MAG 57: Maria Stuarda

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war, das fragt man eine Sängerin natürlich nicht! –, und das ebnete ihr den Weg ins Opernstudio der Mailänder Scala. «Das war wohl der Punkt, an dem sich mein Leben änderte», sagt sie. Denn ein Jahr, nachdem sie an dieser Accademia für den Nachwuchs begonnen hatte, wurde sie von Maestro Riccardo Muti nach vorne an die Rampe geschubst: Als 1999 die schon legendäre Produktion des Don Giovanni in der Regie von Giorgo Strehler wieder aufgenommen wurde, war neben Stars wie Michele Pertusi und Anna Caterina Antonacci die junge Serena Farnocchia als Donna Anna zu erleben. Diesen 6. November vergisst sie nicht. «Das war ein erstaunlicher Abend, auch voller Angst. Ich hier, in der Scala! Aber die Kollegen waren sehr nett zu mir …» Zu ihren Idolen zählte neben Mirella Freni auch Renata Scotto, bei der sie Unterricht nahm. «Sie war sehr perfektionistisch mit der Intonation, dem Klang, dem Legato – aber mit Herz.» Das fehlt ihr mitunter bei den Sängern der Gegenwart. «Man singt jetzt more pure, sauberer, vielleicht, weil wir wollen, dass es perfekt klingt wie auf einer CD, aber die Stimmen sind einander ähnlicher. Und man gibt Sängern nicht mehr so viel Zeit, die Stimme wachsen zu lassen. Sie ändert sich wie der Körper. Wenn du anfängst, kannst du nicht Wagner singen. Mit 25 Jahren hätte ich nicht Butterfly und Manon Lescaut singen können. Jetzt tue ich das. Aber für viele geht es zu schnell. Und es ist schwer, nein zu sagen!» Was sie sich jetzt noch nicht zutraut, aber in naher Zukunft, sind die Titelrollen von Norma und Tosca, «und ich würde gerne etwas auf deutsch singen, zum Beispiel Elsa im Lohengrin. Aber die italienischen Sänger werden für Wagner nie gefragt. Ich weiss nicht, warum. Natürlich ist deutsch schwierig für uns, so wie Italienisch für Deutsche. Sie singen es nicht immer gut, aber sie tun’s, und jeder kann lernen. Bryn Terfel hat eine Aussprache wie ein Italiener, Diana Damrau auch!» So aber, wie Serena Farnocchia einen Namen wie Donna Anna ausspricht – nicht in zwei Worten und vier Silben, sondern legato, ein kleiner Bogen, in dem die «as» verschmelzen –, so kann das wohl nur eine, die im Land der Opern aufgewachsen ist. Einem Land, das es so nicht mehr gibt. «Italien geht nicht gut mit der Oper um, ich schäme mich, das sagen zu müssen.» Am Sinn des Musiktheaters, das dort erfunden wurde, hat sie nicht den geringsten Zweifel. «Alles daran ist echt. Es gibt kein Glas zwischen uns und dem Publikum. Und du kannst die Emotion im Klang der Stimme hören, du fühlst die Vibration der Schallwellen! Wenn man mit Kindern in die Oper geht, sind sie sehr berührt, es ist fast ein Schock für sie, was eine Person nur mit der Stimme machen kann. Ohne Mikro, ohne Technologie.» Wie hält sie es mit Kritik am Frauenbild in der Oper, am «Anachronismus» all der Opfer und Märtyrerinnen, denen sie ihre Stimme gibt? «In Florenz wurde jetzt das Ende von Carmen geändert», sagt sie. «Carmen tötet Don José, nicht umgekehrt. Ich würde gern erfahren, ob der Regisseur das wegen der political correctness machte … Dass Frauen von ihren Männern umgebracht werden, ist unglücklicherweise immer noch aktuell. Aber man ändert nicht die Gesellschaft, wenn man Carmen ändert.» Übrigens sei die Elisabetta in Donizettis Maria Stuarda eine Powerfrau, die durchaus auch feministischen Massstäben standhält: «Sie will keinen Ehemann, und sie will selbst über ihr Leben entscheiden.» Dass das eine das andere nicht ausschliesst, beweist Serena Farnocchias Ehe mit einem Korrepetitor. «Es ist gut, einen Pianisten im Haus zu haben», sagt sie lachend. Ihr Mann begleitet sie auf vielen Reisen, seit zwölf Jahren mit der gemeinsamen Tochter, soweit es die Schule erlaubt. Die hat schon als Fünfjährige die Partie der Maria Stuarda mitgelernt – in zensierter Fassung. Eigentlich beleidigt Maria ihre Gegnerin so: «Entweiht ist der englische Thron durch dich, abscheulicher Bastard! Vil bastarda!» Um das üble bastarda zu vermeiden, liess Serena ihre Kleine mostarda singen, Senf. «Ich muss das Video mal Diana zeigen», sagt sie, lacht, zieht den Mantel an und verwandelt sich wieder in eine unauffällige Zürcher Passantin. Volker Hagedorn

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