Fuze Magazine 01

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A DAY AT THE HOSPITAL. Mittwoch, 20. September 2006, 12:30 Uhr, Messegelände Berlin. Dresscode Black. Fast durchgehend

Mädchen mit schwarz gefärbten Haaren, Chucks und Kleidungsstücken in Ringeloptik tummeln sich im Berliner Salon der Deutschlandhalle. Aufgeregt und kichernd stecken sie in kleinen Grüppchen die Köpfe zusammen. Eine kreischt „Ich kriege gleich meinen Teenie-Anfall“, eine andere verkündet lachend: „Hoffentlich werden wir nicht gefilmt, schließlich musste ich hierfür die Schule schwänzen.“ Heute ist der Tag, an dem einem ausgewählten Kreis von Fans fünf Songs des neuen Albums von MY CHEMICAL ROMANCE vorgestellt werden.

MY CHEMICAL ROMANCE vollkommene Verlust der Privatsphäre. InsbeFast kann man bei „The Black Parade“ von einer Oper sprechen, in der Art von David Bowies sondere im Internet werden freimütig Gerüch„Ziggy Stardust“ oder QUEENs „A Night At The te über die Bandmitglieder verbreitet. Way zuOpera“. Nur dass das Album sehr viel düstefolge sind das allerdings zu vernachlässigende Kleinigkeiten, wenn auch lästige. Eines der hartrer und morbider ausgefallen ist als seine Vorlagen. Auch geht das Konzept weit über das phynäckigsten Gerüchte begrüßt er sogar: Wegen seines androgynen Erscheisische Produkt der CD hinaus: Sänger Gerard Way schlüpf- ICH FINDE ES GANZ GUT, nungsbildes finden immer wiete in die Rolle des Protagonis- WENN DIE LEUTE DENKEN, der Spekulationen über seine sexuellen Vorlieben ihren Weg ten der Platte, sogar sein Äu- ICH SEI SCHWUL. in diverse Internet-Foren und ßeres passte er diesem an. -Blogs. „Ich war zwar schon immer hetero und Seine schwarz gefärbten Haare wurden abgewerde es auch immer bleiben, doch stoßen Hoschnitten und platinblond gefärbt. „So hell wie möglich“ wollte er seine Frisur haben, um mögmosexuelle in der Gesellschaft auf sehr viel Inlichst krank auszusehen. Grund hierfür: Im Mittoleranz – ein gutes Beispiel dafür ist das Vertelpunkt des Albums steht ein todkranker, junger bot homosexueller Eheschließungen in den USA. Mann, der im Krankenhaus auf sein Ende wartet. Deswegen finde ich es ganz gut, wenn die LeuDer Tod nimmt die Form einer seiner schönsten te denken, ich sei schwul.“ Wenn die MöglichKindheitserinnerungen an, der „Black Parade“ – keit bestünde, dass durch seinen Bekanntheitsein Umzug von Musikern, zu dem ihn sein Vater in grad der Schwulenbewegung ein kleines bisschen mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde, seiner Jugend mitnahm. dann sei das eine positive Entwicklung. Später im Hotel zieht Gerard Way ruhig an einer Kippe, den Teenie-Auflauf vom frühen NachErst seit Kurzem redet Way so. Eine ganze Weimittag nimmt er gelassen: „Ich habe mich nie le war er viel zu beschäftigt mit dem Drama seiselbst als Vorbild gesehen. Wir machen einfach nes eigenen Lebens: Mit dem Aufstieg von MY nur Musik, die den Leuten emotional und menCHEMICAL ROMANCE kam für ihn der Abstieg in Drogen und Alkohol. „Am Schluss war ich bloß tal etwas bringen soll.“ Den Fame der Band sieht noch ein Zombie“, erzählt er. „Irgendwann findet er positiv: „Durch unseren Bekanntheitsgrad man sich in einem dunklen Kellerloch im Mittlekönnen wir den Leuten wichtige Inhalte vermitteln, zum Beispiel unsere Einstellung gegen Rasren Westen wieder und weiß nicht einmal mehr, wo man ist, wie und mit wem man dort hinkam. sismus, Sexismus und Schwulenfeindlichkeit.“ Sicher war mein Leben mehrere Male wirklich in Durch den Erfolg von MY CHEMICAL ROMANCE Gefahr. Die einzige Richtung, in die Drogen fühwurde die Person Way zwar ins Spotlight gedrängt, jedoch sieht sich dieser nicht als Preren, ist eben die finstere Sackgasse mit den Mülldiger. „Die Kids müssen ihren eigenen Weg fincontainern. Und in einem von denen wird man dann eines Tages gefunden.“ den. Klar spielt MTV unser Video nicht uns zuliebe, sondern nur aus eigenem Interesse.“ Der Sänger blickt auf und überlegt kurz. „Aber auch Doch Way schaffte gerade noch den Absprung, man selbst bekommt dadurch eine gewisse Form heute trinkt er lediglich Cola und raucht. Hauptvon Macht. Viel zu wenige Künstler nutzen diegrund für seine Richtungsänderung waren die mit dem Drogenkonsum einhergehenden Depressiose Plattform. Musiker sollten versuchen, positive Inhalte zu vermitteln, auf gesellschaftliche Missnen. „Man kommt an einen Punkt, an dem man es nicht mehr schafft, die simpelsten Handgriffe stände hinzuweisen.“ auszuführen. Ich wusste nicht einmal mehr, wie man sich die Schuhe zubindet oder im RestauDoch hat das Rampenlicht auch seine Schattenseiten. Der Preis für ein Video auf MTV ist der rant etwas bestellt. Man vergisst einfach, wie die

