Text Zur Kunst - Verdeckte Arbeit - Sarah Morris

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VERDECKTE ARBEIT Gertrud Koch über Sarah Morris bei Capitain Petzel, Berlin

Sarah Morris, „Finite and Infinite Games“, 2017, Filmstill

Ironisch lässt sich der Titel von Sarah Morris’ Ausstellung „Cloak and Dagger“ auf die Kooperation beziehen, die Morris und Alexander Kluge in den beiden Filmarbeiten, die im Zentrum stehen, eingegangen sind. Der Titel verweist aber auch auf das Genre der Mantel- und-Degen-Stücke und -filme sowie auf den Marvel-Comic, in dem zwei Teens sich im Krieg gegen Drogen als „Cloak & Dagger“-Kampfeinheit formieren. Die Ausstellung zeigt drei Werkgruppen von Sarah Morris: großformatige Bilder mit flächigen, abstrahierenden Oberflächen und mit starken Farbwirkungen; eine Serie von Arbeiten, die historische Filmplakate mit grafischen Strukturen überblenden, und zwei Videofilme. Einer von ihnen, „Mimosa Tank: A Prologue for a Film“, wird auf der Galerie im TV-Format vorgeführt, was nicht unbedingt dazu einlädt, ihn als Film mit einem

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Anfang und einem Ende als Ganzes zu sehen. Der zweite, „Finite and Infinite Games“, wird im Untergeschoss auf einem großen Bildschirm in einem abgedunkelten Raum gezeigt und schlägt schon dadurch deutlich mehr in den Bann. Die drei Werkgruppen sind eng miteinander verflochten: Während die großformatigen leuchtenden Bilder Flächigkeit und Abstraktion in eine rhythmische Bewegung bringen, die die Betrachter/ innen schon im Vorbeigehen affiziert, weisen die bearbeiteten Filmplakate auf die innere Spannung hin, die zwischen dem gegenständlichen Konkretismus des populären Films und der formalen Abstraktion der modernen Malerei besteht, eine Spannung, die in den Videofilmen selbst sowohl gegenständlich wie formal durchgespielt wird. Beide Filme zentrieren sich auf das Problem, wie ökonomische und politische Macht sich als


doppelt performative Kräfte zeigen. Zum einen stellt sich das Problem der Darstellung der Macht, die, wo sie nicht in direkte Gewalt umschlägt, meist in Institutionen verpanzert ist, die nur als Oberfläche aufscheinen, aber nicht mehr strukturell sichtbar gemacht werden können. Zum anderen ist Macht selbst performativ, indem sie über Zeichensysteme handelt und handeln lässt. Geht man von dieser doppelten Performanz der Macht aus, werden die ästhetischen Verfahren von Sarah Morris als ein Spiel lesbar, aus den Oberflächen städtischer und architektonischer Fassaden Herrschaftsformen zu vermessen und sie zugleich als schönen Schein zu transformieren. „Mimosa Tank: A Prologue for a Film“ dreht sich um die Künstlerlegende, die Fritz Lang über sich selbst erzählt hat. Sie stammt aus Erwin Leisers Dokumentarfilm „Zum Beispiel Fritz Lang“ von 1968. In diesem berichtet Lang, wie seine Flucht nach Paris begann: Der Propagandaminister Goebbels bestellt ihn ein, um ihn damit zu überraschen, dass man ihm die Zukunft des NS-Films anvertrauen wolle, und Lang realisiert unmittelbar, dass er damit von seinen zukünftigen Schergen in eine Art doppelte Haftung genommen wird. Er entschließt sich, sofort den Zug nach Paris zu nehmen. Lang erzählt diese Anekdote (die nicht belegt werden kann) über die lange Beschreibung des Weges, der ihn durch die Korridore des Ministeriums bis vor den Schreibtisch des Ministers führt. In den historischen schwarz-weißen Aufnahmen steht Lang in lässiger Haltung vor einem Regal und beschreibt wie in einer endlosen Kamerafahrt die Architektur der Macht, die von den asymmetrischen Köperbewegungen und -haltungen eingefasst wird, zwischen den tappenden, unsicheren Schritten des Einbestellten und dem Thronen des Machthabers.

Der Gang durch die Maschine der Macht, der im Zug endet, der die Distanz als Fluchtstrecke ausagiert, ist die ikonische Metaphorisierung von Freiheit als Bewegung. Die einzelnen Motive der Lang’schen Erzählung werden bereits in der Exposition von „Mimosa Tank“ gezeigt: Die historischen Akteure auf viragierten und markierten Fotografien; der Zug als expressionistisch ornamentierter Zug aus der Gegenwart; die Lang-Filme, auf die sich die Erzählung bezieht – „M“, „Metropolis“, „Nibelungen“ – werden in Kluges Überarbeitungen und Überschreibungen oder über Plakate einmontiert. In einem Gespräch zwischen Morris und Kluge wird, teils frontal aufgenommen, teils als Offton, aus der auditiven architektonischen Erzählung heraus das ambivalente Verhältnis des ästhetischen Revolutionärs Lang und des reaktionären Politikers Lang aufgedröselt: „Mimosen-Tank“ nennt Kluge die prekäre Melange aus überhöhter ästhetischer Sensibilität und geharnischtem Reaktionär in einer Metapher, die Florales und Militärisches zusammenbringt. Auch im zweiten Film, „Finite and Infinite Games“, ist Kluge präsent, sowohl als „Talking Head“ wie als Offstimme. Als Film ist dieser deutlich interessanter, weil sich in ihm die höchst unterschiedlichen filmpoetischen Konzepte von Morris und Kluge in ein Spannungsverhältnis begeben. Die – sei es über die Stimme oder über die Schrift – fast immer sprachbezogenen Mininarrative, die Kluge aus Bildern montiert, stehen den großflächigen, grafischen Panoramen städtischer und architektonischer Räume gegenüber, die sich ganz aus der Strukturierung von Oberflächen ergeben und aus dem Bild sozialer Räume eine geordnete Textualität evozieren, ähnlich wie in anderen Filmarbeiten von Morris. Die Montage aus Kluges (und auch Morris’) Sprechen mit den

