nicht nur ihren Ausgangspunkt in einer der höchstentwickelten Volkswirtschaften – den USA – nahm und von anderen entwickelten Industrieländern befeuert wurde, sondern deren zerstörerische Kraft auch weitgehend diesen Kreis der führenden Industrieländer betrifft. Das durchschnittliche Budgetdefizit der Industrieländer dürfte inzwischen bei über 7 Prozent, dasjenige der Schwellenländer bei unter 3 Prozent liegen. Daraus lässt sich die perspektive21

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thema – it’s the economy, stupid?

durchaus vertretbare These ableiten, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise das geopolitische Koordinatensystem verändern wird. Der Trend zu einer solchen Verschiebung im ökonomischen und politischen Kräftefeld war allerdings schon vor Beginn der Krise eingeleitet. Aber die Krise war und ist ein Treibsatz dieser Entwicklung. Europa hat nach dem Maastrichter Vertrag von 1992 den Sprung von einer Währungsunion zu einer politischen Union nicht vollzogen. Weil eine Koordination der Wirtschaftsund Finanzpolitik seiner Mitgliedsstaaten ausblieb, haben die Disparitäten innerhalb der Eurozone wie der EU insgesamt nicht ab-, sondern zugenommen. Über die Beitrittspolitik seit 1992, als die damalige Europäische Gemeinschaft noch aus zwölf Staaten bestand, ist dieses Europa inzwischen auf 27 Staaten, mit der Perspektive weiterer Aufnahmen, angewachsen, ohne dass es sich dafür die notwendigen institutionellen und verfahrenspolitischen Voraussetzungen geschaffen hat. Der Einsatz seiner finanziellen Mittel entspricht nicht den Prioritäten. Über die FinanzmarktreguIierung, die Konjunkturförderung, den Defizitabbau und den Einfluss auf die Geldpolitik der EZB gehen die Meinungen und Interessen deutlich auseinander. Statt von einer zündenden Idee über das Europa der Zukunft mitgerissen zu werden, sind die Bürger frustriert von 20

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einem Europa der bürokratischen Detailregelungen unter Verletzung des Subsidiaritätsprinzips. Unterschätzt wird, dass die Krise nicht nur ökonomische Kosten verursacht, sondern auch zahlreiche gesellschaftliche Implikationen hat. Wenn es stimmt, dass die Krise auch zu einem Umdenken geführt hat und die in manchen Etagen der Gesellschaft unverhohlen zum Ausdruck gebrachte „Bereichert euch!“-Mentalität tatsächlich im Schwinden begriffen ist – jedenfalls nicht mehr so offen und lautstark vertreten wird –, dann wäre das ein positiver Effekt.

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Vertrauen ist beschädigt Unzweifelhaft scheint mir indes, dass es eine tiefgehende Verstörung der Gesellschaft darüber gibt, was da in den letzten drei Jahren eigentlich passiert ist. Die These von der angeblich selbstregulierenden und zum Ausgleich tendierenden Kraft der Märkte ist falsifiziert worden. Exzesse, Spekulationen und sich selbst verstärkende Prozesse haben zwar nicht die Legitimation der Marktwirtschaft erschüttert. Aber das Vertrauen in dieses Ordnungssystem ist schwer beschädigt. Gleichzeitig sind die Erwartungen an eine ordnende und stabilisierende Hand des Staates beziehungsweise an die Koordinierungsfähigkeit souveräner Staaten, in interna-


peer steinbrück – die krise als zäsur

tionalen Organisationen ein Regelwerk zu erstellen und durchzusetzen, gewachsen. Das aber heißt: Antworten auf die Krise werden bei einer übergeordneten, demokratisch legitimierten Instanz gesucht. Gleichzeitig breitet sich aber der Eindruck aus, dass staatliche Instanzen und ihre Vertreter dazu nicht in der Lage sind, entweder, weil sie sich als handlungsunfähig erweisen – oder, weil der Taktstock längst nicht mehr in ihren Händen liegt. Eine entgrenzte, enthemmte Wirtschaftsmacht mit eigenen Gesetzmäßigkeiten scheint sich jeder politischen Kontrolle zu entziehen. Und hier erhebt sich die zentrale Frage nach dem Primat der Politik: Ist sie in der Lage, Einfluss zurückzugewinnen, oder unterliegen wir bereits unwiderruflich dem Primat der Ökonomie? Die Demokratie kommt über die gegenwärtige Krise in einen doppelten Stresstest. Sie muss einerseits den Bürgern erklären, dass das herkömmliche Wachstumsparadigma in der Folge der Krise gestört, ja prinzipiell in Frage gestellt sein könnte. Und sie ist den Bürgern auf der anderen Seite den Beweis schuldig, dass es nicht anonyme Wirtschaftskräfte und die Kalküle eines brutalen Finanzkapitalismus sind, welche den Weltenlauf und ihre persönlichen Lebensverhältnisse bestimmen, sondern dass demo-

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kratisch legitimierte Institutionen und deren Repräsentanten die Kraft und den Gestaltungswillen haben, das Ruder wieder in die Hand zu nehmen. Die vier Dimensionen der Krise – die Finanzmarktkrise, die Krise der Realwirtschaft, die Fiskalkrise, die sich zu einer Bedrohung ganzer Nationalstaaten ausweitet – haben sich (bisher) nicht zu einer Krise der Demokratie verdichtet. Aber der Stress und der Legitimationsdruck für die Demokratie nehmen zu. Wer trägt die Kosten? Dazu trägt nicht zuletzt die bisher ungelöste Frage bei, wer die Kosten der Krise zu tragen hat. Nachdem die Banken untereinander kein Vertrauen mehr hatten und sich das Vertrauen vom Staat in Form eines Rettungspakets von 500 Milliarden Euro allein in Deutschland leihen mussten, war es die Aufgabe der Politik, jedes Abgeordneten in seinem Wahlkreis und jedes Mitglieds der Bundesregierung vor den Mikrophonen, diesen einmalig hohen staatlichen Einsatz öffentlich zu erklären und zu vermitteln. Es kann dem Bürger nicht abverlangt werden, im Rahmen dieser gigantischen Summen Garantien, Eigenkapitalzuschüsse und Risikoübernahmen zu unterscheiden und dann auch noch zu verstehen, dass er auf seine berechtigte Frage, mit welchen Fälligkeiten, eventuellen Risiken perspektive21

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und tatsächlichen Belastungen für die Staatskasse – also für ihn als Steuerzahler – zu rechnen sei, keine einfachen Antworten bekommt. Kleben bleiben 500 Milliarden Euro, eine Summe, deren unendlich viele Nullen auf die eigene Lebensumgebung gespiegelt werden: auf die renovierungsbedürftige Schule der Kinder, die fehlende Umgehungsstraße zur Lärmminderung, den knappen Hartz-IV-Regelsatz, die ausgebliebene Rentenerhöhung, den abgewiesenen Betriebsmittelkredit für einen Handwerker oder die geschlossene Stadtbücherei. Die Erläuterung, warum der Bankensektor stabilisiert werden musste, konnte gelingen, weil sie den Stellenwert der Banken, die Versorgung von Wirtschaft und Gesellschaft mit dem Lebenssaft Geld oder Kapital zu beschreiben wusste. Vom Rentner seinen Rentenansprüchen über den Sparer mit seinen Anlagen, den Häuslebauer mit seiner Hypothek, den Arbeitnehmer mit den fremdfinanzierten, Arbeitsplätze schaffenden Investitionen seines Unternehmens bis hin zum Gewerbetreibenden mit seiner Kreditlinie – jeder konnte verstehen, dass ein stabiler und funktionsfähiger Finanzdienstleistungssektor von existenzieller Bedeutung ist und sich nicht für irgendwelche Experimente eignet, an deren Ende ein Herzinfarkt der Geld- und Kreditwirtschaft stehen kann.

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Das Verständnis der Bürger geht aber keineswegs so weit, dass sie bereit sind, auch noch die Lasten aus der Krise zu übernehmen. Sie haben den Eindruck, dass die staatlichen Hilfen nicht an die Geschädigten der Krise fließen, sondern an die Verursacher. Die Frage, ob es gelingt, das Bankensystem angemessen an den Folgekosten der Krise zu beteiligen, wird darüber entscheiden, ob die Politik Vertrauen zurückgewinnt. Über Instrumente kann man lange streiten. Ich fand und finde es einleuchtend, ausnahmslos jedes Finanzgeschäft so zu behandeln wie eine Handwerkerdienstleistung, nämlich mit einer Art Mehrwertsteuer zu belegen. Der kompliziertere Begriff dafür lautet Finanzmarkttransaktionssteuer. Wenn sich darüber, wie es aussieht, im G20-Kreis keine Einigkeit herstellen lässt und im Europa der 27 mit einer seit jeher spezifischen Position Großbritanniens ebenfalls kein Fortschritt zu erzielen ist, dann wird sich die deutsche Politik mit ihrem ganzen Gewicht auf die Eurozone konzentrieren und Verbündete für die Einführung einer solchen Steuer suchen müssen. Bleibt es bei dem jetzigen Zustand, der die Banken weitgehend – die in Rede stehende, umstrittene Bankenabgabe ist weder qualitativ noch quantitativ ein Ersatz – von den Kosten für die Aufräumarbeiten freistellt, und werden die ersten Gewährleistungen zu Lasten des Staats-


peer steinbrück – die krise als zäsur

haushalts mit Konsequenzen auf der Einnahme- und Ausgabenseite fällig, wird sich die gezügelte Empörung sowohl gegen „die“ Banken als auch „die“ Politik möglicherweise auch irrational entladen. Eine Krise des Denkens Einige Bankenmanager haben den Knall offenbar immer noch nicht gehört. In den Prämientöpfen der Großbanken der Wall Street sollen für 2009 etwa 120 bis 140 Milliarden US-Dollar auf ihre Ausschüttung an Mitarbeiter gewartet haben. Weil an der Wall Street, im Unterschied zu den meisten anderen Branchen, Bonuszahlungen nicht aus dem Gewinn gezahlt werden, sondern aus dem Umsatz, kann es passieren, dass Finanzinstitute selbst dann Prämien ausschütten, wenn sie Verluste erwirtschaften. Falls sich diese Praxis und die Geschäftspraktiken, die in die Finanzkrise geführt haben, nicht durch ein proaktives Handeln des Bankensystems selbst ändern, wird es zu einer Auflehnung von „Main Street“ gegen „Wall Street“ kommen, und zwar nicht nur in den USA, sondern auch unter den gemäßigteren Verhältnissen in Europa. Der Chef der britischen Finanzaufsicht, Lord Adair Turner, soll laut Spiegel gesagt haben, dass die Krise nicht nur eine Krise einzelner Banken

V.

sei, sondern eine Krise des Denkens. Unsere Vorstellung, dass Preise wichtige Informationen transportieren, dass Märkte sich rational verhalten und sich im Falle von Irrationalität selbst korrigieren, sei in Frage gestellt. Nur wer sich diese bitteren Wahrheiten zumute, werde bei der Suche nach Lösungen erfolgreich sein können. Das Geschehen auf den Finanzmärkten hat sich in der Tat längst von der Wirklichkeit realwirtschaftlicher Vorgänge gelöst. Der Nominalwert von außerbörslich gehandelten Derivaten ist Mitte 2009 wieder auf über 600 Billionen US-Dollar gestiegen. Das weltweite Handelsvolumen an den Finanzmärkten soll bei ungefähr 4.400 Billionen US-Dollar liegen und damit über 70-mal so groß sein wie die jährliche weltweite Wirtschaftsleistung. Bei solchen Abweichungen zwischen nominalen Geschäften auf den Finanzmärkten und der realen Wertschöpfung wird deutlich, dass es sich bei der gegenwärtigen Krise auch um eine Krise in den Köpfchen handelt. Der Beginn etwas Besseren Es geht um eine Richtungsänderung, durch die die Regeln und die Form unseres Wirtschaftens stärker auf gesellschaftliche Werte verpflichtet werden. Der Kampf gegen die Krise braucht mehr als nur die Hoffnung, darüber hinwegzukommen. Aus dieser perspektive21

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thema – it’s the economy, stupid?

