REVIEWS
liebe für das Rotlichtmilieu bestimmt sein Leben nach wie vor. Gesund ist das hier verbreitete Verhältnis zu Frauen und Gewalt nicht, inhaltlich ist alles bei Welthass und Nihilismus geblieben. Ob die gefesselte Prostituierte oder Ernst Jünger die größere Rolle spielt – wen interessiert’s? Schließlich ist „No Surrender“ nicht für uns gedacht. Die Band hasst ihr Publikum („The audience is the target“), und man ist geneigt, diese Antihaltung ausnahmsweise ernst zu nehmen. Über leicht unscharf produzierte Metal-Riffs und Hardcore-Grooves kreischt Bessac sein Urteil über alle anderen und sich selbst heraus. So genau will man nicht wissen, was es bedeutet, wenn er dennoch „nicht aufgibt“ und „nichts bereut“. Er hat leider gar keine Stimme. Jamey Jasta von HATEBREED ist körperlich nicht größer als er, wirkt aber so – Bessac bleibt der geprügelte Antiheld. KICKBACK altern würdelos („Aging disgracefully“) und liefern musikalisch nichts, was man nicht auch woanders bekäme. Es geht hier also um die Faszination, die der Autounfall auf der Gegenspur oder die amüsante Tragödie in der Nachmittagstalkshow auslösen, machen wir uns nichts vor. (GSR/Cargo) Ingo Rieser
KONGH
Shadows Of The Shapeless Mit all den Doom/ Sludge-Bands, die in den letzten zwei Jahren aufgetaucht sind, könnte man inzwischen problemlos drei ganze Festivaltage füllen. Leider sollte nicht jede Band, die acht Minuten lang zähflüssige Riffs aufeinandertürmt, auch gleich ein Album aufnehmen, sondern erst noch ein wenig an der Kunst des Songwriting arbeiten. Dieses Problem haben KONGH jedoch nicht. Auf unserem imaginären Sludge-Festival wären sie mit Sicherheit der Samstagsheadliner. Das schwedische Trio konnte sich bereits mit seinem Debüt „Counting Heartbeats“ eindrucksvoll Gehör verschaffen und arbeitet nun mit dem Nachfolger konsequent weiter am Ausbau des eigenen Status’. „Shadows Of The Shapeless“ greift mit der typischen melancholischen Schwere und den variablen, aber stets massiven Riffs die Stärken des Debüts auf und erweitert sie um neue Facetten, die bisher nur in Ansätzen im Sound von KONGH auszumachen waren: fragmentarische Melodien und absolut passende Death/Prog/Thrash-Elemente. So wabert das Album als pechschwarze Klangwolke durch den Raum, ist dabei aber zugleich sehr viel flexibler, dynamischer und unberechenbarer – sprich: besser – als man es von den meisten anderen Doom/Sludge-Bands gewöhnt ist. (Trust No One/Rough Trade) Martin Schmidt
LAST LIGHTS
No Past No Present No Future „I wasn’t born to die between 9 to 5“, schreit Dominic Mallary bei „Destroy what destroys you“. Tragischerweise sollte er damit Recht behalten. Bei einer Show mit seiner Band LAST LIGHTS wickelte er sich – wie schon bei unzähligen Auftritten zuvor – das Kabel seines Mikrofons um den Hals. Dieses Mal jedoch wurde dadurch ein Blutgerinsel in seiner Halsschlagader verursacht und sein Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Zunächst schien alles in Ordnung, eine Stunde später klagte Mallary über ein Schwindelgefühl und wurde ins Krankenhaus gebracht. Dort verlor er das Bewusstsein und fiel ins Koma. Am nächsten Tag, dem 05. Dezember 2008, um fünf nach fünf, wurde er für tot erklärt. Nur zwei Tage zuvor hatte der 24-Jährige mit seiner Band einen Plattenvertrag bei Think Fast! Records unterschrieben – und sich damit einen Traum erfüllt. Eben jenes Label hat nun eine CD mit allen zehn Songs veröffentlicht, die Mallary mit LAST LIGHTS aufgenommen hat. Der elfte Track auf „No Past No Present No Future“ ist ein postum eingespieltes
