MAG 16: Aida

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Hauses? Es sei das unheimlich reiche Musikleben in Lettland, das sowohl von russischen als auch europäischen Einflüssen profitiere, erklärt Antonenko. Durch die lebendige Chortradition in Lettland hätten sie alle schon seit jeher gesungen. Der Austausch mit den Musikzentren Moskau und St. Petersburg garantiere das hohe Niveau der Ausbildung. Und nicht zuletzt sei es die kulturelle Durchmischung, die das Baltikum als Teil der Sowjetunion erlebte, das die Stärke dieses kleinen Landes ausmache. Obwohl er kaum noch dazu kommt, nutzt Aleksandrs Antonenko jede Gelegenheit, um am Musikleben seiner Heimatstadt teilzuhaben. Er kehre nicht nur in die Oper gerne zurück, sondern auch in den Rigaer Dom, die Philharmonie oder die St. Johanniskirche, erzählt er mit leuchtenden Augen. Und besonders freue er sich auf ein Open-Air-Konzert im Sommer, bei dem die Kulturhauptstadt Riga 2014 alle ihre Weltstars auf einer Bühne versammelt. «Otello ist meine Visitenkarte», sagt Aleksandrs Antonenko über die Rolle, die er bisher am häufigsten verkörpert hat, zumeist in prominenter Zusammenarbeit, etwa mit Riccardo Muti und dem Chicago Symphony Orchestra oder mit Anna Netrebko in Verbier. Gelobt wird er nicht nur für seine klanglich nuancierte Interpretation des psychisch verfallenden Heerführers, sondern auch für seine darstellerische Intensität. Jetzt konzentriert er sich ganz auf den Radamès und die Proben mit Tatjana Gürbaca und Fabio Luisi. Ein bisschen Zeit, um Zürich und die Schweiz kennen zu lernen, will er sich erst zwischen den Vorstellungen nehmen. Zu wichtig ist ihm dieses Debüt, das er eigentlich schon zu Beginn des vergangenen Jahres an der Wiener Staatsoper in Angriff nehmen wollte. «Statt zu singen, lag ich im Kranken­ haus mit hohem Fieber, und niemand konnte mir helfen», erzählt er mit einem ergebenen Lächeln. Kein Wunder, dass er Gesundheit und eine gute Balance zwischen beruflichem und privatem Glück als das Wichtigste an seinem Beruf erwähnt. Nach Zürich kam Aleksandrs Antonenko zunächst mit einem grossen Fragezeichen in Bezug auf seine Rolle. «Aida war für mich ein Märchen und Radamès demnach eine Figur ohne wirkliche Biografie», sagt er. «Radamès will unbedingt eine militärische Karriere machen, aber im dritten Akt lässt er alles fallen für seine Liebe, will sogar sein Vaterland verlassen. Für mich war dieser radikale Schritt schwer nachvollziehbar.» Tatjana Gürbacas psychologisch feinsinniger Zugriff auf die Ekstasen und Abgründe in der Beziehung zwischen dem Feldherrn, der Königstochter und der Sklavin hat ihm die nötigen Impulse gegeben, um seine Figur plastisch vor Augen zu sehen. «Bei Tatjana ist Radamès jemand, der den Krieg als ein Spiel ansieht, bis er ihn tatsächlich

erlebt hat und als unwiderbringlich veränderter Mensch zurückkehrt. Das war der Schlüssel für meine schauspielerische Herangehensweise an Radamès.» Die Probenarbeit sei wahnsinnig interessant und intensiv, aber es gebe auch Platz für Humor. Auf der Probe, zwei Tage vor unserem Gespräch, feiert das Ensemble ausgelassen den frisch auserkorenen Feldherrn Radamès, und Antonenko lässt anstelle seiner «Guerra»-Rufe ein japsendes Bellen ertönen. Alle lachen. Der Moment der Anspannung komme noch früh genug, sagt Antonenko. Gegen die Premiere hin fühle er sich jeweils wie ein einsamer Schwimmer mitten im Meer, der Strand liege schon weit hinter ihm und er frage sich, wann er zu seiner Insel oder ans andere Ufer komme. Aber da gäbe es nur eins: Weiterschwimmen. Der Gedanken an den gefürchtetsten Moment der Partie gleich zu Beginn der Oper entlockt ihm ein scherzhaftes Knurren. Die drei spektakulären hohen B’s in der Romanze von Radamès seien tatsächlich eine ziemliche Nervensache für den Tenor. Das ganze Publikum warte darauf, wie lange, wie schön sie gesungen würden und wie leicht vor allem der letzte der drei Töne dem Sänger über die Lippen käme. Sei diese Hürde erst einmal überstanden, könne man sich erst richtig in die Rolle einfinden. Nach Otello und Radamès wird sich Aleksandrs Antonenko in nächster Zeit mit der Partie des Alvaro und La forza del destino beschäftigen. Als hundertprozentigen Verdi-Tenor würde er sich aber nicht bezeichnen. Neben anderen italienischen Partien seines Fachs wie Turiddu, Rodolfo, Des Grieux, Cavaradossi und Giuseppe Hagenbach in La Wally singt er auch Don José oder Samson, den Prinzen in Rusalka und German in Pique Dame. Ausserdem wolle er sich nicht in eine musikalische Ecke zurückziehen, er stehe doch erst am Anfang! Viel wichtiger als sängerische Lebensziele zu formulieren ist es ihm, sich auf den Moment zu konzentrieren. «Meine Rollen sind wie meine Kinder, ich liebe sie wie eine Mutter», sagt er ernst. «Aber ja, Kinder möchte ich noch viele!» Daniela Lehmann


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