Orest

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Die Vorlage für Ihre Oper haben Sie in der Orest-Tragödie des Euripides gefunden … Bei der Beschäftigung mit Euripides habe ich aber festgestellt, dass ich den Stoff bearbeiten muss. Problematisch erschien mir vor allem der Schluss der Tragödie, in dem der Gott Apollo als Deus ex machina auftritt und Orest freispricht. Für eine Oper im heutigen Zeitalter hat mich dieser Schluss nicht überzeugt, und es hätte mich auch nicht interessiert, ein solch pathetisches Ende musikalisch umzusetzen. Ihre Oper hat also einen anderen Schluss? Ja, das Ende ist offener. Die verfahrene Situation, in der sich Orest be­findet, wird in meiner Oper nicht mehr durch einen Gott geklärt. Es ist sogar um­gekehrt: Orest muss begreifen, dass ihm weder ein Gott, noch ein anderer Mensch die Schuld nehmen kann, die er sich durch den Mutter­ mord auf­geladen hat. Er muss eine andere Einstellung zu seiner Schuld finden. Am Ende der Oper scheint ihm das zu gelingen. Bei Euripides wird Orest durch den Gott Apollo mit Hermione, der Tochter von Menelaos und Helena, verheiratet. Diesen Zwang gibt es in meiner Oper nicht. Orest wendet sich Hermione freiwillig zu und erkennt in diesem Gegenüber die Möglichkeit, einen Schritt in eine neue Zukunft zu tun.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Hinter dem persönlichen Schicksal von Orest, das für Sie entscheidend ist, stehen aber auch Fragen des Rechts, die in Ihrem Textbuch an­ gedeutet werden. In der ersten Szene wird zum Beispiel die «Macht der Mütter» thematisiert. Was ist damit gemeint? Ich gehe in der Oper davon aus, dass der Gott Apollo, der Orest zum Mutter­­mord geraten hat, ein anderes Rechtssystem vertritt als Orests Mutter Kly­täm­­nestra. Robert von Ranke-Graves beschreibt in seiner Griechischen Mythologie, dass damals ein matriarchalisches Rechtssystem galt. Es sah vor, die Männer der herrschenden Königinnen alle zehn Jahre auszuwechseln. Das würde also bedeuten, dass Agamemnon, der ja erst nach vielen Jahren aus dem Trojanischen Krieg zurückgekehrt ist, überhaupt keine Rechte mehr ge­habt hätte. Seine Beseitigung durch Klytämnestra wäre demzufolge nur die

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