Krise keine Lehren zu ziehen für die Zeit danach wäre nicht nur eine schreiende Dummheit, sondern auch blanker Zynismus gegenüber, denjenigen, die zu den Verlierern gehören. In einer neuen Orientierung versucht man zu begreifen, was schief gelaufen ist. Man versucht, so etwas wie einen Sinn im Scheitern zu erkennen. Es stellt sich die Frage, wozu das alles möglicherweise am Ende doch noch irgendwie gut sei, was wir durchleben. Der Sinn, den ich in diesem epochalen Ereignis sehe, ist die Erkenntnis des Irrsinns, der dazu geführt hat. Wenn die Zäsur eine Wende bewirkt zu einem nachhaltigeren Wirtschaften, zu einer größeren Verantwortungsbereitschaft von Eliten, zu einer Stärkung des politischen Mandats, zu einer Bändigung des Finanzkapitalismus durch Transparenz, Regierung und Aufsicht sowie zu einer stärkeren europäischen Aufstellung und einer stabileren Weltwirtschaftsordnung, dann ist das aktuelle Geschehen zwar immer noch sehr schmerzhaft, aber immerhin der Beginn von etwas Besserem. Weniger als das sollte eine Zäsur nicht bewirken. Und Deutschland? Das Wirtschaftsmodell Deutschland steht auf dem Prüfstand. Es fehlt an einem Konzept, wie die Republik angesichts ihrer Stärken, aber auch ihrer im rasanten Wandel unübersehbaren

VI. 24

dezember 2010 – heft 47

Schwächen das Niveau halten kann, das ihr in den vergangenen Jahrzehnten ein historisch einmaliges Maß an individueller Freiheit, ökonomischem Wohlstand und sozialem Ausgleich beschert hat. Wir gehen auf sehr wackligen Beinen in die Zukunft. Es ist Zeit für eine Agenda 2020. Wo die Arbeit von morgen ist Im Bundestagswahlkampf 2009 legte der SPD-Kanzlerkandidat FrankWalter Steinmeier ein Papier unter dem Titel „Die Arbeit von morgen – Politik für das nächste Jahrzehnt“ vor. Die Reaktion der politischen Konkurrenz war höhnisch bis abfällig. Die meisten von ihnen hatten nicht einmal eine Zusammenfassung gelesen. Das 67-seitige Papier mag wahlkampfuntauglich gewesen sein. Ich grabe es wieder aus, weil es mehr als der bloße Versuch war, von einem Standort im Sommer 2009 einen Weg in das nächste Jahrzehnt zu beschreiben. Das Papier befasst sich in acht Punkten mit einer Modernisierung des Produktionsstandortes Deutschland, dem Entwicklungspotential der Gesundheits- und Kreativitätswirtschaft als Wirtschaftsfaktoren wie auch als Treiber gesellschaftlicher Prozesse, der Stärkung der Binnennachfrage durch eine gerechte Einkommensverteilung und öffentliche Investitionen, der Schlüsselkategorie Bildung, der Revitalisierung der sozia-


peer steinbrück – die krise als zäsur

len Marktwirtschaft, der Gleichberechtigung von Frauen auch in Führungspositionen, dem Ausbau moderner und intelligenter Netze in den Bereichen Kommunikation, Energie und Verkehr

sowie abschließend mit der Regelung der Finanzmärkte. Das sind acht Felder, auf denen sich Zukunft in Deutschland ergibt – oder gestaltet wird. I

PEER STEINBRÜCK

war von 2005 bis 2009 Bundesfinanzminister und stellvertretender Vorsitzender der SPD. perspektive21

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thema – it’s the economy, stupid?

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dezember 2010 – heft 47


Auf der Suche nach neuen Lösungen DIE OSTDEUTSCHE WIRTSCHAFT NACH DER FINANZ- UND WIRTSCHAFTSKRISE VON JOACHIM RAGNITZ

aum zwei Jahre ist es her, dass die Welt aus den Fugen zu geraten schien. Das Weltfinanzsystem war ins Straucheln geraten und zog auch die Realwirtschaft in den Strudel hinein; ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in den Ländern der europäischen Union um 4,2 Prozent im Jahr 2009 war die Folge. Um Schlimmeres abzuwenden, hat die Politik allerorten beherzte Gegenmaßnahmen ergriffen und insbesondere durch kreditfinanzierte Ausgabenprogramme den Ausfall privater Nachfrage zu kompensieren versucht.

K

Im Untergrund gärt es noch Auch wenn es im Untergrund noch immer gärt, weder die Ursachen der Finanzkrise behoben noch all ihre Folgen bewältigt sind, befindet sich die Weltwirtschaft inzwischen in einem kräftigen Konjunkturaufschwung. Dies gilt insbesondere auch für Deutschland, wo das Wirtschaftswachstum im Jahr 2010 die 4-Prozent-Marke nur knapp

verfehlte. Auch die Arbeitslosigkeit geht deutlich zurück und unterschreitet inzwischen sogar das Vorkrisen-Niveau. Also alles wieder gut? Schon im gesamtdeutschen Rahmen kann hiervon keine Rede sein: Der aktuelle Konjunkturaufschwung ist maßgeblich getrieben durch das Fortwirken der expansiven Politik der Jahre 2008/2009, und eine Abschwächung im Jahr 2011 ist sehr wahrscheinlich. Auch darf nicht übersehen werden, dass das Vorkrisenniveau beim Bruttoinlandsprodukt noch nicht wieder erreicht ist. Und nicht zu verkennen ist, dass sich durch die massiven öffentlichen Hilfen für Unternehmen und Banken ein erheblicher Konsolidierungsdruck aufgebaut hat, der in den kommenden Jahren zu einer Einschränkung der öffentlichen Ausgaben und damit zu einer zusätzlichen Dämpfung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung führen wird. Die Entspannung am Arbeitsmarkt dürfte sich zwar fortsetzen; stattdessen rückt aber das Problem zunehmender Fachkräfteperspektive21

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thema – it’s the economy, stupid?

knappheiten aufgrund der demografischen Entwicklung in den Vordergrund. All dies lässt die weiteren Zukunftsaussichten für die deutsche Wirtschaft in einem weniger rosigen Licht erscheinen als es der Öffentlichkeit häufig suggeriert wird. Geringerer Absturz Genaueres Hinsehen offenbart zudem, dass die regionalwirtschaftlichen Ungleichgewichte in Deutschland – insbesondere der Abstand der Wirtschaftskraft zwischen Ost- und Westdeutschland – auch nach der Krise fortbestehen. Ostdeutschland war von den rezessiven Tendenzen der Jahre 2008/2009 zwar weniger stark betroffen als die westdeutschen Länder, doch hat dies allein mit den spezifischen Wirtschaftsstrukturen in den neuen Ländern zu tun: Die Nachfragerückgänge trafen vor allem die Industrie und hier wiederum vor allem die stark im Export engagierten Unternehmen, so dass Ostdeutschland wegen des geringeren Anteils der Industrie an der Gesamtwirtschaft und der im ganzen schwächeren Exportorientierung in der Krise zunächst begünstigt war. Tatsächlich lag die Veränderungsrate des Bruttoinlandsprodukts in den ostdeutschen Ländern insgesamt im Jahr 2009 nur bei -2,9 Prozent. Dabei waren die stärker industrialisierten Länder Sachsen-Anhalt (-4,7 Prozent) und 28

dezember 2010 – heft 47

Thüringen (-4,3 Prozent) stärker betroffen als die eher ländlich geprägten Länder Brandenburg (-2,1 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (-2,3 Prozent). Die Berliner Wirtschaft mit ihrem hohen Dienstleistungsanteil kam sogar nahezu unbeschadet durch die Krise (-0,7 Prozent). Verglichen mit Bundesländern wie dem Saarland (-7,9 Prozent) oder Baden-Württemberg (-7,4 Prozent) waren die direkten Auswirkungen der konjunkturellen Abschwächung also gering. Der Abstand bleibt Genau diese strukturellen Besonderheiten verhindern allerdings auch, dass das Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland im aktuellen konjunkturellen Aufschwung im Gleichklang mit der gesamtdeutschen Entwicklung zunehmen kann, denn die Wachstumsdynamik wird derzeit vor allem von der Industrie und hier insbesondere von den exportorientierten Zweigen getragen. Selbst eine Verlagerung der Auftriebskräfte auf die Binnennachfrage – Konsum und Investitionen – dürfte der ostdeutschen Wirtschaft nicht viel nützen, weil insbesondere in der Industrie eher vorleistungsorientierte Wirtschaftszweige dominieren. Der Abstand der Wirtschaftskraft gegenüber dem westdeutschen Durchschnittswert dürfte sich also weiterhin in einer Größenordnung von 30 Pro-


joachim ragnitz – auf der suche nach neuen lösungen

zent (Bruttoinlandsprodukt je Einwohner) bzw. 20 Prozent (Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen) bewegen. Was im Osten fehlt Dies ist mehr, als mit gängigen Vorstellungen über die „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ vereinbar scheint. Natürlich ist „Gleichwertigkeit“ nicht mit „Einheitlichkeit“ zu verwechseln. Ein ausreichend hohes Einkommensniveau ist aber nicht nur erforderlich, um gesamtdeutsche Standards bei der öffentlichen Daseinsvorsorge auch bei stark rückläufiger Bevölkerung finanzieren zu können, sondern auch notwendig, um die Abwanderung gerade jüngerer und gut qualifizierter Erwerbspersonen zu verhindern. Letzteres kann nämlich dazu führen, dass sich Rückstände in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verhärten, weil Unternehmen nicht die benötigten Fachkräfte in Ostdeutschland finden können und sich letzten Endes eine Wirtschaftsstruktur herausbildet, die geprägt ist durch eher einfache, wenig wertschöpfungsintensive Produktionen. In vielen Regionen Ostdeutschlands ist genau dies bereits festzustellen: Es fehlt an Unternehmenshauptsitzen mit entsprechenden betrieblichen Funktionen (wie Forschung und Entwicklung), ein anspruchsvolles Dienstleistungsangebot gibt es nur in Ansätzen, und

die meisten Unternehmen sind viel zu klein, als dass sie Marktchancen auf überregionalen oder gar internationalen Märkten wahrnehmen könnten. All dies wirkt sich nicht nur nachteilig auf das durchschnittliche Produktivitätsniveau in der ostdeutschen Wirtschaft aus, sondern verringert auch die Chancen auf ein höheres Lohn- und Einkommensniveau. Es ist leicht erkennbar, dass dies in einzelnen Regionen zu kumulativen Abwärtsspiralen führen kann. Die Probleme bleiben Hinzu kommt, dass nach wie vor etwa ein Fünftel der ostdeutschen Wirtschaftsleistung auf öffentlichen Transferleistungen beruht. Diese werden in den kommenden Jahren zunehmend zurückgeführt: So ist der Solidarpakt II bis 2019 befristet, die Leistungen im Länderfinanzausgleich sind direkt an die Einwohnerzahl der Empfängerländer gekoppelt, und in der Rentenversicherung sind rückläufige Transfers aufgrund der niedrigeren Rentenansprüche kommender Rentnergenerationen zu erwarten. Zudem werden weite Teile Ostdeutschlands künftig nicht mehr bevorzugte Zielregionen der EU-Strukturfondsförderung sein. All das dämpft die wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven zusätzlich, und zwar sowohl angebotsals auch nachfrageseitig. Und selbst perspektive21

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thema – it’s the economy, stupid?

wenn man dies als eine Art von „Normalisierung“ wohl akzeptieren muss (und sowohl eine dauerhafte Subventionierung der Unternehmen als auch eine fortgesetzte Alimentierung der Nachfrage in Ostdeutschland schwerwiegende Anreizprobleme mit sich bringt), darf man die kurzfristig zu erwartenden negativen Auswirkungen doch nicht verleugnen. Die Wirtschaftskrise hat die fortbestehenden regionalwirtschaftlichen Probleme in Deutschland eine Zeitlang in den Hintergrund rücken lassen – gelöst sind sie deswegen noch nicht. Dass sich der Bund nur noch wenig um Ostdeutschland kümmert, mag man dabei noch hinnehmen, da für die Bundespolitik die gesamtdeutschen Aufgaben im Vordergrund stehen müssen. Allerdings sollte geprüft werden, inwieweit ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen, die für ganz Deutschland gelten, in jedem Einzelfall auch den Bedürfnissen strukturschwacher Regionen (in Ost- und in Westdeutschland) gerecht werden. Das meiste ist schon erprobt Problematischer aber ist: Auch den ostdeutschen Ländern als den eigentlich Betroffenen scheint es an Phantasie zu fehlen, wie mit den bestehenden Herausforderungen umzugehen ist. Zwar ist zuzugestehen, dass es zunehmend schwer fällt, geeignete politische An30

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satzpunkte zu benennen: alle vorstellbaren Politikmöglichkeiten scheinen in der einen oder anderen Weise bereits erprobt worden zu sein. Es mag aber auch sein, dass der Leidensdruck in der Vergangenheit noch nicht groß genug war, nach innovativen Lösungen zu suchen, insbesondere weil die bisherige Finanzausstattung noch vergleichsweise großzügig bemessen und ein mögliches Aufbegehren der Bevölkerung bislang nicht festzustellen war. Bescheidenheit üben Oder auch: Weil sich die Politik zuweilen selbst im Wege steht. So könnte beispielsweise eine regional stärker differenzierte Ausgestaltung wirtschaftsrelevanter Rechtsvorschriften die Attrahierung von Investoren erleichtern (was aber der „Einheitlichkeit des Rechtssystems“ entgegensteht); eine verstärkte Förderung der Agglomerationsräume könnte diese zu echten „Wachstumspolen“ entwickeln (was aber der gängigen Interpretation des Grundsatzes gleichwertiger Lebensverhältnisse widerspricht); eine stärkere Finanzierung regionaler Initiativen durch die Landespolitik könnte zu einer Mobilisierung der Akteure vor Ort beitragen (was aber häufig am Misstrauen gegenüber deren fachlichen Kompetenzen scheitert); ein klares Bekenntnis zu (regional und fachlich) integrierten Politikkonzepten könnte


joachim ragnitz – auf der suche nach neuen lösungen

dazu beitragen, Ressortdenken und Wettbewerbsängste zu überwinden, und ähnliches mehr. Und es bedarf der Einsicht, dass die Politik letzten Endes „gegen den Markt“ (und das heißt in diesem Fall: gegen den internationalen Wettbewerb) nur wenig auszurichten vermag. Auch bloße Forderungen nach „mehr Geld“ sind nicht hilfreich, solange nicht klar ist, wie die Finanzierung erfolgen und welche Maßnahmen damit überhaupt finanziert werden sollen. Letzten Endes bedarf es des Eingeständnisses: Auch wenn beim „Aufbau Ost“ viel erreicht wurde, ist die wirtschaftliche (und gesell-

schaftliche) Entwicklung in den neuen Ländern kein Selbstläufer, der bis zum Auslaufen des Solidarpaktes II quasi automatisch zu einem befriedigenden Ergebnis führen wird. In gleicher Weise muss die Politik aber auch bereit sein, Bescheidenheit zu üben; manche Entwicklungen entziehen sich ihres Einflusses. Nur wenn sie bereit ist dies zuzugeben, besteht auch die Möglichkeit, sukzessive nach neuartigen Lösungen zu suchen und diese auch umzusetzen. Ansonsten ist zu befürchten, dass die regionalen Disparitäten in Deutschland im Jahr 2020 eher noch größer als heute sein werden. I

DR. JOACHIM RAGNITZ arbeitet am ifo Institut für Wirtschaftsforschung in Dresden. perspektive21

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thema – it’s the economy, stupid?

