Macbeth

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Macbeth findet nach dem Mord keinen Schlaf mehr. Was bedeutet Schlaf­ losigkeit in der Motivik der Nacht? Nicht nur er findet keinen Schlaf mehr, alle anderen auch nicht, aus Furcht. Bei Shakespeare heisst es an einer Stelle: Seitdem Macbeth im Haus ist, gibt es in Schott­land nur noch Nacht. Es ist eine permanente Nacht der Tyrannei, in der an Schlaf nicht zu denken ist. Schlafentzug ist ja eigentlich eine Form von Folter. Du kommst nicht zur Ruhe. Du verlierst deine Balance und gerätst in einen Zustand psychischer Hyperaktivität, der allerdings auch extreme Wachsamkeit be­deutet. Du bist präsent in einem ganz existenzialistischen Sinne, und für Macbeth heisst das auch, er ist ganz nahe dran an der Bestimmung seines Wollens. Verfolgt Macbeth ein politisches Projekt oder ist er nur blutrünstiger Tyrann? Er wagt es, angespornt von den Hexen, den König zu ermorden. Er sagt wie ein früh­modernes Subjekt: Ich übergehe die Hierarchien und setze mich einfach selbst als Herrscher ein. Dieses Vorgehen birgt für mich auch ein revolutionäres Potenzial. Man sagt immer, Macbeth sei ein grausamer Tyrann, aber man muss schon auch darauf hinweisen, dass er ein totalitäres System aufbricht. Duncan ist der inkompetente König, und in diesem Kontext kann ein Mord durchaus fortschritt­lichen Charakter haben. Wir denken immer, weil der König von Gott bestimmt ist, sind Königsmorde blasphemisch, aber im Mittelalter – und Shakespeares projiziert ja das Macbeth-­Drama ins Mittelalter – wurden diese Könige permanent umgebracht. Das waren wackelige politische Systeme. Man könnte Macbeth auch als revolutionäre Figur lesen, die dann entgleist. Politik, denkt man, wird immer im Licht des Tages und mit Verstand gemacht. Aber Macbeth scheint uns etwas anderes zu lehren. Will man einen Königsmord begehen, muss man es mit Hilfe von Intrigen machen, und die Zeit der Intrige ist die Nacht.


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