Paerfect

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Vielleicht kannst du noch ein bisschen mehr von deinem Arbeitsalltag erzählen. Du hast mir geschrieben, dass du mit Langzeitstudenten zu tun hast, bei denen auch oft das Thema »Perfektionismus« eine große Rolle spielt? Kann man es wirklich als Krankheit bezeichnen oder einfach nur übertriebenen Eifer? Also Perfektionismus an sich ist ja keine Krankheit und es kann ja auch etwas ganz Hilfreiches sein, dass man Sachen besonders gut macht. Manchmal kommen dann aber Situationen, wo man nicht mehr weiter kommt, weil man so perfektionistisch ist, dass man einfach Sachen nicht mehr abschließt. Das ist dann häufig bei den Langzeitstudenten der Fall. Wenn sie z.B. eine Abschlussabeit schreiben und dann so lange daran rumarbeiten und die ganze Zeit das Gefühl haben, es ist immer noch nicht gut genug und es deswegen nicht zum Abschluss bringen können. Oder, dass sie für eine Prüfung so lange lernen bis sie hoffen, dass sich ein Gefühl einstellt, das sich aber nie einstellen wird, nämlich dass man alles weiß. Wie finden diese Studenten den Weg zu dir um sich helfen zu lassen? Sie kommen meist her, weil sie Schwierigkeiten haben, ihr Studium fort zusetzten oder abzuschließen, oder weil sie überlegen, ihr Studium ganz abzubrechen und schauen was es für Alternativen gibt. Manchmal wissen sie auch, was ihnen fehlt z.B. irgendwelche Lern- und Arbeitstechniken, manchmal ist aber auch unklar, woran es liegt. Es kann auch an persönlichen Krisen oder auch psychischen Problemen liegen. Und dann ist ja auch erstmal mein Job herauszufinden, worum es denn eigentlich geht. Kann man sagen, dass Perfektionismus in unserer Gesellschaft, jetzt nicht nur bei Studenten, als eine Art Modekrankheit zu sehen ist, durch den immer größer werdenden Druck von außen? Wir haben erst beim Mittagessen darüber gesprochen. Heute? Heute, genau. Und ich bin mit einer Kollegin zusammen der Meinung, dass Perfektionismus eher abnimmt. Es gibt zwar den Druck, gute Leistung zu erbringen, aber auch die Vorraussetzung immer schneller zu sein, und je schneller man ist, desto weniger gründlich kann man die Sachen ja machen. Die Schnelllebigkeit ist also stärker als die Genauigkeit? Ja, es zählt auch immer mehr das Bild nach außen, ein möglichst gutes und perfektes Bild zu tragen, aber nicht wirklich gründlich in die Tiefe zu gehen. Im Gegensatz zu den Abschlussarbeiten, wo man denkt: »Ich muss das jetzt ganz wissenschaftlich durchdringen und fünf Autoren nehmen, auf die ich mich beziehe. Die Selbstdarstellung wird also immer wichtiger als der Perfektionismus. Das sieht man auch beim Bachelor Studiengang. Die Anforderungen sind da ja schon so hoch durch die Stunden die man anwesend sein muss, dass man es gar nicht schafft sich so viele Stunden zu Hause noch hinzusetzten und das Ganze vorzubereiten und nachzubereiten. Was sind die Auslöser oder Gründe für diese Art von Perfektionismus? Ich habe schon oft gelesen, dass die Erziehung ein wichtiger Faktor ist? Da ich eine therapeutische Ausbildung habe, würde ich das auch sagen. Es sind Lernerfahrungen und wenn etwas problematisch wird, ist das immer ursprünglich eine Bewältigungsstrategie, dass man irgendetwas anderes auslässt. Beim Perfektionismus hat man oft mit einem anderen Selbstwertgefühl zu tun. Man möchte es ausgleichen, dass man sich nicht wohl fühlt mit sich selber und man versucht irgendwie durch äußere Leistung das quasi aufzufüllen. Bei manchen ist das dann eben so, dass die Familie sehr leistungsorientiert war, aber es kann auch das Gegenteil sein, dass die Familienverhältnisse sehr chaotisch waren oder man wenig

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