Lohengrin

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Verlauf zu vernehmen, der aber ein komponierter szenischer Vorgang ist. Der Besucher der Oper Lohengrin wird an ihrem Anfang einer paradoxen Situation ausgesetzt: Er erlebt einen unsichtbaren szenischen Vorgang. Richard Wagner hat diesen in seiner programmatischen Erläuterung zum Vorspiel sehr plastisch als die Überbringung des Grals an die Menschen beschrieben. Diese Deutung könnte zu der Annahme verleiten, es handele sich hier um Programm-Musik im Sinne sinfonischer Dichtungen von Franz Liszt oder Richard Strauss, in denen Vorgänge, Geräusche, Gegenstände usw. so in Musik gesetzt werden, dass der Zuhörer eine Geschichte identifziert und verfolgt, wobei der eigentlich musikalische Gehalt des Werkes hinter dem Verweis auf Aussermusikalisches zurücktritt. Wagner aber «malt» in diesem Stück kein aussermusikalisches Ge­ schehen nach, sondern die Musik selbst wird zum szenischen Vorgang – den man freilich nicht sehen, sondern nur hören kann. In diesem Heft findet sich eine eingehende Analyse des Vorspiels von Gerd Rienäcker (S. 30 ff.), darum sollen hier einige kurze Bemerkungen zu einem ein­zelnen Aspekt der musikalischen Struktur ausreichen: Gleich nach der ersten Aufstellung des Gralsthemas tritt eine neue und mit diesem Thema nicht ver­ wand­te melodische Linie in den ersten Violinen hinzu, die bis zum dynamischen Höhepunkt des Stückes das musikalische Gewebe selbständig und nahezu bezie­ hungslos zum übrigen Geschehen durchzieht. Während sich das Gralsthema in einem langen Crescendo aller anderen Gruppen des Orchesters zu immer grös­ serer Pracht entfaltet, schreibt Wagner für diese Stimme ausdrücklich immer wie­ der «piano» und «immer piano» vor. Um diese Linie dennoch hörbar zu ma­­chen, ist sie fast durchgehend so gesetzt, dass ihre metrischen Schwerpunkte gegen die des übrigen Orchesters verschoben sind. Am Höhepunkt, wenn das Gralsthema im wuchtigen Bläsersatz erklingt und das Tremolo in den Streicherbässen den Eindruck einer heftigen Erschütterung hervorruft, stürzt diese Stimme um zwei Oktaven in die Tiefe. Unmittelbar darauf folgt eine heftig auf­streben­de Linie, die direkt zum dynamischen Höhepunkt des Stücks führt, der zusätzlich mit einem Beckenschlag markiert wird. Danach verlischt der Glanz rasch und das Stück endet mit jenem fernen, unbegreiflichen Leuchten in den höchsten Lagen des Orchesters, mit dem es begonnen hat.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

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