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Princess Culture

Der Prinz ist der Held in der Geschichte. Das hat das kleine Mädchen so gelernt. Aber kann sie auch ihre eigene Heldin sein, ohne Prinzen?

Text • Antonia Slupa

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Illustration • Dilara Selle

Sonntagmorgen, halb sieben. Alle im Haus schlafen. Nur das kleine Mädchen nicht. Es sitzt im Wohnzimmer vor dem Fernseher und hat die Cinderella-DVD gerade in den DVDPlayer geschoben. In eine rosa Kuscheldecke gewickelt, macht es sich auf dem Sofa bequem. Gebannt folgt es der Geschichte, die auf dem Bildschirm flimmert. Es kennt die Geschichte in- und auswendig, trotzdem wird das kleine Mädchen immer wieder von ihr verzaubert. Ein bildhübsches Mädchen, elfengleich, unter den Fittichen ihrer bösen Stiefmutter, und der Prinz, der es aus diesem miserablen Zustand rettet. Cinderella wird zur Prinzessin, dank ihres Helden. Ach, wie schön. So etwas will das kleine Mädchen auch. Sie wollte immer die Prinzessin sein, wie Cinderella es war. Mit Tüllkleid, tollen Haaren und den glamourösen Bällen, auf denen man den Prinzen kennenlernt. Aber was geschieht, wenn man mit zunehmendem Alter erkennt, dass das Leben, wie Cinderella es führt, so nicht in die reale Welt passt? Zumindest nicht so, wie es sich das kleine Mädchen ausgemalt hat. Das kleine Mäd- chen bin ich. Ich will heute nicht mehr auf einen Prinzen warten, wie Cinderella es getan hat. Ich möchte nicht, dass der Prinz der Held in meiner Geschichte ist, wie es der Prinz in Cinderella war. Nur eines möchte ich, ich möchte auch diese wunderschönen Kleider haben und einen Palast für mich. In dem ich bestimmen kann! Ich brauche nicht auf meinen Prinzen hoffen und warten. Das kleine Mädchen in mir und ich nehmen unser Leben selbst in die Hand. Ich will so sein wie die moderne Disney Prinzessin „Vaiana“. Sie wird zur Heldin der Geschichte. Vaiana kommuniziert das deutlich, indem sie ihren männlichen Gefährten, „Maui“ mit den Worten „Du bist nicht mein Held!“ zurechtweist. Und auch diese Geschichte verfolge ich gebannt, mit dem kleinen Mädchen in mir, das in der rosa Kuscheldecke eingewickelt ist. Ich kann mich damit identifizieren. Die Prinzessin sein, die ich immer sein wollte, aber unabhängig. Ich male mir mein Reich aus, in dem ich mit dem kleinen Mädchen bestimme. Denn wer sagt denn, dass man die Welt nicht auch im Tüllkleid retten kann?

Die warme Sommersonne nähert sich dem Horizont, taucht die Welt in ein endloses Bernsteinzimmer.

Glänzend, braun und gold.

Es ist nur ein Moment, doch gerade scheint er unendlich zu sein.

Nur uns gehört die Welt.

Irgendwer singt zur Musik, irgendwer kickt den Ball barfuß über die Wiese.

Für Sorgen haben wir keine Zeit.

Mit kratzendem Rasen unter den Beinen und Sonnencreme in der Nase hören wir unser Gelächter über den See schallen.

Bis die Rippen wehtun und die Augen tränen.

Diese bittersüße Vergänglichkeit ist Fluch und Segen zugleich.

Doch die Erinnerung daran macht uns reich.

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