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großflächigen, auf Brillanz und Tiefenwirkung hin aufgenommenen, fast symphonischen Stadtund Raumlandschaften, wie der Elbphilharmonie und dem Hamburger Hafen, erzeugt eine eigentümliche Sogwirkung, die aus der mesmerisierenden Stimme und den atemberaubenden Panoramen zusammen mit einer eher minimalistischen Musik entsteht. Aus der neuen Hamburger Elbphilharmonie wird so ein Ort, der, von Morris freigestellt von menschlichen Figuren, wie ein von Geisterhand bewegter Apparat wirkt. Aus der Decke schweben Haken herab, Licht ordnet die Sitzreihen an, die Kamera kadriert das Geschehen immer mit Distanz, aber doch mit Skalierungen, die Nähe und Ferne erfahrbar machen. Über diese Vorführung der apparativen, maschinellen Beweglichkeit des Raums legt sich die Stimme Alexander Kluges: „… und da steckt so viele menschliche Arbeit drin, so viele tote Arbeit“ – „damit man fliegen kann, damit man Bomben machen kann …“ Kluges Kommentar bezieht sich auf die marxistische Gesellschaftsanalyse und die unterschiedlichen Formen der Arbeit. In der Montage wird nun der architektonische Ort musikalischen Spiels von Vielen und Einzelnen zu einer Maschine, die ineinandergreift und die verbunden ist über „menschliche Arbeit“. Die Serie von maschinell bewegten Räumen vom Containerhafen bis zur Elbphilharmonie eröffnet auch einen ästhetischen Diskurs über Arbeit, der an Adornos Diktum erinnert, das Walter Benjamin in seinem „PassagenWerk“ zitiert. In diesen Ausführungen werden das ästhetische Artefakt und das durch Arbeit Geschaffene aufeinander bezogen. In den „Aufzeichnungen und Materialien“ zum „Passagen-Werk“ findet sich folgende Textstelle im Abschnitt „X (Marx)“: „Die Eigenschaft,

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die der Ware als ihr Fetischcharakter zukommt, haftet der warenproduzierenden Gesellschaft selber an […]. Sie wird bei Wiesengrund ,definiert als ein Konsumgut, in dem nichts mehr daran gemahnen soll, wie es zustande kam. Es wird magisiert, indem die darin aufgespeicherte Arbeit im gleichen Augenblick als supranatural und heilig erscheint, da sie als Arbeit nicht mehr zu erkennen ist.‘ (T W Adorno Fragmente über Wagner Zeitschrift für Sozialforschung VIII 1939, 1/2 p 17) Hierzu aus dem Manuscript des ,Wagner‘ (p 46/7) ,[…] Wer ganz verstünde, warum Haydn im Piano die Geigen durch eine Flöte verdoppelt, der könnte vielleicht ein Schema gewinnen für die Einsicht, warum die Menschheit vor Jahrtausenden aufgab, rohes Getreide zu essen und Brot buk, oder warum sie ihre Geräte glättete und polierte. Im Konsumgegenstand soll die Spur von dessen Produktion vergessen gemacht werden. Er soll aussehen, als ob er überhaupt nicht mehr gemacht wäre, um nicht zu verraten, dass der Tauschende eben ihn nicht machte, sondern die in ihm enthaltene Arbeit sich aneignete. Die Autonomie der Kunst hat zum Ursprung die Verdeckung der Arbeit.‘“1 Die Überlagerung von ästhetischer und industrieller und handwerklicher Arbeit, von Hand- und Maschinenarbeit, ist es, die nicht nur in der Kunst verborgen wird, sondern auch in den Architekturen, die wirken, als seien sie von Geisterhand aufgebaut worden. Dem Betrachter/ der Betrachterin erscheinen sie als das schöne Bild, eine Stadtansicht, die sich in spiegelnden Scheiben und gelenkigen Vertikalen und Horizontalen zu einem Ornament formt, das von der Mühe seiner Entstehung nichts mehr mitteilt. An diesem Schnittpunkt greifen Kluges und Morris’ filmische Verfahren produktiv ineinander: Die


„Sarah Morris: Cloak and Dagger“, Capitain Petzel, Berlin, 2017, Ausstellungsansicht

kühle Glätte der Arbeiten von Morris, die auch in einigen ihrer großformatigen Hochglanzgemälde zu sehen ist, bekommt hier eine zweite Ebene, auf der Kluge einsetzt. Die Kooperation der beiden ist eine der diskursiven Vernähung von stummen und sprechenden Bildern, von Bild und Wort. Für Morris bedeutet das eine produktive Perspektivierung durch die Kommentarfunktion der Gespräche und für Kluge die Konfrontation mit einer Form der Abstraktion, die sich weder in Begriffe auflösen lässt noch diese ersetzt. „Sarah Morris: Cloak and Dagger“, Capitain Petzel, Berlin, 21. Juni bis 26. August 2017. Anmerkung 1 Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Band V.2, Frankfurt/M., S. 822f.

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