Instrumental, das noch einmal schmerzhaft vor Augen führt, wie sehr Dominic Mallarys Stimme der Hardcore-Szene fehlen wird. Was bleibt, ist ein guter Rat des Sängers: „Love and live so intensely that when death comes there is nothing left for him to take.“ (Think Fast!) Thomas Renz
LIGHTEN UP Absolutely Not
Man kann aus den unterschiedlichsten Gründen Musik machen. Weil man zum Beispiel sowieso schon die passende Frisur hat, um einen Plattenvertrag bei Victory Records zu unterschreiben. Oder man irgendetwas bei MySpace hochladen will. LIGHTEN UP aus Philadelphia machen Musik, um ins Schwitzen kommen, wie sie bei „Born to perspire“ verkünden. Und warum das alles? „The only way to escape this mess / And I’m pretty sure it’s relieving stress.“ Es gibt eben nicht nur ein „Runner’s High“, jenes Glücksgefühl, von dem Jogger berichten, sondern auch ein „Musician’s High“. Doch während bei Langstreckenläufern Schmerzfreiheit und ein euphorischer Gemütszustand frühestens nach einer Belastungsdauer von einer Stunde auftreten, geht es bei LIGHTEN UP etwas schneller zur Sache: Nach gerade einmal siebzehn Minuten sind die zwölf Hardcore/Punk-Song auf „Absolutely Not“ bereits im Ziel. Kein Weltrekord, aber allemal eine gute Platte. Man hat nach dem Hören sogar ein bisschen Muskelkater: „But when it’s all over, when it’s all said and done / It’s back to that bullshit routine.“ (Ass-Card/Cargo) Thomas Renz
MAN MUST DIE
No Tolerance For Imperfection Das zweite Album der Glasgower ExtremMetaller stellt gegenüber dem Vorgänger einen Schritt in die richtige Richtung dar. War das Debüt nicht nur zusammengeklaut, sondern auch kompositorisch zerfahren und mit einem ebenso künstlichen wie dünnen Sound geschlagen, macht das markig betitelte „No Tolerance For Imperfection“ genau in diesen Bereichen Boden gut. Die Riffs sind, wenn auch nicht innovativ, so doch prägnanter, und obwohl der Sound immer noch nach Plastik klingt, ist er zumindest ziemlich fett geworden. Nach wie vor fällt es aber schwer, diese Frickel-Band von all den anderen zu unterscheiden, die sich in Ermangelung sozialer Kontakte den ganzen Tag mit ihrem Musikinstrument beschäftigen und deshalb annähernd perfekt spielen. Auf jeden Fall zugutehalten muss man den Jungs, dass sie in ihren komplexen, vor Blastbeats und komplizierten Breaks strotzenden Songs den Überblick nicht verlieren und dem Hörer nachvollziehbare Strukturen vorsetzen. Unterm Strich bleibt eine weitere kompetent gemachte, mäßig spannende Platte im Spannungsfeld so hipper Spielwiesen wie Thrash und Death Metal und dem derzeit unvermeidlichen Deathcore. Kann man haben, muss man aber nicht. (Relapse/Rough Trade) Hendrik Lukas
sion finden ihren besten Ausdruck eben in langsam mäandernden Riff-Strömen und hasserfüllten Vocals. So auch bei MANATEES. Das Trio aus Carlisle dröhnt auf seinem zweiten Album aber so langsam daher, dass es fast schon in Funeral Doom/Drone-Gefilde abrutscht. Ein wenig mehr Dynamik und Tempo wären inmitten von stapelweise Feedback und Noise gar nicht so verkehrt gewesen und hätten das Album sicherlich über den durchschnittlichen Level gehoben, den es so leider nicht überschreitet. (Eyesofsound/Indigo) Martin Schmidt
MERAUDER God Is I
