46 Volker Hagedorn trifft …
Rosa Feola Rosa Feola singt in der Wiederaufnahme von Verdis «Rigoletto» die Gilda. Am Opern haus Zürich war sie be reits als Léïla in «Les Pêcheurs de perles» und als Corinna in Rossinis «Il viaggio a Reims» zu erleben. Soeben feierte sie einen grossen Erfolg als Lucia am Theater Basel. Rosa Feola tritt zudem regel mässig an Häusern wie der Bayerischen Staats oper, der Metropolitan Opera New York und der Scala di Milano auf.
Noch eine Stunde bis zum Schminken, zweieinhalb Stunden bis zu den ersten Tönen des Orchesters, fünf Stunden bis zu einer der strapaziösesten Szenen, die es für So pranistinnen gibt. Aber die Frau, die am Abend die Lucia in Gaetano Donizettis berühmtester Oper singen wird, schlendert ganz entspannt in die nachmittagsstille Kantine des Theaters Basel. «Sie werden sie leicht erkennen», hat der Mann an der Pforte gesagt, «sie hat dunkle Haare und ist sehr hübsch». Rosa Feola, ein Glas Tee in der Hand, ist ausserdem sehr gut gelaunt und scheint sich direkt darauf zu freuen, jetzt über sich und ihre Rollen zu sprechen, zu denen auch die Gilda im Zürcher Rigoletto gehört und Mozarts Gärtnerin. Besteht nicht die Gefahr, dass all diese Frauen, von Donizetti bis Verdi, von Mozart bis Rossini, von Bellini bis Puccini und dazu noch Bizet, in ihrem Kopf durch einandergeraten? Sie lacht. «Das hat mich auch gerade eine Freundin gefragt! Nein, die Rollen sind so verschieden, dass ich nicht durcheinandergeraten kann», sagt sie auf Englisch, «und es hilft mir, dass die meisten auf Italienisch sind. So kann ich tiefer einsteigen.» Ab wann steigt sie denn an einem Aufführungstag wie heute ein? Wacht sie morgens schon als Lucia auf? «Ich habe mal versucht, schon Stunden vorher in die Stimmung zu geraten», meint sie. «Das hat nicht funktioniert. Danach war ich gestresst, und man ist doch sowieso schon gestresst!» Sie werde es heute machen wie immer. «Ein halbe Stunde Aufwärmen, nur die wichtigsten Stücke wiederholen. In diesem Fall ein kleines Stück von der ersten Arie, dann etwas vom Duett mit dem Tenor, was für mich das Schwierigste ist, sehr legato und rein, und nach der Pause die Wahnsinnsszene.» Genauer gesagt, die Wahnsinnszene schlechthin, ein Solo von fast zwanzig Minuten, in dem die virtuosen Wendungen des Belcanto zu Fragmenten einer zerstörten Seele werden. Diese Szene besiegelte 1835 den Triumph der Uraufführung von Lucia di Lammermoor in Neapel, der Opern metropole des italienischen Südens. Eine halbe Stunde Fahrt nordöstlich von dort liegt das Städtchen San Nicola la Strada, in dem Rosa Feola 1986 zur Welt kam. «Ich fing mit Musik an, als ich fünf oder sechs war, sang im Kinderchor, und ein Cousin gab mir Klavierunterricht. Aber meine Eltern hatten mit Musik nicht so viel zu tun, auch wenn meine Mutter eine Naturstimme hat, eine lyrische!» Es war eine Tante, die fand, Rosas Stimme sollte ausgebildet werden. Sie nahm privat Gesangsunter richt, ihr Diplom bekam sie als Externe im Konservatorium von Salerno. Am Klavier machte sie nach dem vorletzten Examen Schluss: «Stopp, nicht weiter! Ich habe mich als Pianistin nicht wohl gefühlt. Aber zuhause spiele ich gern, ich kann die Opern alleine lernen. Zum Perfektionieren gehe ich dann nach Rom zu meinen Lieblingspianisten.» Nach Rom führte auch der Weg der Studentin. Ein Kommilitone hatte ihr geraten, bei Renata Scotto vorzusingen. Dieser Student wurde später ihr Ehemann, und auch die Begegnung mit der grossen alten Dame der italienischen Oper war eine fürs Leben. «Ich war 22, das ist zehn Jahre her», sagt Rosa, fast ungläubig über das, was seitdem geschah. «Ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, professionell zu singen. Ich liebte die Oper und ver suchte etwas für mich selbst. Aber auf der Bühne zu stehen, als Solistin?» Die anderen Kandidaten warnten sie vor Signora Scotto an jenem Tag. Sie sei übel gelaunt. Als Rosa «Sì, mi chiamano Mimì» und «Bel raggio lusinghier» gesungen hatte, stand die 74jährige Diva auf, applaudierte und sagte: «Okay, du wirst Mimì singen, aber nicht jetzt.» Und dann ging es richtig los. «Sie sagte mir, öffne den Gaumen und singe mit der Maske.» Rosa Feola legt die Hände an die Wangen. «Alle Linien aus derselben Position, verstehen Sie das?» «Naja, ich bin nur Bratscher, aber ich kann’s mir den ken…» Sie lacht. «Und ich war Tänzerin! Ich hatte auch Ballett gelernt und nahm all