«PlĂ€doyer fĂŒr ein gesundes Ălterwerden» Adelheid Kuhlmey (55) ist Gerontologin, Professorin und Direktorin des Instituts fĂŒr Medizinische Soziologie an der Berliner CharitĂ©. Sie plĂ€diert fĂŒr ein gesundes, aberâšrealistisches Altern. In ihrem Buch «Alter, Gesundheit und Krankheit» fasst eine der renommiertesten Altersforscherinnen Europas die wichtigsten gesellschaftlichen Probleme rund ums Thema Altern zusammen. Text: Kurt MĂŒrset; Photo: zvg
Adelheid Kuhlmey ist Mitte 50 und sie
Kampagne, die mithilft, die Menschen
macht sich â auch von Berufs wegen â Ge-
stÀrker zu machen, das Altern zu akzeptie-
danken darĂŒber, was im Alter auf sie zu-
ren und gut damit umzugehen.
selber neu sein wird, sondern vor allem,
Dabei ist gerade dieses Umgehen mit
weil die Situation fĂŒr unsere Gesellschaft
dem Alter eine Herausforderung, die wir â
eine völlig neue sein wird: zum ersten
individuell und gesellschaftlich â anneh-
Mal erleben wir, dass ganze Generationen
men mĂŒssen. Schliesslich ist heute Wirk-
Lifestyle
kommen wird. Nicht nur weil dies fĂŒr sie
quasi geschlossen alt werden. Die soge-
lichkeit geworden, was die Menschen
nannten Babyboomer, die geburtenstarken
schon immer anstrebten: lange zu leben,
JahrgĂ€nge der FĂŒnfziger Jahre, gehen zu-
alt zu werden. Adelheid Kuhlmey betont,
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sammen ins sechste, siebte und gar achte
dass wir immer noch nicht wissen, was wir
Lebensjahrzehnt. Neu ist auch, dass man
mit der ganzen Zeit anfangen sollen. Wir
mit 60 oder 70 Jahren nicht mehr zu den
sind immer noch in den drei Lebensab-
Ăltesten zĂ€hlt. Denn da sind immer noch
schnitten Kindheit und Jugend, ArbeitsÂ
Âgrosses soziales Reservoir dar. Ihre Teil-
die 80- und 90-JĂ€hrigen.
leben und Pensionsalter gefangen. FrĂŒher
habe an der Gesellschaft zu gestalten, das
In unserer Gesellschaft leben wir nicht nur lĂ€nger, sondern bleiben auch ĂŒber das ÂRentenalter hinaus aktiv â wie beispielsweise die Rolling Stones.
lebte ein Rentner nach der Pensionierung
ist eines der wichtigsten Themen der
Hier stellt sich die Gerontologin ent-
durchschnittlich vielleicht noch fĂŒnf bis
nÀchsten 30 Jahre. Wir können es uns gar
scheidende Fragen: Wie gestaltet sich das
zehn Jahre, heute sind es zwanzig. Was
nicht leisten, auf die Reserven, das Wissen
Leben im Alter? Was können wir tun, um
sollen wir mit dieser gewonnenen Lebens-
und Potential der alten Leute zu verzich-
uns prÀventiv auf diesen Lebensabschnitt
zeit tun? Ăltere Menschen stellen ein
ten. Hier ist KreativitÀt gefragt. Denkbar
einzustellen? Heute ist dieses lange Alters-
wĂ€re ein Sozialjahr fĂŒr Senioren oder Teil-
leben völlig unserer privaten Initiative
zeitarbeit im Alter. Das Erwerbssystem
ĂŒberlassen. Erst langsam mĂŒht sich die
muss flexibler werden. Schliesslich gibt es
Gesellschaft, das Rentenalter nach oben
nichts Individuelleres als das Alter. Wir
zu verschieben â und stösst dabei auf
kennen heute die kalendarischen Alters-
Widerstand. Die jungen Alten zwischen
grenzen, nach dem Austritt aus dem Be-
60 und 80 sind ein neues PhÀnomen, Vor-
rufsleben fÀngt ein junges Alter an und das
bilder haben sie noch keine.
alte Alter nach dem 80.Lebensjahr. Wir wissen aber, dass es 60-JĂ€hrige gibt, die
Die ganzen Anti-Aging-Kampagnen â
funktional zehn Jahre jĂŒnger sind, aber
also die krampfhaften BemĂŒhungen jung
auch das Umgekehrte gilt. Dieses individu-
zu erscheinen â sind dabei ihrer Meinung
elle Alter wird viel zu wenig berĂŒcksichtigt,
nach auch nicht sehr hilfreich, wenn man mal vom prÀventiven Charakter absieht. Viel besser wÀre die Idee einer Pro-Aging-
Die Berliner Gerontologin Adelheid Kuhlmey plĂ€diert fĂŒr ein gesundes, aber realistisches Altern â ohne das krampfhafte BemĂŒhen jung erscheinen zu wollen.
um beispielsweise Entscheidungen zu treffen, wer wann aus dem Erwerbsleben ausscheiden sollte.