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dezember 2010 – heft 47


michael göbel – anstoß für mehr

Anstoß für mehr EINE ZWISCHENBILANZ DER NEU AUSGERICHTETEN BRANDENBURGER FÖRDERPOLITIK AUF REGIONALE WACHSTUMSKERNE VON MICHAEL GÖBEL

m Rahmen der Neuausrichtung der Förderpolitik unter dem Motto „Stärken stärken“ hat das Land Brandenburg im November 2005 15 so genannte Regionale Wachstumskerne (RWK) ausgewiesen. Es handelt sich dabei um Standorte, die über besondere wirtschaftliche bzw. wissenschaftliche Potenziale sowie über eine Mindesteinwohnerzahl verfügen. Neben

dieser regionalen Neuausrichtung der Förderpolitik wurde eine sektorale Komponente mit den 16 Branchenkompetenzfeldern eingeführt. Die 15 RWK umfassen 10 Prozent der Fläche des Landes Brandenburg, vereinen gut ein Drittel der Bevölkerung Brandenburgs auf sich und bieten knapp die Hälfte der Arbeitsplätze des Landes an.

I

Regionale Wachstumskerne Regionale Wachstumskerne

Prignitz

P

Schwedt/Oder

P

P

Eberswalde O-H-V

P

P

Potsdam

Brandenburg an der Havel

P

P

Neuruppin

P

Fürstenwalde/ Spree

P

P P P

P

Ludwigs- Schönefelder felde Kreuz Frankfurt (Oder) Eisenhüttenstadt Luckenwalde Regionaler Wachstumskern* Cottbus

Name der Prignitz Regionalen Wachstumskerne * gemäß Kabinettbeschluss vom November 2005

Westlausitz

P

P P

Spremberg

O-H-V Oranienburg Hennigsdorf Velten Prignitz O-H-V Perleberg Oranienburg Wittenberge Hennigsdorf Karstädt Velten Westlausitz Prignitz Finsterwalde Perleberg Großräschen WittenbergeLauchhammer Karstädt Schwarzheide Westlausitz Senftenberg Finsterwalde Schönefelder Kreuz Großräschen Königs Wusterhausen Lauchhammer Wildau Schwarzheide Schönefeld Senftenberg Schönefelder Kreuz Königs Wusterhausen Wildau Schönefeld LBV, Raumbeobachtung | 2010

LBV, Raumbeobachtung | 2010

perspektive21

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thema – it’s the economy, stupid?

Die Neuausrichtung der Förderpolitik auf regionale Wachstumskerne soll dazu beitragen: die Schaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen und damit die Abwanderung zu verringern, die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit in Brandenburg dadurch besser zu bekämpfen, dass den hier ansässigen oder ansiedlungswilligen Unternehmen passgenauere Investitionsbedingungen und attraktivere Standorte angeboten werden, die bereits seit 2007 rückläufigen Mittel des Landes (unter anderem durch zurückgehende EU-Mittel

I

I

I

und Bundeszuweisungen) effizienter einzusetzen. Darüber hinaus sollen die Wachstumskerne eine Motorfunktion für ihre Region erfüllen und in ihr Umland ausstrahlen. Der Prozess der Neuausrichtung der Förderpolitik wird von einer Interministeriellen Arbeitsgruppe „Integrierte Standortentwicklung“ (IMAG) begleitet und durch die Staatskanzlei federführend koordiniert. Die folgende Abbildung gibt einen stark vereinfachten Überblick über den zeitlichen Ablauf und die Meilensteine der Neuausrichtung der Förderpolitik auf RWK.

Meilensteine der neu ausgerichteten Förderpolitik

2004 Auftrag IMAG Entwicklung regionaler Förderstrategie

14.12.2004

2005

2006

2. IMAG Bericht Festlegung RWK und erste Sofortmaßnahmen

22.11.2005

1.1.2006

April 2005

23.11.2005

1. IMAG Bericht Festlegung BKF + BSO

Auftrag RWK: Entwicklung von SEK

2007

3. IMAG Bericht Kabinettbeschluss: prioritäre Maßnahmen

Neuausrichtung: GA-I auf RWK, GA-G auf BKF

12.9.2006

Sofortmaßnahmen

6. IMAG Bericht

19.6.2007

18.12.2007

Ende Prozessevaluierung Prognos

Internetportal

8. IMAG Bericht

Oktober 2008

Feb 2009

15.12.2009

dezember 2010 – heft 47

Gespräche RWK / IMAG und Vorbereitung 9. IMAG Bericht Sep./Okt. 2010

2.12.2008

Oktober 2009

Dezember 2010

4. IMAG Bericht Kabinettbeschluss: prioritäre Maßnahmen

Beginn Prozessevaluierung Prognos

7. IMAG Bericht

Beginn Ergebnisevaluation Regionomica

Endbericht Evaluation

26

15

24

prioritäre Maßnahmen

133 Sofortmaßnahmen und prioritäre Maßnahmen, davon 21 bis Oktober 2009 abgeschlossen

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2010

August 2007

17

27

5. IMAG Bericht

2009

5.12.2006

Juni/Juli 2006 Beginn Gesprächsrunden RWK, IMAG Prognos

2008

24


michael göbel – anstoß für mehr

Der Landtag hatte die Landesregierung mit Beschluss vom 24. Januar 2008 aufgefordert, eine RWK-Wirkungs- und Statusevaluierung im Jahr 2010 vorzubereiten, mit der eine Entscheidung vorbereitet werden soll, welche Städte oder Städteverbünde den RWK-Status behalten bzw. erhalten. Betrachtet werden sollen dabei auch erfolgreiche Standorte außerhalb der zurzeit definierten regionalen Wachstumskerne. Mit dieser Evaluation wurde Ende Oktober 2009 die Regionomica GmbH in Kooperation mit der Ernst Basler + Partner GmbH beauftragt.

Analyse der RWK sowie der Kommunen außerhalb der RWK mit 15.000 und mehr Einwohnern die Erarbeitung so genannter RWK-Profile für jeden regionalen Wachstumskern und insbesondere umfassende Fachgespräche in den RWK. Mittlerweile liegen zwei Zwischenberichte vor, die über die Internetseite der Staatskanzlei auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sind.1 Aus Sicht der Gutachter sind die folgenden Zwischenergebnisse besonders erwähnenswert. Effekte mit Verzögerung

Im Mittelpunkt der Evaluation stehen drei Untersuchungsfelder: I

I

I

sozioökonomische Ausgangslage und Entwicklung in den einzelnen RWK (Indikatorenanalyse), Bestandsaufnahme und Zwischenbilanz zu Ergebnissen der Neuausrichtung der Förderpolitik auf RWK, soziökonomische Ausgangslage und Entwicklung von Brandenburger Standorten außerhalb der RWK (Indikatorenanalyse).

Die Evaluationsuntersuchung erfolgt in zwei Phasen und basierte auf insgesamt 15 Arbeits- und Teilarbeitsschritten. Methodische Schwerpunkte sind neben der Zusammenstellung und Auswertungen der Unterlagen und Statistiken für die sozioökonomische

Die neue Förderpolitik läuft jetzt seit etwas mehr als fünf Jahren – und ist damit insgesamt noch relativ jung. So wurden seit Beginn der Neuausrichtung der Förderpolitik insgesamt 27 Sofortmaßnahmen und 106 prioritäre Maßnahmen für die regionalen Wachstumskerne angestoßen bzw. durch die Landesregierung genehmigt. Bis Ende Oktober 2009 waren 21 Projekte abgeschlossen. Bis zum Ende der Evaluation zum Jahresende 2010 werden voraussichtlich 36 Projekte, das sind knapp 30 Prozent, tatsächlich abgeschlossen sein. Fast die Hälfte der Maßnahmen bezieht sich auf eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur. Weitere Schwer1 www.stk.brandenburg.de

perspektive21

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thema – it’s the economy, stupid?

punkte sind die Bildungs- und Forschungsinfrastruktur, die städtische Infrastruktur, die Kultur und der Tourismus, die Kooperation mit dem Umland, die Wirtschaftsförderung, die Entwicklung von Gewerbeflächen sowie die Fachkräftesicherung. Bei der Mehrzahl der Projekte handelt es sich um Investitions- und Bauprojekte, bei denen nach der Fertigstellung erst mit weiteren Verzögerungen die tatsächlichen Wirkungen und Effekte ersichtlich werden. Sehr hohes Engagement Die RWK-spezifischen Strategien, Maßnahmebündel und Aktivitäten der RWK selbst verdeutlichen die Differenziertheit aller Wachstumskerne. Die bisherige Datenauswertung zeigt, dass eine enge Korrelation zwischen der Lage der RWK im Raum und der sozioökonomischen Entwicklung unterstellt werden kann und nachvollziehbar ist. Die Maßnahmenableitung in den RWK hängt sehr stark von den örtlichen und regionalen Gegebenheiten, dem wirtschaftlichen Profil und der bereits in der Vergangenheit eingeschlagenen Infrastrukturentwicklung ab. Diese genannten Faktoren erschweren gleichzeitig eine „vergleichende“ Evaluation. Alle Wachstumskerne nehmen den RWK-Status und den Prozess selbst sehr ernst und zeigten bisher ein hohes 36

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Engagement. Dies betrifft sowohl die „berlinfernen“, als auch die eher „berlinnahen“ und entwicklungsbegünstigten RWK. Dabei ist allerdings auch anzumerken, dass teilweise kleinere und/oder „berlinferne“ Wachstumskerne dem RWK-Prozess ein größeres Gewicht einräumen, als solche die gleichzeitig auch noch auf andere Entwicklungsfaktoren und -potenziale zurückgreifen können. Der Prozess der Neuausrichtung der Förderpolitik auf regionale Wachstumskerne ist jetzt erst richtig angelaufen und muss in den kommenden Jahren nachweisbare und belastbare Wirkungen zeigen. Die begrenzte Anzahl an abgeschlossenen Maßnahmen spiegelt diesen frühen Stand des Prozesses deutlich wider. Zum einen handelt es sich bei vielen Projekten um langfristige Maßnahmen und zum anderen benötigen viele der komplexen Maßnahmen eine entsprechende Planungs- und Vorbereitungsphase. Dementsprechend können zum jetzigen Zeitpunkt auch nur begrenzte unmittelbare Wirkungen festgestellt werden. Effekte schwer zu isolieren Die unmissverständliche Diskussion der Maßnahmen in den Wachstumskernen selbst und die Reflektion der sozioökonomischen Entwicklung machen sehr deutlich, dass unmittel-


michael göbel – anstoß für mehr

bare RWK-Effekte nur bedingt zu identifizieren und von anderen überlagernden Entwicklungen zu trennen sind. So zeigt sich beispielsweise ab 2005 in ganz Brandenburg eine deutliche konjunkturelle Verbesserung, in deren Folge viele Wirtschaftsindikatoren anziehen. Gleichwohl partizipieren im Durchschnitt die Wachstumskerne etwas stärker von dieser positiven Entwicklung, es kann aber letztendlich kein direkter Zusammenhang zwischen dem RWK-Status und dieser überdurchschnittlichen Entwicklung hergestellt werden. Größere Stabilität Die sich allgemein ab 2005 abzeichnende konjunkturelle Erholung fällt zusammen mit dem Beginn des RWKProzesses. Besonders aussagekräftige Indikatoren wie die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten oder beispielsweise der Wanderungssaldo entwickeln sich in den Wachstumskernen leicht besser als im Landesdurchschnitt. Eine langfristige Betrachtung dieser Indikatoren deutet auf eine allgemeine Stabilisierung in den meisten RWK hin. Vor diesem Hintergrund kann man zwar nicht von einer auslösenden Funktion, aber gleichwohl von einer unterstützenden Funktion des RWK-Status für die Entwicklung in den jeweiligen Wachstumskernen sprechen. Insbesondere in den eher lagebe-

nachteiligten RWK wird diese Stabilisierungsfunktion des Status als regionaler Wachstumskern gesehen. Nach dieser allgemeinen Stabilisierungsphase, mit zunehmender Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen sowie der weiteren Aktivitäten der Wachstumskerne und mit einer Fortführung der Konzentration der Aktivitäten und Förderung auf die „starken Standorte“ sollten künftig auch deutlichere und eindeutig zuzuordnende Wachstumsimpulse in den RWK (und ihrem Umland) spürbar werden. Das in den Wachstumskernen von den Gutachtern bisher festgestellte Aktivitätsniveau deutet darauf hin. Eine isolierte Betrachtung der beschlossenen Maßnahmen gibt nur ein sehr eingeschränktes Bild wieder. Vielfach waren sie Teil eines größeren Gesamtprojektes. Die beschlossenen Maßnahmen stellen somit nur einen Ausschnitt dar. In einigen Fällen bilden sie sogar den Anstoß für eine weitergehende Entwicklung und ermöglichten erst die Gesamtprojekte. An anderen Beispielen wird bei einer Gesamtbetrachtung auch das Zusammenwirken von Landespolitik, RWKAktivitäten und wirtschaftlichem Engagement privater Akteure deutlich. Fördermittel aus mehreren „Fördertöpfen“ fließen dann in die Projekte. Hier die Wirkungen auf einzelne Teile oder Teilmaßnahmen herunterzubrechen, fällt naturgemäß schwer. perspektive21

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thema – it’s the economy, stupid?