Das gewohnte Understatement aus New York City: MERAUDER nennen ihre neue Scheibe „God Is I“. Und wer die Jungs einmal kennen gelernt hat, könnte fast denken, dass sie das ernst meinen. Auch wenn vom ursprünglichen Line-up der Metalcore-Pioniere nur noch Sänger Jorge Rosado übrig ist – auf dicke Hose machen können die Herren noch so gut wie vor zehn Jahren. Und das nicht nur in puncto Attitüde. Auch das neue Album kommt zunächst mehr als mächtig daher. Obwohl man im beiliegenden Info der Meinung ist, „God Is I“ sei eine Platte, die für AGNOSTIC FRONT- und CRO-MAGS-Fans gemacht wurde, fahren MERAUDER hier doch weiterhin das volle Metal-Brett. Natürlich mit jeder Menge Moshparts und Gangshouts, trotzdem musste eine ganze Portion Hardcore dem Schwermetall weichen. Die New Yorker machen ihren Job gewohnt gut, „God Is I“ kämpft aber mit einem typischen Metalcore-Problem: Die Songs sind allesamt recht eintönig und haben nicht viel Wiedererkennungswert. Etwas weniger Posen und etwas mehr Zeit fürs Songwriting wäre sicher eine Option gewesen. Und was hat eigentlich das Intro im letzten Drittel der Platte zu suchen? (Regain/Soulfood) Kai Jorzyk
MINSK
With Echoes In The Movement Of Stone Das neue Album von MINSK ist vor allem eine mächtige Wall Of Sound. Diese ist von so vielschichtiger Textur, dass man sich kaum vorstellen kann, dass sie tatsächlich nur von vier Musikern erschaffen wurde. Einer davon ist Sanford Parker. Der Bassist und Produzent erweist sich für die klangliche Qualität dieses Albums als ein wahrer Glücksfall. Der Mann, der unter anderem PELICAN, UNEARTHLY TRANCE und THE JAI-ALAI SAVANT aufnahm, inszeniert den MINSKschen Kosmos so wunderbar, dass der Sound zwar dicht verwoben, aber dennoch transparent und differenziert rüberkommt. „With Echoes In The Movement Of Stone“ wird so zum Inbegriff eines Kopfhöreralbums: Jeder Durchlauf, den man sich ihm konzentriert widmet, transportiert neue Facetten aus Noise, Ambient, Sludge und Tribal ins Bewusstsein. Im letzten Viertel der Scheibe wären vielleicht mehr stringente, energetische Elemente und etwas weniger drogenumnebelte Klangteppiche aus Drums und Effeken die bessere Wahl gewesen, dennoch sind MINSK bedingungslos jedem zu empfehlen, der schon immer wissen wollte, wie es klingt, wenn sich OM und NEUROSIS mit ein paar Flaschen Absinth, Meskalin und einem Beutel Gras zu einer Jam-Session treffen. (Relapse/Rough Trade) Martin Schmidt
MONTREAL ON FIRE Decline & Fall
Bleibt der Sommer weiterhin so lasch, könnte eine Platte wie „Decline & Fall“ schnell an Wert gewinnen. Denn mit seinen ruhigen Soundflächen und der melancholisch bis todtraurigen Stimmung wäre das Debütalbum von MONTREAL ON FIRE der perfekte Wintersoundtrack. Obwohl die Franzosen angeblich aus der Punk-Szene kommen, hört man das ihrem Sound überhaupt
MANATEES
Icarus, The Sunclimber Außer in den amerikanischen Südstaaten ist Sludge vor allem in England äußerst präsent. Südlich der MasonDixon-Linie ist es wohl vor allem das extreme Klima, das diese Musik gebiert: Bei achtzig Prozent Luftfeuchtigkeit und Temperaturen über dreißig Grad Celsius kann man einfach nicht schneller spielen. Und die eine oder andere Affinität zu der einen oder anderen Droge trägt sicher auch ihren Teil zum Entstehen des Southern Sludge bei. In England ist es weniger das meteorologische als vielmehr das gesellschaftliche Klima in Drecksnestern zwischen Southampton und Leeds sowie das Erbe von BLACK SABBATH, das junge Männer auf die Spuren von EYEHATEGOD und IRON MONKEY treibt. Ratlose Wut und latente Depres-
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