einfachsten und alltäglichsten Dinge getan werden.“ Er nimmt einen Schluck Cola. Mit einem leicht verschmitzten Lächeln sagt er: „Und noch immer bin ich dabei, einige Dinge von Grund auf neu zu lernen.“ „The Black Parade“ ist sein „zweites nüchternes Album“. Durch die verschiedenen konzeptuellen Aspekte der Platte wirkt auch die Komplexität der Idee hinter „The Black Parade“ nüchtern und bis ins kleinste Detail durchdacht. Dennoch sind die Texte für Way nur sekundär. „Die Musik ist sehr viel wichtiger. Die Wörter müssen zwar korrekt sein, aber auch in der Natur waren Geräusche schon vor dem Wort da. Viele meiner Lyrics entstehen spontan, ich arbeite viel mit einer Freestyle-Technik. Die Texte entstehen aus dem Sound heraus.“ Und genau wie er sich mit seinen Texten an der Musik orientiert, so entstand die Band selbst eher aus den Persönlichkeiten ihrer Mitgliedern heraus, als aus der Nachahmung musikalischer Vorbilder: „Wir hatten einen Sound in unserem Kopf, den es noch nicht gab“, erklärt er die Gründung der Band. Diabolisch grinsend fügt er hinzu: „Und seit es diesen Sound gibt, ist MY CHEMICAL ROMANCE meine Lieblingsband. Ich finde, so viel Selbstvertrauen sollte man in seine Fähigkeiten als Musiker haben. Man sollte immer in seiner eigenen Lieblingsband spielen.“ Er nippt an seiner Cola, zieht an der Kippe und blickt mit glänzenden Augen nach oben: „Wir wollen doch alle an etwas glauben. Wollen, dass das Leben einen Sinn hat. Und wenn das Jetzt die einzige Zeit ist, die wir auf Erden haben, dann wollen wir zumindest einen Kratzer im Lack hinterlassen.“ Mit einem bedeutungsschwangeren Lächeln auf den Lippen sagt er abschließend: „Uns ging es nie darum, reich zu werden, sondern darum, einen Unterschied zu machen.“ Julia Gudzent MY CHEMICAL ROMANCE The Black Parade (Warner) mychemicalromance.com

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