Erst durch das Zusammenwirken von beschlossenen Maßnahmen und weiteren Aktivitäten der regionalen Wachstumskerne wird der gemeinsame Entwicklungsprozess bestimmt. Diese Gesamtportfolios in den RWK sind im Prozess breiter geworden. Es werden mehr Handlungsfelder „bespielt“, wobei RWK-spezifische Handlungsbedarfe, -potenziale und -strategien zum Ausdruck kommen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass es weder Musterstrategien noch -portfolios gibt. Neue Qualitäten Eindeutig, und von allen Wachstumskernen bestätigt, wurden die Auswirkungen des RWK-Status und die damit verbundenen Anforderungen auf die strategische Ausrichtung der Städte und Städteverbünde. Zwar lagen in vielen RWK-Städten schon Entwicklungskonzepte für die verschiedensten Bereiche vor, aber mit dem RWK-Status wurde eine neue Qualität erreicht. Die Wachstumskerne waren „gezwungen“, sich über die zukünftige Entwicklung Gedanken zu machen und zugleich eine Priorisierung der dafür notwendigen Maßnahmen und Aktivitäten vorzunehmen. Damit ist eine neue analytische und strategische Qualitätsstufe erreicht worden. Dies gilt sinngemäß und verstärkt in der jüngsten Vergangenheit auch für die Kooperation mit und die Ausstrahlung auf das weitere Umland. 38

dezember 2010 – heft 47

Durch den RWK-Prozess selbst und durch die bei den Mehrlingen notwendige Zusammenarbeit, aber auch durch die bei den anderen RWK notwendige Ausstrahlung auf ihr Umland, haben die regionale und interkommunale Kooperation einen deutlichen Schub erfahren. Aus Gutachtersicht fällt bisher auf, dass insbesondere die RWKMehrlinge neben den projektbezogenen Effekten sehr stark die sich aus der notwendigen verstärkten Abstimmung und Kooperation ergebenden Effekte positiv hervorheben und hier auch einen deutlichen Mehrwert des Prozesses sehen. Erfahrungsgemäß kommen solche Kooperationen allein auf Basis einer „freiwilligen“ Zusammenarbeit und ohne Förderanreize nur sehr schwer zustande oder halten sich nicht lange. Diesbezügliche Erfahrungen liegen in anderen Bundesländern zur Genüge vor. Von daher wurde mit dem RWK-Prozess eine notwendige Entwicklung angestoßen und forciert, die vielleicht zu Beginn des Prozesses in dieser Form nicht absehbar war. Offensive Zusammenarbeit Auch bei der Umlandkooperation ist ein sehr breites Spektrum entsprechend der sehr unterschiedlichen Ausgangslagen festzustellen. Sowohl bei den „einzelnen“ Wachstumskernen als auch bei den Mehrlingen ist die Umlandkooperation stärker geworden, sie reicht


michael göbel – anstoß für mehr

von der Abstimmung zu Gewerbeverlagerungen in benachbarte Gewerbegebiete bis zur gemeinsamen Wirtschaftsförderung mit Umlandkommunen. Der Beginn des Prozesses gestaltete sich für die Wachstumskerne und für alle Akteure schwierig. Erklärungsbedürftig waren der Status, der Prozess und auch die damit verbundenen Anforderungen. Diese Anfangsschwierigkeiten sind aus Gutachtersicht bei den RWK-Verantwortlichen, den Verwaltungen und auch zunehmend den strukturbestimmenden Unternehmen überwunden. In der Öffentlichkeit ist der Prozess zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in der Breite angekommen, wie es eventuell wünschenswert wäre. Die Wachstumskerne selbst nutzen den RWK-Status verstärkt und immer offensiver für ihr eigenes Marketing und stellen sich als „Premium-Standorte“ des Landes dar. Schließlich und endlich wird das Fachkräftethema in allen Wachstums-

kernen als der zentrale Engpass in der weiteren RWK-Entwicklung wahrgenommen. Die Wachstumskerne sehen hier insbesondere im Übergangsbereich von Schule zur Wirtschaft noch weiteren Verbesserungsbedarf im Schulbereich. Auch wird der eher regionale, wenn nicht sogar überregionale Charakter der notwendigen Maßnahmen unterstrichen. Kleinteilige Maßnahmen in einzelnen Kommunen sind eher weniger hilfreich, wenn nicht sogar kontraproduktiv. Es mehren sich in vielen Wachstumskernen auch die Anzeichen, dass künftig ein immer höherer Anteil an Fachkräften von außen angeworben werden muss, da das vorhandene lokale und regionale Arbeits- und Qualifizierungspotenzial begrenzt ist. Dementsprechend spielt die weitere Attraktivierung der regionalen Wachstumskerne als Lebensort vermutlich eine immer stärkere Rolle im Wettbewerb um Fachkräfte. I

DR. MICHAEL GÖBEL ist Ökonom und Geschäftsführer von Regionomica Deutschland. perspektive21

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thema – it’s the economy, stupid?

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Geld ist nicht alles ÜBER DIE LAGE DER OSTDEUTSCHEN UNTERNEHMEN NACH DER KRISE, FEHLENDE FACHKRÄFTE UND BETRIEBSRÄTE SPRACH THOMAS KRALINSKI MIT INGO SINGE UND CHRISTOPH THIEME PERSPEKTIVE 21: Wie sieht die Wettbe-

werbssituation der kleinen und mittleren ostdeutschen Unternehmen 20 Jahre nach der Vereinigung aus? CHRISTOPH THIEME: Bei aller Vorsicht und gebotener Differenzierung kann man durchaus sagen, dass die Situation in einem Großteil der ostdeutschen Unternehmen nicht schlecht ist. Viele der Unternehmen, die den nicht immer einfachen Weg der letzten zehn bis 15 Jahre bewältigen konnten, haben ihre Marktnische gefunden, haben stabile Kunden- und Zulieferbeziehungen etabliert und sind in funktionierende Netzwerke eingebunden. Wenn wir noch bis vor fünf Jahren von einer Konsolidierung vieler ostdeutscher Unternehmen gesprochen haben, so befinden sich heute viele Unternehmen in einer Phase der Expansion. Sie versuchen aus den Nischen heraus zu kommen, neue Kunden zu gewinnen und neue, regionale wie auch technologische Absatzmärkte zu erschließen. Eine zentrale Rolle bei dieser Entwicklung spielt dabei der Export! Die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes wirken hier wie

Lokomotiven, aber auch in anderen Bereichen wie zum Beispiel Handwerk, Dienstleistungen oder Handel gibt es positive Entwicklungen. Hat sich die Lage vor, während und nach der Wirtschafts- und Finanzkrise verändert? THIEME: Der drastische Auftragseinbruch stellte natürlich einen massiven Schock für die betroffenen Unternehmen dar. Man darf aber nicht vergessen, dass der Abschwung auf eine extreme Boomphase folgt und damit umso drastischer empfunden wurde. Vielerorts folgte auf die Überbeschäftigung im Extremfall die Kurzarbeit null und geht mittlerweile wieder in eine Arbeitsintensität wie vor der Krise über. Solche Wechselbäder der Arbeitsbelastung, mit der ja auch massiv persönliche Ängste und auch Einschränkungen verbunden sind, dürften bei vielen ostdeutschen Arbeitnehmern noch in böser Erinnerung sein. Auf der anderen Seite ist man auch krisenerprobt und leidensfähiger als westdeutsche Kollegen. INGO SINGE: Tatsächlich finden wir Unternehmen, die 30 oder 40 Prozent Aufperspektive21

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tragsrückgang zu verkraften hatten, aber inzwischen bereits wieder an der Kapazitätsgrenze produzieren. Die Beschäftigten haben Zugeständnisse machen müssen, inzwischen brummt es wieder dermaßen, dass die Klagen von Unterbesetzungen, Verdichtung von Arbeit und Stress wieder deutlich vernehmbar sind. Da stellt sich die Frage, ob und wie Unternehmen die Opferbereitschaft honorieren wollen und können. Trotz des Aufschwungs also eine fragile Lage? SINGE: Ob der Export angesichts der Zählebigkeit der Krise in anderen Ländern dauerhaft tragfähig ist und eine Stabilitätskonstellation begründen kann, ist für mich zweifelhaft. Schließlich mehren sich aus dem Ausland ja auch kritische Stimmen bezüglich der deutschen Exportorientierung, die weltwirtschaftliche Situation bleibt insgesamt instabil. Und auch wenn die Auftragslage gut ist – in vielen kleinen und mittleren Unternehmen gibt es Klagen, dass die mächtigen Abnehmer der Produkte enorm auf die Preise drücken und die Rentabilität der Unternehmen gefährdet ist. Vertrauen und Motivation THIEME: Vor diesem Hintergrund kann man darüber streiten, ob die Krisenerfahrenheit der Ostdeutschen die Krisenbewältigung für die Unternehmen

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erleichtert hat. Zweifelsohne haben die arbeitsmarktpolitischen Regelungen, insbesondere die Ausweitung der Kurzarbeit, den Unternehmen den Weg durch die Krise erleichtert. Auch die Leiharbeit hat natürlich eine Rolle gespielt, die Leiharbeiter waren vielfach die ersten Opfer. Insgesamt gibt es jedoch deutliche Unterschiede: Während einige Unternehmen den Auftragsrückgang dazu nutzen konnten, etwa die Entwicklungsarbeit zu intensivieren oder die Mitarbeiter weiterzubilden, verfielen andere in eine Art Schockstarre. Da hängt vieles von der Branchenzugehörigkeit und der technologischen Ausrichtung des jeweiligen Unternehmens ab. Unter welchen Bedingungen sind Unternehmen besser als andere durch die Krise gekommen? THIEME: Das kann man pauschal sicher nicht sagen. Unabhängig von der Krise hat sich gerade in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gezeigt, dass eine Beteiligungsorientierung langfristig die Performance der Unternehmen verbessert, da Beteiligung zur Reproduktion von Vertrauensbeziehungen beiträgt und so als Basis für hohe Motivation und Personalbindung dient. Diese Mechanismen können natürlich auch in einer Krisensituation die Manövrierfähigkeit aufrechterhalten. Viele Manager fürchten, die besten Leute zu verlieren, wenn Sie die aktuell schlech-


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te Lage des Unternehmens offenbaren und verhängen eine Nachrichtensperre. Sie verkennen dabei, dass ohne eine klare Informationspolitik die Gerüchteküche angeheizt wird. Letztendlich wird die Lage trotzdem schlecht beurteilt, das Vertrauensverhältnis ist zusätzlich stark beschädigt und die Leute wandern trotzdem ab. Wie man durch die Krise kommt, hängt auch von einer Reihe andere, kaum beeinflussbarer Faktoren ab. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass Unternehmen mit gut funktionierenden Sozialbeziehungen und einer offenen Informationspolitik, bessere Voraussetzungen haben, durch die Krise zu kommen. Wenn Türen offen stehen Leider gibt es zu dieser Frage noch keine flächendeckenden Erhebungen. Die Gefahr besteht darin, dass in der Krise gerade diejenigen Kräfte das Unternehmen verlassen, die auf der Basis ihrer Qualifikationen gute Arbeitsmarktchancen haben und die die Unternehmen eigentlich unbedingt halten müssten. Unser früherer Kollege Michael Behr hat in seinen Untersuchungen immer wieder die Gruppe der „kritischen Optionisten“ identifiziert. Das ist eine Gruppe, denen auf dem Arbeitsmarkt einige Türen offen stehen, und die gleichzeitig ein gewisses Maß an Kritik an ihrer aktuellen Arbeitssituation äußern. Wo das SoSINGE:

zialklima schon vor der Krise nicht gestimmt hat, wo es Führungsdefizite gab, wo ein Mangel an Beteiligungsoptionen bestand, wo keine Betriebsräte als demokratische Instanz im Betrieb existierten, wird die Bindungsfähigkeit der Unternehmen vergleichsweise schwächer ausgeprägt sein. Wir haben feststellen können, dass die Mehrheit der Unternehmen auch in der Krise versucht hat, die Fachkräfte zu halten – auch um den Preis von Produktivitätsverlusten. Es kam in der Krise vielerorts darauf an, die durch die Krise ausgelöste Unsicherheit zu begrenzen. Auch Betriebsräte haben hier in vielen Fällen eine wichtige Rolle gespielt – wo sie gut arbeiten, wissen die Beschäftigten, dass ihre Interessen gegenüber dem Management artikuliert werden und eine kontrollierende Instanz existiert. Davon abgesehen: bei der Umsetzung der Kurzarbeit, der Nutzung flexibler Arbeitszeitsysteme oder auch bei der Qualifizierung während der Kurzarbeit haben Betriebsräte oftmals eine Kompetenz, auch wegen ihrer Verbindung zu Betriebsräten in anderen Unternehmen, auf die Unternehmen eigentlich nicht verzichten sollten. Wo drückt denn den ostdeutschen KMU heute besonders der Schuh? THIEME: Viele Unternehmen sind derzeit noch lange nicht so etabliert wie vergleichbare Unternehmen in den alten Bundesländern, etwa was die perspektive21

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Eigenkapitalbasis oder die Strategiefähigkeit angeht. Es ist in der Breite einfach noch nicht so viel materielle Substanz da. Das wichtigste Pfund der Unternehmen war bisher die exzellente und zu guten Konditionen verfügbare Humankapitalbasis. Die hohe Bedeutung der Mitarbeiter, deren Qualifikationen und das Engagement werden von den Managern auch in hohem Maße anerkannt. Das Hauptproblem vieler Unternehmen ist aber, dass dieser generellen Anerkennung und Wertschätzung der Ressource Personal nur selten eine praktisch-strategische Ausrichtung gegenübersteht. Personalstrategien fehlen Was heißt das? THIEME: Kurz gesagt: Man schätzt seine Mitarbeiter, verwendet aber wenig Gedanken darauf, eine Personalstrategie der mittleren und längeren Frist zu etablieren. Dazu würden zum Beispiel genaue Altersstrukturanalysen genauso gehören wie die regelmäßige Ermittlung des Qualifizierungsbedarfes, die Gestaltung der Kooperationsund Lernprozesse zwischen verschiedenen Alterskohorten und die Sicherung des Wissens ausscheidender Beschäftigter. Dabei registrieren viele Verantwortliche in den Unternehmen, dass sich die Anspruchshaltung der Mitarbeiter, nicht zuletzt im Zuge des stattfindenden Generationenwechsels, mas44

