Gesundsitzen 2012

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«PlĂ€doyer fĂŒr ein gesundes Älterwerden» Adelheid Kuhlmey (55) ist Gerontologin, Professorin und Direktorin des Instituts fĂŒr Medizinische Soziologie an der Berliner CharitĂ©. Sie plĂ€diert fĂŒr ein gesundes, aber‹realistisches Altern. In ihrem Buch «Alter, Gesundheit und Krankheit» fasst eine der renommiertesten Altersforscherinnen Europas die wichtigsten gesellschaftlichen Probleme rund ums Thema Altern zusammen. Text: Kurt MĂŒrset; Photo: zvg

Adelheid Kuhlmey ist Mitte 50 und sie

Kampagne, die mithilft, die Menschen

macht sich – auch von Berufs wegen – Ge-

stÀrker zu machen, das Altern zu akzeptie-

danken darĂŒber, was im Alter auf sie zu-

ren und gut damit umzugehen.

selber neu sein wird, sondern vor allem,

Dabei ist gerade dieses Umgehen mit

weil die Situation fĂŒr unsere Gesellschaft

dem Alter eine Herausforderung, die wir –

eine völlig neue sein wird: zum ersten

individuell und gesellschaftlich – anneh-

Mal erleben wir, dass ganze Generationen

men mĂŒssen. Schliesslich ist heute Wirk-

Lifestyle

kommen wird. Nicht nur weil dies fĂŒr sie

quasi geschlossen alt werden. Die soge-

lichkeit geworden, was die Menschen

nannten Babyboomer, die geburtenstarken

schon immer anstrebten: lange zu leben,

JahrgĂ€nge der FĂŒnfziger Jahre, gehen zu-

alt zu werden. Adelheid Kuhlmey betont,

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sammen ins sechste, siebte und gar achte

dass wir immer noch nicht wissen, was wir

Lebensjahrzehnt. Neu ist auch, dass man

mit der ganzen Zeit anfangen sollen. Wir

mit 60 oder 70 Jahren nicht mehr zu den

sind immer noch in den drei Lebensab-

Ältesten zĂ€hlt. Denn da sind immer noch

schnitten Kindheit und Jugend, Arbeits­

­grosses soziales Reservoir dar. Ihre Teil-

die 80- und 90-JĂ€hrigen.

leben und Pensionsalter gefangen. FrĂŒher

habe an der Gesellschaft zu gestalten, das

In unserer Gesellschaft leben wir nicht nur lĂ€nger, sondern bleiben auch ĂŒber das ­Rentenalter hinaus aktiv – wie beispielsweise die Rolling Stones.

lebte ein Rentner nach der Pensionierung

ist eines der wichtigsten Themen der

Hier stellt sich die Gerontologin ent-

durchschnittlich vielleicht noch fĂŒnf bis

nÀchsten 30 Jahre. Wir können es uns gar

scheidende Fragen: Wie gestaltet sich das

zehn Jahre, heute sind es zwanzig. Was

nicht leisten, auf die Reserven, das Wissen

Leben im Alter? Was können wir tun, um

sollen wir mit dieser gewonnenen Lebens-

und Potential der alten Leute zu verzich-

uns prÀventiv auf diesen Lebensabschnitt

zeit tun? Ältere Menschen stellen ein

ten. Hier ist KreativitÀt gefragt. Denkbar

einzustellen? Heute ist dieses lange Alters-

wĂ€re ein Sozialjahr fĂŒr Senioren oder Teil-

leben völlig unserer privaten Initiative

zeitarbeit im Alter. Das Erwerbssystem

ĂŒberlassen. Erst langsam mĂŒht sich die

muss flexibler werden. Schliesslich gibt es

Gesellschaft, das Rentenalter nach oben

nichts Individuelleres als das Alter. Wir

zu verschieben – und stösst dabei auf

kennen heute die kalendarischen Alters-

Widerstand. Die jungen Alten zwischen

grenzen, nach dem Austritt aus dem Be-

60 und 80 sind ein neues PhÀnomen, Vor-

rufsleben fÀngt ein junges Alter an und das

bilder haben sie noch keine.

alte Alter nach dem 80.Lebensjahr. Wir wissen aber, dass es 60-JĂ€hrige gibt, die

Die ganzen Anti-Aging-Kampagnen –

funktional zehn Jahre jĂŒnger sind, aber

also die krampfhaften BemĂŒhungen jung

auch das Umgekehrte gilt. Dieses individu-

zu erscheinen – sind dabei ihrer Meinung

elle Alter wird viel zu wenig berĂŒcksichtigt,

nach auch nicht sehr hilfreich, wenn man mal vom prÀventiven Charakter absieht. Viel besser wÀre die Idee einer Pro-Aging-

Die Berliner Gerontologin Adelheid Kuhlmey plĂ€diert fĂŒr ein gesundes, aber realistisches Altern – ohne das krampfhafte BemĂŒhen jung erscheinen zu wollen.

um beispielsweise Entscheidungen zu treffen, wer wann aus dem Erwerbsleben ausscheiden sollte.


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