GUERICKE '18 forschen+vernetzen+anwenden

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Prof. Dr. Eva Heidbreder Foto: Harald Krieg

Kommissionspräsident Jean Claude Juncker präsentierte zum 60-jährigen Bestehen der EU den Mitgliedsstaaten das Weißbuch zur Zukunft Europas und stieß mit der Definition von fünf Idealtypen eine Grundsatzdebatte zur Zukunft der EU an. Wird diese Debatte geführt? Die Aufforderung Junckers zur Debatte ist tatsächlich von nur wenigen aufgegriffen worden. Heraus sticht der französische Präsident Macron, der bereits den französischen Wahlkampf mit europapolitischen Themen bestritten hatte. Die Kernaussage war: Ich will als Präsident mehr Kooperation in einem gemeinsam gestalteten Europa und das ist das Gegenteil von dem, was meine Herausforderin Le Pen bietet, die für einen nationalprotektionistischen Kurs und die Abkopplung Frankreichs steht. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass Macron dieses Versprechen auch gemeinsam mit den EU-Partnern, also den anderen Regierungschefs auf der EU-Ebene, vorantreiben will und für seine Glaubwürdigkeit auch muss. Allerdings haben seine zum Teil sehr weitreichenden Vorschläge nicht zu einer Debatte geführt. Grund dafür ist vor allem, dass die deutsche Regierung sehr lange einfach nicht geantwortet hat und auch immer noch vorrangig die Position vertritt, dass, statt großer Reformen, als Antwort auf die vielen EU-Herausforderer weiter wie bisher in sehr kleinen Schritten und ohne große politisch sichtbare Agenda agiert werden sollte. Ob das Ausweichen vor einer proaktiven EU-Debatte und das Fortschreiben einer Politik, in der die EU vorrangig als technischer Lösungsort für

bestimmte Probleme gilt, nicht aber als ein politisch visionäres Projekt, hinter dem bestimmte Ideen stehen, sinnvoll ist, kann man wohl auch vor dem Hintergrund der Debatte in Deutschland in Frage stellen. Im CDU/CSU-Streit sind europapolitische Fragen, vor allem im Rahmen eines Machtkampfes, mit zum Teil abenteuerlichen Lösungsvorschlägen geführt worden, statt, wie Juncker anstoßen wollte, als Wettbewerb von Zukunftsmodellen. Zu diesem Gesprächsangebot kommt bisher noch immer kein echter Beitrag von keiner deutschen Partei und keiner prominenten politischen Persönlichkeit. Sie leiten an der Universität den Studiengang „European Studies“. Welche Bedeutung hat für Sie die Ausbildung eines „europagebildeten Nachwuchses“? Was kann Forschung in der Politikwissenschaft für die Gesellschaft leisten? Die Europäische Union ist nicht irgendwo, sie ist inzwischen ganz normaler Alltag und allgegenwärtiger Teil unseres Lebens. Es gibt kein deutsches und davon getrennt europäisches Recht, es gibt keine rein deutsche und davon losgelöste europäische Politik, genau wie selbst kleine und mittelständische Unternehmen nicht rein nach regionalen Regeln und für Märkte im ganz engen Umfeld produzieren. Deshalb ist Wissen über die EU auch überall notwendig und nachgefragt: in unseren Kommunen, Regierungen und Verwaltungen, in Verbänden und Nichtregierungsorganisationen sowie in Unternehmen. Wem wichtig ist, was mit unseren


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