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siv verändert. Das fängt im materiellen Bereich an und reicht über das Betriebsklima, berufliche Perspektiven hin zu lokalen Standortbedingungen. Es besteht aber wenig Klarheit darüber, wie diesen Ansprüchen der Beschäftigten begegnet werden kann. Gibt es denn genügend Arbeitskräfte für die Zukunft? SINGE: In bestimmten Segmenten manifestiert sich der Arbeitskräftemangel bereits heute deutlich, das gilt beispielsweise für gewerbliche Fachkräfte und Ingenieure. Mit Prognosen muss man vorsichtig umgehen, aber die sich abzeichnende Konstellation ist durchaus dramatisch. Die Schülerabgangszahlen werden bis 2020 auf ungefähr 120.000 pro Jahr sinken, Mitte des abgelaufenen Jahrzehnts waren es noch 220.000. Gleichzeitig wächst der Ersatzbedarf bis 2020 auf ca. 200.000 pro Jahr, derzeit liegt dieser Bedarf gerade bei 80.000. Da entwickelt sich offensichtlich ein Missverhältnis ganz neuer Qualität. Die verlorene Generation Und das bei immer noch hoher Arbeitslosigkeit in vielen ostdeutschen Regionen. SINGE: Eine neue Studie unter Leitung von Burkhard Lutz hat an die „verlorene Generation“ erinnert. Das sind die mehreren Hunderttausend, die zwischen Ende der 1970er und Ende der


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1980er Jahre geboren wurden, aber trotz einer guten Schulausbildung und einer berufliche Qualifizierung den Weg in reguläre Beschäftigung in Ostdeutschland nicht gefunden haben. Hier bestünde ein Reservoir an Arbeitskräften. Die Anstrengungen, die nötig wären, um diese Menschen in Arbeit zu bringen, wären aber beträchtlich. Umso notwendiger erscheint ein klares politisches Signal in diese Richtung. Die aktuelle Arbeitsmarktpolitik macht aber nur wenig Hoffnung. Niedriglohnstrategie schadet Wenn wir hier von den KMU im verarbeitenden Gewerbe in Ostdeutschland sprechen, kann man drei wesentliche Malus-Faktoren benennen. Das verarbeitende Gewerbe gilt bei Schülern, aufgrund der Erfahrungen der Elterngenerationen, als wenig zukunftsträchtig, Industriearbeit besitzt einen geringen Status. Das Gros der kleinen und mittleren Unternehmen ist einfach nicht bekannt und der Osten gilt nach wie vor ganz allgemein als Niedriglohngebiet, insbesondere im Vergleich mit Regionen in Süddeutschland. Auch wenn es einzelne Regionen wie zum Beispiel Dresden und Jena gelingt, sich von diesem Image zu lösen, haften dem Osten diese Probleme weiterhin an. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich dies in den nächsten Jahren in Wohlgefallen auflösen wird. Viel wahrTHIEME:

scheinlicher ist eine weitere Differenzierung der Regionen in Ostdeutschland die sich auch auf die Verfügbarkeit von Arbeitskräften auswirken wird. Sind denn die Löhne das einzige und wichtigste Kriterium? SINGE: Das Entgelt wird als Bindungsfaktor zukünftig in all jenen Bereichen eine wachsende Rolle spielen, in denen sich die Arbeitsmarktlage entspannt oder sich gar Asymmetrien entwickeln, die die Position der Anbieter von Arbeitskraft stärken. Qualifizierte und hochqualifizierte junge Arbeitnehmergruppen werden schwierig zu halten sein, sofern die Lücke zum West-Entgelt nicht verringert wird. Facharbeiter und -angestellte in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie verdienen noch immer ca. 35 Prozent weniger als ihre Kollegen im Westen, die Bereitschaft zur Bescheidenheit wird sich aber nicht unbegrenzt erhalten lassen. Das Sozialklima ist bedroht Haben die Unternehmen denn die Kraft für Lohnerhöhungen? SINGE: Die Möglichkeiten der Unternehmen, mit Lohnerhöhungen auf die neuen Knappheitsverhältnisse zu reagieren, sind sehr unterschiedlich ausgeprägt. Auch angesichts der Tatsache, dass die ostdeutschen Arbeitgeber sich vielerorts aus dem Tarifsystem verabschiedet haben und damit keine Arena perspektive21

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existiert, in der branchenweite, systematische Gestaltung von Lohn erfolgen könnte, droht aus Unternehmenssicht die Entwicklung eines Negativszenarios: Verschärfte Konkurrenz um qualifizierte Kräfte führt zu selektiv erhöhten Angeboten für junge Arbeitskräfte, zu „Bocksprüngen“ in der Lohngestaltung und zu einer betrieblichen Lohnspreizung, die Ungerechtigkeitsempfindungen bei älteren Arbeitnehmergruppen hervorrufen kann und das Sozialklima bedroht. Folgt man diesem Szenario, wird sich eine Abwerbedynamik entwickeln, die besonders kleinere und mittlere, ressourcenarme Unternehmen bedroht, deren Erfolgsgrundlage oftmals auch mit einer hohen Abhängigkeit von sehr spezifischen Beschäftigtenqualifikationen und stabilen Kooperationsbeziehungen einher geht. Kriterien für gute Arbeit Es geht also nur ums Geld? SINGE: Natürlich gibt es für Unternehmen Möglichkeiten, Unzufriedenheit in den Bereichen Zeit und Entgelt wenigstens ein Stück weit durch andere „Leistungen“ zu kompensieren und so Beschäftigte zu rekrutieren und zu binden. In unseren Untersuchungen bekunden Beschäftigte immer wieder die hohe Wertigkeit, die vertrauensvolle Kollegenbeziehungen, Qualifizierungsmöglichkeiten und eine interessante 46

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Aufgabengestaltung als Kriterien für gute Arbeit für sie besitzen. Auch im Bereich der Facharbeit können wir immer wieder feststellen, dass es Beschäftigtenansprüche an erweiterte Teilhabe am Unternehmensgeschehen gibt – man möchte gut informiert werden, es gibt ein Interesse an mehr Demokratie im Betrieb, man möchte nicht nur als Arbeitskraft sondern als Person gewertschätzt werden. Strategisch herangehen Wird das von den Unternehmen auch verstanden? SINGE: Die Fähigkeit der Unternehmensleitungen, strategisch auf diese Herausforderungen zu reagieren, ist unseres Erachtens in vielen Bereichen unzulänglich entwickelt. Das liegt auch daran, dass die sich abzeichnende Situation auf Teilarbeitsmärkten so drastisch mit den Bedingungen kontrastiert, die die Unternehmen lange vorfanden. Es gab ein Überangebot gut qualifizierter Kräfte, die durch den Druck enger Arbeitsmärkte notgedrungen zu Lohnbescheidenheit, flexibler Arbeit und hohen Leistungen bereit waren. In diesem Kontext konnte Personalarbeit quasi nebenbei laufen. Das wird in Zukunft zumindest in den Bereichen nicht mehr tragen, in denen sich keine umfassende Standardisierung von Tätigkeiten erreichen lässt und auf einer geringen Qualifikations-


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basis produziert werden kann. Die Herstellung partizipativer Unternehmenskulturen – ein wichtiges Kriterium, wenn Beschäftigte ein Unternehmen bewerten – erfordert ein systematisch-reflexives Umgehen mit der Frage „Personal“. Aber besonders in KMU mit geringen Managementressourcen und besonders dort, wo keine Betriebsräte existieren, die als authentische Stimme die Ansprüche und Probleme der Belegschaften artikulieren könnten, sind die Bedingungen für die Entwicklung neuer Bindungsstrategien nicht eben gut. Und das Problem der Fachkräftesicherung ist sowieso nur begrenzt Lösungen auf einzelbetrieblicher Ebene zugänglich.

Enttäuschungen und Konflikte zwischen den Generationen hervor, für die keine Lösungsmechanismen in der Schublade liegen und nur wenigen gelingt dies intuitiv. Fehlt in den Unternehmen zudem ein klarer Ansprechpartner in Form des Betriebsrates, bieten sich dem Management kaum Ansatzpunkte für Initiativen. In der Folge entwickeln sich die abkühlenden Leistungsgemeinschaften mit den bekannten Folgen: schlechtes Betriebsklima, Kommunikationsprobleme, gestörte Sozialbeziehungen und sinkende Motivation und Einsatzbereitschaft. Unternehmen, die das Ruder nicht mehr rumreißen können, geraten dann auch wirtschaftlich in schwere Krisen.

Betriebsräte helfen THIEME: Auch hier ein Beispiel: Viele Geschäftsführer machten aus der Not kleiner Unternehmen mit geringen materiellen Spielräumen die Tugend der Tüftlerbude mit flachen Hierarchien, bei der sich jeder Mitarbeiter dem Chef quasi ebenbürtig in das Unternehmen einbringen und in Form von Projektverantwortung eigene Perspektiven verfolgen kann. Dieses Modell hat viele Unternehmen und deren Belegschaften in der oftmals chaotischen aber auch sinnstiftenden Anfangsphase geprägt. Mit dem Unternehmenswachstum bleiben diese Werte sukzessive auf der Strecke und rufen

Welche Rolle können denn Betriebsräte bei der Bewältigung des Fachkräftemangels spielen? SINGE: Sicher ist: Die Unternehmen müssen die Herausforderungen der Zukunft mit älteren Belegschaften bewältigen. Unternehmen, die es nicht vermögen, die Arbeitsfähigkeit, also Gesundheit und Qualifikation, und natürlich die Arbeitsbereitschaft der älteren Beschäftigten zu sichern, werden fundamentale Probleme bekommen. Wenn es schwieriger wird, Know-how auf externen Märkten zu kaufen, kommt der Pflege und Entwicklung betriebsinterner Ressourcen eine verstärkte Bedeutung zu. Gewerkperspektive21

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schaften und Betriebsräte besitzen in vielen Fällen eine große Erfahrung, wenn es um die Gestaltung von gesund erhaltenden, motivierenden und lernförderlichen Arbeitsbedingungen geht. Hier können Betriebsräte eine zentrale Funktion wahrnehmen: Der Betriebsrat ist in vielen Fällen näher an den Belegschaften dran als es eine Geschäftsleitung je sein könnte. Wo Betriebsräte gut funktionieren, sind sie sensibel für die Belange der Beschäftigten und können Anliegen artikulieren und somit bearbeitbar machen, mit denen sich einzelne Beschäftigte oft gar nicht aus der Deckung wagen würden. Betriebsräte können latente Unzufriedenheit, Unrechtsempfinden, Beteiligungs- und Kommunikationslücken, Qualifizierungsbedarfe oder Gesundheitsgefährdungen durch physische und psychische Überanspruchung oft einfacher entdecken als das Management und zu einer produktiven Thematisierung im Betrieb beitragen. Wo sie als Warninstanzen für defizitäre Personalpolitiken nicht vorhanden sind, droht der Beschäftigtenrückzug auf „Dienst nach Vorschrift“-Haltungen – oder eben zum Exit, zum Betriebswechsel. Und wie ist es mit Gewerkschaften? SINGE: Die Gewerkschaften als traditionsreiche Organisationen verfügen bezüglich der Gestaltung nachhaltiger Arbeitsbedingungen über jahrzehnte48

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lange Erfahrung und an der Praxis generiertes Wissen. Sie können Betriebsräten wichtige Unterstützungsleistungen anbieten. Wird die Fachkräfteproblematik angemessen verstanden, nämlich als eine Querschnittsherausforderung, deren Bewältigung der Kooperation verschiedener Akteure unter anderem aus Politik, Bildungsinstitutionen, Gesundheitssystem bedarf, spielen auch die Gewerkschaften als überbetriebliche Akteure eine wichtige Rolle. Die Sicherung der Fachkräfte wird nicht allein durch höhere Löhne für nachgefragte Arbeitskräfte zu gewährleisten sein. Die Attraktivität Ostdeutschlands wird auch daran zu messen sein, inwieweit es gelingt, attraktive Lebensverhältnisse zu schaffen. Das fordert eine Entwicklungsperspektive, die auch auf die Schaffung guter Arbeitsbedingungen zum Beispiel in Bildung und Dienstleistungen zielt. Nicht ohne Gewerkschaften Wie stark sind denn Gewerkschaften und Betriebsräte in Ostdeutschland? SINGE: Die ostdeutsche – und zunehmend auch die westliche – Realität bei der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse hat mit der Praxis, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland als Konfliktpartnerschaft etablierte, nur noch wenig zu tun. Immer weniger Beschäftigte werden von tarifvertraglichen Regelungen auf Branchenebene


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erfasst, derzeit sind es in Ostdeutschland etwa ein Drittel. Das liegt vor allem daran, dass sich die Arbeitgeber massenhaft aus dem Tarifsystem verabschieden und die Flucht aus den Verbänden angetreten haben. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder ist zusammengeschmolzen, inzwischen ist noch nicht einmal jeder fünfte abhängig Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert. In der Privatwirtschaft haben nur ca. 10 Prozent der Betriebe einen Betriebsrat. Nur 38 Prozent der Beschäftigten werden durch Betriebsräte repräsentiert. Und auch dort wo Betriebsräte existieren, stehen sie unter starkem Druck, die Interessen des „eigenen“ Betriebes über umfassendere Lohnarbeitsinteressen zu stellen und Zugeständnisse zu machen. Von

durchsetzungsfähigen Interessenorganisationen kann also in Ostdeutschland nicht ausgegangen werden. Aber wie bereits gesagt: In den Bereichen qualifizierter Arbeit könnten sich die Machtverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die Arbeitsmarktengpässe ändern. Es kann gut sein, dass dann die Freiheit vom Tarif zum Problem für die Arbeitgeberseite wird, weil der Tarif als überbetrieblicher Regulierungsmechanismus ausgehebelt wurde. In anderen Branchen wird es so schnell nicht zur Arbeitskraftknappheit kommen, es besteht die Gefahr, dass dort Niedriglohnstrategien weiter fortgesetzt werden. Es droht eine fortschreitende Polarisierung der Entgelt- und Lebensbedingungen, die einer nachhaltigen Entwicklung nicht eben zuträglich ist. I

INGO SINGE UND CHRISTOPH THIEME

sind Diplom-Soziologen und arbeiten am Lehrstuhl für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Derzeitig forschen sie im Rahmen des BMBF-Projektes „MOVANO. Innovation durch Kompetenz und gute Arbeit – Management, Betriebsrat und Beschäftigte als Akteure moderner Innovationsstrategien“. perspektive21

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Viele kleine Schritte WARUM BRANDENBURG SO ERFOLGREICH IST UND WIE DAS SO BLEIBEN KANN VON RALF CHRISTOFFERS

randenburg steht gut da, diese Bilanz lässt sich zweifellos zum Ende dieses Jahres ziehen. Die Arbeitslosenquote ist unter 10 Prozent gesunken, einige Branchen verzeichnen zunehmend mehr Aufträge, die Struktur der Wirtschaft in Brandenburg entwickelt sich in eine klar von Innovation und Qualität getragene Richtung. Die steigende Zahl von Touristen, die gute Entwicklung im Umfeld des im Bau befindlichen Flughafens Berlin Brandenburg International BBI, eine Reihe von Ansiedlungen und Betriebserweiterungen – dies sind nur einige wenige Beispiele für das, was wir in diesem Jahr bewegt, begleitet und befördert haben. Allein im ersten Halbjahr 2010 betrug das reale Wirtschaftswachstum des Landes im Vergleich zum Vorjahr 2,8 Prozent. Damit lag Brandenburg vor allen anderen neuen Bundesländern (ohne Berlin). Von der weltweiten Finanzkrise war das Land weit weniger betroffen als andere Bundesländer, weil die Industrie zwischen Elbe und Oder weniger exportorientiert ist als die Unternehmern in den alten Bundesländern. Hier liegen die

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Wachstumszahlen nach der Krise naturgemäß höher, weil die guten Wirtschaftsdaten für Deutschland insgesamt den guten Geschäften mit dem Ausland zu verdanken sind. Gleichwohl deuten die aktuellen Zahlen für Brandenburg daraufhin, dass sich der positive Trend auch im kommenden Jahr fortsetzt. Motor des Aufschwungs Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Inzwischen ist die Arbeitslosigkeit auf den erfreulichen Tiefstand von etwa 9,8 Prozent gesunken. Im Oktober vergangenen Jahres lag die Quote noch bei 11,0 Prozent. Einzelne Landkreise liegen inzwischen unter dem Bundesdurchschnitt – wie Potsdam-Mittelmark und Dahme-Spreewald. Motor des Aufschwungs ist die Industrie. In den ersten acht Monaten ist der Umsatz des verarbeitenden Gewerbes um etwa 14 Prozent gestiegen. Der Anteil des Auslandsumsatzes daran liegt bei 25 Prozent. Einen Aufschwung im Export belegen auch die Zahlen des ersten Halbjahres 2010: perspektive21

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Die Ausfuhren stiegen um 9,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert. Die Importe stiegen um 34 Prozent. Besonders erfreulich ist, dass sich neue Unternehmen aus dem In- und Ausland in Brandenburg angesiedelt haben. Dazu gehören beispielsweise die Eco-Strom Plus GmbH (Errichtung einer Bioethanolproduktion mit 95 Arbeitsplätzen am Standort Premnitz) oder die Greenblade GmbH (Produktion von Rotorblättern für Windkraftanlagen mit 45 Arbeitsplätzen am Standort Brandenburg an der Havel). Außerdem gab es wichtige Erweiterungsinvestitionen wie z. B. der Unternehmen Panther Display, Yamaichi, Nanosolar oder Prignitzer Chemie. Vom Unternehmerfleiß Auch die Eröffnung des Logistikzentrums von Lidl im Güterverkehrszentrum Freienbrink oder die Entscheidung des Tandem Verlages, sich aus Königswinter nach Potsdam zu verlagern, sind das Signal, dass der Standort Brandenburg für Ansiedlungen attraktiv ist. Darüber hinaus unterstreicht die Ankündigung des Unternehmens First Solar, seine Kapazitäten am Standort Frankfurt (Oder) verdoppeln zu wollen, dass ansässige Unternehmen hier in Brandenburg – als Teil der deutschen Hauptstadtregion – beste Rahmenbedingungen für die Produktion 52

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und nachhaltiges Wachstum vorfinden. Dies sind nur einige wenige Beispiele für die positive Entwicklung in fast allen Branchenkompetenzfeldern. Zu verdanken ist diese Entwicklung in erster Linie den Unternehmerinnen und Unternehmern und den Beschäftigten in den Firmen. Ihr Fleiß hat Brandenburg inzwischen mehrere Ehrungen eingebracht. Leitstern 2010 Im Februar wurde Brandenburg von der Europäischen Union zur „Unternehmerregion 2011“ ernannt. Qualität, Nachhaltigkeit und die Erfolgsergebnisse seiner politischen Vision für mehr Unternehmergeist und die ökologische Modernisierung der mittelständischen Wirtschaft waren die Gründe für diese Würdigung. Den Wettbewerb um die „Europäische Unternehmerregion“ („European Entrepreneurial Region“ – EER) hat der Ausschuss der Regionen in diesem Jahr als Pilotprojekt ins Leben gerufen. Ziel dieser neuen Initiative ist es, dynamische und ökologisch vorbildliche Regionen in ganz Europa zu ermitteln und zu fördern. Den Regionen mit den überzeugendsten wirtschaftspolitischen Zielsetzungen wird jeweils für ein Jahr die Auszeichnung „Europäische Unternehmerregion“ verliehen. Brandenburg war eine von 40 Regionen, die sich beworben hatten und eine von drei, die die Auszeichnung bekommen haben.


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Ende November bekam das Land wieder einen Preis: Den „Leitstern 2010“, nach 2008 zum zweiten Mal, denn Brandenburg ist top beim Ausbau Erneuerbarer Energien. Das geht aus einer Studie hervor, die die Agentur für Erneuerbare Energien mit Unterstützung des Bundes durchgeführt hat. Um die positive wirtschaftliche Entwicklung weiter zu steigern, haben wir in diesem Jahr einiges auf den Weg gebracht. Entsprechend meinem Grundsatz, ökonomische Effizienz, Nachhaltigkeit und soziale Gestaltung gemeinsam umzusetzen, wurde zuerst die Art der Förderung von Unternehmen umgestellt. Schrittweise wird der Anteil von nicht rückzahlbaren Zuschüssen durch Darlehen an Unternehmen verringert. Das heißt, mit Beteiligungen und Darlehen durch das Land wird die Anschubfinanzierung gesichert. Ziel ist es, der Eigenkapitalschwäche kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) entgegen zu wirken. Neue Förderinstrumente Diese neuen Förderinstrumente sind sogenannte revolvierende Fonds. Mit einer solchen Förderstrategie stehen die Gelder über einen längeren Zeitraum zur Verfügung und – anders als im Fall von „verlorenen Zuschüssen“ – können mehrfach verwendet werden. Durch

die Vergabe von Darlehen erfolgt zum Beispiel ein Rückfluss in Form von Tilgungen und Zinsen, so dass in diesen Fonds auch über die Förderperiode bis 2013 hinaus Mittel zur Verfügung stehen, auch wenn kein frisches Kapital durch EU, Bund und Länder bereitgestellt würde. Beispiele für diese Fonds sind der sogenannte „Frühphasenfonds“ und der „Brandenburg-Kredit Mezzanine“ für kleine und mittelständische Unternehmen. Schon jetzt ist bei der Investitionsbank Brandenburg eine rege Nachfrage zu verzeichnen. Die beiden Fonds haben Modellcharakter. Deren Wirkung soll zunächst abgewartet werden, bevor über die Einführung weiterer revolvierender Instrumente entschieden wird. Gerade die zahlreichen mittelständischen Unternehmen haben weiterhin einen hohen Bedarf an Eigenkapitallösungen. Eine geringe unternehmerische Eigenkapitalausstattung engt die Kreditaufnahmefähigkeit der Unternehmen ein und senkt die Bereitschaft für Investitionen. Für diese Unternehmen können die Fonds eine Unterstützung bedeuten. Die Einführung solcher Finanzierungsinstrumente ist auch vor dem Hintergrund sinkender Landeshaushalte in den kommenden Jahren wichtig. Ein Grund für diesen Rückgang dafür ist, dass Brandenburg in Zukunft kein Höchstördergebiet innerhalb der Europäischen Union sein wird. Denn perspektive21

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hierfür liegt die Grenze bei 75 Prozent des durchschnittlichen Bruttoinlandsproduktes der Europäischen Union – und Brandenburg liegt mittlerweile über dieser Grenze. Ein im Grunde positives Zeichen, denn damit ist klar: Das Land erreicht langsam aber stetig das Niveau der alten Bundesländer. Dennoch ist es wichtig in Brüssel Übergangsregelungen auszuhandeln. Denn eine Kohäsionspolitik in der Förderperiode ab 2014 muss den Erhalt von finanziellen Spielräumen gewährleisten, um auf der Basis der bewährten Förderpolitik unter dem Motto „Stärken stärken“ Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung weiter nachhaltig zu verbessern. Gegenwärtig kann über den Ausgang der Verhandlungen zur Zukunft der Kohäsionspolitik nur spekuliert werden. Die heiße Phase der Diskussion wird mit der für Mitte 2011 erwarteten Vorlage der Finanziellen Vorausschau der EU beginnen. Damit werden die ersten belastbaren finanziellen Vorstellungen der Europäischen Kommission öffentlich werden. An einem Strang Wichtiges Element für die weitere Entwicklung der Wirtschaft ist die Innovationsstrategie, die Anfang Dezember in Potsdam vorgestellt wurde. Es ist die erste Plattform in diesem Bereich, die von zwei Bundesländern gemeinsam vorgestellt wurde. Inno54

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vationsbereitschaft und -fähigkeit als Voraussetzung für Wachstum und Stabilität der Hauptstadtregion werden zunehmend vom klaren Bekenntnis zu wissensbasierter Industrie- und Technologieentwicklung bestimmt. In diesem Jahr wurde der Fokus strategisch auf die stärkere Zusammenarbeit mit Berlin gerichtet. Im Rahmen der Zusammenarbeit sollen die bisherigen Zukunftsfelder zu Clustern weiterentwickelt werden. Das neue Förderinstrument „Brandenburger Innovationsgutschein“, soll die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft verbessern. Er kann von kleinen und mittleren Unternehmen genutzt werden. Sie haben damit die Möglichkeit, Kleinprojekte in Zusammenarbeit mit Hochschulen und Forschungsinstituten durchzuführen. Die Landesregierung hat in ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben, die 2004 begonnene Ausrichtung der Förderpolitik auf Regionale Wachstumskerne beizubehalten. Um den Wachstumskernprozess weiter zu optimieren, hat die Landesregierung eine Evaluation der Ergebnisse dieser Förderpolitik in Auftrag gegeben. Anfang 2011 wird unter Federführung der Staatskanzlei eine Entscheidung darüber getroffen, welche Städte und Städteverbünde den Status als „Regionaler Wachstumskern“ behalten oder bekommen sollen. Insgesamt soll die Zahl von 15 Wachstumskernen aber


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nicht überschritten werden. Im Rahmen einer Besuchsreise haben sich der Chef der Staatskanzlei, Albrecht Gerber, Staatssekretär Henning Heidemanns und ich in der ersten Jahreshälfte über die Potenziale vor Ort informiert. In Gesprächen mit Entscheidungsträgern und Unternehmern wurden Strategien zur weiteren Stärkung der Wachstumskerne diskutiert, an den Veranstaltungen nahmen mehr als 1.200 Besucher teil. Rahmenbedingungen ändern Die Regionalen Wachstumskerne werden mit Hilfe verschiedener Förderinstrumente unterstützt. Ihnen wurde in bestehenden Förderprogrammen ein Vorrang eingeräumt, wodurch zahlreiche Einzelvorhaben unterstützt werden konnten. Neue Instrumente sind mit Hilfe des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und der BundLänder-Gemeinschaftsaufgabe geschaffen worden. Neu eingeführt wurden die Regionalbudgets, mit denen Marketing- und Netzwerkaktivitäten unterstützt werden, sechs Anträge regionaler Wachstumskerne sind bereits bewilligt worden. Hauptaufgabe der Landesregierung ist es, geeignete Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Branchen zu schaffen. Eine wichtige Branche in Brandenburg ist der Tourismus. Die Rahmenbedingungen ändern sich dort

besonders schnell, deshalb müssen Konzeptionen regelmäßig überprüft und Profile geschärft werden. Vor diesem Hintergrund hat die Koalition vereinbart, die in diesem Jahr auslaufende Landestourismuskonzeption fortzuschreiben. Mittlerweile liegt der Entwurf für die neue Konzeption für die Jahre 2011 bis 2015 vor. Vorgestellt wird sie auf der Internationalen Tourismusbörse im Frühjahr 2011 in Berlin. Brandenburg positioniert sich als Reisedestination über die Qualität der touristischen Angebote am Markt. Das Thema Qualität, wozu auch die Barrierefreiheit zählt, bleibt zur Sicherung und zum weiteren Ausbau der Wettbewerbsposition des Reiselandes Brandenburg auch in dieser Legislaturperiode außerordentlich wichtig. Die Branche selbst fordert Qualitätskriterien inzwischen aktiv ein, das ist ein großer Fortschritt. Derzeit ist die Tourismusakademie Brandenburg (TAB) damit beauftragt, Konzepte zu entwickeln, die Servicequalität der touristischen Leistungsträger weiter zu steigern und die Entwicklung des barrierefreien Tourismus voranzutreiben. Mit neuer Energie Neben der Unterstützung bei der Technologie- und Tourismusentwicklung gibt es noch eine Reihe anderer Vorhaben, die das nächste Jahr bestimmen werden. Das Vergabegesetz ist perspektive21

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derzeit in der Abstimmung mit den Ministerien. Dabei bleibt mein Grundsatz, dass die Einführung einer Lohnuntergrenze das zentrale Ziel dieses Gesetzes ist. Bis zur Sommerpause werden wir die neue Energiestrategie vorstellen. Weiter bemühen wir uns auch im Ausland um die Ansiedlung neuer Unternehmen im Land, vor allem auch

im Umfeld des neuen Flughafens Berlin Brandenburg International. Einen Masterplan für den Breitbandausbau stellen wir im Frühjahr 2011 vor. Eine Fülle von Vorhaben und Projekten also, von denen wir überzeugt sind, dass sich damit die positive wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr auch in 2011 und darüber hinaus fortsetzen lässt. I

RALF CHRISTOFFERS

ist Minister für Wirtschaft und Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg. 56

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Den Blick voraus WIE FRANKFURT (ODER) ZU EINER DER DYNAMISCHSTEN DEUTSCHEN STÄDTE WURDE VON MARTIN WILKE

ine aktuelle Studie bescheinigt der Stadt Frankfurt (Oder), dass ihre Wirtschaftskraft stärker als in anderen Teilen Deutschlands wächst. In einer Rangliste der arbeitgebernahen Initiative „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) belegt Frankfurt (Oder) in der Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung unter den 100 größten kreisfreien Städten einen bemerkenswerten fünften Platz. Frankfurt (Oder) profitierte in den Jahren seit der letzten Befragung im Jahr 2004 von günstigeren Arbeitsmarktdaten, verbesserten Standortbedingungen sowie einer belebten Konjunkturentwicklung, wie vor allem die nachfolgenden Darstellungen zur Ansiedlung von Unternehmen aus der Solarindustrie belegen. Besonders hervorzuheben ist, dass es gelang, die Arbeitslosenquote von 21,2 Prozent auf 12,4 Prozent zu senken. Frankfurt (Oder) liegt im Zentrum Europas, an der Grenze zu Polen und damit auch zu Osteuropa. Die Stadt steht seit vielen Jahren für einen wirtschaftlichen Aufschwung, was die nunmehr vorliegende INSM-Studie ein-

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drucksvoll belegt. Ein Vorteil war dabei sicher auch die Bildung eines gemeinsamen so genannten regionalen Wachstumskerns mit dem nahegelegenen Eisenhüttenstadt. Den Argumentationen der Brandenburger Landesregierung folgend, nimmt dieser in Zukunft eine immer stärker wirkende Motorfunktion für die gesamte Region und das Umland entlang der Oder ein. Eine stolze Region Die Zahlen geben dieser Prognose recht und mit Stolz kann die Region auf mehr als 1,4 Milliarden Euro an privaten Investitionen seit dem Jahr 2005 zurückblicken. Mehr als 3.000 neue Arbeitsplätze sind entstanden. Die Unternehmen kommen aus aller Welt, aus Frankreich, USA, Japan. Diese erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung schlägt sich auch in den zu erzielenden Einkommen je sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten der Region nieder. Sie liegen über dem Durchschnitt des Landes Brandenburg. Der wirtschaftliche Aufschwung in Frankfurt (Oder) kommt nicht von perspektive21

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ungefähr. Er ist das Ergebnis der hartnäckigen Verfolgung von ambitionierten Zielen. Pragmatisch und zielorientiert wurden in Zusammenarbeit mit der Landesregierung und der Zukunftsagentur innovative Wege gefunden, um Unternehmen auf die Region aufmerksam zu machen und bei der Ansiedlung zu unterstützen. Junge Leute halten Selbstverständlich gab es während dieser Zeit auch Rückschläge. Das gescheiterte Ansiedlungsvorhaben der Communicant AG zum Bau einer Chipfabrik führte dazu, dass einige Schwarzmaler die Region bereits abgeschrieben hatten. Nicht so die Frankfurter, allen voran die Stadtverwaltung und die Wirtschaftsförderer der Stadt. Konsequent blickte man voraus und schaffte weiter Rahmenbedingungen, um Investoren vom Standort zu überzeugen. Neben der geografischen Lage punktet die Oderstadt heute insbesondere mit ihrer gut ausgebauten Infrastruktur in den zahlreichen Industrieund Gewerbegebieten entlang der A12 und den gut qualifizierten Arbeitskräften vor Ort. Darüber hinaus war und ist es ein Hauptanliegen der Stadt, die Bildungsträger am Standort zu halten und damit die Attraktivität der Stadt, auch für junge Menschen zu sichern. Heute ist festzustellen, dass sich die zahlreich unternommenen Anstren58

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gungen ausgezahlt haben. Die Ansiedlung des weltweit größten DünnschichtSolarmodulproduzenten „First Solar“ war wie eine Initialzündung für die weitere positive Entwicklung der gesamten Region. Das nordamerikanische Unternehmen investierte im Jahr 2006 rund 120 Millionen Euro in Frankfurt. Nun konnten die Wirtschaftsförderer zeigen, wie gute Zusammenarbeit zwischen Kommunal-, Landes- und Bundesbehörden tatsächlich funktioniert. Innerhalb von nur zwei Monaten wurde die Baugenehmigung erteilt, zwischen Unterzeichnung des „Memorandum of Understanding“ und dem Beginn der Produktion verging gerade einmal ein Jahr. Diese erstklassige Unterstützung zahlte sich aus. Momentan befindet sich First Solar in der zweiten Ausbaustufe und der damit verbundenen Verdopplung aller bisherigen Kapazitäten. Für die Stadt bedeutet dies weitere 600 Arbeitsplätze und weitere 170 Millionen Euro, die größtenteils in die regionale Wertschöpfung fließen. Stadt der Sonne In diese erfreuliche Entwicklung reiht sich die Ansiedlung eines Hamburger Unternehmens, der Conergy SolarModule GmbH & Co. KG ein. Seit dem Jahr 2007 stellt dieses nun auch in Frankfurt (Oder) Solarmodule auf Siliziumbasis in einer voll-integrierten


martin wilke – den blick voraus

Fabrik her. Mittlerweile hat das Unternehmen insgesamt 700 Beschäftigte. Ein weiteres klares Bekenntnis von „Conergy“ zum Standort Frankfurt gab es, als es im Sommer dieses Jahres verkündete, weitere 100 Zeitarbeiter in ein festes Arbeitsverhältnis zu übernehmen. Die Zahl der Festanstellungen erhöhte sich mit diesem Schritt auf mehr als 450. In barer Münze Eine weitere Besonderheit stellt der „Ur-Frankfurter“ Solarherststeller „OderSun“ dar. Basiert auf einer in Frankfurt (Oder) entwickelten und patentierten Dünnschichttechnologie stellt das Unternehmen ebenfalls seit 2007 Solarmodule auf Kupferbandbasis her, die sowohl für Solarkraftwerke als auch für Designer-Taschen mit integrierter „Steckdose“ in jeder Größe und Leistung nutzbar sind. Gemeinsam mit der Produktionsstätte im nahegelegenen Fürstenwalde beschäftigt das Unternehmen an beiden Standorten aktuell rund 280 Mitarbeiter. Der in den vergangenen Jahren in der gesamten Region entstandene Branchenmix aus Solarindustrie, Stahl- und Papierproduktion wird flankiert von innovativen mittelständischen Unternehmen und einer Vielzahl an F&EKompetenzen. Für die Stadt zahlt sich diese Entwicklung in barer Münze aus. Bei einem Vergleich zwischen Investi-

tionen in die Infrastruktur und privaten Investitionen kommt die Region auf ein stolzes Verhältnis von 1:10. Auch die weichen Standortfaktoren will die Stadt weiter fördern. Kurz nach den Oberbürgermeisterwahlen im Frühjahr 2010 gelang den politischen Parteien etwas Einmaliges. Gemeinsam mit allen Fraktionen wurde eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit abgeschlossen. Ein wesentliches Ziel ist, Frankfurt noch lebenswerter und internationaler zu machen. Gute Infrastruktur Im nationalen Vergleich des Kulturangebots von Städten unter 100.000 Einwohnern muss sich Frankfurt (Oder) ebenfalls nicht verstecken. Frankfurt (Oder) liegt direkt nach Weimar und Bayreuth auf Platz 4. Bei der Versorgung mit Kita-Plätzen steht Frankfurt bundesweit ebenfalls auf einem Spitzenplatz. Deutsch-polnische Kindergärten sind in der Stadt keine Ausnahme. Die Entwicklung von attraktivem Wohnraum entlang der Oder ist aktuell ein wichtiges Projekt für das nächste Jahr. Obwohl die Einpendlerquoten mittlerweile wieder rückläufig sind, gibt es nach wie vor über 15.000 Pendler, die täglich über die gut ausgebaute A12 oder den halbstündig einpendelnden Regionalexpress der Deutschen Bahn von Berlin nach Frankfurt (Oder) fahren. Im Fokus steht dabei auch klar perspektive21

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thema – it’s the economy, stupid?

die junge Generation, um Fachkräfte für die kommenden Jahrzehnte zu sichern. Für Frankfurt (Oder) spielt Forschung und Hochschulbildung eine ganz besondere Rolle. Mehr als 6.000 Studenten aus 80 Ländern studieren an der Europa-Universität Viadrina. Darüber hinaus befassen sich derzeitig über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 20 Ländern am

Leibniz Institut für Innovative Mikroelektronik (IHP) in Frankfurt (Oder) mit Forschungsarbeiten zum Thema „Höchstgeschwindigkeitselektronik“ zur Weiterentwicklung von Anwendungen z. B. in der Luft- und Raumfahrt, der Automatisierungs-, Medizinbzw. Kommunikationstechnik. Kurzum: Unsere Stadt ist für die Zukunft gut gerüstet – und jeder kann sich gerne vor Ort ein Bild davon machen. I

DR. MARTIN WILKE ist Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt (Oder).

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Mehr Gleichheit ist für alle besser ÜBER FETTLEIBIGKEIT, GEHALTSUNTERSCHIEDE UND EINE NEUE WIRTSCHAFTSDEMOKRATIE SPRACH MICHAEL MIEBACH MIT RICHARD WILKINSON

Die Forderung nach mehr gesellschaftlicher Gleichheit ist ja ziemlich aus der Mode geraten. Wie kommen Sie darauf, dass gleichere Gesellschaften funktionaler sind? RICHARD WILKINSON: Wir haben 23 wohlhabende Industrieländer miteinander verglichen, dazu noch die 50 amerikanischen Bundesstaaten untereinander. Die Statistiken sprechen eine klare Sprache: Vergleicht man die reichsten 20 Prozent mit den ärmsten 20 Prozent einer Bevölkerung, fallen die gesundheitlichen und sozialen Probleme umso stärker aus, je größer die Einkommensunterschiede sind. Ob es nun um Lebenserwartung, Säuglingssterblichkeit, Fettleibigkeit, Drogensucht, Teenager-Schwangerschaften, Selbstmorde oder soziale Mobilität geht – die ungleicheren Länder schneiden erheblich schlechter ab. Und zwar unabhängig davon, wie arm oder reich ein Land insgesamt ist. Das Ausmaß der Einkommensunterschiede innerhalb unserer eigenen Gesellschaft betrifft uns also viel stärker als die Höhe des Durchschnittseinkommens im Land. PERSPEKTIVE 21:

Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich? WILKINSON: Was Ungleichheit und soziale Probleme angeht, befindet sich Deutschland etwas oberhalb der Mitte. Die Klassenbesten sind Japan und die skandinavischen Länder. Hinten liegen die Vereinigten Staaten, Singapur, Portugal, Großbritannien und Australien. Vertrauen ist die Basis Nehmen wir einmal das Beispiel Fettsucht. Ihr epidemologischer Befund lautet: Je größer die Einkommensungleichheit, umso mehr Fettsüchtige gibt es. Spielt die jeweilige Esskultur eines Landes gar keine Rolle? WILKINSON: Dann dürften sich die 50 amerikanischen Bundesstaaten ja nicht voneinander unterscheiden. Das tun sie aber: In Colorado sind rund 22 Prozent der Erwachsenen fettleibig, in Texas fast 34 Prozent. Fettsucht geht klar auf Stress zurück. Gestresste Menschen essen mehr, um sich gut zu fühlen, und sie verarbeiten ihre Nahperspektive21

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rung anders als ihre ungestressten Mitmenschen: Fettgewebe bauen sie vor allem im Bauchbereich auf, weniger an den Hüften und Schenkeln. Auch weiß man, dass Stress und Ängste in der Kindheit das Gewicht als Erwachsene beeinflussen. Im Verlaufe der Evolution war es wohl rational, in Zeiten von Unsicherheit und Konflikten Vorräte anzulegen. Beispielsweise nahm die Zahl der Fettleibigen in Ostdeutschland in den Jahren nach der Wende signifikant zu – nicht weil sich die Menschen mehr leisten konnten, sondern weil die Einkommen ungleicher wurden und es viele Wendeverlierer gab. Wie hängen Ungleichheit und Stress genau zusammen? WILKINSON: Man kann sich materielle Unterschiede wie ein Gerüst vorstellen, an dem kulturelle und klassenspezifische Differenzierungen befestigt sind: Kleidung, Geschmack, Bildung, Selbstbewusstsein. Selbst sehr reiche Menschen drücken mit Geld immer auch den eigenen Status aus. Der Grad der Einkommensgleichheit zeigt also an, wie hierarchisch es in einer Gesellschaft zugeht. Deshalb reagieren Menschen sehr sensibel darauf. Ungleichheit verschärft den Statuswettbewerb, verschlechtert die Qualität unserer sozialen Beziehungen und erzeugt sozialen Stress. Umgekehrt vertrauen sich die Menschen in egalitäreren Gesell62

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schaften mehr, sie nehmen mehr am gemeinschaftlichen Leben teil und sind sozial engagierter. Die Mittel- und Oberschicht dürfte gesellschaftliche Ungleichheit nicht besonders stören. WILKINSON: Dann liegen sie falsch. Natürlich kommen soziale und gesundheitliche Probleme in den ärmeren Schichten häufiger vor. Aber Ungleichheit wirkt sich auch auf die übrige Bevölkerung negativ aus. In ungleicheren Gesellschaften spielt die wechselseitige Einschätzung des sozialen Status und Statuskonkurrenz eine größere Rolle – und zwar in allen Schichten. Dadurch entstehen soziale Ängste. So beschäftigen sich Menschen in ungleicheren Gesellschaften mehr mit ihrem eigenen Vorankommen. Schließlich ist der Einsatz höher, den sie dafür erbringen müssen. Ungleichheit schadet In seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ argumentiert der Philosoph John Rawls, Ungleichheit sei gerechtfertigt, solange sie zu einer besseren Lebenssituation der Ärmeren führt. Dazu passt ein Zitat des ehemaligen britischen Wirtschaftsministers Peter Mandelson: „Wir sind äußerst entspannt, wenn manche Leute stinkreich werden.“ Dahinter steht die auch unter progressiven Sozialdemokraten verbreitete Hoffnung, der Reichtum


richard wilkinson – mehr gleichheit ist für alle besser

werde in die unteren Schichten durchsickern. Widersprechen Sie Rawls und Mandelson? WILKINSON: Definitiv. Die Theorie der Gerechtigkeit geht von der falschen Annahme aus, das Wichtigste seien die absoluten materiellen Maßstäbe. Kate Pickett und ich weisen dagegen auf die negativen psychosozialen Effekte von Ungleichheit hin. Fast alle unsere Befunde haben mit dem menschlichen Verhalten zu tun. Es geht um Gefühle von Überlegenheit und Minderwertigkeit durch Ungleichheit. Es geht um relative, nicht um absolute Schlechterstellung. Im Mittelpunkt unseres Denkens steht nicht der individuelle Wohlstand, sondern die zwischenmenschliche Beziehung – und diese wird eben häufig durch materielle Standards definiert. Zum Beispiel leben in den Vereinigten Staaten etwa 12 Prozent der Bevölkerung unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Aber 80 Prozent der Armen haben eine Klimaanlage, die Hälfte besitzt ein Auto, ein Drittel eine Spülmaschine und einen Computer. Materiell geht es ihnen also gar nicht so übel, und dennoch gibt es in dieser Bevölkerungsgruppe mehr Gewalt, mehr Drogenmissbrauch, mehr Teenager-Schwangerschaften. Der Grund sind die negativen psychosozialen Auswirkungen von relativer Armut. Sie haben auch untersucht, wie sich Gleichheit auf die soziale Mobilität aus-

wirkt. Eigentlich müsste es in ungleichen Ländern mehr Anreize geben, durch Arbeit und Leistung aufzusteigen. WILKINSON: Das Gegenteil ist der Fall. Ungleichheit macht Gesellschaften weniger durchlässig, führt zu mehr sozialräumlicher Segregation und zu mehr Vorurteilen gegenüber den sozial Schwächeren – was die Statusunterschiede wiederum manifestiert. Wer glücklich ist Ist es nicht etwas einseitig, soziale Mobilität nur auf den Grad an Einkommensgleichheit zurückzuführen? Zum Beispiel beeinflussen doch auch die Bildungssysteme die Aufstiegschancen der Kinder. WILKINSON: Bildung spielt eine Rolle, aber der Statuseffekt ist viel wichtiger. Ungleichheit wirkt sich stark auf die familiären Beziehungen aus. Häusliche Konflikte oder fehlende Zeit für den Nachwuchs beeinflussen die kindliche Entwicklung negativ. Wenn Eltern große persönliche Sorgen und Ängste haben, geben sie diese häufig unbewusst an ihre Kinder weiter – und beeinträchtigen damit deren emotionales und kognitives Wachstum. Nach neuesten Erkenntnissen aus der Primatenforschung kann es sogar sein, dass sich frühkindliche Prägungen direkt auf die Gene auswirken. Hinzu kommt: Kinder aus ärmeren Elternhäusern passen sich automatisch ihrem perspektive21

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niedrigen sozialen Status an und fühlen sich häufig minderwertig. Studien der neurologischen Forschung zeigen, dass Lernfähigkeit viel mit Gefühlen zu tun hat. Wer zuversichtlich und glücklich ist, hat eine höhere Gehirnleistung als jemand, der sich hilf- und chancenlos fühlt. Ursachen bekämpfen Die von Ihnen verwendeten Statistiken beziehen sich allesamt auf das Hier und Jetzt. Längerfristige Entwicklungen haben Sie nicht untersucht. Dabei ist die durchschnittliche Lebenserwartung in den meisten wohlhabenden Ländern gestiegen, die Bildungschancen haben sich verbessert und die Kriminalität ist zurückgegangen – obwohl die Ungleichheit seit den achtziger Jahren angewachsen ist. WILKINSON: An genau dieser Stelle wollen wir jetzt weiterforschen. Es gibt bereits Studien über längere Zeiträume, die unsere Thesen stützen. Zum Beispiel erhöhte sich in den osteuropäischen Staaten nach der kommunistischen Zeit die Sterberate nicht in den ärmsten Ländern am meisten, sondern in den ungleichsten. Und was die steigende Lebenserwartung angeht: Das ist eins der großen Rätsel der Gesundheitsforschung. Wir sagen ja nicht, dass Gleichheit der einzige relevante Faktor ist, aber sie ist bei allen von uns untersuchten Kategorien ein entscheidender Faktor. 64

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Darüber hinaus blenden Sie vollkommen aus, dass das Armutsrisiko in bestimmten Bevölkerungsgruppen besonders hoch ist – zum Beispiel unter Einwanderern oder Alleinerziehenden. Sollte sich die Politik nicht zunächst um diese Menschen kümmern? WILKINSON: In der Vergangenheit hat die Politik doch schon für jede Problemgruppe und für jeden sozialen Missstand eigene Programme und spezialisierte soziale Dienste eingerichtet. Jedes einzelne Problem wird für sich behandelt, anstatt die gemeinsame Ursache der Probleme zu bekämpfen: Ungleichheit, relative Armut und so weiter. Nur das Ergebnis zählt Auch die Debatte um unterschiedliche Typologien von Wirtschafts- und Sozialmodellen kommt in Ihrem Buch überhaupt nicht vor. Dabei ist doch unbestritten, dass es besser und schlechter organisierte Wohlfahrtsmodelle gibt. WILKINSON: Aber unsere Empirie zeigt, dass es vollkommen irrelevant ist, auf welchem Weg ein Land mehr Einkommensgleichheit erreicht. Nur das Ergebnis zählt. Weder die Höhe der Sozialleistungen noch die Steuerquote korrelieren mit den sozialen Problemen. Zum Beispiel steht der amerikanische Bundesstaat New Hampshire bei Einkommensgleichheit, Gesundheit und sozialen Indikatoren weit besser da


richard wilkinson – mehr gleichheit ist für alle besser

als viele andere Staaten, aber er hat nach Alaska die niedrigste Steuerquote. Dafür sind in New Hampshire die Lohnunterschiede gering, weil die Gewerkschaften dort sehr stark sind. Politics matters Viele glauben, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in den westlichen Gesellschaften sei aufgrund der Globalisierung und des technologischen Wandels unvermeidbar. Ist die Politik überhaupt in der Lage, für mehr Gleichheit zu sorgen? WILKINSON: Der berühmte Ökonom Paul Krugman geht davon aus, dass die wachsende Ungleichheit seit den achtziger Jahren in erster Linie auf politische Entscheidungen zurückgeht. Denn während die Einkommensdifferenzen in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sehr hoch waren, wurden die Gesellschaften nach der Großen Depression und im Zuge des amerikanischen New Deal bis in die sechziger Jahre immer gleicher. In den Siebzigern stagnierte die Ungleichheit, erst seit den achtziger Jahren steigt sie wieder. Ein zentraler Grund dafür war die Liberalisierungspolitik Ronald Reagans und Margret Thatchers: Steuersenkungen, Schwächung der Gewerkschaften, Privatisierungen. Ihnen ging es in erster Linie um Wirtschaftswachstum; die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich haben

sie billigend in Kauf genommen. Die Politik hat folglich durchaus großen Einfluss auf den Grad der Ungleichheit. Führen ungleiche Gesellschaften überhaupt zu mehr Wachstum? WILKINSON: Im Gegenteil: Die meisten empirischen Studien zeigen, dass Gleichheit das Wirtschaftswachstum positiv beeinflusst. Denn gesellschaftlicher Zusammenhalt, soziales Kapital und Vertrauen senken die Transaktionskosten für die Unternehmen und schaffen ein gutes Geschäftsumfeld. Interessant ist auch, dass in gleicheren Ländern mehr Patente pro Kopf angemeldet werden, wohl weil die Bevölkerung in ungleicheren Gesellschaften einen schlechteren Bildungsstand hat und weniger Menschen sozial aufsteigen können. Ungleiche Gesellschaften verschwenden einfach zu viele ihrer Talente. Aber davon einmal abgesehen sollte unser Ziel gar nicht zusätzliches Wachstum sein, sondern mehr Lebensqualität, bessere soziale Beziehungen und eine saubere Umwelt – durch mehr Gleichheit. Was hat Ökologie mit Einkommensgleichheit zu tun? WILKINSON: Zum einen gibt es in gleicheren Gesellschaften ein stärkeres Bewusstsein für das Allgemeinwohl. Um ein Beispiel zu nennen: In gleicheren Gesellschaften wird mehr Müll perspektive21

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recycelt als in ungleicheren. Dieses Bewusstsein ist auch beim Klimaschutz essenziell. Zum anderen spielt in ungleicheren Gesellschaften der Konsum eine größere Rolle. Konsum hat viel mit Statuswettbewerb zu tun, Ungleichheit heizt ihn an. Kate Pickett und ich sind davon überzeugt, dass Menschen in ungleicheren Gesellschaften deshalb im Durchschnitt länger arbeiten, weil Geld wichtiger ist. Um dem Konsumismus entgegenzuwirken, brauchen wir mehr Gleichheit. Wirtschaft demokratisieren Welche politischen Maßnahmen schlagen Sie vor, um dieses Ziel zu erreichen? WILKINSON: Wir sind keine Politikexperten, deshalb sprechen wir auch keine konkreten politischen Empfehlungen aus. Und wie gesagt: Auf welchem Weg das Gleichheitsziel erreicht wird, spielt keine Rolle. Eine Variante sind natürlich höhere Steuern und Abgaben, aber Steuererhöhungen sind unpopulär und können von späteren Regierungen leicht wieder rückgängig gemacht werden. Deshalb sollten wir Gleichheit tiefer in unserer Kultur verankern und unser Wirtschaftssystem demokratisieren. Damit meine ich nicht nur mehr Mitbestimmung und starke Betriebsräte, sondern die Förderung von Genossenschaften, mehr Möglichkeiten zur Beteiligung der Arbeitnehmer an den Unternehmens66

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gewinnen – bis hin zu arbeitnehmergeführten Unternehmen. Weitere wichtige Felder für die Frage der Gleichheit sind gesetzliche Mindestlöhne, Bildung, Weiterbildung, der Arbeitsmarkt, öffentliche Dienstleistungen, Renten und die Familienpolitik. Geht die demokratische Beteiligung der Mitarbeiter nicht auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit? WILKINSON: Ich habe mir mehrere umfangreiche und gut abgesicherte Studien zur Anteilseignerschaft von Arbeitnehmern und zu partizipatorischen Managementmethoden angesehen. In Unternehmen, in denen es diese beiden Elemente auf intelligente Weise gibt, ist die Produktivität deutlich angestiegen. Wer über seine Arbeit mitbestimmen kann, lebt auf, engagiert sich stärker, übernimmt mehr Verantwortung. Anders herum hat das Gefühl, am Arbeitsplatz ungerecht behandelt zu werden, erwiesenermaßen negativen Einfluss auf die Gesundheit des Arbeitnehmers. Und noch etwas ist wichtig für unser Thema: In diesen Unternehmen gerät die Einkommensschere unter demokratische Kontrolle. Wie verträgt sich Gleichheit mit persönlicher Freiheit und Eigenverantwortung? WILKINSON: Das Beispiel Wirtschaftsdemokratie zeigt es doch: Mehr Gleichheit kann mehr Freiheit bedeuten – in diesem Fall mehr Freiheit für Arbeit-


richard wilkinson – mehr gleichheit ist für alle besser

nehmer. Der Kommunismus hat den Begriff der Gleichheit über Jahrzehnte diskreditiert. Seit dem Kalten Krieg wird Gleichheit mit Freiheitsverlust gleichgesetzt, also mit weniger Meinungsfreiheit, weniger Presse-

freiheit, weniger Reisefreiheit. Wenn man nun aber Gleichheit mit einer Ausweitung von Demokratie und Freiheit in Verbindung bringt, dürfte sie bei den Menschen größere Akzeptanz erfahren. I

RICHARD WILKINSON

ist Epidemiologe und hat mit Kate Picket in dem Buch „Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ empirisch belegt, dass soziale Probleme einer Gesellschaft zunehmen, je stärker die Ungleichheit zwischen Arm und Reich ist. perspektive21

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